Volk, Raum, Gewalt, Geschlecht. Die deutsche Besatzung in Osteuropa aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive

Volk, Raum, Gewalt, Geschlecht. Die deutsche Besatzung in Osteuropa aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive

Organisatoren
Hamburger Institut für Sozialforschung
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.09.2004 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Christiane Heß

Neuere Forschungen über die „Volkstumspolitik“ im Rahmen der nationalsozialistischen Besatzung Europas, vor allem in Osteuropa unter der Berücksichtigung der Kategorie Gender standen im Mittelpunkt des eintägigen Workshops “Volk, Raum, Gewalt, Geschlecht. Die deutsche Besatzung in Osteuropa aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive”, der am 24.09.2004 in Hamburg stattfand. Organisiert und durchgeführt von Birthe Kundrus, Gaby Zipfel und Regina Mühlhäuser vom Hamburger Institut für Sozialforschung, zeichnete sich die Tagung durch ein hohes Maß an Diskussionsfreudigkeit und Austauschbereitschaft aus. Im Vorfeld wurden allen TeilnehmerInnen ausführliche Diskussionspapiere der Referentinnen zugesandt, die sowohl die eigenen Forschungsarbeiten vorstellten als auch deren Einordnung in den Kontext des Workshops darlegten.
In der Einleitung betonte Birthe Kundrus, dass die Besatzungszeit Osteuropas immer noch nicht ausreichend aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive untersucht sei, vor allem in Hinblick auf die Anwendung von Gewalt und deren Erleben im Besatzungsalltag.

Die ersten beiden Themenblöcke handelten von sexueller Gewalt im Zweiten Weltkrieg, sexuellen Beziehungen, deren Regulierungen sowie ihren Akteuren. Dabei wurde zunächst die Dissertation von Wendy Jo Gertjejanssen, (University of Minnesota, USA) 1 vorgestellt, die sich mit den Erinnerungen lettischer und ukrainischer Frauen an den zweiten Weltkrieg und die Zeit danach, vor allem unter dem Aspekt der erlebten sexuellen Gewalt beschäftigt. Ihr Beitrag wurde anhand der Begriffsfelder von „crimes of gender“ und „crimes of sex“, also geschlechtsspezifische, nicht eindeutig sexuell und eindeutig sexuell konnotierte Verbrechen diskutiert. Diese Unterscheidung, die im amerikanischen Sprachraum schon Eingang gefunden hat, sollte an historischen Beispielen genauer erforscht werden.

Andrea Peto (University of Miskolc; ELTE Ethnic and Minority Studies Budapest, Ungarn) die sich neben der Untersuchung von Narrativen der Erinnerung an den zweiten Weltkrieg auch mit der Rolle von Frauen in faschistischen Organisationen wie den Pfeilkreuzlern und deren Nachfolgeorganisationen in Ungarn auseinandersetzt, betonte in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit der genauen Analyse von Erinnerungspolitiken in den jeweiligen Ländern, um daran die Narrative historisch einordnen zu können. 2 Die Frage, wie stark Narrative religiös beeinflusst sind und in unterschiedlichen politischen Situationen auftauchen, konnte leider nur ansatzweise diskutiert werden. So ließ sich der Topos der Vergewaltigung eines jungen „unschuldigen“ Mädchens in einem Kirchenraum sowohl in den Narrativen des Spanischen Bürgerkrieges als auch in den Untersuchungen zu Osteuropa wieder finden. Die hier besprochenen Narrative waren ebenfalls durch die Motivation der Täter beeinflusst, wie beispielsweise Militärstrategie, Rassismus, Ideologie.

Die Analyse der Täter ist unter verschiedenen Aspekten notwendig, da sie eine Differenzierung hinsichtlich militärischer Ausbildung, Männlichkeitskonzepten und Selbstwahrnehmung erfordert. Die Frage nach der Funktion sexueller Gewalt in Kriegssituationen, wie der Entmenschlichung des Opfers oder der "Remaskulinisierung" wurde ebenfalls erläutert. In diesem Zusammenhang verwies Elizabeth Heineman (University of Iowa, USA) auf die sexuelle Ausbeutung von koreanischen Frauen, den sogenannten Comfort Women durch das japanische Militär im Zweiten Weltkrieg, als Beispiel für organisierte, militärisch begründete sexuelle Gewalt und Zwangsprostitution. Nur gestreift werden konnte das Thema der Strafverfolgung sexueller Gewalt im Krieg. Hier wurde die Untersuchung von Birgit Beck zur Strafverfolgung von Sexualverbrechen seitens der Wehrmachtsoldaten im Zweiten Weltkrieg erwähnt, die eine erste der noch bestehenden Forschungslücken zu diesem Thema schließt. 3

Damit wurden schon im ersten Teil Fragen aufgeworfen und Diskussionspunkte angerissen, die sich wie rote Fäden den Tag über immer wieder aufnehmen ließen: Konstruktionen von Erinnerungen, komparative Methodik und Oral History als Werkzeug, unterschiedliche Formen der Besatzungen und die Einstellungen der jeweiligen Bevölkerung dazu sowie die verschiedenen Formen sexueller Gewalt im Krieg.

In ihrem Dissertationsprojekt untersucht Regina Mühlhäuser (Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur) 4 die Kinder von vor allem Wehrmachtsoldaten, aber auch von Angehörigen der anderen Besatzergruppen wie SS, Polizei oder Zivilverwaltung mit einheimischen Frauen in den besetzten Gebieten. Die zum überwiegenden Teil aus gewaltvollen sexuellen und weniger aus so genannten konsensualen Beziehungen stammenden Kinder sind in ihrer Existenz seitens der Nationalsozialisten nie angezweifelt worden, obwohl sie zu einem großen Teil aus Beziehungen von „Reichsdeutschen“ mit „fremdvölkischen“ oder „artfremden“ Frauen stammten und damit „verboten“ waren. Vielmehr erläuterte Regina Mühlhäuser in ihrem Beitrag „Between Extermination and Germanization: Children of German Men in the ‚Occupied Eastern Territories’ 1942 -45“ die gezielten Bemühungen der „nationalsozialistischen Rasseexperten“, diese Kinder „nutzbar zu machen“ und so in das nationalsozialistische Rassekonzept positiv einzubinden.
Hierbei sind einerseits die Willkür der Entscheidungen wie z. B. Zustimmung zu einer Ehe (Lettland/Estland) zu beachten, andererseits sind solche konsensualen Beziehungen immer auch unter dem Aspekt von Macht zu sehen. Vor allem das Selbstbild der Männer als „rassisch wertvoller“ muss mitbedacht und untersucht werden.
Die Regulierungen solcher Beziehungen fanden auf mehreren Ebenen statt. Neben den schon erwähnten Strafen ordnet Elizabeth Heineman in ihrem Beitrag „Violence and Intimacy: Memory and Meanings of Sex in Postwar West Germany“ auch die Entwicklung und Nutzung des Kondoms in diesen Zusammenhang ein. 5 Annette Timm (Kanada) hat in ihrer Dissertation den Begriff der „Bevölkerungspolitik“ über eine rein wirtschaftlich-funktionale Definition erweitert und historisiert. Ihre Analyse der Gesundheits- und Sozialpolitik in Berlin im 20. Jahrhundert verdeutlicht, dass der Begriff bereits in den Schriften der Eugeniker der 1930er Jahre zu finden ist. Damit wurde eine Verknüpfung hergestellt zwischen den ideologischen Vorraussetzungen, die sich an der Heimatfront gebildet haben und in engem Zusammenhang mit den Entwicklungen in der Besatzungszeit in Osteuropa standen. 6

Der Frage nach Frauen als Akteuren war ein großer Aspekt des dritten Themenblockes gewidmet. Hier sei besonders auf die Arbeit von Elizabeth Harvey (University of Liverpool) verwiesen, die sich mit der Rolle und Funktion von Frauen im besetzten Polen auseinandersetzt. 7 Ihr Beitrag „Gender and Nazi Germanization policies in occupied Poland, 1939 -45“ verdeutlichte die Handlungsspielräume von Frauen, die in vermeintlich „unpolitischen“ Tätigkeiten durchaus die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik und die gewaltvolle, rassistische Beatzungspolitik stützten. In diesem Diskussionszusammenhang wurde auch nach den Wandlungen der Kategorie „Rasse“ unter geschlechtergeschichtlicher Perspektive gefragt, die zwar in ihren Außenpunkten fest, innerhalb dieser aber Verschiebungen unterworfen war.

Die Tagung verdeutlichte, wie facettenreich Studien und Ergebnisse von Forschungen zur nationalsozialistischen Besatzungszeit in Osteuropa unter geschlechtergeschichtlicher Perspektive sein können. Eine Fortsetzung des Austausches und der Diskussionen wäre deshalb wünschenswert.

1 Wendy Jo Gertjejanssen, Victims, Heroes, Survivors: Sexual Violence on the Eastern Front during World War II. PhD thesis, University of Minnesota, 2004
2 Andrea Peto, Women in Hungarian Politics 1945-1951. New York: Columbia University Press [East European Monographs], 2003;
Dies., Napasszonyok és Holdkisasszonyok. A mai magyar konzervatív női politizálás alaktana. (Women of Sun and Girls of Moon. Morphology of Contemporary Hungarian Women doing Politics), Budapest: Balssi 2003.
3 Beck, Birgit, Wehrmacht und sexuelle Gewalt. Sexualverbrechen vor deutschen Militärgerichten 1939-1945, Paderborn, München, Wien, und Zürich: Schöningh 2004
4 Regina Mühlhäuser, Between Extermination and Germanization: Children of German Men in the "Occupied Eastern Territories" 1942–1945, in: Kjersti Ericsson und Eva Simonsen (Hg.), Children as Enemies: A Legacy of World War II, Oxford 2005, im Erscheinen
5 Elizabeth Heinemann, What Difference Does a Husband Make: Women and Martial Status in Nazi and Postwar Germany, Berkeley : University of California Press, 1999
6 Annette Timm, The Politics of Fertility: Population Politics and Health Care in Berlin 1919-1972, Diss. University of Chicago (will be published soon);
Dies., “Sex with a Purpose: Prostitution, Veneral Desease and Militarized Masculinity in the Third Reich.” In: Journal of the History of Sexuality, 11, no.1/2, 2002, 223-55.
7 Elizabeth Harvey, Women and the Nazi East: Agents and Witnesses of Germanization, London and New Haven: Yale University Press 2004


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts