Medien – Krieg – Raum

Medien – Krieg – Raum

Organisatoren
Lars Nowak; DFG-Projekt „Die Wissensräume der ballistischen Photo- und Kinematographie, 1860-1960“
Ort
Erlangen
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.07.2014 - 13.07.2014
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Von
Dawid Kasprowicz, DFG-Kollegforschergruppe MECS, Leuphana Universität Lüneburg

Als der junge und frisch promovierte Kurt Lewin 1917 seinen Aufsatz „Kriegslandschaft“1 publizierte, war der deutsch-französische Stellungskrieg noch in vollem Gange. Lewins Analysen von den umkämpften Grenzlandschaften sind immer noch bizarre Zeitzeugnisse. Was seine „Kriegslandschaft“ als eine Art Phänomenologie des Schlachtfeldes vor Augen führt, ist die Irreversibilität des militarisierten Raumes, der jede Trennung zum natürlichen Raum als Konstrukt entlarvt. Kein Raum ohne ein Raumwissen, das sich mittels Medientechniken in diesen einschreibt und die zeitliche wie räumliche Wahrnehmung seiner Agenten transformiert. Aus „Kriegslandschaften“ sind inzwischen militärisch kontrollierte Raumsphären entstanden. Diese epistemologischen Bruchstellen sowie ihre historischen Konfigurationen befragten die Teilnehmer der Konferenz „Medien – Krieg – Raum“. Die vom DFG-Projekt „Die Wissensräume der ballistischen Photo- und Kinematographie, 1860-1960“ organisierte und von Lars Nowak geleitete Veranstaltung spannte einen weiten Bogen von Schlachten in der Antike bis zum Militär im Zeitalter von Big Data. Zwar gab es leider gleich fünf Absagen, dennoch stachen in den Beiträgen zwei Aspekte besonders hervor: So standen auf der einen Seite die Grenzen der Visualisierbarkeit bekriegter bzw. militärisch relevanter Räume im Zentrum, sowie die Wirkung jener Visualisierungen auf die Begriffsbildungen ihrer Konstrukteure. Zum andern waren es die epistemologischen Brüche, die wiederholt – allen voran aber seit Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem Einsatz computerbasierter Datenverarbeitung – einen neuen Entwurf militärischer Operationszwecke sowie deren Raumkonstruktionen herausforderten.

Der Frage, inwiefern solche Brüche bereits in der Antike zu lokalisieren sind, wollte FRANK HAASE (Basel) zu Beginn der Konferenz nachgehen. Leider konnte er dies nicht persönlich tun, dafür verlas Veranstalter Lars Nowak sein Skript mit dem Titel „So weit das bewaffnete Auge reicht – Über die medientheoretischen Grundlagen antiker Nachrichtentechnik“. Haase widmet sich darin der Frage, ob man bereits in der Antike von einer telekommunikativen Übertragungstechnik sprechen kann. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass es wohl ein aus menschlichen Relaisstationen geknüpftes Postsystem gab, in dem per Fackelsignalen kommuniziert wurde, was z.B. in Aischylos‘ Agamemnon auftaucht. Eine Entkoppelung von physischen Trägersystemen und ihren synchronen Sinneswahrnehmungen deutet sich aber erst mit Platon an, der die Schrift weniger dem Ereignis denn dem Denken (Logos) selbst unterstellt.

Medien werden damit zu Zeichen der Raumkoordination – vor allem einer horizontalen Koordination. Eindrücklich vor Augen geführt hat das FLORIAN SPRENGER (Lüneburg) in seinem Vortrag „Der Raum des standards“. Ausgehend von einer Schlacht im Jahre 1138 zwischen den englischen Thronfolgern Henry I. und dessen schottischen Neffen David I., erstellten die Engländer einen riesigen Fahnenmast auf einem Ochsenkarren, der als sichtbares Zentrum eine „symbolische Ordnung im Gewirr der Schlacht“ leisten sollte. Dieser seit dem „standard“ genannte Mast trägt unter anderem Glocken zum Einläuten von Manövern, Banner von Einheiten, religiöse Symbole etc. Im „standard“ versammle sich „Form, Inhalt und Medium“ und ermögliche so Operationsketten zwischen Raum, Gegner, Körper der eignen Kämpfer und dem „standard“ selbst zu etablieren, so Sprenger.

Um Mikro- und Makroverhältnisse mit unüberschaubaren Konsequenzen ging es zum Schluss des ersten Tages. NADINE TAHAs (Siegen) Beitrag „Die Wolkenfotografie im Cloud Seeding“ umfasste dabei eine Fallstudie über die „General Electric Company“ (GEC), einen amerikanischen Konzern der Rüstungsindustrie, und dessen Experimente von 1947-1952 zur Wettermanipulation. Das amerikanische Militär war zu dieser Zeit daran interessiert, durch kontrollierten Regen oder Schneefall Bodenmanöver und Flugmissionen gegnerischer Streitkräfte zu erschweren. Was sich im Laborzustand für die GEC als kontrollierbare Wolkenkonstellation in einer Tiefkühltruhe simulieren ließ, impliziere auf wolkigem Terrain „pathologische Schwierigkeiten“, so Taha. Denn die Injektion von Impfmaterialien in die Wolken konnte zwar fotografisch dokumentiert werden – mehr aber auch nicht. Statt einer Wettermanipulation entstand mit dem Industrieforscher ein „wissenschaftlicher Bricoleur“, der im unsicheren Operationsraum zwischen den Militärwünschen metrologischer Planbarkeit und den hieraus unbekannten Konsequenzen agieren musste.

Sowohl für den Bricoleur wie auch für die an Atomexplosionen forschenden Wissenschaftler in den USA von 1945-1962 war die Photographie Schlüssel zur Einsicht ins physiologisch Unzugängliche, auf der anderen Seite aber auch ein Index mit fragilem Evidenzwert. Das zeigte LARS NOWAK (Nürnberg/Erlangen) in seinem Beitrag über den „Atomkrieg im Reagenzglas“ und den heiklen Bildstatus von Geschossen und Atombombenexplosionen. Als „Ephemeres“ der Fotografie seien beide räumliche Phänomene, die Zeit „spatialisieren“ in einem „konsekutiven Verlauf“, so Nowak. Zugleich ist auch hier der Wissenschaftler als Bastler gefragt. Denn zum einen müsse das fotografische Setting so zubereitet werden, dass ein Verlauf des Geschosses „sichtbar“ wird. Zum andern sei das Bild Ausgangspunkt für die Konstruktion und Berechenbarkeit von Parametern wie zum Beispiel dem Durchmesser beim Feuerball der Atombombentests oder den Winkel der Druckwelle für die Geschwindigkeit der Kugel. Das Foto eröffnet hiermit einen Wissensraum, in den sogar die Hoffnung auf evidente Aussagen über das Verhalten von Atombomben projiziert wird.

Mit Grenzen der Visualisierbarkeit sind auch Kartographen vertraut. Im Panel „Militärperspektiven“ lieferten HANNAH WIEMER (Berlin) und OLIVER KANN (Erfurt) zwei Beispiele, in denen die Kartographie nicht nur Kriegsräume repräsentiert, sondern hierdurch auch Grenzen der Wahrnehmbarkeit aufzeigt. Hannah Wiemers Studie widmete sich dem englischen Künstler Solomon J. Solomon, der anhand von Luftaufnahmen von Landschaften Camouflage-Techniken für das Militär entwickelte. Dabei werde, so Wiemer, die fotografische Oberfläche bei Solomon stets ambivalent betrachtet – sie diene als indexikalischer Verweis auf ein Objekt, sei aber selbst Zeichen für eine mögliche Tarnung. Lesbarkeit und Täuschungspotential gingen hier ineinander über. Nicht weniger pseudowissenschaftliches Expertentum, dafür eine umso größere Kurzlebigkeit prägte die Karten während der Stellungskriege im Ersten Weltkrieg. So verwies Oliver Kann in seinem Vortrag auf den Umstand immer detailreicherer Karten, die aufgrund der zunehmenden Gefechte kaum Navigationshilfe boten. Jede Karte war binnen Tagen um unzählige Krater veraltet. Schlimmer war es aber, wenn die topografischen Karten den Gegnern in die Hände fielen. Denn in diesem Falle zeitigte die Karte quasi das Dasein ihrer eigenen Symbole.

Während noch für die Materialschlachten des Ersten Weltkrieges primär lineare und damit mechanische Denksysteme ausschlaggebend waren, entwickeln sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts andere Raumkonzepte, allen voran das Netz. Zugleich ist Letzteres abhängig vom Feind, den man bekämpfen will. Und so sei es, wie STEFAN KAUFMANN (Freiburg im Breisgau) in seinem Vortrag über die „Network Centric Warfare“ (NCW) darlegte, im postsowjetischen Zeitraum zu einer „information revolution“ gekommen, die vor allem zwei Probleme impliziere: Ungewissheit über kommende Gegner und Komplexität der Einsatzsituation. Die Lösung der NCW sei hierzu weniger ideologisch denn epistemologisch, so Kaufmann. Komplexitätslösungen gingen hier einher mit einer Vernetzung durch GPS-Steuerung von Luft-, Boden- und Seekräften, die gemeinsam ein „warfare ecosystem“ generierten, das flexibel auf diverse Einsatzsituationen reagieren kann. Aus dem Battlefield werde der „Battle Space“, so Kaufmann, deren Infanteristen weniger befehlstragende Soldaten denn Daten übermittelnde Sensoren aus Gebieten seien, die Drohnen (noch) nicht zugänglich sind.

In Zeiten präökologischer Kriegssysteme schien noch ein analoges rotes Telefon mit zwei Präsidenten am Ende der Leitung die Frage zwischen Krieg oder Frieden, Erstschlag oder Rückschlag entscheiden zu können. So machte TOBIAS NANZ (Dresden) plausibel, wie sich das rote Telefon als „Hot-Line“ des Kalten Krieges bis heute in der westlichen Bildkultur manifestiert hat, obgleich jenes bipolare Sender-Empfänger-Verhältnis schon damals eine allzu vereinfachte Form diplomatischer Krisenszenarien und Kommunikationsnetze widerspiegelte.

Wo hier Komplexität reduziert wurde, musste sie als Abwehrreaktion auf Hackerangriffe erst geschaffen werden. Hacker als „Phantome im Netz“ standen im Zentrum des Vortrags von STEFAN HÖLTGEN (Berlin). Seiner Ansicht nach umgebe den Hacker eine Paradoxie, denn seine einzige Waffe wie auch sein Angriffsobjekt sei die Technik. Höltgens Ansatz, die Hacker-Figur mit Carl Schmitts Partisanen zu vergleichen, stieß auf kritische Nachfragen. Die Frage bestehe, von welchem Boden man im Kontext des Hackers sprechen könne bzw. was vom tellurischen Charakter des Schmittschen Partisanenbegriffs in ein Netzwerkphänomen wie den Hacker tradierbar sei.

Schließlich unterliegen auch Netze jenen epistemologischen Brüchen, wie sie vor allem in der zweiten Hälfte der Konferenz präsentiert wurden. So verwies CHRISTOPH ENGEMANN (Lüneburg) am Sonntagvormittag auf die Bedeutung der Graphentheorie als zugrunde liegendes Wissen in den „Social Network Analysis“, die nicht mehr dazu dienten, Truppenmanöver zu visualisieren, sondern Bewegungsmuster von Einheimischen aufzuzeigen. Zurück ginge dieser Strategiewechsel von einer militärischen zu einer soziologischen Visualisierungstechnik auf das neue Operationsverständnis der US Army, nicht mehr als Eroberer zu erscheinen, sondern als „bewaffnete Sozialarbeiter“, so Engemann. Ziel solcher Operationen ist das Trennen von Einheimischen und Aufständischen, damit es nicht zu Legitimationskrisen der Einsatzkräfte komme. Hierdurch verändere sich auch das militärische Raumverständnis zu einem Raum sozialer Interaktionen, der durch die Sammlung von Ortungsdaten erschlossen werde.

Die Ortung als mediale Konstruktion einer Gebietshoheit schlug sich natürlich auch unter Wasser und in der Luft nieder. SEBASTIAN VEHLKENs (Lüneburg) Beitrag, den er leider nicht persönlich vortragen konnte, machte deutlich, dass U-Boote für das Militär eher als detektierbare Signale, denn als mechanische Blechboliden existieren. Mit der Unsichtbarkeit des Untergetauchten werde der tiefe und dunkle Ozean „operationalisiert“ oder – wie es Vehlken in Anschluss an Gilles Deleuze und Félix Guattari nennt – wieder durch mediale „Organisations-Kräfte“ geglättet. Was entsteht, ist ein Wechselspiel im Kalten Krieg zwischen Raumglättungen und neuen Einkerbungen.

Mindestens so technisch vermittelt wie der Meeresraum ist in militärischen Auseinandersetzungen auch der Luftraum. WOLFGANG HAGENs (Lüneburg) Vortrag mit dem Titel „,Sunday Soviets‘ and ‚Blackett’s Circus‘: Zur Entstehung des Operations Research aus dem Geiste des Radars“ beschäftigte sich mit dem Tizzard-Committee, das von 1935-1940 in Großbritannien diverse Wissenschaftler versammelte und dessen Einfluss auf die Radarentstehung entscheidend war. Der wichtige – und nach Hagen immer noch in der Forschung vernachlässigte – Punkt wäre, dass es den englischen, interdisziplinär veranlagten Forschern zuerst gelang, einen konstruierten elektromagnetischen Raum in den militärischen Operationsraum zu integrieren. Während man auf Seiten der Wehrmacht dem mechanischen Raum und der Himmelausleuchtung durch Flakscheinwerfer traute, sei es die riskante Entwicklung eines Radar-Systems, dessen elektromagnetischer Raum gerade erst aus seiner quantenmechanischen Wiege trat.

Militärische Räume sind, da sie stets durch Medien erschlossen werden müssen, nie frei von aktuellen Wissenschaften, die nachhaltig nicht nur auf die militärischen Operationen, sondern auf das Selbstverständnis des Militärs selbst wirken können. Es kann aber auch in Notfällen zu veralteten Mitteln gegriffen werden. So am Beispiel der Ballon- und Brieftaubenpost im belagerten Paris um 1870, von dem HANNAH BORISCH (Weimar) erzählte. Um die Post in die von den Preußen besetzte Stadt zu bringen, wurden binnen vier Monate 66 bemannte Ballonflüge mit 381 Tauben an Bord unternommen. Die Pointe hierbei sei nicht nur, dass das politische Herz Frankreichs eher aus Trajektorien denn aus einem Raum bestand, sondern dass die Agenten dieser Verkehrswege sich gegenseitig ergänzten. „Tauben sind umgekehrte Ballons“ und vice versa, fasste Borisch zusammen. Während Erstere nur einen Zielort von beliebigen Orten aus anfliegen können, wären Letztere außer Lage, einen fixen Zielpunkt anzusteuern. Somit liefere der Transport hier ein Transformationsmodell seiner Agenten – Ballon, Tier, Mensch und Post – gleich mit, so Borisch.

Abschließend lässt sich festhalten, dass während der Tagung überaus deutlich wurde, dass Ansätze über eine Kulturtechnik militärischer Operationen Einblick geben können in die Wechselwirkungen medientechnischer Episteme und neuen räumlichen Konfigurationen, die nicht selten nachhaltigen Eingang finden in den zivilisatorischen Alltag.

Konferenzübersicht:

Lars Nowak (Erlangen/Nürnberg), Begrüßung

Panel Übertragungstechniken

Frank Haase (Basel, verlesen von Lars Nowak), Soweit das bewaffnete Auge reicht – Über die medientheoretischen Grundlagen antiker Nachrichtentechnik

Florian Sprenger (Lüneburg), Der Raum des standard – Taktische Körper auf dem mittelalterlichen Schlachtfeld

Panel Laborräume

Nadine Taha (Siegen), Die Wolkenphotographie im cloud seeding – Zu Räumen militärisch-industrieller Unsicherheit

Lars Nowak (Erlangen/Nürnberg), Atomkrieg im Reagenzglas – Räumliche Größenordnungen in der ballistischen Photographie

Panel: Militärperspektiven
Hannah Wiemer (Berlin), Landschaft lesen – Camouflage und Luftphotographie des Ersten Weltkrieges bei Solomon J. Solomon

Oliver Kann (Erfurt), Der Stellungskrieg im Kartenbild – Deutsche Kartographie und die Westfront 1914-1918

Hannah Borisch (Weimar), Ballon- und Brieftaubenpost, Paris 1870-1871

Panel: Kommunikationsnetze
Stefan Kaufmann (Freiburg i. Br.), Network Centric Warfare – Eine neue Form entfesselter Gewalt?

Tobias Nanz (Dresden), Raumverteidigung – Die Hotline des Kalten Krieges

Stefan Höltgen (Berlin), Phantome im Netz – Militär und Hacker im Kalten Krieg der Protokolle

Panel: Wellenortungen

Wolfgang Hagen (Lüneburg), “Sunday’s Soviets und “Blackett’s Circus“ – Zur Entstehung des Operations Research aus dem Geiste des Radars

Sebastian Vehlken (Lüneburg/Wien verlesen durch Lars Nowak), Operationale Ozeane – Das Sound Surveillance System (SOSUS) und der Anti-Submarine Warfare im Kalten Krieg

Panel: Computereinsätze
Christoph Engemann (Lüneburg), Shaping the Graph – Krieg als Relationierungskunst

Anmerkung:
1 Kurt Lewin, Kriegslandschaft. In: Jörg Dünne / Stephan Günzel, Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M. 2007 [1917]. S. 129-140.


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