Stadtherrschaft, Policey und die Ordnung einer urbanen Gesellschaft in der Vormoderne

Stadtherrschaft, Policey und die Ordnung einer urbanen Gesellschaft in der Vormoderne

Organisatoren
Arbeitskreis "Policey/Polizei im vormodernen Europa"
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.06.2004 -
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Von
Aline Steinbrecher, Universität Zürich

Das diesjährige siebte Treffen des Arbeitskreises "Policey/Polizei im vormodernen Europa" beschäftigte sich mit der Produktion und Reproduktion von "Ordnung" im Kontext der vormodernen Stadt, ihrer Machtstrukturen und ihres Geflechts von Herrschaftsinstanzen. Die Produktion und Reproduktion von "Ordnung" in ihren konkreten Ausformungen ist seit jeher einer der zentralen Gegenstände von Policey, sei es durch Legislation, administrative Tätigkeit oder in der Rechtssprechung. "Ordnung" ist aber auch - und gerade das machten die Tagungsbeiträge deutlich - als diskursives und flexibles Geflecht von Normen aufzufassen und nicht als ein starres System gesellschaftlicher Beziehungen.

Der von Sigrid Schieber (Gießen) vorgestellte Beitrag zu Wetzlar diskutierte den Einfluß der verschiedenen städtischen Interessengruppen auf die Policey und zeigte die sich verändernde Rolle dieser Akteure während des Ancien Regime. Vorgaben und Praxis der Normsetzung und -anwendung änderten sich weitgehend, als Wetzlar durch die Mediatisierung der Reichsstädte seinen bisherigen Status verlor und zu einer Munizipalstadt im neu gegründeten Dalbergschen Staat wurde. Damit endete die bürgerliche Selbstverwaltung, alle Behörden in der Stadt wurden zu untergeordneten Behörden des neuen Landesherren. Diese neue Regierung war deutlich aktiver in der Normproduktion, womit die Bürgerschaft, die zuvor gerade über die Zünfte Einfluss genommen hatte, an Einfluss verlor.

Der Beitrag von Philipp Hoffmann (Konstanz) widmete sich dem von der neueren Policeyforschung noch wenig beachteten Themenkomplex der Handwerkspolicey und beleuchtete damit ebenso das Machtverhältnis zwischen weltlicher Obrigkeit und Zünften. Dieses zeichnete sich auch im Zeitalter des Absolutismus weniger durch autoritäre Herrschaftsausübung von Seiten der Obrigkeit aus, sondern vielmehr durch Kooperation. Deutlich wurde bei diesem Beitrag, dass es verfehlt ist, die Zünfte pauschal als Verliererinnen der Staatsbildung anzusehen, denn sie verfügten über beachtliche Handlungsressourcen, die es ihnen ermöglichten, an der städtischen Ordnungspolitik und der sozialen Kontrolle des handwerklichen Lebens aktiv zu partizipieren. Um ihren Interessen und Rechten Geltung zu verschaffen, waren sie jedoch im Laufe der Frühen Neuzeit zunehmend auf die obrigkeitlichen-staatlichen Institutionen angewiesen. Somit zeigte Hoffmann wie schon Schieber, dass das Schaffen von Ordnung im Verlaufe der Frühen Neuzeit zunehmend obrigkeitlich dominiert war. Deutlich wurde jedoch auch in beiden Beiträgen, dass besonders zu Beginn der Frühen Neuzeit verschiedene Interessensgruppen über die Entwicklung von Normen mitbestimmten.

Diese Tendenz liess sich in dem von Lars Behrisch (Bielefeld) präsentierten Beispiel der Landesstadt Görlitz nicht finden, denn dort war die Stadtherrschaft von Anbeginn ebenso exklusiv wie repressiv. Ihre alleinige Legitimitätsgrundlage war der königliche Stadtherr und nicht der Konsens der Bürgerschaft, dies obwohl die ökonomisch erfolgreichen Zunfteliten wiederholt ihre Partizipation an politischen Entscheidungen einforderten. Behrisch betonte, dass in Görlitz, das auf dem Sachsenrecht beharrte, keine Phase der "Stadtfriedenjustiz" zu beobachten war, wie sie aus süd- und westdeutschen Städten bekannt ist. Zudem lässt sich hier zur Reproduktion von Ordnung keine in Bezug auf Delikt und Täter flexible, unter Umständen durch Aushandlungsprozesse modifizierte Sanktionierung von Vergehen beobachten, wie sie in der aktuellen Forschung betont wird, sondern vielmehr eine starre Anwendung des Sachsenrechtes. Ein Bemühen der Obrigkeit die soziale Ordnung aktiv zu gestalten und umzugestalten ist laut Behrisch in Görlitz nicht erkennbar. So lässt sich etwa auch keine dezidierte Kriminalisierung von Vaganten und Unterschichten feststellen.

Dass eben diese Kriminalisierung in anderen Städten ein wichtiges Moment zur Schaffung sozialer Ordnung war, zeigte der Beitrag von Astrid Küntzel (Freiburg) zur Überwachung der Fremden in Köln im 18. Jahrhundert. Obwohl der Rat die Regelung des Umgangs mit Fremden weitgehend monopolisierte, konnte sich eine Polizei nach Pariser Vorbild nicht etablieren. Denn die traditionellen Kräfte der Stadt, allen voran die Zünfte, hegten ein permanentes Misstrauen gegenüber dem Rat und so scheiterten die stark auf Konsens aller gesellschaftlicher Gruppen ausgerichteten Reformversuche der städtischen Ordnung wiederholt. Zudem konnte Küntzel zeigen, dass gerade die Fremden als Projektionsfläche der Auseinandersetzung zwischen dem Rat und den Zünften dienten.

Im Beitrag von Jakob Michelsen (Hamburg) stand mit den Sodomitern ebenfalls eine obrigkeitlich diskriminierte Gruppe im Vordergrund. Die im frühneuzeitlichen Hamburg als "widernatürlich" klassifizierte Sodomie galt als schwerer sexueller Normverstoss gegen die städtische Ordnung. Die von Michelsen untersuchten Fälle zeugen jedoch davon, dass die Sanktionen gegen das Vergehen durchaus heterogener waren, als es die offizielle Rechtslage mit der Todesstrafe durch Feuer und Schwert vorsah und im Wesentlichen vom Sozialkapitel des Beschuldigten abhingen. In der Ahndung des sexuellen Vergehens konnte Michelsen keine systematische Überwachungs- oder Ermittlungstätigkeit seitens der Obrigkeit feststellen. Zudem stellte er die These auf, dass auch die horizontale Kontrolle etwa durch Denunziation bei sodomitschen Handlungen kaum eine Rolle spielte. Stärker zu gewichten sei die informelle Sozialkontrolle etwa durch Gerede. Der Weg der Denunziation wurde, trotz der von der Obrigkeit festgesetzten Rüge- und Anzeigepflicht, vorwiegend dann in Anspruch genommen, wenn dies eigenen Interessen diente oder wenn die Konflikte nicht anders zu lösen waren.

Die Beiträge machten deutlich, dass in städtischen Gesellschaften der Frühen Neuzeit mehrere Akteure mit unterschiedlichen Interessen und Machtchancen an der Gestaltung, Aneignung und Wiederherstellung von sozialer Ordnung beteiligt waren. Auch wenn der kleine Rat vielerorts weitgehende Gesetzeskompetenz besaß, so nahm er diese meist in enger Konsultation mit verschiedenen Korporationen, wie etwa der Zünfte, und sozialen Gruppen wahr.

Der rege diskutierte Beitrag von Lars Behrisch zu Görlitz machte deutlich, dass eine anscheinend funktionierende Oligarchie bei den Tagungsteilnehmern Skepsis auslöste. Dagegen waren sich alle Teilnehmer hinsichtlich der Modelle der horizontalen Kontrolle und der Justiznutzung grundsätzlich einig. Die Mehrheit der Beiträge zeigte aber, dass es zu kurz greift, lediglich von horizontalen oder vertikalen Kontrollmodellen auszugehen. Vielmehr erfolgte das Bewahren und Schaffen von Ordnung durch Prozesse, die allein in einer mehrfachen Verknüpfung beider Modelle beschrieben werden können.

Die Beiträge dieses Arbeitstreffens werden als Policey-Working Papers unter http://www.univie.ac.at/policey-ak/ veröffentlicht. Das nächste Treffen des Arbeitskreises zum Themenfeld "Sicherheits- und Kriminalitätsdiskurs, seine populäre Wahrnehmung und mediale Verarbeitung" wird erstmals in Kooperation mit dem Arbeitskreis historische Kriminalitätsforschung am 9. bis 11. Juni 2005 durchgeführt.

http://www.univie.ac.at/policey-ak/