The Limits of Change. Was ist der Wert der beständigen Dinge?

The Limits of Change. Was ist der Wert der beständigen Dinge?

Organisatoren
Graduiertenkolleg Wert und Äquivalent: Laura Picht, Goethe-Universität Frankfurt; Geraldine Schmitz, Goethe-Universität Frankfurt; Lukas Wiggering, Goethe-Universität Frankfurt; Katharina Schmidt, LMU München
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.07.2014 - 19.07.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Laura Picht, Graduiertenkolleg Wert und Äquivalent, Frankfurt am Main

Vom 17.–19.07.2014 fand an der Goethe-Universität Frankfurt der Workshop „The Limits of Change. Was ist der Wert der beständigen Dinge?“ statt, organisiert von den Promovierenden Laura Picht, Geraldine Schmitz, Katharina Schmidt und Lukas Wiggering. Das Ziel des Workshops war es, vor allem Nachwuchswissenschaftler verschiedener Disziplinen zusammenzubringen, um den Begriff „Kontinuität“ theoretisch und anhand von Fallbeispielen zu diskutieren. Sowohl in der Archäologie als auch in der Ethnologie spielen Brüche und das Aufkommen von allmählichem Wandel meistens die Hauptrolle, wogegen die Kontinuität nur selten Beachtung findet. Davon ausgehend lag der Fokus in diesem Workshop auf verschiedenen Formen von Kontinuität und der Begriff und seine Verwendung wurden hinterfragt. Außerdem wurde versucht, differenziertere Aufschlüsse über Wertkonzepte zu erlangen, indem über das Paradigma von Diskontinuitäten hinausgegangen wurde.

Den Einstieg ermöglichte ARTHUR DEPNER (Augsburg), der durch die Vorstellung von Max Schelers Werttheorie bei den Teilnehmern ein Bewusstsein für die philosophische Dimension der Begriffe „Wert“ und „Kontinuität“ schaffte. Während in dieser naturgemäß sehr theoretischen Diskussion der Begriff des „Wertes“ deutlich im Vordergrund stand, wurde durch den Film „Unity through Culture“ von TON OTTO (Aarhus) das Nachdenken über den Umgang mit „Kontinuität“ und „Tradition“ in anderen Kulturen angeregt. In seinem anschließenden Vortrag zeigte er durch die Verwendung der Begriffe „kalsa“ und „kastam“ auf, dass die Menschen in Manus unterschiedliche Vorstellungen von Kultur und Tradition hatten. Während „kastam“ einen austauschbaren, (im)materiellen Besitz meint, kann „kalsa“ von niemandem besessen werden. „Kastam“ stimmt mit der Vergangenheit überein und ist konservativ, was meint, dass es nicht neu geschaffen werden kann. Dagegen basiert „kalsa“ zwar auf der Vergangenheit, ist aber auf die Zukunft orientiert, was Adaption, Schöpfung und Innovation beinhaltet.

Durch diese uns eher fremde Sicht auf Kultur und Tradition inspiriert, starteten die Teilnehmer am nächsten Tag in die Sektion „Definition und Theorie“, die wie auch die vorherigen Beiträge eher auf eine Begriffsklärung ausgerichtet war. Zunächst sprach THOMAS KNOPF (Tübingen) über das Konzept von Kontinuität wie es in der Prähistorischen Archäologie verwendet wird. Er versteht „Kontinuität“ als Beibehaltung bzw. stetigen Wandel und sieht darin ein Paradigma der Geschichtsschreibung. In der Archäologie ist sie vor allem für Chronologien und Typologien und damit für die Beschäftigung mit den Dingen zentral. Als Beispiel führte er Grabhügel als „Kontinuitätsobjekt“ an, da sie als Tradition gesehen werden können, durch ihre Monumentalität beständig sind und überwiegend einheitliche Formen aufweisen, die sich aber auch verändern können.

Die ethnologische Perspektive wurde von THOROLF LIPP (Berlin) aufgezeigt, der über den Wert des „Stillstandes“ sprach, indem er verschiedene auf der Insel Vanuatu lebende Dörfer vorstellte, die ganz bewusst auf ihren Traditionen beharren und sich gegen Veränderungen wehren. Den Wert dieses Beharrens und damit der Kontinuität sieht Lipp in der Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen für alle, der Kontinuität sozialer Bindungen und vor allem dem Tauschwert von „kastam“. Er griff damit von Ton Otto eingeführte Konzepte wieder auf und beleuchtete sie von einer anderen Seite.

Den größten Raum nahm die zweite Sektion zum Thema „Tatsächliche und scheinbare Kontinuitäten“ ein. Hier wurde anhand von Fallbeispielen aus Archäologie und Ethnologie aufgezeigt, welche Rolle Kontinuität vor allem bei Fragen der Machtlegitimation spielt. Dabei kann diese sowohl tatsächlich existieren, als auch von den einzelnen Machthabern konstruiert werden. Aber nicht nur Machthaber, sondern auch ganze Gesellschaften können solche konstruierten Kontinuitäten nutzen, um eine spezifische Identität zu schaffen. Die Medien, die dabei genutzt werden können, sind neben der Geschichtsschreibung, wie im Fall des Reiches Benin in Nigeria, auch Bildträger, wie zum Beispiel Münzen. Daneben wurde durch die Rezeption kaiserzeitlicher Skulptur in der Spätantike und einer breit angelegten Untersuchung der Entwicklung der Tontafelhülle aufgezeigt, dass scheinbare Kontinuitäten auch von den heutigen Wissenschaftlern konstruiert bzw. tatsächliche übersehen werden können. Dies ist meistens durch den durch die Fragestellung und die in der Archäologie verwendeten Typologien verengten Blick des Forschers bedingt und geschieht in der Regel unbewusst.

In der nächsten Sektion „Kontinuität in Keramik und Sitten“ ging es vor allem um die gegenseitige Beeinflussung verschiedener Kulturen und deren Widerspiegelung in der Keramik und den Koch- und Ernährungsgewohnheiten. Dabei standen in den beiden archäologischen Fallbeispielen naturgemäß die Gefäße im Vordergrund. Während ECKHARD DESCHLER-ERB (Zürich) durch die Veränderung der Gefäße im keltischen Bereich nach dem Kontakt mit den Römern auf eine Angleichung der Essgewohnheiten an mediterrane Sitten schloss, vermutet MATTHIAS HOERNES (Innsbruck) in der Weiterverwendung von lokalen Knickwandschalen neben wenigen höherwertigen attischen Importen auf einen Rückgriff auf alte Formen und somit einen Wert der Knickwandschale im sozialen und symbolischen Bereich. Als theoretische Grundlage dienten ihm Thesen aus der Praxeologie. SEBASTIAN SCHELLHAAS (Frankfurt am Main) lenkte als Ethnologe den Blick dagegen auf die Diskrepanz zwischen überlieferten früheren Essgewohnheiten und dessen, was von den First Nations in Kanada heute als traditionell bezeichnet wird. Dies führte zu einer kritischen Diskussion der Begriffe „Tradition“ und „Authentizität“, die eng mit der Frage nach der Kontinuität verbunden sind.

Während es sich bei „Kontinuität“ und „Diskontinuität“ bis dahin um zwei voneinander getrennte Phänomene zu handeln schien, zeigte die Sektion „Kontinuität in Architektur und Urbanistik“ auf, dass das eine nicht ohne das andere funktionieren kann bzw. dass es auch „Diskontinuität“ in der Kontinuität geben kann. Eindrucksvoll zeigte dies der Beitrag von ELNAZ RASHIDIAN (Frankfurt am Main), die aufzeigte, dass eine scheinbare Diskontinuität sich durch eine Erweiterung des Fokus auch in einen Ausschlag innerhalb einer tatsächlichen Kontinuität verwandeln kann. Sie zeigte am Beispiel des Reiches Elam außerdem auf, dass häufig auch die Kontinuität von einzelnen Teilaspekten ausreicht, um von einer solchen zu reden, während es in anderen Bereichen durchaus gravierende Veränderungen geben kann. Diese Diversität wurde von ELWIRA JANUS (Darmstadt) aufgegriffen, die anhand der Auseinandersetzung mit Architektur aufzeigte, dass man nicht von „Kontinuität“ sprechen kann, sondern von verschiedenen Formen derselben ausgehen muss. Diese können durchaus auch gleichzeitig auftreten. Sie unterschied zwischen baulicher, funktionaler, formaler, scheinbarer und intendierter Kontinuität, die sie jeweils mit einzelnen Fallbeispielen belegte. BEATE LÖFFLER (Duisburg) zeigte mit ihrem Vortrag zur Wahrnehmung japanischer Architektur in der europäischen Forschung auf, dass diese häufig nicht mit der Realität gleichzusetzen ist. Sie schloss somit den Bogen zur in der zweiten Sektion konstatierten Kontinuität als Konstrukt der Wissenschaftler.

Die letzte Sektion widmete sich der Frage nach der Kontinuität in Wirtschaft und Geld. Eine neue Perspektive eröffnete den Archäologen und Ethnologen der Wirtschaftswissenschaftler BERTRAM SCHEFOLD (Frankfurt am Main), indem er einen betriebswirtschaftlichen Einblick in die Entstehung von Werten gab. Auch hierbei spielen Kontinuität und Diskontinuität eine Rolle, werden aber pragmatischer betrachtet, als in den anderen Disziplinen. Ergänzt wurde diese Sichtweise durch einen archäologischen und einen ethnologischen Beitrag. Während MARTIN HENSLER (Frankfurt am Main) anhand der bronzezeitlichen Ösenringe die Begrenztheit einer rezenten Typologie aufzeigte und somit wieder einen Bogen zur zweiten Sektion schlug, eröffnete GERALDINE SCHMITZ (Frankfurt am Main) den Blick auf einen ghanaischen Markt, der manchen Veränderungen trotzt. Sie sah genau in dieser Beharrlichkeit eine Stärke, die es ermöglichte, innerhalb eines instabilen Wirtschaftssystems zu bestehen und allen Beteiligten eine gewisse Existenz zu sichern.

Die Abschlussdiskussion lieferte folgende Ergebnisse: Besonders hervorgehoben wurde von allen Teilnehmern auch während des gesamten Workshops das Potential des interdisziplinären Austausches zwischen Archäologen und Ethnologen. Dabei wurde festgestellt, dass man zwar unterschiedliche Herangehensweisen hat, aber letzten Endes doch vor den gleichen Problemen steht und somit über mehr Gemeinsamkeiten verfügt, als häufig vermutet. Ein weiteres wichtiges Ergebnis war die Schaffung eines größeren Bewusstseins dafür, dass es sich bei Kontinuität häufig um ein Konstrukt handelt – wobei dieses sowohl von den Betroffenen als auch von den untersuchenden Wissenschaftlern geschaffen worden sein kann. Den Teilnehmern wurde auch klar, dass der Begriff Kontinuität oft unpräzise und wenig reflektiert verwendet wird. Eine genauere Begriffsdefinition ist gefordert worden, auch wenn eine solche vermutlich niemals universal sein kann, sondern auf bestimmte Fragestellungen bzw. Untersuchungsgebiete/-objekte abgestimmt werden muss. Hierbei kommt auch die oben erwähnte Herausarbeitung verschiedener Kontinuitäten zum Tragen. Von ethnologischer Seite kam der Hinweis, dass vermutlich oft der Begriff „Kontinuität“ verwendet wird, wenn man eigentlich von „Tradition“ sprechen sollte. Außerdem scheint sich „Tradition“ im ethnologischen Bereich eher zu eignen, da der Begriff handlungsbasierter ist und Tradition sowohl chaotisch als auch kontinuierlich sein kann. Man fasst damit also sowohl die Beständigkeit als auch den Wandel. Es wurde aber unabhängig von der Einführung des Begriffes „Tradition“ deutlich, dass „Kontinuität“ und „Diskontinuität“ nur gemeinsam auftreten und somit das eine nicht ohne das andere gedacht werden kann.

Insgesamt ist durch den Workshop bei allen Teilnehmern ein größeres Bewusstsein für die Probleme geschaffen worden, die mit dem Begriff Kontinuität einhergehen. Es konnte deutlich herausgestellt werden, dass man ihn vor der Verwendung eindeutig definieren sollte und herausstellen, um welche Form der Kontinuität es sich handelt. Wichtig war auch die Betonung der Tatsache, dass es sich bei Kontinuität in der Regel um ein Konstrukt handelt. Somit konnte der Fokus von den (scheinbaren) Brüchen wieder auf die Beständigkeit gelenkt werden, innerhalb derer diese stattfinden bzw. das Bewusstsein geschaffen werden, diese vor dem Hintergrund der Diskussion zu hinterfragen.

Konferenzübersicht:

Arthur Depner (Augsburg), Kontinuität der Werte?

Ton Otto (Aarhus), Unity through Culture (Film)
Ton Otto (Aarhus), Tradition: Continuity or Change

Thomas Knopf (Tübingen), Der Wert des Hügels – Tradierungen und Bedeutungen eines Grabmonuments in Mitteleuropa und Japan

Thorolf Lipp (Berlin), Vom Wert des Stillstands. Traditionalisten auf Vanuatu und den Karolinen

Stefan Eisenhofer (München), Die höfische Kunst im Reich Benin (Nigeria): Kontinuitäten und Kontinuitätsbehauptungen

Christina Murer (Berlin), Ostia Antica und die Rezeption kaiserzeitlicher Plastik in Spätantike und Frühmittelalter

Torsten Bendschus (Rostock), Zwischen römischem Kaiserhaus und den Monumenten der Vorfahren. Adaption und Imitation im Münzbild des Antiochos IV. von Kommagene

Michael Blömer (Münster), Kontinuität als Kapital? Der Kult des Iuppiter Dolichenus in Doliche

Ulrike Wolf (Frankfurt), Numismatische Kontinuität? Beständigkeit und Wandel am Beispiel des Münzbildes

Bonka Nedeltscheva (Heidelberg), Das Objekt Tontafelhülle. Eine Erfindung der Ur III Zeit? Auf der Suche nach Kontinuität, wo keine zu sein scheint

Eckhard Deschler-Erb (Zürich), Keltentöpfe in Römerhand. Kontinuitäten und Diskontinuitäten am spätlatène-frühkaiserzeitlichen Oberrheinknie

Matthias Hoernes (Innsbruck), Tassen, Trank und Traditionen. Zur Generierung von Wert und Tradition im Keramikensemble des spätarchaischen Hauses auf dem Monte Iato (Sizilien)

Sebastian Schellhaas (Frankfurt), Traditional Food? – Überlegungen zur Kontinuität indigener kulinarischer Kultur an der kanadischen Nordwestküste

Elnaz Rashidian (Frankfurt), Urbane Diskontinuität, Siedlungskontinuität und Landschaftswandel. Die Frage nach der Gültigkeit des Kontinuitätskonzepts in der Siedlungs- und Landschaftsarchäologie

Elwira Janus (Darmstadt), Kontinuitätsbruch? Umgang der Römer mit dem Baubestand griechischer Städte

Beate Löffler (Duisburg), Beständiger Wandel. Japanische Architektur als interpretatorische Verfügungsmasse

Bertram Schefold (Frankfurt), Unter welchen historischen Bedingungen sind Waren und Dienstleistungen in ihrem ökonomischen Wert konstant?

Maria Argyrou-Brand (Arnstein), Entstehung des Überschuss in Wirtschaften kleinen Umfangs in der ägäischen Bronzezeit am Beispiel der Siedlung in Akrotiri auf Thera. Annäherung an die Wertschöpfung anhand ökonomischer Kriterien

Martin Hensler (Frankfurt), Untersuchungen zum Konsum einer archäologischen Objektgruppe über die Grenzen von Zeit, Raum und Kontext

Geraldine Schmitz (Frankfurt), Monetäre Werte auf nord-ghanaischen Märkten


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