Bayerische Römer – Römische Bayern. Lebensgeschichten aus Vor- und Frühmoderne

Bayerische Römer – Römische Bayern. Lebensgeschichten aus Vor- und Frühmoderne

Organisatoren
Institut für Bayerische Geschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München; Universität Bayreuth; Römisches Institut der Görres-Gesellschaft
Ort
Vatikanstadt
Land
Vatican City State (Holy See)
Vom - Bis
27.11.2014 - 29.11.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Iris von Dorn, Facheinheit Geschichte, Universität Bayreuth

Bereits der Ort der internationalen Tagung, der Campo Santo Teutonico neben St. Peter in Rom, war ein ständiger Verweis auf die im Fokus stehende Frage nach Kontinuität und Diskontinuität bayerischer Rompräsenz. Eröffnet wurde die Tagung durch Stefan Heid, Direktor des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft. In ihrer Einführung boten die Veranstalter DIETER J. WEISS (München) und RAINALD BECKER (Bayreuth) einen Einblick in die Forschung: Wurde die Beziehung von römischer Zentrale und Peripherie bisher vor allem unter dem Aspekt von Großgruppen (etwa Klerikern, Pilgern oder Akademikern) beleuchtet, so sollte nun der Blick verstärkt auf das Individuelle gerichtet werden. Die deutsch-römische Kontaktgeschichte sollte im Spiegelbild von Einzelbiographien untersucht werden, um so – über die Ermittlung von kollektivbiographischen Durchschnittstypen hinaus – konkrete Lebenswirklichkeiten, Motivationen und Optionen der Romreise zu erfassen. Im Sinne einer vergleichenden Regionalgeschichte ging es den Veranstaltern um die Problematisierung bayerischer (einschließlich fränkischer und schwäbischer) Außenbeziehungen. Welche Rolle Rom als Schauplatz für bayerische Lebenswege im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit spielen konnte, wie dabei „Regionalspezifisches“ wirksam wurde – solche Fragen standen im Zentrum der Überlegungen.

LUDGER KÖRNTGEN (Mainz) untersuchte das Kontaktgeschehen zwischen Rom und Bayern im 8. Jahrhundert. Als „Kontaktträger“ traten baierische Herzöge und Bischöfe sowie Missionare und Päpste in Erscheinung, so etwa Herzog Theodo oder Erzbischof Arn v. Salzburg, der 798 in Rom das erzbischöfliche Pallium erhielt (die „Geburtsstunde der bayerischen Kirchenprovinz“). Körntgen schlüsselte das komplexe Verhältnis von Kirche und Herrschaft auf. Gleichermaßen religiöse wie machtpolitische Motive führten die Akteure nach Rom. Dabei mischten sich „regionale“ mit „nationalen“ und „übernationalen“ Loyalitäten.

DIETER J. WEISS (München) widmete sich den drei süddeutschen Bischöfen des 11. Jahrhunderts, die auf Betreiben Kaiser Heinrichs III. zu Päpsten gewählt wurden: Clemens II., Damasus II. und Victor II. Mit der Erhebung des Bamberger Bischofs Suidger zu Clemens II. wurde eine Folge sogenannter „Reformpäpste“ begründet. Zugleich stand Clemens auch am Beginn einer Reihe von Päpsten, die trotz des Verbots der Ämterkulminierung ihr altes Bischofsamt beibehielten. Weiß konnte zeigen, dass diese Entwicklung mit einem neuen Verständnis von der päpstlichen Würde und damit letztlich auch von Rom zu sehen ist. Clemens und seine Nachfolger sahen sich nicht mehr wie ihre Vorgänger in erster Linie als Bischöfe von Rom, sondern auch als Haupt der universellen Christenheit, in der Süden und Norden gewissermaßen institutionell zusammengeführt wurden.

Die römische Kaiserkrönung Ludwigs des Bayern im Jahr 1328 gilt als ein Höhepunkt bayerischer Geschichte. Auch in der Forschung war Ludwigs Romzug bereits häufiger Gegenstand. ALOIS SCHMID (München) wies hingegen auf noch offene Probleme hin: So fehlen einerseits Nachweise für die in Rocca di Papa, einer in den Albaner Bergen gelegenen Stadt, behauptete Existenz einer von Ludwig errichteten Garnison. Die lokale Überlieferung reklamiere für sich diese These bis heute. Andererseits befaßte sich Schmid mit dem Versuch von Ludwig, nach seiner Rückkehr aus Italien den heiligen Petrus als Landespatron zu installieren. Immerhin sei dies plausibel, da der Kaiser eine Aufwertung der Münchner Stadtpfarrkirche St. Peter mittels päpstlicher Privilegienerlasse und aus Rom mitgebrachter Reliquien vorantrieb. Zudem gelangte Schmid zu bislang unbekannten Erkenntnissen, indem er sich der Rom-Idee Ludwigs und der Frage nach dem Gefolge des Romzugunternehmens unter neuen Gesichtspunkten zuwandte.

Nach der individuellen Wahrnehmung süddeutscher Äbte und Bischöfe auf Rom-Wallfahrt fragte JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal). Die Annalen und Chroniken des 11. Jahrhunderts thematisieren zwar die Romfahrten von Herrscherpersonen, jene von Bischöfen und Äbten jedoch nicht. Dies ist wohl der Eigenart der Quellengattung zuzuschreiben: Der individuellen Frömmigkeit von Bischöfen und Äbten kam weniger Aufmerksamkeit zu als herrschaftlichen Aspekten. Doch auch ein Blick in die Bischofsviten des 11. Jahrhunderts — für die Bischöfe Burkhard v. Würzburg und Otto v. Bamberg — erbrachte einen ähnlichen Befund. Erst in den Viten des 12. Jahrhunderts spielte die Romfahrt des jeweiligen Bischofs eine Rolle, was man auf das engere Verhältnis zwischen Bischöfen und Päpsten dieser Zeit zurückführen könne. Generell sei davon auszugehen, dass aufgrund des hohen Kostenaufwands persönliche Romaufenthalte von Bischöfen und Äbten, deren Reisen vor allem auch der Verehrung der Apostelgräber und dem Erwerb von Reliquien dienten, eher eine Seltenheit waren.

CHRISTOF PAULUS (München) lieferte mit seinem Beitrag zu den Gesandten der bayerischen Herzöge in Rom einen Einblick in die Funktionsmechanismen des spätmittelalterlichen Gesandtenzeremoniells an der Kurie. Ende des 15. Jahrhunderts versuchte Herzog Albrecht IV. mittels Diplomatie, die Unterstützung der Kurie zu gewinnen. Er baute erstmals systematisch bayerische Beziehungen nach Italien auf. Am Beispiel des 1484 nach Rom entsandten Dr. Johann Neuhauser zeigte Paulus das breite Spektrum diplomatischer Instrumentarien auf. Vor allem erwies sich die rhetorisch elaborierte Obödienzrede als wichtiger Bestandteil der Diplomatie, die sich zunehmend professionalisierte und den Einsatz gelehrter Räte notwendig machte.

Einem „Mysterium“ auf der Spur war HELMUT FLACHENECKER (Würzburg), nämlich der Verehrung des Frankenpatrons Kilian am Tiber. Zu diesem Zweck hatte sich eine eigene Gemeinschaft von Klerikern und Laien, die Kiliansbruderschaft, am Campo Santo Teutonico gebildet. Das „Mysterium“ besteht vor allem in der schlechten Quellenlage über diese frömmigkeitsgeschichtlich relevante Vereinigung. Im Bestand des Campo Santo existiert nur ein Bruderschaftsbuch mit Namenseinträgen aus den Jahren 1594 bis 1639. Dessen Auswertung lässt immerhin vereinzelte Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Mitgliedschaft zu.

In der posttridentinischen Rezeption des Papstzeremoniells kam Süddeutschland — hier vertreten durch Herzog Albrecht V. v. Bayern, den Augsburger Bischof Kardinal Truchseß v. Waldburg und Hans Jacob Fugger — eine Schlüsselfunktion zu. Von Süddeutschland aus erfolgte, wie JÖRG BÖLLING (Göttingen/Wuppertal) darlegte, dessen Verbreitung sowohl durch Praxis als auch durch Text. Dabei ist jedoch ein tiefer Wandel zu beobachten: Vor dem Trienter Konzil bestand die Kurie auf Geheimhaltung der Zeremonialschriften. Der Schwerpunkt lag eindeutig auf deren Verbreitung durch Performanz. Nach dem Konzil förderte sie hingegen systematisch die Kenntnis des Zeremoniells durch Nachdrucke. Die Notwendigkeit, die Kirchenreformen auf diesem Weg bekannt zu machen, überwog nun das Bedürfnis nach Geheimhaltung.

Ebenfalls im Kontext des konfessionellen Zeitalters sind die Romreisen von Jakob Rabus zu sehen. Rabus wurde als protestantischer Theologensohn geboren; 1565 konvertierte er in Dillingen zur katholischen Kirche. THOMAS BROCKMANN (Münster) informierte über die Rom-Impressionen von Rabus, und zwar auf Basis seines noch kaum erschlossenen publizistischen Werks. Erstmals kam Rabus zum Studium bei den Jesuiten am Germanicum in die Ewige Stadt (1566/1567). Im Heiligen Jahr 1575 brach er erneut — diesmal als Pilger — nach Rom auf. Der von ihm dazu verfasste Bericht ist für Brockmann ein dezidiertes gegenreformatorisches Statement. Denn der Pilgerbericht beschreibe Rom als intaktes Zentrum der Weltkirche, wo eine vitale römisch-katholische Kirchlichkeit erlebbar sei – im Gegensatz zu dem innerlich gespaltenen Protestantismus.

Während die mittelalterlichen diplomatischen Beziehungen zwischen Bayern und Rom nur locker gefügt waren, konnten ALEXANDER KOLLER (Rom) und BETTINA SCHERBAUM (München) für die Frühe Neuzeit eine Intensivierung der Kontakte registrieren. Im 16. Jahrhundert figurierte der sowohl in kurialen als auch in bayerischen Diensten stehende Diplomat Minuccio Minucci als Schlüsselfigur des Austauschs. Koller zeigte an seinem Beispiel, wie sich die Kurie mit Hilfe von Experten ein genaues Bild von den Konfessionsverhältnissen im Reich verschaffte. Zugleich förderte Minucci die Reichskirchenpolitik der Wittelsbacher, so etwa den Ausbau des Erzbistums Köln zu einer geistlichen Sekundogenitur des bayerischen Herzogshauses. Allerdings mündeten diese intensiven Beziehungen nicht in die Einrichtung einer Nuntiatur in München ein. Es war vielmehr Bayern, das zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine ständige Gesandtschaft in Rom einrichtete. Dabei entwickelte sich ein spezifisches bayerisches Gesandtschaftsmodell, wie Scherbaum ausführte. Entgegen der ansonsten üblichen Praxis schickte man keine eigenen Landsleute, sondern griff auf italienisches Personal zurück. Bayern ließ seine Interessen durch die römischen „Diplomatieunternehmer“ Scarlatti und Crivelli vertreten. Dieser Sonderweg, der stets geteilte Loyalitäten bedingte, aber auch römische Klientelbindungen für die Wittelsbacher erschloß, sollte sich als äußerst erfolgreich erweisen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bestand diese Form bayerischer Vertretung in Rom.

HELENE TROTTMANN (München) und BRITTA KÄGLER (München) wandten sich noch einmal ausdrücklich der Bedeutung Roms als Studienort und Kulturzentrum zu. Besondere Anziehungskraft hatte die Stadt am Tiber mit ihrem reichen Fundus an antiken und zeitgenössischen Kunstwerken für bildende Künstler — nicht zuletzt auch wegen der dort Ende des 16. Jahrhunderts gegründeten Accademia di San Luca. Trottmann ging der Frage nach, welchen konkreten Einfluss die römische Akademieausbildung von Cosmas Damian Asam auf dessen Werk hatte. Eine wichtige Rolle spielte Rom auch als Anlaufstelle für die Bildungsreisen junger Adeliger. Gerade für das Haus Wittelsbach war dies von besonderer Bedeutung, zumal wenn die Prinzen für eine kirchliche Laufbahn vorgesehen waren: Am Beispiel von bisher unveröffentlichten Reisediarien aus dem Archiv von Santa Maria dell’Anima, der deutschen Nationalkirche in Rom, zeichnete Kägler Stationen und Momente der Kavalierstour der Kurfürstensöhne Philipp Moritz und Clemens August v. Bayern durch das Italien der Frühen Neuzeit nach.

RAINALD BECKER (Bayreuth) führte in seinem Beitrag über den römischen Horizont hinaus. Er zeigte, dass die Tibermetropole für süddeutsche Akteure auch ein Sprungbrett in den globalen Raum, in diesem Fall nach Afrika, sein konnte. Eine wesentliche Voraussetzung dafür war die Teilnahme an der missionary society der Frühen Neuzeit. Dies galt etwa für den aus dem oberbayerischen Aichach stammenden Arzt und Franziskaner Theodor Krumpp, der um 1700 im Auftrag der Kurie eine Missionsreise nach Äthiopien unternahm. 1710 veröffentlichte er in Augsburg einen Bericht darüber — einen der bedeutendsten Drucke der frühneuzeitlichen Afrikakunde in Deutschland. Krumpp stand „wie kaum eine andere Figur ... [für] die historische Möglichkeit von transkontinentalen Beziehungen aus dem süddeutschen Raum in die weite Welt“ hinaus.

Der Abschlußvortrag von WALTER BRANDMÜLLER (Rom) erweiterte die Perspektive in das 19. Jahrhundert hinein: Vier bayerische Kardinalsbiographien — Bayern nun verstanden als bayerisches Königreich von 1806 — variierten das Leitthema noch einmal auf andere Weise. Konkret ging es um Gustav Adolf zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Karl August von Reisach, Andreas Steinhuber und Joseph Hergenröther. Brandmüller unterzog deren Rolle innerhalb der Kurie und auf dem Ersten Vatikanischen Konzil einer genauen Betrachtung.

Die Tagung ließ die Vielfalt des römisch-süddeutschen Kontaktgeschehens im Spiegelbild individueller Biographien deutlich werden. Markant zeigte sich die Funktion Roms als spiritueller und institutioneller Mittelpunkt der lateinischen Christenheit, als Zentrum von Bildung und Professionalisierung und damit als Schaltstelle für bayerische Karrieren.

Konferenzübersicht:

Dieter J. Weiß (München) / Reinald Becker (Bayreuth) / Stefan Heid (Rom), Begrüßung und Eröffnung

Mission – Kirche – Herrschaft
Stefan Heid (Rom), Einführung und Moderation

Ludger Körntgen (Mainz), Angelsächsische Franken und römische Bayern? Regionale Loyalitäten und der Blick nach Rom im frühmittelalterlichen Bayern

Dieter J. Weiß (München), Bayerische und Baierische Päpste – Clemens II., Damasus II., Victor II.

Alois Schmid (München), Der Romzug Ludwig des Bayerns

Glaube – Kurie – Wirtschaft
Rainald Becker (Bayreuth), Einführung und Moderation

Jochen Johrendt (Wuppertal), Süddeutsche Äbte und Bischofe auf Wallfahrt in der Ewigen Stadt

Christof Paulus (München), „Mit vil verlierung der zeit“. Herzogliche Gesandte des Spätmittelalters vor den Türen seiner Heiligkeit

Helmut Flachenecker (Würzburg), Die Franken und Bayern des heiligen Kilian im Rom des Barock

Habitus – Frömmigkeit – Kunst
Johannes Grohe (Rom), Einführung und Moderation

Jörg Bölling (Göttingen/Wuppertal), Römisches Zeremoniell in Bayern: Herzog Albrecht V., Kardinal Otto Truckseß von Waldburg und die Fugger

Thomas Brockmann (Münster), Jakob Rabus auf Romreise im Heiligen Jahr 1575

Helene Trottmann (München), Römischer Barock als Inspiration: Der Studienaufenthalt von Cosmas Damian Asam

Politik – Diplomatie – Wissen
Dieter J. Weiß (München), Einführung und Moderation

Alexander Koller (Rom), Minuccio Minucci (1551-1604): Ein Diplomat in päpstlichen und bayerischen Diensten

Bettina Scherbaum (München), Diplomatie unter falschem Vorzeichen? Die Crivelli und Scarlatti als bayerische Gesandte beim Papst

Britta Kägler (München), Zwei Wittelsbacher auf römischer Kavalierstour: Aus unveröffentlichten Tagebüchern des 18. Jahrhunderts

Rainald Becker (Bayreuth), Rom – Brücke nach Afrika: Der oberbayerische Arzt und Franziskaner Theodor Krump (1672-1724)

Festvortrag des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft

Walter Cardinal Brandmüller (Rom), Purpura Bavarica. Vier bayerische Kardinäle und ein Konzil (1869/70)