Die römische Kurie und das Geld. Von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zum frühen 14. Jahrhundert

Die römische Kurie und das Geld. Von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zum frühen 14. Jahrhundert

Organisatoren
Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte e.V.
Ort
Allensbach-Hegne
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.04.2014 - 11.04.2014
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Von
Werner Maleczek, Institut für Geschichte, Universität Wien

Der Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte hielt seine Frühjahrstagung vom 8. bis zum 11. April 2014 wegen dort notwendiger Umbauarbeiten nicht an seinem traditionellen Platz auf der Insel Reichenau ab, sondern im Haus St. Elisabeth in Hegne am Nordufer des Untersees. Das von WERNER MALECZEK (Wien) vorgeschlagene Thema „Die römische Kurie und das Geld. Von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zum frühen 14. Jahrhundert“ markiert eine Forschungslücke, denn in so gut wie keiner der Geschichten des Papsttums im Mittelalter wird dieser Phase der wirtschaftlichen Entwicklung Europas, die einen Übergang zur expandierenden Geldwirtschaft bedeutet, die adäquate Aufmerksamkeit gewidmet. Obwohl es an Forschungen zu Papsttum und Kurie im 12./13. Jahrhundert nicht mangelt, ist die Frage nach der wirtschaftlichen Seite und nach der Finanzierung der Zentrale der lateinischen Christenheit in voravignonesischer Zeit nur unzureichend beantwortet. Die Überblicksdarstellungen fehlen weitgehend und die letzte Synthese, jene in zwei Bänden von William E. Lunt, „Papal Revenues in the Middle Ages“, kam vor genau 80 Jahren heraus, und seitdem sind nur schmale Segmente etwas intensiver erforscht worden, etwa durch Marco Vendittelli und andere, überwiegend italienische Forscher über die römischen und toskanischen Kaufleute-Bankiers im 13. Jahrhundert, die ihre Geschäfte mit der Kurie abwickelten. Auch die Reichenau-Tagungen wandten sich bisher nur wenigen wirtschaftsgeschichtlichen Themen zu, die Papst- und Kurialgeschichte fehlte überhaupt.

In der behandelten Zeit erfuhr die Kurie einen kräftigen Entwicklungsschub in Zahl und weitum anerkannter Bedeutung, es bildeten sich an der päpstlichen Zentrale jene Behörden aus, die bis in die frühe Neuzeit die lateinische Kirche verwalteten und der Orientierung aller kirchlichen Instanzen des Abendlandes auf das Papsttum hin ein administratives Gerüst verliehen. Dies verlangte viel Geld und sichere Finanzierung.

In ihrem Abendvortrag wies LUCIA TRAVAINI (Mailand / Rom) auf eine in unseren Breiten weitgehend unbekannte Tatsache hin, dass nämlich die Päpste als Attribut ihrer weltlichen Herrschaft auch Münzen prägten, obwohl die Rechnungseinheit der Kurie in unserem Zeitfenster zumeist grossi turonenses oder marabotini waren. Die päpstlichen Münzen hatten freilich nicht jene Bedeutung, die die Senatsmünzen seit dem Ausgleich zwischen dem Papst und der römischen Kommune im Jahre 1184 einnahmen. Die ansehnlichen Geldmengen, die an der Kurie aus allen Teilen der lateinischen Christenheit zusammenflossen, machten die Unterscheidung zwischen Münzeinheiten und Zähleinheiten nötig. Reizvoll waren die Hinweise auf Münzen aus aller Herren Länder, die in Rom von Pilgern bei den Gräbern der Apostel und andere Heiligen gespendet wurden. Münzen wurden im Umkreis der Päpste sogar als Talisman und als Wundermittel verwendet.

Jeder, der sich mit dem päpstlichen Finanzwesen in dieser frühen Zeit beschäftigt, stößt rasch auf die karge Quellenlage, denn Register der päpstlichen Kammer gibt es erst seit Urban IV. (1261–1264), die Aufzeichnungen über Einnahmen und Ausgaben in der Serie des Vatikanischen Archivs Introitus et exitus setzen erst 1279 ein, die Servitien-und Annatenverpflichtungen werden erst knapp vor der Wende zum 14. Jahrhundert in der Reihe der Obligationes und Solutiones festgehalten, und die Hauptbücher der apostolischen Kammer sind ebenfalls erst seit Bonifaz VIII. überliefert. Über diesen Quellenbefund und seine Konsequenzen berichtete STEFAN WEISS (Straßburg / Paris). Er fragte auch, warum die Überlieferungschancen dieser Aufzeichnungen im 13. Jahrhundert relativ gering waren und kam zu dem Schluss, dass die päpstliche Finanzverwaltung in der Tradition der vormodernen Ökonomik (Hauswirtschaft) stand. Überzeugend zeigte er auf, dass eine Wechselwirkung bestand zwischen den gescheiterten Versuchen der Päpste, hinreichende Einkünfte aus dem Patrimonium Petri zu kreieren, und den erfolgreichen Versuchen, Klerus und Kirche Europas zu besteuern.

JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal) konzentrierte sich auf vier unterschiedliche Einnahmen der Kurie: die Spenden von Pilgern, die Urkundentaxen, Einnahmen aus der Verpachtung von Landgütern, Kastellen und Immobilien sowie die Lehnsabgaben. Er skizzierte die Art der Abgaben und ihre Erhebung und fragte danach, inwiefern sie die Ausbildung eines spezifischen Finanzapparates der Kurie notwendig machten und damit der Entstehung von Banken Vorschub leisteten. Die Pilgerspenden waren sicher am einfachsten zu verwalten, da sie der Kurie durch die Ortskirchen in der Diözese Rom wie von selbst zuflossen. Die Urkundentaxen hingegen mussten von der Kanzlei berechnet und eingefordert werden. Eine erste Taxordnung ist unter Alexander IV. (1254–1261) zu fassen. Bei den Taxen handelt es sich um keine großen Summen für den Urkundenempfänger, doch aufgrund der Vielzahl der ausgestellten Urkunden für die Kanzlei um ein Massenphänomen, das für die Kurie erhebliche Einkünfte generierte, die administrativ in den Griff zu bekommen waren. Die Kurie sorgte zudem durch lange Wartezeiten für die Petenten oder Prozessgegner für die Entstehung eines differenzierten Finanzwesens in ihrem Umfeld. Denn diese Wartezeiten mussten finanziert werden, auch mit Hilfe von Krediten, wie eindrückliche Beispiele belegen. Eigenständig regelte die Kurie die Verpachtung von Gütern und die Vermietung von Häusern. Die Einnahmen daraus flossen anscheinend relativ regelmäßig, setzten jedoch eine stark differenzierte Verwaltung voraus oder förderten deren Ausbildung. Einen ganz anderen Charakter besaßen hingegen die Einnahmen durch Lehnsabgaben, namentlich für die beiden Königreiche England und Sizilien. In beiden Fällen handelte es sich um erhebliche Summen, die jedes Jahr geleistet wurden beziehungsweise geleistet werden sollten. Realiter nahm die Zahlungsbereitschaft mit dem Ende des 13. Jahrhunderts jedoch deutlich ab. Beim Eintreiben der Gelder und ihrer Verwaltung scheint die päpstliche Kapelle eine größere Rolle als bisher angenommen gespielt zu haben.

MARKUS A. DENZEL (Leipzig / Bozen) setzte die im 13. Jahrhundert entwickelten, wichtigen kaufmännischen Instrumente der Seeversicherung, des bargeldlosen Zahlungsverkehrs und der doppelten Buchführung in Beziehung zu den regelmäßig fließenden Abgaben an die Kurie, nämlich die Kreuzzugssteuern und später die Servitien und die Annaten, die in der avignonesischen Zeit das Rückgrat der päpstlichen Einkünfte darstellten. Er kam dabei zu dem Schluss, dass die entscheidenden finanztechnischen Schritte schon relativ früh im 13. Jahrhundert gesetzt wurden und dass von der Kurie aus wichtige Impulse auf die italienischen Kaufleute-Bankiers ausgingen. Als entscheidender Katalysator der seit dem 13. Jahrhundert festzustellenden Herausbildung eines bargeldlosen Zahlungsverkehrssystems, das Kurie wie Kaufleute gleichermaßen zu nutzen verstanden, kann das kanonische Zinsverbot bzw. die daraus resultierende die Wuchergesetzgebung und die Bemühungen der Kleriker wie der Kaufleute, diese zu umgehen, angesehen werden.

ARMAND JAMME (Lyon / Paris / Rom) behandelte in seinem Vortrag, wie die für die Kurie bestimmten und von der Kurie ausgehenden Geldströme durch italienische Kaufleute/Bankiers beschafft und gewinnbringend verwaltet wurden. Dabei zeigten sich ein europaweites, auf verlässliche Nachrichten angewiesenes Netz und ein noch immer erklärungsbedürftiger Wechsel von zuerst römischen, dann Sieneser und schließlich Florentiner Gesellschaften. Die Zusammenschau von stadtrömischen und europaweit verstreuten Quellen gibt ein faszinierendes Bild der römischen Bankiers, die bis weit über die Mitte des 13. Jahrhunderts hinaus aktiv waren und dabei England als besonders lukrativen Markt bearbeiteten. Die Sienesen lösten die Römer ab und dann kamen die Florentiner, wahrscheinlich aus politischen Gründen, die sich in der Niederlage von Montaperti 1260 fokussieren. Aber auch die anderen mittel- und norditalienischen Kommunen – Arezzo, Piacenza, Pistoia, Lucca – sollten nicht vernachlässigt werden.

ANDREAS FISCHER (zur Zeit Wien) widmete sich dem Zusammenhang zwischen den Finanzen der Kardinäle und ihrem von Kollegialität und Individualität gleichermaßen geprägten Status. Besonderes Augenmerk richtete er auf die Art und Weise, mit der sich der Zustrom von Geld auf die Binnenhierarchie der Gruppe und die Formierung des Kollegiums als Korporation auswirkte. Dabei zeigten sich Bemühungen der Päpste, die auf Nivellierung der Einkünfte im Sinne einer aequalitas sowie auf ein statusgemäßes Auftreten der Kardinäle zielten. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts erreichten sie allmählich das Recht, die Hälfte der päpstlichen Einkünfte für sich zu beanspruchen. Nikolaus IV. garantierte dies 1289 und 1295 ist erstmalig die Camera collegii cardinalium sicher belegt. Von außen her wurden die Kardinäle häufig als geldgierige Persönlichkeiten wahrgenommen, die ihren Status innerhalb der Kurie zur Maximierung ihrer Einkünfte und zur Versorgung ihrer familia ausnützten. Deshalb erhielten bestimmte Persönlichkeiten höhere Summen als andere, deren Einfluss geringer eingeschätzt wurde. Fischer untersuchte auch die Ausgaben der Kardinäle, wodurch die persönlichen Verflechtungen einzelner Mitglieder des Kollegiums mit Hilfe ihrer Geschäftsbeziehungen verdeutlicht werden konnten.

Von der kurialen Zentrale weg führte der Vortrag von PASCAL MONTAUBIN (Amiens). Sehr unbeliebt waren die kurialen Geldforderungen, wenn päpstliche Legaten auftauchten und ein zum Teil üppiges Gefolge mitbrachten. Diese sogenannten procurationes wurden unbarmherzig auch lange nach dem Verschwinden des Legaten eingetrieben und mit geistlichen Strafen erzwungen. Die reichen französischen Quellen, zum Teil noch in Archiven und Bibliotheken schlummernd, boten die Grundlage für eine eindrucksvolle Demonstration der Zusammenschau von kanonistischen, chronikalischen und urkundlichen Quellen, von denen die letzteren zum Großteil unbekannt waren. Es zeigte sich dabei, wie die Legaten ein effizientes System von Kollektoren aufzogen, gegen das sich die Ortsbischöfe kaum zur Wehr setzten. Die Widerstände waren in Frankreich insgesamt nicht groß, sieht man vom Häretikergebiet im Süden ab.

THOMAS WETZSTEIN (Rostock) untersuchte die stattliche Anzahl der zumeist satirischen Texte, die sich mit dem wachsenden Geldhunger der Kurie auseinandersetzten. Das Gros dieser Texte datiert in das 11. und 12. Jahrhundert. Sie wurden immer wieder als mehr oder weniger authentisches Abbild einer zunehmenden Verärgerung der lateinischen Kirche über die kaum zu stillende Geldgier des Papstes und der Kurie betrachtet. Es sind aber Zweifel angebracht, ob diese satirischen Dichtungen tatsächlich ein authentisches Bild davon abgaben, wie die Zeitgenossen den Geldbedarf des Papstes sahen. Deshalb unternahm der Vortragende den Versuch, auf einer erweiterten Quellenbasis unter Einbeziehung von Reformschriften, Briefen oder Protestschreiben der Frage nachzugehen, welche Bewertungen und welche Reaktionen der steigende Finanzbedarf der Kurie zwischen der Mitte des 12. und dem Beginn des 14. Jahrhunderts hervorrief.

Im abschließenden Vortrag befasste sich MATTHIAS THUMSER (Berlin) mit den Geldströmen, die von der Kurie flossen, um den politischen Umsturz in Unteritalien im päpstlichen Sinn zu bewerkstelligen. Das Legationsregister des Simon de Brion und die Briefsammlung Clemens’ IV. dienten als reiche Quellengrundlage. Die Einkünfte des französischen Zehnten dienten dazu, die bei Sieneser Kaufleuten aufgenommenen Kredite zur Finanzierung der Truppen zurückzuzahlen. Als Karl von Anjou im Mai 1265 aber dann mit einer großen Truppe nach Rom kam, reichte das transferierte Geld bei weitem nicht mehr und Clemens IV. war gezwungen, im Herbst 1265 eine große Anleihe bei römischen Bankiers aufzunehmen, für die er die Güter der stadtrömischen Klöster und Kirchen als Sicherheit einsetzen musste. Aus finanzieller Notlage drohte das ganze Unternehmen zu scheitern, gelang aber dann doch, weil Clemens vorausschauend nochmals eine große Kreditsumme in Siena aufnahm. Am Ende waren es über 200.000 Pfund Turnosen, die er für die Bedürfnisse des Karl von Anjou eingeworben hatte.

Die Zusammenfassung bot JÜRGEN DENDORFER (Freiburg im Breisgau), wobei er die vom Moderator der Tagung, Werner Maleczek, in seiner Einleitung formulierte These, dass nämlich die Entfaltung der Geldwirtschaft im 13. Jahrhundert durch die weitgespannte Finanzierung der römischen Kurie einen bisher wenig beachteten aber kräftigen Impuls erhalten habe und dass das italienische Bankwesen durch diesen finanziellen Motor auf Touren gekommen sei, immer wieder thematisierte. Der These könne man im Lichte der präsentierten Vorträge prinzipiell zustimmen.

Konferenzübersicht:

Werner Maleczek (Wien), Einführung in das Tagungsthema

Lucia Travaini (Mailand / Rom), From The Treasure Chest to the pope’s soup. Coins, mints and the Roman Curia (1150–1305)

Stefan Weiß (Straßburg / Paris), Aufzeichnungen der päpstlichen Finanzverwaltung. Vom Liber Censuum des Cencius bis zur entwickelten Buchhaltung des avignonesischen Papsttums

Jochen Johrendt (Wuppertal), Die Kurie, Rom und Italien als Quellen päpstlicher Einkünfte

Markus A. Denzel (Leipzig / Bozen), Von der Kreuzzugssteuer zur allgemeinen päpstlichen Steuer, Servitien, Annaten und ihre Finanzierung in voravignonesischer Zeit (12. bis frühes 14. Jahrhundert)

Armand Jamme (Lyon / Paris / Rom), La cour romaine et les banquiers italiens: contrats, réseaux, dynamiques sociales (mi XIIe – début XIVe siècle)

Andreas Fischer (zur Zeit Wien ), Das Kapital der Kardinäle. Finanzen und Stellung des Kollegiums im 13. Jahrhundert

Pascal Montaubin (Amiens ), Les procurations des légats pontificaux, principalement dans le royaume de France au XIIIe siècle

Thomas Wetzstein (Rostock ), Roma carpit marcas, bursas exhaurit et arcas. Die Gier des Papstes und der Groll der Christenheit

Matthias Thumser (Berlin ), Kredite für den Krieg – Clemens IV., Karl von Anjou und die Finanzierung des negotium regni Sicilie

Jürgen Dendorfer (Freiburg im Breisgau ), Zusammenfassung


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