Neue Bayreuther Historische Kolloquien. „Toleranz und Pluralismus zwischen Antike und Spätaufklärung“

Neue Bayreuther Historische Kolloquien. „Toleranz und Pluralismus zwischen Antike und Spätaufklärung“

Organisatoren
Susanne Lachenicht / Ulrich Berner, Universität Bayreuth
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.07.2014 - 10.07.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Daniela Rosensprung / Maximilian Krogoll / Franca Reif / Emmanuelle Chaze, Universität Bayreuth

Vom 9. bis zum 10. Juli 2014 waren die Neuen Bayreuther Historischen Kolloquien in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel zu Gast. Dieser prominente Ort mit seiner wertvollen Sammlung aus Mittelalter und Früher Neuzeit bildete den perfekten Rahmen für die internationale Tagung „Toleranz und Pluralismus zwischen Antike und Spätaufklärung“. Sie wurde von Frau Susanne Lachenicht, Inhaberin des Lehrstuhls für Geschichte der Frühen Neuzeit der Universität Bayreuth, in Zusammenarbeit mit Herrn Ulrich Berner (Religionswissenschaft, Universität Bayreuth) organisiert.

Die interdisziplinäre Ausrichtung der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth und ihres fach- und fakultätsübergreifenden Profilfelds „Kulturbegegnungen und transkulturelle Prozesse“ bildeten sich in der Konferenz ab, indem sowohl Vorträge von Historikern als auch von Religionswissenschaftlern zu hören waren. Im Zentrum der Veranstaltung stand die Frage nach Theorie und Praxis von so genannter religiöser Toleranz zwischen Antike und Spätaufklärung. Intertextuelle Bezüge, interreligiöse und intergenerationelle Praktiken und Theorien von Toleranz wurden in verschiedenen territorialen und konfessionellen Kontexten analysiert. Dabei wurde immer wieder die Frage aufgeworfen, inwiefern der moderne Toleranzbegriff für diese Zusammenhänge verwendet werden kann oder ob die Nützlichkeit von Minderheiten für Autoritäten bzw. die Duldung derer eine herausragende Rolle gespielt haben.

CHRISTOPH AUFFARTH (Bremen) eröffnete die Tagung mit einem Vortrag zu der Frage „Ist Polytheismus prinzipiell tolerant? Neue Götter im Pantheon der antiken griechischen Polis“. Ausgehend von Jan Assmanns These, dass der Monotheismus intolerant sei, stellte er dar, dass im Umkehrschluss nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass Polytheismus prinzipiell tolerant ist. Er zeigte zum einen an Atheismus-Prozessen im antiken Athen sowie an der Einführung neuer Gottheiten in griechische Panthea, dass Polytheismus zwar ein offenes religiöses System ist, allerdings nur relativ offen. Somit könne für die antike griechische Polis nur bedingt von religiöser Toleranz und Pluralismus gesprochen werden.

RALF BEHRWALD (Bayreuth) präsentierte einen Überblick über den Umgang mit heidnischen Tempeln im spätantiken Rom. Er zeigte, dass es erkennbare Muster von Unterdrückung und Zerstörung gegenüber diesen Tempeln gab, welche keine Toleranz erkennen lassen. Daneben wurde von Fall zu Fall unterschiedlich eine Strategie verfolgt, welche den Fortbestand bestimmter Tempelanlagen sicherte, weniger als Ausdruck religiöser Toleranz im modernen Sinne, sondern als Ergebnis politischer Erwägungen, welche den Frieden vor Ort sichern sollten. Zu diesem Zweck wurden Tempelanlagen quasi „säkularisiert“ und als Kunstobjekte unter Schutz gestellt. Diese Art religiöser Toleranz war Ausgleichsbestrebungen in post-reformatorischer Zeit nicht unähnlich und zeigt die enge Verknüpfung politscher Interessen mit religiösen Freiheiten, welche nicht automatisch als Ergebnis religiöser Toleranz angesehen werden können.

BENJAMIN KAPLAN (London) erläuterte in der ersten Keynote, wie wichtig mikrohistorische Studien für unser Verständnis von religiöser Toleranz in der Praxis sein können. Durch die Auswertung von Gerichtsakten konnte Kaplan die Geschichte eines interkonfessionellen Ehepaares in den Niederlanden des 18. Jahrhunderts rekonstruieren. Schon die Schließung einer solchen Ehe war mit besonderen Problemen und Zugeständnissen verbunden; in dem von Kaplan vorgestellten speziellen Fall entzündete sich an der Frage, welcher Konfession das erste Kind des Paares angehören sollte, ein religiöser Konflikt, welcher nicht zuletzt in bewaffneten Scharmützeln ausgefochten wurde.

STEFANIA SALVADORI (Wolfenbüttel) hielt einen Vortrag zu „Pluralismus der Interpretationen, Einheit des Glaubens. Sebastian Castellios Alternative zur Konfessionalisierung“. Sie ging der Frage nach, inwieweit der Begriff der Toleranz im 16. Jahrhundert Eingang in den politischen und philosophischen Diskurs fand. Am Beispiel von Castellios Schrift „De Haereticis an sint persequendi“ von 1554 stellt sie die drei Schritte seiner Argumentation dar und zeigte so, dass nicht Glaube, sondern Sinne und Vernunft bei Castellio das hermeneutische Prinzip darstellen, welches als eine Duldung anderer Konfessionen gelesen werden kann.

DAVID VAN DER LINDEN (Cambridge) stellte in seinem Vortrag die den Hugenotten in der früheren Forschung oftmals zugeschriebene Toleranz gegenüber anderen Religionen in Frage. Am Beispiel von Predigten der hugenottischen Pastoren Elie Benoist und Jean Guillebert zeigte Van der Linden, dass gerade die Hugenotten im Exil eine ausgeprägte Intoleranz gegenüber Andersgläubigen an den Tag legten. In den untersuchten Predigten lassen sich Erklärungsversuche für die Flucht aus Frankreich und das Exil finden, die die Hugenotten im Exil zu den wahren Gläubigen stilisieren, die für den Erhalt ihres Glaubens bereit waren, die Strapazen der Flucht auf sich zu nehmen und deshalb als wahre Gläubige in ihrer Aufnahmegesellschaft gelten mussten. Als notwendige Folge dieser Argumentation waren die französischen Protestanten im Exil zwangsweise intolerant gegenüber Allen, welche nicht denselben Weg eingeschlagen hatten wie sie.

SUSANNE LACHENICHT (Bayreuth) zeigte, wie religiöse Flüchtlinge in der Frühen Neuzeit Asyl und Bleiberechte mit ihren Aufnahmeländern aushandelten – oft auf der Basis weit reichender Kenntnisse von Asyl und Aufnahmeprivilegien anderer religiöser Minderheiten. Utilitaristische Argumente spielten sowohl auf Seiten der Aufnahmestaaten als auch auf Seiten der religiösen Minderheiten selbst eine große Rolle. Ökonomische und militärische Interessen, Repeuplierungsmaßnahmen, interne und externe Kolonisation, konfessionelle Gründe oder christliche Nächstenliebe waren nicht nur Motivation der Asyl gewährenden Obrigkeiten, sondern wurden von den Minderheiten selbst gezielt als Argument für ihre Ansiedlung in die Debatten eingebracht.

OLE PETER GRELL (Milton Keynes) machte am Beispiel der Reichsstadt Nürnberg deutlich, mit welchem Pragmatismus frühneuzeitliche Städte dem Phänomen der Multikonfessionalität begegneten. In dem präsentierten Zeitraum zwischen den Jahren 1560 und 1648 gab es innerhalb des Magistrates der Stadt immer wieder Diskussionen, wie mit Mitgliedern anderer, d.h. nicht-lutherischer Konfessionen umzugehen sei. Hierbei entwickelten die Stadtherren die Strategie, einerseits die Nürnberger Bevölkerung mit bestimmten Erlassen gegen die Andersgläubigen zu beruhigen, andererseits Letztere kaum in ihrer Freiheit einzuschränken, indem Maßnahmen so gut wie nie in der Praxis durchgesetzt wurden. Solange der Frieden in der Stadt gewahrt blieb, wurde konfessioneller Pluralismus in Nürnberg in gewissen Grenzen geduldet, dieses geschah allerdings hauptsächlich aus ökonomischen und weniger aus religiösen Motiven heraus.

YVONNE KLEINMANN (Halle) referierte „Über die Bedeutung(slosigkeit) religiöser Differenz. Programme, Motive und Praktiken der (Un)Duldsamkeit im frühneuzeitlichen Polen-Litauen“. Hierbei betrachtete sie nicht das Ideal der Toleranz, sondern das Zusammenleben verschiedener Konfessionen und Religionen und religiöse Homogenisierung am Beispiel der polnischen Stadt Rzeszów. Sie erläuterte vier unterschiedliche Kommunikationsfelder, in denen die verschiedenen Gruppen aufeinandertrafen (Siedlungspolitik, Zünfte, Alltagsbeziehungen vor Gericht und Mission).

Spontan präsentierte PAUL STRAUSS (Wolfenbüttel/Lincoln) das Thema seines Dissertationsvorhabens. Zunächst zeigte Strauss, wie „Nichtchristen“, insbesondere Muslime und Juden in christlichen Predigten zwischen den Jahren 1520 und 1620 dargestellt wurden und inwiefern diese Darstellungen genutzt wurden, um die konfessionelle Identität ihrer christlichen Zuhörer zu untermauern.

ULRICH BERNER (Bayreuth) beschäftigte sich im Abschlussvortrag mit der gegenteiligen Frage zum Vortrag von Christoph Auffahrt: „Ist Monotheismus immer intolerant?“. Auch er folgte Assmanns mosaischer Unterscheidung (inklusiver und exklusiver Monotheismus), betonte aber, dass die Ambiguität religiöser Ideen auch für dieses Konzept gilt, da beides, der Aufruf zur Gewalt und der zur Gewaltlosigkeit, im exklusiven Monotheismus enthalten sei. In diesem Zuge verwarf Berner den Begriff der Toleranz und führt alternativ den Begriff der Kooperation zwischen religiösen Gruppen ein und forderte so die Änderung der Herangehensweise zur Frage: „Finden wir, dass Anhänger eines exklusiven Monotheismus bereit sind zur Kooperation über religiöse Grenzen hinweg?“

Experten aus Deutschland, Italien, den Niederlanden, England und den USA gaben in ihren Vorträgen facettenreich Auskunft über die auch heute ungebrochen wichtige Thematik religiösen Pluralismus und religiöser Toleranz in historischer Perspektive. Die Vorträge ergänzten sich hierbei sehr gut – auch über Epochengrenzen hinweg, makro- und mikrohistorische Ansätze konnten zeigen, dass religiöse Toleranz und Pluralismus in der Geschichte meist unter pragmatischen Gesichtspunkten, wie etwa der Wahrung des Friedens und der Stabilität einer Region, der Stärkung der Wirtschaftskraft oder etwa der Konsolidierung von Herrschaftsinteressen als politisches Mittel dienten, dass aber andererseits diese „von oben herab“ propagierte Form der Toleranz in der Praxis oftmals sehr schnell an ihre Grenzen stieß. Generalisierende Thesen zur Toleranz bzw. Intoleranz von Mono- und Polytheismus konnten im Verlauf der Tagung als fehlerhaft entlarvt werden.

Abseits der Tagungsräume konnten bei gemeinsamen Mittag- und Abendessen Kontakte geknüpft und Ideen ausgetauscht werden. Insbesondere für die teilnehmenden Bayreuther Studierenden in der Master- und Promotionsphase und Gastwissenschaftler der Herzog August Bibliothek bot sich hier die Möglichkeit, in entspannter Atmosphäre Ideen, Anregungen und Empfehlungen zu sammeln, die sich für ihre jeweiligen Projekte als nützlich erweisen könnten. Die angenehme Atmosphäre, die interessanten Vorträge und die fruchtbaren Diskussionen sollen auch für die weiteren Neuen Bayreuther Historischen Kolloquien maßgeblich werden; die an der Bayreuther Universität vorbildliche Interdisziplinarität der Kulturwissenschaften wird in einem größeren und internationaleren Kontext weitere Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Das Thema Toleranz und Pluralismus, das zu den Kernthemen des Profilfeldes „Kulturbegegnungen und transkulturelle Prozesse“ der Universität Bayreuth gehört, wird über die Bayreuther Historischen Kolloquien hinaus auf der Tagesordnung bleiben. Die Tagung versteht sich als Auftakttagung, die in einem internationalen Netzwerk Toleranz und Pluralismus in Europa in der so genannten Vormoderne über Fächer- und Ländergrenzen hinweg bündeln und systematisieren helfen soll.

Konferenzübersicht:

9. Juli

Begrüßung und Einführung: Susanne Lachenicht (Bayreuth), Ulrich
Berner (Bayreuth)

Toleranz und Pluralismus in der Antike

Christoph Auffarth (Bremen): Ist Polytheismus prinzipiell tolerant? Neue Götter im Pantheon der antiken griechischen Polis

Ralf Behrwald (Bayreuth): 'Toleranz' und die Schaffung 'neutraler Räume' in der Spätantike

Abendvortrag / 1st Keynote Lecture

Benjamin J. Kaplan (London): Toleration in Real Life. The Story of an Interfaith Couple

10. Juli

Toleranz und Pluralismus in Westeuropa der Frühen Neuzeit

Stefania Salvadori (Wolfenbüttel): Pluralismus der Interpretationen, Einheit des Glaubens. Sebastian Castellios Alternative zur Konfessionalisierung

David van der Linden (Rotterdam): Enlightenment in Exile? Huguenot Refugees and Religious Toleration in the Dutch Republic.

Susanne Lachenicht (Bayreuth): Pluralism and Tolerance in Early Modern
Europe. A Comparative Perspective

Ole Peter Grell (Milton Keynes): Conflict and Co – Existence in Nuremberg 1560–1648

Toleranz und Pluralismus in Mittel- und Osteuropa

Yvonne Kleinmann (Halle): Über die Bedeutung(slosigkeit) religiöser Differenz. Programme, Motive und Praktiken der (Un)Duldsamkeit im Frühneuzeitlichen Polen-Litauen

Paul Strauss (Wolfenbüttel/Lincoln): Preaching about Outsiders: Confessional Identity and Sermons on Muslims and Jews in Early Modern Germany

Abendvortrag / 2d Keynote Lecture

Ulrich Berner (Bayreuth): Ist der Monotheismus immer intolerant?