Demokratie und Partizipation – Spuren suchen, Geschichte vermitteln

Demokratie und Partizipation – Spuren suchen, Geschichte vermitteln

Organisatoren
Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., Berlin; Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Heidelberg
Ort
Heidelberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.06.2014 - 28.06.2014
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Von
Marian Spode-Lebenheim, Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., Berlin

Der Workshop ging der Frage nach, welche Inhalte zu einer Geschichte der Partizipation gehören können und welche Potenziale die Vermittlung von Demokratiegeschichte hat. Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. versteht Demokratie als ein komplexes System von Teilhabe und Selbstorganisation, das keine Selbstverständlichkeit ist und eine lange Geschichte hat. Um ein anschauliches Bild von der Geschichte politischer Teilhabe zu zeichnen, soll versucht werden, Demokratiegeschichte als Geschichte von Akteuren, von Handlungsspielräumen, von Zugängen und von Chancen zu verstehen.

Das erste Panel stand unter dem Titel „Demokratiegeschichte in der Weimarer Republik“. MICHAEL BRAUN und GUILHEM ZUMBAUM-TOMASI (beide Heidelberg) führten durch die Dauerausstellung „Vom Arbeiterführer zum Reichspräsidenten – Friedrich Ebert (1871-1925)“ der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte und berichteten über die Vermittlung von Demokratiegeschichte. Der Zugang zum Thema Demokratiegeschichte gelinge zum einen über den Lebenslauf Friedrich Eberts. Dafür stehen Eberts Engagement für die Belange der Arbeiter und sein Einsatz als Politiker, eine Demokratie aufzubauen. Das seien Anknüpfungspunkte, sich auch für heute mit Fragen von demokratischem Engagement und Teilhabe zu beschäftigen. Ein weiterer Zugang über Objekte, wie zum Beispiel der Beinprothese eines Arbeiters, erinnere an konkrete Errungenschaften wie Arbeitsschutz und soziale Leistungen. Dabei dürfe die Weimarer Republik mit ihren historischen Besonderheiten nicht ausgeblendet werden. Der Kampf der Frauen für Gleichberechtigung mache auch die Erzählung von Demokratiegeschichte als Frauengeschichte möglich und berichtet von vergangenen Lebenswelten. So könne es gelingen, auch Schülerinnen und Schülern anhand von Menschen wie Friedrich Ebert die Geschichte demokratischen Engagements, sozialer Errungenschaften und des Kampfes für Freiheit und Gleichberechtigung zu vermitteln.

BERND FAULENBACH (Bochum) rief in seinem Vortrag „Die Weimarer Republik. Ein wichtiges Kapitel der deutschen Demokratiegeschichte“ dazu auf, die Weimarer Republik als Kapitel der deutschen Demokratiegeschichte wieder und neu zu entdecken. Die dominierende Sicht auf Weimar sei die einer Vorgeschichte des Dritten Reiches und eines Scheiterns der Republik. Er plädierte daher für vier neue Sichtweisen. Zum Ersten müsse der Weimarer Republik als Epoche der Demokratiegeschichte ihr Eigenrecht eingeräumt werden. Zum Zweiten solle gewürdigt werden, dass hier die Demokratie in Deutschland erstmals Realität wurde. Zum Dritten könne danach gefragt werden, welche Fortschritte Demokratie in dieser Zeit ermöglicht hat. Zum Vierten sei zu erörtern, in welcher Hinsicht die Demokratie bis heute nachwirkt. Denn innerhalb der Weimarer Republik seien neben Fehlern und Unzulänglichkeiten auch eine Reihe konkreter demokratischer Werte und Freiheiten entstanden. Zunächst stellte Faulenbach die Leistungen der Demokratie heraus. Darunter fielen für ihn die Durchsetzung der sozialen Demokratie, die Schaffung der Weimarer Reichsverfassung, der Ausbau der Sozialstaatlichkeit, die Demokratie auf Ebene der Länder und der Kommunen sowie die Außenpolitik. Besonders interessant war dabei sein Ansatz der regionalisierenden und kommunalisierenden Betrachtung, um Vergleiche über die Entwicklungen in den Bereichen der Länderparlamente, des Städtebaus, des Wohnungsbaus und der Schulpolitik anstellen zu können. Neben diesen Errungenschaften seien aber auch die Ambivalenzen, Schattenseiten, Fehlentwicklungen und Fehlkonstruktionen der Weimarer Republik in den Blick zu nehmen. Aus diesen könne gelernt werden, und es sei auch bei der Erarbeitung des Grundgesetzes der Bundesrepublik daraus gelernt worden. Mithilfe des entdeckenden biografischen Lernens könne die Einsicht gelingen, dass Menschen Handlungsspielräume hatten und die Demokratie konkret mitgestalteten. Neben bekannten Politikern wie Friedrich Ebert, Gustav Scheidemann, Otto Braun, Walther Rathenau, Mathias Erzberger und Joseph Wirt nannte Faulenbach dazu auch in Vergessenheit geratene Akteure wie Marie Juchacz, Jeanette Wolf, Fritz Naphtali, Rudolf Breitscheid und Rudolf Hilferding. Diese machten deutlich, wie sich Menschen unter großem persönlichem Einsatz für die Demokratie engagiert haben. Die Demokratiegeschichte gehöre mehr in das öffentliche Bewusstsein und damit in die deutsche Erinnerungskultur. Dies könne mit Projekten vor Ort, an Straßen, Plätzen und Gebäuden, die den Namen solcher Menschen tragen, erreicht werden.

Das erste Panel am zweiten Tag trug den Titel „Demokratiegeschichte außerhalb der Parlamente nach 1945“. Der Fokus lag dabei auf neuen sozialen Bewegungen, wie sich diese formierten, neue Inhalte in Diskussionen einbrachten und so demokratische Tradition und Kultur veränderten und prägten. Schwerpunkt war dabei die Demokratiegeschichte außerhalb der Parlamente nach 1945. Der Fokus lag dabei zum einen auf den Gewerkschaften, zum anderen auf Protestbewegungen seit den 1970er-Jahren. Die übergeordneten Fragen lauteten, was für einen Stellenwert innerhalb der Demokratiegeschichte die Bewegungen außerhalb der Parlamente hatten und welche Impulse für Bildung und Vermittlung sich daraus ergeben.

MICHAEL KOLTAN (Freiburg) stellte das Archiv Soziale Bewegungen in Freiburg vor. Das Archiv sammelt seit 1983 Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren, Flugblätter, Fotos, Plakate, Transparente, Protokolle und andere Verlautbarungen und Überreste der neuen sozialen Bewegungen. Im Archiv stehen den Nutzerinnen und Nutzern die Bestände, unter anderem mehr als 100.000 Flugblätter, 1.000 Zeitschriftentitel und Broschüren, Tausende von Plakaten und Fotos, aus der Geschichte sozialer Bewegungen seit 1945 zur Verfügung. Auch die Bestände des Freiburger Feministischen Archivs und das gesamte Tonmaterial von Radio Vert Fessenheim sind hier zu finden. Die Bestände stammen vor allem aus dem Raum Baden, aber auch darüber hinaus. Eine der Hauptzielgruppen des Archivs seien neben wissenschaftlichen Nutzerinnen und Nutzern auch Schülerinnen und Schüler. Um diese zu aktivieren, nimmt das Archiv an regionalen Wettbewerben teil. Eine besondere Form der Darstellung sind Kneipenausstellungen, die mit großer Resonanz angenommen werden. Koltan fomulierte in seinen Thesen unter anderem, dass die neuen sozialen Bewegungen außerparlamentarische Interessengruppen waren, die teils soziale Grenzen überwanden und gezielt undemokratische Regelverletzungen begingen, um ihre Ziele zu erreichen. Darin liegt auch das Spannungsfeld für eine historische Bewertung dieser Bewegungen. Können nur Bewegungen, die ihre Ziele friedlich und erfolgreich vertreten haben, zur Demokratiegeschichte gezählt werden? Wie „undemokratisch“ darf eine soziale Bewegung in ihrer Entstehung und Arbeit sein, damit sie noch der Demokratiegeschichte zugerechnet werden kann? Was sind „akzeptierte“ Regelverletzungen in einer demokratischen Gesellschaft? Diese Fragen sollten zu weiteren Diskussionen und wissenschaftlichen Fragestellungen führen.

URSULA BITZEGEIO (Bonn) berichtete vom Projekt „Individuelle Erinnerung und gewerkschaftliche Identität“ des Archivs der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. Mittels lebensgeschichtlicher Interviews mit Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern der Geburtsjahrgänge 1920 bis 1940/45 wurde dort eine Sammlung erstellt, die als zentrale Quelle der Erinnerungsgeschichte der Gewerkschaften gesichert und der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit sowie der Forschung zugänglich gemacht wird. Für die Veröffentlichung der Quellensammlung ist eine Internetplattform geplant, die mithilfe von Open Source die Inhalte für ein breites Publikum zugänglich machen soll. Im Plenum kam die Frage auf, was bei den gewerkschaftlichen Zeitzeugen in der Rückschau die Motivation für ihr gewerkschaftliches Engagement gewesen sei. Als Antwort darauf nannte Bitzegeio ein solidarisches Wir-Gefühl und dass der Einzelne hinter die Organisation zurücktrete. Die große Rolle der Solidarität und das positive Menschenbild im Sinne von Nächstenliebe und Gemeinsinn machte das Plenum als die entscheidenden Werte aus, die innerhalb der Demokratiegeschichte und ihrer Vermittlung zentral stehen sollten. Es gelte, für die Vermittlung die Vorbildfunktion von Gewerkschaften, die Motivation trotz Mehrarbeit, den Zusammenhalt in Gemeinschaft und damit das Eintreten für Demokratie darzustellen. So repräsentierten die Gewerkschaften in ihrer programmatischen Grundeinstellung ein positives Menschenbild. Weiter sei herauszuarbeiten, dass sie eine Überwindung der gesellschaftlichen Vereinzelung leisteten und für politische Teilhabe und den Wert des Streitens als Positivum zu benennen seien. Als dritten Punkt nannte das Plenum die Verwurzelung in der Geschichte, wie den Aufbau der BRD mithilfe von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern.

Das zweite Panel des zweiten Tages stand unter der Überschrift „Demokratiegeschichte darstellen“. RAINER OHLIGER (Berlin) führte einen Workshop mit dem Titel „Demokratiegeschichte lokal: Protest, Politik und Partizipation dokumentieren und darstellen“ durch. In einer Gruppenarbeit sollte der Frage nachgegangen werden, welche Möglichkeiten und Projektformate es gibt, um lokale Demokratie- und Partizipationsgeschichte darzustellen, und auf was dabei zu achten ist. Dazu stellte Ohliger zwei konkrete Beispiele lokaler Demokratiegeschichte vor, die Anti-Atomkraftbewegung in Wyhl (1970er-Jahre) und die Migrationsgeschichte am Beispiel der multikulturellen Stadt Köln. Um Demokratiegeschichte inhaltlich abzugrenzen, führte er eine Begriffssammlung mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern durch. Dabei wurde deutlich, dass die Bandbreite der Assoziationen von der attischen Demokratie über die frühe Neuzeit bis zur unmittelbaren Gegenwart reicht. Um eine Begriffsdefinition zu leisten, schlug Ohliger zwei Ansätze vor, Demokratiegeschichte im engeren oder im weiteren Sinn. Demokratiegeschichte im engeren Sinn definierte er als die Geschichte der Institutionalisierung demokratischer Herrschaft. Dazu gehörten die Parlamentarisierung, der Konstitutionalismus, der Rechtsstaat, demokratische und bürgerliche Revolutionen und die Herrschaftspraxis. Als Demokratiegeschichte im weiteren Sinn bezeichnete er die Partizipation der Zivilgesellschaft an Herrschaftsausübung und –praxis. Dazu zählte er soziale Proteste, soziale und politische Bewegungen jenseits parlamentarischer und parteipolitischer Formen, Beteiligungsverfahren, öffentliche Diskurse, mediale Repräsentationen und widerständisches Potential beziehungsweise Konflikte. Im Plenum kam dazu die Frage auf, wer außerparlamentarischen Protest wie legitimiert und unter welchen Bedingungen bestimmte Ziele als legitim angesehen werden. Entscheidend sei dabei auch, ob Protest oder Widerstand erfolgreich war. Anschließend leistete Ohliger zwei kurze inhaltliche Inputs, zur Protestgeschichte in Wyhl, zur Migrationsgeschichte in Köln und führte dazu jeweils Diskurse, Diskursverschiebungen, Phasen und Formen der Geschichte auf. Mithilfe eines Fragenkatalogs erarbeiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in zwei Arbeitsgruppen Konzepte für eine Landesausstellung und für eine Publikation. Übergeordnete Frage war, wo das Demokratiepotential dieser Geschichte liegt. Abschließend präsentierten die Gruppen ihre Ergebnisse im Plenum und stellten diese zur Diskussion.

Konferenzübersicht:

Moderation: Michael Parak, Walther Mühlhausen, Ruth Wunnicke, Dennis Riffel

Michael Braun/Guilhem Zumbaum-Tomasi (Heidelberg), „Vom Arbeiterführer zum Reichspräsidenten – Friedrich Ebert (1871-1925)“. Zur Arbeit mit Demokratiegeschichte im Friedrich-Ebert-Haus

Bernd Faulenbach (Bochum), Die Weimarer Republik. Ein wichtiges Kapitel der deutschen Demokratiegeschichte

Michael Koltan (Freiburg), Archiv Soziale Bewegungen, Freiburg

Ursula Bitzegeio (Bonn), „Individuelle Erinnerung und gewerkschaftliche Identität“. Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung

Rainer Ohliger (Berlin), Demokratiegeschichte lokal: Protest, Politik und Partizipation dokumentieren und darstellen


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