HT 2014: „Sicherheit und Geheimnis in der Demokratie“. Geheimdienste in der Bundesrepublik seit 1945 im transatlantischen Kontext

HT 2014: „Sicherheit und Geheimnis in der Demokratie“. Geheimdienste in der Bundesrepublik seit 1945 im transatlantischen Kontext

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.09.2014 - 26.09.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Guido Fischer / Marlene Friedrich / Stephanie Nowitzki, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Die Geschichte der Nachrichtendienste in der Bundesrepublik seit 1945 wird zumeist unter der Perspektive der zahlreichen Skandale wahrgenommen, während eine Historisierung erst in letzter Zeit begonnen hat, und dies stieß auch beim 50. Historikertag auf reges Interesse. Während die Erforschung von Geheimdiensten in Deutschland bislang immer auch Diktaturgeschichte gewesen sei, wie CONSTANTIN GOSCHLER (Bochum) in seiner Einleitung konstatierte, sei erst in jüngerer Zeit vor dem Hintergrund von Transparenzinitiativen bundesdeutscher Nachrichtendienste und der Öffnung geheimdienstlicher Archive für die historische Forschung damit begonnen worden, Geheimdienste in demokratischen Strukturen und im transatlantischen Kontext zu untersuchen und dabei das Spannungsfeld von demokratischem Partizipationswunsch einerseits und staatlicher Sicherheitsproduktion sowie behördlicher Geheimniskultur andererseits in den Blick zu nehmen. Dabei hatte die Sektion nicht nur eine Nachgeschichte des Nationalsozialismus und des Kalten Kriegs im Blick, sondern versuchte auch, die historischen Tiefendimensionen aktueller öffentlicher Debatten über die Rolle von Geheimdiensten herauszuarbeiten.

Zu den Vortragenden zählte Klaus-Dietmar Henke, der als Mitglied der unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945 bis 1968 (UHK) das Personal und Wirkungsprofil eines deutschen Geheimdienstes, dessen Geschichte und die seiner Vorläuferorganisationen erforscht, sowie Constantin Goschler und Michael Wala, die derzeit an einem Forschungsprojekt zur „Organisationsgeschichte des Bundesamts für Verfassungsschutz von 1950 bis 1975“ arbeiten. Anna Daun, die unter anderem zu den Themen Sicherheitspolitik und Intelligence arbeitet, ergänzte die historische Betrachtungsweise um eine politikwissenschaftliche Perspektive.

In einem ersten Block präsentierten Michael Wala und Klaus-Dietmar Henke ihre Forschungsergebnisse und favorisierten beide einen quellennahen Zugang. Zunächst sprach MICHAEL WALA (Bochum) über die Etablierung einer „transatlantischen Sicherheitsarchitektur im Kalten Krieg“, wobei es ihm um die Installierung der bundesdeutschen nationalen Sicherheitstriade Bundesnachrichtendienst (BND), Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) unter der Aufsicht der alliierten Besatzungsmächte ging, die unterschiedlich starken Einfluss auf Organisationsstrukturen und Ausrichtung der Behörden ausgeübt haben. Besonderes Augenmerk legte er auf das BfV und zeigte anhand von Beispielen aus der geheimdienstlichen Praxis, welch maßgeblichen Einfluss die westlichen Hohen Alliierten Kommissare durch ihre Sicherheitsdirektoren auf die Organisation und Personalstruktur nahmen und wie transparent das BfV in seiner Frühphase insbesondere für die amerikanischen Geheimdienste Central Intelligence Agency (CIA) und Counter Intelligence Corps (CIC) war. So verpflichtete die CIA die von ihr kontrollierte Organisation Gehlen (ORG), die gesamte Kommunikation zwischen dem BfV und der ORG offenzulegen. CIC- und CIA-Mitarbeiter hatten ständigen ungehinderten Zugang zu BfV-Mitarbeitern bis in die einzelnen Referate hinein und amerikanische Stellen schritten ein, wenn so genannte „freie Mitarbeiter“ des BfV die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit mit Methoden überschritten, die an die Zeit vor 1945 zurückdenken ließen. Diese besondere Einflussnahme erklärte sich laut Wala aus dem Ziel, einen neuen Geheimdienst in starker Abgrenzung zu den vormaligen Organisationen Gestapo und SD schaffen zu wollen. Die Amerikaner hätten dabei angestrebt, ein möglichst machtloses BfV zu etablieren, das sich durch das Trennungsgebot zudem ständig mit rechtlichen Unsicherheiten konfrontiert gesehen habe. Während das BfV jedoch bei der Konzentration auf das politisch neutralistische und linke Spektrum der jungen Bundesrepublik unterstützt wurde, gibt es, so Wala, Anzeichen, dass die Beobachtung insbesondere von Soldatenverbänden nicht forciert wurde. Hier rekrutierten amerikanische Stellen ihr Personal für stay-behind-Operationen wie etwa den Technischen Dienst des Bundes deutscher Jugend, Organisationen, die durchaus eine Bedrohung für die freiheitliche Grundordnung hätten werden können. Wala konnte dabei darlegen, dass die US-Beteiligung bei der Erschaffung des BfV insbesondere eine Stärkung des transatlantischen Bündnisses anstrebte, um die Westbindung der Bundesrepublik garantieren zu können.

Im Anschluss daran sprach KLAUS-DIETMAR HENKE (Dresden) über „Geheimdienstwissen als politische Ressource“. Dabei bezog er sich weniger auf den offensichtlichen Nutzen geheimdienstlichen Wissens für die Politik, sondern nahm eine umgekehrte Perspektive ein, indem er erörterte, wie es BND-Präsident Reinhard Gehlen verstand, sich mit dem Chef des Bundeskanzleramts Hans Globke zu vernetzen und ihn in eine „personale Exklusivbeziehung“ einzubinden. Diese sollte für beide Seiten, also auch für Gehlen, von Nutzen sein. Hierbei habe Gehlen das Geheimdienstwissen nicht nur als Information für das Kanzleramt, sondern auch als politische Ressource zur Sicherung seiner persönlichen Stellung als Geheimdienstchef gedient. In einem – wie er es nannte –„Modus der informierten Erzählung“ belegte Henke diese These anhand zweier ausgewählter Beispiele für gemeinsame Unternehmungen von Gehlen und Globke aus der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre. So sei es Gehlen beispielweise gelungen, ein Mitglied der SPD, das Verbindungen zur Führungsebene der Partei unterhielt, als Kontaktmann anzuwerben und so interne Informationen zu gewinnen, die er an Globke ins Kanzleramt weiterleitete. Durch diese Informationen habe nicht nur die Kanzlerschaft Adenauers gestärkt werden können, sondern durch den offenkundig illegitimen Vorgang sei es Gehlen gelungen, Globke durch dieses geteilte, unentdeckte Geheimwissen an sich zu binden. Insgesamt boten beide Beispiele Henkes einen anschaulichen Einblick in das Projekt zur Geschichte des BND und verdeutlichten das Beziehungsgeflecht zwischen Nachrichtendienst und Kanzleramt und ein Machtpotential geheimen Wissens.

Jens Gieseke (Potsdam) kritisierte in der Diskussion, dass diese Herangehensweise noch zu sehr im Modus einer „Geschichte von Skandalen“ stecken bleibe und bemängelte die Differenz zu dem in der Einleitung der Sektion skizzierten theoretischen Rahmen. Er fragte zudem danach, ob nicht der Hauptfokus auf einer politischen Institutionengeschichte liegen müsse. Tanja Penter (Heidelberg) brachte dagegen eine Vergleichsperspektive ein, indem sie nach der der Außenwahrnehmung insbesondere des BND im Vergleich zu dem häufig als „allmächtig“ wahrgenommenen KGB fragte.

Im zweiten Block präsentierten Constantin Goschler und Anna Daun ihre Forschungsergebnisse. Zunächst entwarf CONSTANTIN GOSCHLER (Bochum) einen theoretischen Rahmen zur Erforschung geheimdienstlicher Wissensstrukturen. Er skizzierte in seinem Vortrag Ansätze einer Wissensgeschichte des „Verfassungsfeindes“ im BfV während des Kalten Krieges, wobei er insbesondere die Jahre 1950 bis 1975 in den Blick nahm. Dazu stellte er drei zentrale Fragen: Wie wurde das Wissen über „Verfassungsfeinde“ hergestellt? Wie veränderte sich die Kategorisierung der „Verfassungsfeinde“? Und inwieweit änderten sich nicht nur die Feindbilder, sondern auch das Wesen der Feindschaft? Dabei war es laut Goschler gewissermaßen der „Quellcode“ des BfV, nicht wie die Gestapo zu sein. Bei der Erzeugung von Wissen über die „Verfassungsfeinde“ habe sich das Bundesamt auch immer mit Wissensbeständen, Kategorien und Praktiken der Gestapo auseinandersetzen müssen. Die Kategorisierung der politischen Gegner und die Veränderungen des Ost-West-Konflikts hätten sich dabei gegenseitig beeinflusst. Vor allem die anfängliche Fokussierung auf eine von Moskau gesteuerte kommunistische Unterwanderung sei durch ein neues Bedrohungsszenario abgelöst worden. Der klassische Staatsfeind habe sich zum Grenzgänger und Terroristen gewandelt, der einerseits in den Lücken der Gesellschaft lauerte, andererseits zwischen nationalen Territorien hin und her wechselte. Das Bundesamt habe deshalb die Überwachung immer weiterer Kreise der Gesellschaft angestrebt, allerdings nicht gänzlich mit Erfolg. Dieser von Goschler beschriebene Prozess blieb aber in mehrerer Hinsicht begrenzt, denn es kam weder zu einer Konstruktion „objektiver Gegner“, wie Hans-Magnus Enzensberger es 1964 befürchtete, noch zu einer Verselbstständigung des Bundesamts gegenüber Politik und Justiz. Hier sei, so das Fazit von Goschler, vielleicht auch eine „Grenze der Verwestlichung im Kalten Krieg“ erreicht, wenn man die zeitgenössischen Fiktionen über Geheimdienste ernst nähme.

Anschließend referierte ANNA DAUN (Köln) über „Bedrohungswahrnehmung von Individuen, Organisationen und Öffentlichkeiten“ und nutzte für ihre gegenwartsorientierte Forschung theoretische Ansätze der politischen Psychologie, der Organisations- und Bürokratietheorie sowie der Risikotheorie. Im Rahmen von fünfzehn Tiefeninterviews befragte sie Vertreter der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Elite, darunter BND und BfV, Bundeskriminalamt und Innenministerium, danach, welche Sicherheitsbedrohungen die Befragten selbst als prioritär wahrnähmen, welchen Einfluss Personen auf die organisierte Bedrohungsanalyse ausübten und wie die öffentliche Wahrnehmung von Bedrohungen erscheine. Daun kam zu dem Schluss, dass eine geringe und zugleich relativ konsensuale Bedrohungswahrnehmung in Kreisen der sicherheitspolitischen Elite vorliege, die zugrundliegenden Bedrohungsanalysen dabei vornehmlich reaktiv angelegt seien und statt langfristiger Prognosen die Früherkennung künftiger Krisen prämiert werde.

Während Goschler geheimdienstliches Wissen als Konstrukt einer epistemischen Gemeinschaft beschrieb, das seinerseits durch den historischen Kontext, die geheimdienstliche Organisationsstruktur und die damit verbundene Wissensgenerierung konstitutionell bestimmt sei, deutete Daun geheimdienstliches Wissen als normatives Ergebnis des Intelligence Cycle, und auch der Aspekt der Verzerrung von Bedrohungswahrnehmung in der Podiumsdiskussion wurde problematisiert. Als Beispiele für die Konstruktion von geheimdienstlichem Wissen und die Subjektivität des Begriffs ‚Bedrohung’ wurden neben den Berichten des MfS auch die der CIA genannt, die unter anderem das Ziel gehabt hätten, das eigene Handeln und die Allokation von knappen Ressourcen zu legitimieren.

Das Panel konnte verdeutlichen, wie viel Potential der Bereich Intelligence History für die weitere und auch interdisziplinäre Forschung verspricht. Überdies konnte durch die verschiedenen Beiträge gezeigt werden, dass es in dem noch jungen Feld der Intelligence History von großem Wert sein kann, wenn Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Forschungsgruppen und Disziplinen in einen Dialog treten. Die vorgestellten Projekte setzen dabei auf die Chance, jenseits von populär verarbeiteten Skandalgeschichten Erkenntnisse über die sicherheitsdienstlichen Institutionen und ihre Arbeitsweise zu gewinnen. Somit betreiben sie wichtige Grundlagenforschung. Die von Henke angekündigte „produktive Enttäuschung“ – im Sinne der Enttäuschung einer möglichen Erwartungshaltung an das neue Forschungsfeld, die letztendlich dennoch neue Deutungsmöglichkeiten eröffnet – darf dabei nicht als Enttäuschung im wissenschaftlichen Sinne betrachtet werden, sondern als eine produktive Möglichkeit sich jenseits von Skandalen mit den Sicherheitsorganisationen der BRD zu befassen.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Constantin Goschler / Michael Wala, Ruhr-Universität Bochum

CONSTANTIN GOSCHLER (Bochum): Einführung und Moderation

MICHAEL WALA (Bochum): Transatlantische Sicherheitsarchitektur im frühen Kalten Krieg: CIA, CIC und Bundesamt für Verfassungsschutz

KLAUS-DIETMAR HENKE (Dresden): Geheimdienstwissen als politische Ressource. Der BND als Werkzeug der Kanzlerdemokratie

CONSTANTIN GOSCHLER (Bochum): Die Epistemologie der Feindschaft. Nachrichtendienstliches Wissen und Gefahrenkonstruktionen im Bundesamt für Verfassungsschutz (1950-1975)

ANNA DAUN (Köln): Bedrohungswahrnehmung von Individuen, Organisationen und Öffentlichkeiten in Demokratien


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