Die deutsche Sozialdemokratie und das Völkerrecht

Die deutsche Sozialdemokratie und das Völkerrecht

Organisatoren
Anja Kruke, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung; Andreas Zimmermann, Lehrstuhl für öffentliches Recht, Universität Potsdam
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.06.2014 - 26.06.2014
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Von
Mirka Möldner, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg

Der gerade im letzten Jahr begangene 150. Geburtstag der deutschen Sozialdemokratie bot den Anlass, im Rahmen dieser Tagung einen Blick auf das Völkerrecht aus sozialdemokratischer Perspektive zu werfen, gewissermaßen den roten Faden im Völkerrecht zu suchen. Wie von ANDREAS ZIMMERMANN (Potsdam) eingangs beschrieben, war Kern der Tagung, spezifisch sozialdemokratische Zugriffe auf das Völkerrecht zu skizzieren, sozialdemokratische Vorstellungen vom Völkerrecht aufzuzeigen, ebenso deren reale Umsetzung, und sozialdemokratische Vorstellungen der Weiterentwicklung des Völkerrechts anzudenken. Da der Blick auf das Völkerrecht und seine Geschichte aus der Sicht einer spezifischen politischen Richtung wissenschaftlich bislang wenig im Fokus stand, wie auch von ANJA KRUKE (Bonn) hervorgehoben, sollte diese Tagung für die hier zusammengekommenen (vor allem) Völkerrechtler/innen und Historiker/innen den Rahmen bieten, die Berührungspunkte von Sozialdemokratie und Völkerrecht zu kartographieren.

RAINER BEHRING (Köln) nahm dazu einen der Kernbereiche des Völkerrechts in den Fokus: das Gewaltverbot. Er stellte hierfür unter anderem die Äußerungen deutscher Sozialdemokraten zur Rolle von Gewalt in den internationalen Beziehungen 1900 bis 1945 dar. Hier wurde gleich deutlich, dass sozialdemokratische Grundideen, konkrete Programminhalte und reale Politik zu unterscheiden sind. Als zentral für die Überlegungen zur Grundidee im Hinblick auf das Gewaltverbot schilderte Behring zunächst die untrennbare gedankliche Verknüpfung von Krieg und Kapitalismus: Internationaler Friede sollte danach nur durch Überwindung des Kapitalismus möglich sein. „Mit der Aufhebung der Klassengesellschaft verschwindet auch der Krieg“, nahm auch die Sozialistische Internationale an. Ab der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre begann dagegen diese Idee überlagert zu werden von einem Vertrauen in die friedensstiftende Kraft der Demokratie westlicher Prägung. Als Kernbestandteil sozialdemokratischer völkerrechtlicher Auffassung arbeitete Behring die Forderung nach internationaler friedlicher Streitschlichtung heraus. Programmatisch gefordert wurde nicht zuletzt die Anerkennung eines internationalen Schiedsgerichts, dem alle Streitigkeiten zwischen den einzelnen Staaten vorzulegen sind. Damit verbunden stellte ein umfassender Gewaltverzicht den Kern der sozialdemokratischen Außenpolitik in der Weimarer Republik dar. Kriege sollten durch Abrüstung unwahrscheinlicher gemacht, durch Verträge und Schiedsgerichte verhindert werden. Gewalt sollte durch Recht ersetzt werden und eine Orientierung an den Maßstäben des internationalen Rechts sollte zentral werden (Hermann Müller, 1917). Angesichts des Nationalsozialismus wurde dieser völlige Gewaltverzicht aufgegeben und eine Interventionspflicht für den Fall drohender Kriegsgefahr oder nicht tolerierbarer innerer Zustände in einem Staat befürwortet, bzw. wurde angenommen, es bestehe sogar eine Pflicht zur Gewaltanwendung (Willi Eichler, 1938).

ROBIN GEISS (Potsdam), der sich auf die Haltung zum Gewaltverbot nach 1945 konzentrierte, betonte zunächst die nach innen Gerichtetheit Deutschlands bis zur Wiedervereinigung, was sich im Laufe der Tagung als ein wesentlicher Faktor deutscher Völkerrechtspolitik für den Zeitraum 1945 bis 1990 bestätigte. Seit Beginn der 1990er-Jahre sei dann der Imperativ der Kriegsvermeidung „konditioniert“ worden. Besonderen Fokus warf Geiß auf das Institut der Schutzverantwortung (responsibility to protect, R2P), worin wiederum eine Abwendung von einem absoluten Verzicht auf Gewalt erkennbar sei. Geiß arbeitete verschiedene völkerrechtliche Fragestellungen heraus, in denen eine klare, tiefergreifende sozialdemokratische Positionierung nicht nur wünschenswert, sondern auch geboten wäre, unter anderem im Bereich der R2P, aber auch beispielsweise hinsichtlich der Position zu Drohnen.

Eine enge institutionelle Verknüpfung zu dem völkerrechtlichen Gewaltverbot wurde von CHRISTIAN TAMS (Glasgow) gezogen, der sich mit dem Verhältnis der Sozialdemokratie zum Völkerbund auseinandersetzte. Denn in Zusammenhang mit dem Bekenntnis zum umfassenden Gewaltverzicht ist das klare Bekenntnis der Weimarer SPD zu einem Beitritt zum Völkerbund zu betrachten. Während jedoch Ideen zu einer gerechten Weltordnung eher durch einen davon zu unterscheidenden „wahren Bund der Völker“ verwirklicht werden sollten, wurde die Rolle des Völkerbundes primär lediglich als Instrument der Wiedereingliederung Deutschlands in die Weltgemeinschaft verstanden.

In seinem Beitrag zu Sozialdemokratie und den Vereinten Nationen (VN) deckte MANUEL FRÖHLICH (Jena) Parallelen der inhaltlichen Bekenntnisse der SPD und der VN auf, was sich beispielsweise im Hinblick auf die Forderung nach Freiheit von Furcht und Not äußere. Daneben beschrieb Fröhlich verschiedene Phasen der Beziehung zwischen Sozialdemokratie und VN. Hier ließe sich eine Weiterentwicklung feststellen – während der Völkerrechtsbund, wie von Tams beschrieben, und anschließend auch die VN zunächst instrumentell gedacht wurden als Mittel zur Wiedereingliederung Deutschlands in die Weltgemeinschaft, habe sich dieses Verständnis der VN heute aus Sicht der Sozialdemokratie verändert. Die VN würden heute aus Sicht der SPD stärker als Akteur wahrgenommen, nicht mehr als bloßes Instrument oder Forum der Kooperation von Staaten, was sich im Übrigen auch mit dem gängigen Narrativ der Völkerrechtswissenschaft deckt.

Wie unterschiedlich sozialdemokratische Friedenspolitik abhängig von den beteiligten Personen ausgeübt werden kann, beleuchtete KRISTINA SPOHR (London), indem sie namentlich Egon Bahrs gesamteuropäische Konzeptionen mit dem Vorgehen Helmut Schmidts kontrastierte. Sie arbeitete insbesondere die Abhängigkeit sozialdemokratischer Völkerrechtspolitik von führenden Persönlichkeiten, die diese Politik prägten, heraus. Im Laufe der Tagung wurde dieser maßgebliche Einfluss einzelner Persönlichkeiten auch immer wieder mit Blick auf insbesondere Willy Brandt beleuchtet.

Nach dem Komplex Frieden und Sicherheit befasste sich RALF ALLEWELDT (Oranienburg) mit den wichtigen Bereichen Menschenrechte und Flüchtlingsrecht. Er analysierte dazu die unterschiedlichen Programmaussagen der SPD sowie deren politische Praxis. Diskutiert wurde hier im Teilnehmer/innenkreis auch verstärkt, was die Motivation der damaligen Politik zur Ratifizierung verschiedener Menschenrechtspakte war und inwieweit die SPD diese völkerrechtlichen Verträge heute innenpolitisch nutzbar macht bzw. nutzbar machen sollte. Die Flüchtlingspolitik bot ebenfalls ein Beispiel für eine Diskussion darüber, inwieweit die SPD hier ihren völkerrechtlichen Gestaltungswillen nutzt, auch angesichts ihrer eigenen Vergangenheit und ihrer eigenen Erfahrungen mit politischem Asyl.

Auf die Vergangenheit der Menschenrechtspolitik der 1970er-Jahre warf ANNETTE WEINKE (Jena) einen kritischen Blick und machte hier noch einmal deutlich, wie stark die Außen- und damit auch Menschenrechtspolitik von der innenpolitischen Lage und deutschen Teilung, und wie stark die reale Politik von persönlichen Beziehungen und der bestimmenden außenpolitischen Lage des Kalten Krieges geprägt war. Als Beispiel wurden auch hier Schmidt und sein Verhältnis zu Jimmy Carter einerseits und Leonid Breschnew andererseits herangezogen.

Die Auswirkungen der deutschen Teilung auf völkerrechtliche Fragen äußerten sich daneben im Standpunkt der SPD zum Recht auf nationale Selbstbestimmung, worauf BERND ROTHER (Berlin) in seinem Vortrag zu Sozialdemokratie und nationalen Befreiungsbewegungen nach 1945 einging. Anders als insbesondere die englische Labour Party und die französischen Sozialisten begünstigte die deutsche SPD im Spannungsverhältnis nationaler Unabhängigkeit versus Einhaltung von Standards guter Governance klar ersteres. Der Vortrag bot zudem Anlass verschiedene sozialdemokratisch geprägte Auffassungen gegeneinander abzugrenzen und mit solchen der Sozialistischen Internationale zu kontrastieren.

Abschließend im Mittelpunkt stand ein Thema, das nicht zuletzt angesichts der gegenwärtigen TTIP-Debatte besondere Aktualität genießt: KARSTEN NOWROT (Hamburg) setzte sich mit der deutschen Sozialdemokratie und der Entwicklung des Internationalen Wirtschaftsrechts auseinander. Er analysierte dazu die Vorstellungen der SPD von einer neuen Weltwirtschaftsordnung und deren realpolitische Umsetzung. Auch an dieser Stelle zeigte sich, wie ideelle Grundideen, konkrete Programminhalte und reale Politik häufig in einem Spannungsverhältnis stehen.

Fazit: Den Tagungsteilnehmer/innen gelang es gut, eine erste völkerrechtliche Landkarte zu entwerfen, auf denen einige rote Fäden, daneben aber auch einige weiße oder jedenfalls nur blassrote Stellen erkennbar waren. Ein Bewusstsein sozialdemokratischer, dem Völkerrecht zu Grunde liegender Ideen, daran orientierter Programmsätze und deren realer Umsetzung ist vorhanden, ist jedoch noch fragmentiert. Dass diese Karte weiter an Genauigkeit gewinnt ist nun eine gemeinsame Aufgabe der Wissenschaft und auch der Politik. Dass eine Fortsetzung dieser Kartographie bald ihre Fortsetzung findet, wäre nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht wünschenswert, sondern ebenso für einen zielgerichteten Diskurs sozialdemokratischer Politik in der Völkerrechtsgemeinschaft wichtig.

Konferenzübersicht:

Roland Schmidt (Geschäftsführendes Vorstandsmitglied und Geschäftsführer der Friedrich-Ebert-Stiftung), Begrüßung

Anja Kruke (Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung) / Andreas Zimmermann (Universität Potsdam), Einführung:

Panel 1: Sozialdemokratie und völkerrechtliches Gewaltverbot: Von der Friedensbewegung vor dem Ersten Weltkrieg bis zur Libyen-Intervention
Chair: Anja Kruke (Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung)

Rainer Behring (Köln), Zwischen friedlicher Streitschlichtung, Gewaltverzicht und Interventionspflicht. Deutsche Sozialdemokraten zur Rolle von Gewalt in den internationalen Beziehungen 1900 bis 1945

Robin Geiß (Potsdam), Sozialdemokratie und Gewaltverbot 1945 bis heute

Kommentar: Jost Dülffer (Köln)

Panel 2: Sozialdemokratie und internationale Organisationen
Chair: Andreas Zimmermann (Universität Potsdam)

Christian Tams (Glasgow), Sozialdemokratie und Völkerbund

Manuel Fröhlich (Jena), Sozialdemokratie und Vereinte Nationen

Kristina Spohr (London), Die SPD, die NATO und die KSZE von den 1970er- bis 1990er-Jahren

Kommentar: Thilo Marauhn (Gießen)

Öffentliche Abendveranstaltung:
Christoph Strässer (Beauftragter für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe der Bundesregierung), Sozialdemokratie und das Völkerrecht zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Panel 3: Sozialdemokratie und Menschenrechte
Chair: Anja Kruke (Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung)

Ralf Alleweldt (Oranienburg), Sozialdemokratie und Flüchtlings- und Menschenrechte (insbesondere WSK-Rechte)

Annette Weinke (Jena), Die SPD und die 'Menschenrechtsrevolution' der 1970er-Jahre

Panel 4: SPD und Rechte in und für die „Dritte Welt“ – von den Kolonien bis zu einer (neuen) Weltwirtschaftsordnung
Chair: Andreas Zimmermann (Universität Potsdam)

Bernd Rother (Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, Berlin), Sozialdemokratie und nationale Befreiungsbewegungen nach 1945

Karsten Nowrot (Hamburg), Vom steten Streben nach einer immer wieder neuen Weltwirtschaftsordnung – die deutsche Sozialdemokratie und die Entwicklung des Internationalen Wirtschaftsrechts


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