Philosophy, Theory and History in Germany since 1945

Philosophy, Theory and History in Germany since 1945

Organisatoren
Timothy Goering, Ruhr-Universität Bochum)
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.09.2014 - 16.09.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Felix Kollritsch, Lünen

Die zweitägige, von Timothy Goering organisierte, Tagung hatte es sich zum Ziel gesetzt, Fragen nach dem Verhältnis von Analytischer Philosophie (AP) bzw. Analytischer Philosophie der Geschichte und dem der Theorie der Geschichte vor allem in der Bundesrepublik nach 1945 zu untersuchen. Dabei standen für die anwesenden Experten auf den Gebieten der AP, Geschichtstheorie und Wissenschaftsgeschichte zunächst vor allem zwei Fragen im Vordergrund: Warum hat und hatte gerade die AP keinen wirklichen Einfluss auf die praktische Geschichtswissenschaft im Allgemeinen und die Theorie der Geschichte im Speziellen? Wie könnte eine fruchtbare Verbindung zwischen Theorie der Geschichte und AP aussehen und auf welchen Gebieten wäre diese sinnvoll?

Den Ausgangspunkt für diese und folgende Fragestellungen erläuterte TIMOTHY GOERING (Bochum) in seinen einführenden Bemerkungen. Ausgehend von einer historischen und einer philosophischen Perspektive sollte der Frage nach den fehlenden Verbindungsgliedern zwischen Geschichtswissenschaft und AP gerade in der BRD nachgegangen werden. Das Fehlen dieser Verbindungen verwundert aus historischer Perspektive gerade aufgrund der offensichtlichen vorhandenen, aber "unsichtbaren" Einflüsse von Philosophen auf Historiker. Die Untersuchung dieser Fragen muss aus historischer Sicht für Goering deshalb gerade auch das soziale Rollenverständnis der jeweiligen Historiker beinhalten, um so das Verhältnis von hermeneutischen und analytischen Betrachtungen der Geschichte zu verdeutlichen. Dieser Ansatz soll es ermöglichen, ein Verständnis für die Schwierigkeiten deutscher Historiker bei der Integration und Adaption von Ansätzen der AP zu entwickeln. Dieser Mangel an Beachtung, der der AP nicht nur von Seiten der Historiker, sondern auch von der Theorie der Geschichte entgegen gebracht wurde, erscheint vor allem deshalb als überraschend, weil wesentliche Kernthemen der AP von herausragender Bedeutung für eben diese Theorie der Geschichte sind. Philosophische Handlungstheorien, Fragen der Kausalität und Erklärung, sowie Überlegungen zur Intentionalität sind – wenn auch nicht immer vordergründig –elementarer Bestandteil jeder historischen Arbeit und mehr noch jeder Überlegung zur Theorie der Geschichte. Neben den Betrachtungen dieser Kernthemen der philosophischen Debatte, die letztlich auch auf die alte Droysensche Frage zurückführen sind, wie aus den Geschäften Geschichte wird, muss es zudem um eine Art Definition gehen, was in diesem speziellen Kontext unter AP zu verstehen ist, wenn man klären möchte, welche Rolle sie für die Geschichtswissenschaft und die Theorie der Geschichte spielen kann.

PETER VOGTs (München) und KARL ACHAMs (Graz) Vorträge zu Beginn der Tagung konnten zunächst als historische Kontextualisierung und Einleitung in die Thematik verstanden werden. Während Vogt die Rolle von Fortschrittsvorstellungen als spezifisches Kennzeichen geschichtsphilosophischer Überlegungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts kennzeichnete, beschrieb er eben jene Vorstellungen auch als wesentliche Kritikpunkte einer solchen Geschichtsphilosophie, so zum Beispiel anhand von Odo Marquards Kritik klassischer Geschichtsphilosophie, die in seinen Augen schlicht die menschliche Endlichkeit zu ignorieren schien. Karl Acham unterschied in seinem Vortrag drei Formen philosophischer Schulen innerhalb der AP der Geschichte. Im Kontext dieser Denktraditionen wurden Fragen der historischen Erklärung, der Bedeutung der Kausalität, sowie Fragen der narrativen Struktur von historischen Arbeiten und historischen Interpretationen untersucht. Diese unterschiedlichen Ansätze in Bezug auf eine AP der Geschichte führten für Acham also letztlich zu zwei unterschiedlichen Ansprüchen, die je nach Schule für die AP der Geschichte relevant waren: Der Analyse der Arbeit des praktischen Historikers auf der einen und der Verbesserung der historischen Methodik auf der anderen Seite.

Die Vorträge von TIMOTHY GOERING (Bochum), GEORG IGGERS (Chicago) und JÖRN RÜSEN (Essen) boten hingegen unterschiedliche historische Konzepte an, die versuchen sollten, den Mangel an Einfluss der AP auf die deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945 zu erklären. Timothy Goerings Paper stellte dabei anhand dreier Fallbeispiele, die das Verhältnis von deutscher Geschichtswissenschaft und AP beleuchten sollten, das Konzept der "Persona" in den Vordergrund. Dieses Konzept ermöglichte es Goering die mangelnde Adaption philosophischer Konzepte durch deutsche Historiker mittels der unterschiedlichen sozialen Rollenverständnisse sowie der Selbst- und Fremdwahrnehmungen als Historiker bzw. Philosoph zu erklären. Georg Iggers erklärte das Fehlen von direkter Referenz auf philosophische Theorien innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 durch eine akademische Zersplitterung in unterschiedlichste Teilgebiete und eine zunehmende Trennung von Theorie und Praxis im Rahmen akademischer Geschichtswissenschaften. Hinzu tritt der Umstand, dass die historisch auftretenden Forschungsparadigmata deutscher Historiker, wie der Bielefelder-Schule um Hans-Ulrich Wehler oder der "cultural turn" seit den 1990er Jahren, in den empirischen Sozialwissenschaften bzw. der Kulturanthropologie pragmatischere Methoden vorfinden und nutzen konnten, als es philosophische Konzepte ermöglicht hätten. Jörn Rüsens Vortag sah anhand eines autobiographischen Beispiels durchaus einen wesentlichen Einfluss AP auf die deutsche Geschichtswissenschaft, vornehmlich durch die Behandlung der Narrativität im "linguistic turn" in Arthur C. Dantos Arbeiten. Gerade in diesen Theorien der Narrativität wurde die AP damit aber auch elementares Mittel der Geschichtswissenschaft, ihren eigenen Status als Wissenschaft theoretisch zu rechtfertigen. So bedeutsam dieser Einfluss Dantos auf die deutsche Geschichtstheorie für Rüsen aber auch sein mag, endete er in seinem Vortrag auch mit Danto, spätestens aber mit Hayden White, dessen Verwässerung der Grenzen von Historiographie und Fiktion eine Bedrohung für die akademische Geschichtswissenschaft darstellte. Zwar markierte Danto das Ende des Einflusses AP an dieser Stelle, Rüsens Vortrag formulierte aber auch offene Fragen die eine AP der Geschichte beantworten müsse: Wo bleibt die Rationalität historischen Denkens? Was bedeutet historische Erfahrung? Sind Kategorien und Rationalitäten historischen Denkens kulturell universal?

Die Paper von CHRIS LORENZ (Amsterdam) und MARK BEVIR (Berkeley) näherten sich der Fragestellung der Konferenz von einer kritische Perspektive her: Anstatt zu fragen, warum die AP keinen besonderen Einfluss auf die Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik nach 1945 gehabt habe, müsse man eher fragen, ob AP überhaupt einen Einfluss auf historiographische Überlegungen, unabhängig von spezifischen geographischen oder zeitlichen Rahmen, gehabt habe. Lorenz Vortrag begann dazu mit einem Gedankenexperiment, einer fiktionalen Konferenz in Cambridge, zum Verhältnis von AP und Geschichtstheorie im angel-sächsischen Wissenschaftsraum. Würde diese Konferenz zu anderen Ergebnissen kommen als die Bochumer Konferenz? Vermutlich kaum. Allerdings wird schnell deutlich welche Schwierigkeiten die Beantwortung dieser Frage mit sich bringt: Welche Bereiche müsste ein Vergleich umfassen? Muss man nur regionale Vergleiche bemühen oder muss man sich auch historisch dem zeitlichen Verlauf der Wirkung nähern? Wenn man die Frage nach dem Einfluss AP auf die Historiographie bewerten will, muss dann als Vergleichsinstrument nicht auch der Einfluss der Soziologie oder linguistischer Forschung untersucht werden? Auf welche Art und Weise kann man überhaupt den intellektuellen Einfluss auf einen Wissenschaftsbereich empirisch fassen? Diese Fragen und noch einige mehr wurden von Lorenz Vortrag aufgeworfen und zeigen deutlich die Problematik der Fragestellung. Bevirs Paper beantwortete ähnliche Fragen direkt zu Beginn: Nein, die deutsche Situation ist kein Sonderfall, Theorien der AP haben generell kaum Einfluss auf die historiographische Forschung gehabt, unabhängig vom geographischen Rahmen. Wenn ein Einfluss vorhanden war – so gering er auch gewesen sein mag – dann war er auch lediglich in Arbeiten über die Theorie der Geschichte vorhanden und nicht in empirischer Historiographie. Gründe hierfür wurden von Bevir in den Phasen historiographischer Paradigmata verordnet. Der Idealismus und in seiner Folge auch Teile des Historismus waren an Fortschrittsnarrativen interessiert. Die zweite von Bevir als Modernismus gekennzeichnete Phase beschäftigte sich nicht mehr mit Erzählungen eines Fortschritts sondern mit formalen und methodologischen Überlegungen, die an den modernen Sozialwissenschaften orientiert waren. Dies führte zu einer "Atomisierung" von Fakten, die so zwangsläufig durch intensive Archivarbeit und Quellenkritik gesichert werden mussten. Dieses Sicherungsbedürfnis in Bezug auf die Fakten führte für Bevir daher auch zum endgültigen Verlust einer Anschlussfähigkeit philosophischer Theorien für die Geschichtswissenschaft, da diese keinen Beitrag zur Sicherung der Fakten leisten konnten. Einzig die philosophische Handlungstheorie konnte in diesem Rahmen noch von Bedeutung sein. Im Gegensatz zur AP erklärte sich für Bevir der Einfluss sozialwissenschaftlicher Theorien auf die Geschichtswissenschaft durch die Angewohnheit praktischer Historiker, sich methodische Werkzeuge ohne größere theoretische Reflexion anzueignen, ohne sich dabei völlig der Methodik zu verschreiben, eine Vorgehensweise, die sich auf philosophische Konzepte nur schwer anwenden ließ.

Die Vorträge von DORIS GERBER (Tübingen) und STEFAN HAAS (Göttingen) wollten im Gegensatz dazu Möglichkeiten bzw. Anknüpfungspunkte philosophischer Konzepte für die Geschichtstheorie auf der einen und praktischer Geschichtsschreibung auf der anderen Seite aufzeigen. Ausgehend von handlungstheoretischen Überlegungen, betonte Gerbers Paper die unmittelbare Bedeutung intentionaler Handlungen für die Etablierung eines historischen Sachverhalts. Dieser Sachverhalt spiegelt sich für den Historiker in der Notwendigkeit wieder, die Verbindung zwischen intentionaler Handlung historischer Individuen und Konsequenzen ihrer Handlungen zu erklären. Die Betonung der Intentionalität von Handlungen führt für Gerber daher auch zu einem deutlich komplexeren Modell der Erklärung von Handlungen als zum Beispiel das häufig hintergründig herangezogene "belief-desire" Modell. Um eine Theorie intentionaler Handlungen aber wirklich für historiographische Forschung nutzbar zu machen, muss es auch in der Lage sein, Strukturen und Kollektive adäquat in die Beschreibungen zu integrieren. Zu diesem Zweck entwickelte Gerbers Vortrag den Grundriss einer Theorie kollektiver intentionaler Handlungen. Stefan Haas argumentierte als Historiker und Geschichtstheoretiker auf der anderen Seite für die Notwendigkeit analytischer Kategorien für philosophische Argumente, die es dem Historiker erlauben würden, zwischen konkurrierenden aber tendenziell gleichberechtigten methodischen und theoretischen Konzeptionen zu unterscheiden. Notwendig würden diese Argumente gerade aufgrund der Komplexität historiographischer Paradigmata im Kontext des" linguistic "und "cultural turns". Diese immer feinere Ausgliederung methodischer Konzeptionen führte für Haas letztlich zu einem Metadiskurs in der Theorie der Geschichte, der in der Praxis zu einem Pluralismus methodischer Konzeptionen führte, zwischen denen aber nicht mehr ideologisch, sondern letztlich pragmatisch entschieden werden muss. Dieser Umstand begründet für Haas somit die Notwendigkeit einer "Multiple-valued logic", die es ermöglichen soll zwischen methodischen Konzeption rational abzuwägen, ein Desiderat, dass letztlich nur von der AP eingelöst werden könne.

MICHAEL BEANEY (York) stellte die eingangs formulierten Fragen der Tagung um und untersuchte nicht den Einfluss der AP auf die Geschichtswissenschaft, sondern die Situationen in denen historiographische Momente in den Arbeiten von Philosophen zu finden sind. Zu diesem Zweck wurden in dem Paper exemplarisch historiographische Momente in den Arbeiten Freges, Russels und Wittgensteins untersucht, was für Beaney zu der Annahme eines "historical turns" in der AP selbst führte. In diesem Sinne wurden Momente einer Geschichte der Philosophie und Rückbezüge auf die philosophische Tradition innerhalb der jeweiligen philosophischen Argumentation verwendet, so dass letztlich diese Form eines Historismus innerhalb der AP als ein möglicher Ansatz einer "gesünderen" Beziehung zwischen Philosophie und Historiographie betrachtet werden könne.

Der abschließende Vortrag ADMIR SKODOs (Berkeley) versuchte Verbindungslinien zwischen philosophischen Theorien der "ordinary language" und unterschiedlichen Formen europäischer Alltagsgeschichte offen zu legen. Für Skodo liegt gerade hier ein Gegenstandsbereich, der offensichtliche Verbindungen zu Tage treten lässt. In Abgrenzung zu rational/wissenschaftlichen Analysen positivistischer Schulen und Erklärungen konnten sich sowohl die Alltagsgeschichte als auch die "ordinary language philosophy" beide auf die individuellen Realitäten des Sprachgebrauchs und der Bedeutung von Sprachsystemen im alltäglichen Leben der Individuen in Abgrenzung zu älteren Theorien des Totalitarismus und Konzepten von "Masse" beziehen. Verdeutlicht wurde dies an den Betrachtungen des französischen Philosophen Michel de Certeau, Sprachkonzeptionen Wittgensteins und Austins, sowie der deutschen Form der "Alltagsgeschichte".

Die finale Diskussion hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die eingangs formulierten Fragestellungen der Tagung noch einmal zu reflektieren und einen Ausblick auf mögliche anschließende Forschungen zu geben. Wenn es um die Frage des Einflusses der AP auf die Geschichtswissenschaft im allgemeinen ging, konnten zwar Unterschiede in der Gewichtung des Einflusses gemacht werden, aber der generelle Tenor einer mangelnden Adaption philosophischer Konzeption in die geschichtswissenschaftliche Praxis blieb erhalten. In den Vordergrund rückte jedoch die Überlegung, dass dies wohl kein rein deutsches Phänomen war, sondern unabhängig von regionalen Grenzen gerade für die praktische Geschichtswissenschaft zu gelten habe. Überraschend war und ist der mangelnde Einfluss der AP auf die Geschichtswissenschaft und Theorie ja gerade weil andere Theorieangebote z.B. der Sozialwissenschaften (Bourdieu) durchaus adaptiert wurden. Mögliche Gründe hierfür wurden zum Beispiel im Konzept der Persona des Philosophen bzw. Historikers gesehen (Goering), oder aber in der "akademischen Zersplitterung" der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 (Iggers). Der größere Einfluss sozialwissenschaftlicher Theorien auf die Geschichtswissenschaft wurde versucht durch die einfachere partielle Adaption solcher Theorien, das heißt ohne gleich das ganze theoretische System integrieren zu müssen, oder auch das gemeinsame Interesse an der Sicherung von singulären Einzelheiten/Fakten, zu erklären (Bevir). Ebenso ist aber auch die Trennung von Geschichtstheorie, AP und praktischer Geschichtswissenschaft als Teilbereiche mit stark unterschiedlichen Anforderungsprofilen und Selbstwahrnehmungen herausgearbeitet worden, so dass ein stärkerer Einfluss auch hier erschwert wird. Ebenso konnte aber auch gezeigt werden, dass in einigen Bereichen der AP und der Geschichtswissenschaft fruchtvolle Verbindungen bestanden, bestehen und in der weiteren Entwicklung noch vertieft werden können und sollten.

Konferenzübersicht:

Eröffnung
Timothy Goering (Ruhr-Universität Bochum)

Peter Vogt (Ludwig-Maximilians-Universität München), What was "Geschichtsphilosophie"?

Karl Acham (Universität Graz), Was heißt und zu welchem Ende studiert man analytische Geschichtsphilosophie?

Timothy Goering (Ruhr-Universität Bochum), "Absolutized logic is ideology". German perspectives on analytic philosophy in the 1960s and 1970s

Georg Iggers (University at Buffalo), Why has analytic philosophy almost completely failed to exert any influence on German historical writing or on reflections on methodology?

Jörn Rüsen (Kulturwissenschaftliches Institut Essen), Über Nutzen und Nachteil der analytischen Philosophie für die Historik – Ein Erfahrungsbericht

Chris Lorenz (Freie Universität Amsterdam), History and analytical philosophy in Germany: A special relationship?

Mark Bevir (University of California, Berkely), Idealism, Analysis, Modernism

Doris Gerber (Universität Tübingen), Theory of action and collective action

Stefan Haas (Universität Göttingen), Does historiography need arguments? An analytic theory of post-cultural turns experiences

Michael Beaney (University of York), Historiography and the historical turn in analytic philosophy

Admir Skodo (University of California, Berkeley), Everyday Life as a topos. European Historiography and Philosophy after the Second World War


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