"Wissen - Bildung - Gelehrsamkeit: Gelehrte Frauen in der Frühen Neuzeit", (Berlin, 23./24.06.2001)

"Wissen - Bildung - Gelehrsamkeit: Gelehrte Frauen in der Frühen Neuzeit", (Berlin, 23./24.06.2001)

Organisatoren
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.06.2001 - 24.06.2001
Url der Konferenzwebsite
Von
Yvonne Aßmann, Berlin; Maciek Ptaszynski, Warschau

Am 23. und 24. Juni 2001 trafen sich in interdisziplinärer Runde etwa 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, um sich mit der Thematik "Wissen - Bildung - Gelehrsamkeit" von Frauen in der Frühen Neuzeit auseinanderzusetzen. Die Veranstalterinnen Gabriele Jancke und Michaela Hohkamp vom hiesigen Institut hatten zu diesem Workshop eingeladen.
Mit der Begrüßung aller Anwesenden eröffnete Gabriele Jancke die Tagung. In ihrer Einleitungsrede wies sie zuerst darauf hin, dass die Thematik des Workshops lediglich ein Ausschnitt sei, sowohl aus dem Forschungsbereich der "Frauen- und Geschlechtergeschichte" als auch der "Bildungsgeschichte". Weiter hielt sie fest, dass "einflussreiche, einzelne, besondere" Frauen den Ausgangs- bzw. Mittelpunkt des Gesamtkonzeptes bildeten. Gemeinsam sollten nun Antworten darauf gefunden werden, ob es für Frauen in der Frühen Neuzeit - analog zu den Männer - die soziale Rolle der Gelehrten oder Gelehrtinnen gab, und welche Relevanz dieser Status für die Frauen hatte. Entsprechend forderte sie, den sozial- und mikrohistorischen Perspektiven im Tagungsrahmen (sowie darüber hinaus) erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. Abschließend plädierte die Wissenschaftlerin, den Blick auf die Statuspositionen und Geschlechterrollen gerichtet, für eine Differenzierung von Bildungsmaßstäben.

Das Programm der zweitägigen Veranstaltung setzte sich aus insgesamt elf Vorträgen zu vier Themenbereichen zusammen. Die erste Sektion "Geschlecht und Gelehrsamkeit" beinhaltete die Vorträge von Monika Mommertz und Karin Schmidt-Kohberg. Beide führten in den wissenschaftlichen Diskurs über die weibliche Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit ein und schufen gleichzeitig eine allgemeine und theoretische Basis für den Einstieg in die Thematik. Zum Bereich "Zugänge und Beziehungen" referierten Anette Fulda und Wolfgang Maaz. Sie beschäftigten sich mit sozialen Netzwerken als potentiellen Ressourcen für die gelehrte Bildung von Frauen. Im Zentrum standen hier die Wege des Bildungserwerbes. In der dritten Sektion "Lebensformen und Wissenstypen" präsentierten Jutta Schwarzkopf, Gisela Mettele, Gertrud Langer-Ostrawsky und Renate Jacobi verschiedene Lebens- und Wissensmodelle in ihrer jeweiligen Interdependenz. Schließlich, im vierten und letzten Themenbereich "Gelehrsamkeit und Schriftstellerei", stellten Cornelia Niekus Moore, Katherine Goodman und Magdalene Heuser die schriftstellerische Tätigkeit als eine der möglichen Ausdrucksformen weiblicher Gelehrsamkeit vor.

Den ersten Vortrag "Gelehrte Frauen - Geschlecht als Kategorie der Wissenschaftsgeschichte" hielt Monika Mommertz (HU Berlin). Nachdem sie die Forschungslage skizziert und Forschungsstrategien entworfen hatte, warf die Referentin die Frage auf, inwieweit "die gelehrte Frau" ein von Historikern konstruiertes Bild sei. Folgend vertrat sie die Position, dass gelehrte Frauen nicht lediglich den "cultural context of science" bilden sollten, wie in der englischsprachigen Forschung, sondern als ein wesentlicher Bestandteil der Wissenschaftsgeschichte angesehen werden müssten. Zur Veranschaulichung und Bekräftigung ihres Standpunktes hatte Mommertz die Astronomenfamilie Winckelmann-Kirch ausgewählt, mittels derer die immense Bedeutung des Haushaltes als Ort von Wissenschaftspraxis aufgezeigt wurde.

Karin Schmidt-Kohberg (München) stellte einen Ausschnitt aus ihrer Forschungsarbeit über die Repräsentationen gelehrter Frauen in den "Frauenzimmer-Lexika" des 17. und 18. Jahrhunderts vor. Ihre Konzentration galt den sozialen Milieus, fachlichen Betätigungsfeldern und den erbrachten Leistungen der Frauen. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf den impliziten und expliziten Rollenzuweisungen seitens der Lexika- Autoren. Am Ende des Vortrags merkte Schmidt-Kohberg an, dass die geringe Präsenz von naturwissenschaftlich wirkenden Frauen in den Nachschlagewerken auf die Präferenzen der Verfasser zurückzuführen sei.

Den zweiten Teil des Workshops eröffnete Anette Fulda (Göttingen) mit einem Vortrag über Dorothea Christiana Erxleben (1715-1762). Fulda äußerte sich ausführlich zu den gesellschaftlichen Reaktionen auf ihre Promotion und Berufsausübung. Ein besonderer Befund ihrer Untersuchungen war der gute und zeitnahe Informationsstand D. Christiana Erxlebens über andere wissenschaftlich tätige Frauen. Denn durch die Rekonstruktion der Netzwerke zwischen diesen Frauen kann eine Vielzahl weiterer, auch uns bisher verborgen gebliebener Gelehrtinnen sichtbar gemacht werden.

Den zweiten Vortrag zu diesem Teil der Konferenz hielt Wolfgang Maaz von der FU Berlin. In "Olympia Morata: Von der puella docta zur virgo Dei" beschäftigte er sich mit dem "Wunderkind" Olympia Fulvia Morata (1526- 1555). Als wesentlich für die Entwicklung zur "Ausnahmeerscheinung ihrer Epoche und in der gelehrten Frauenliteratur ab dem 17. Jahrhundert" erachtete Maaz auf der einen Seite das enorme persönliche Entwicklungspotential Moratas ("gelehrte Kindfrau - mutige Protestantin - zupackende, realistische Ehefrau - verantwortungsbewusste Erzieherin"), auf der anderen Seite die Mentorentätigkeit ihres Vaters, dessen Freundes und ihres Ehemannes, des Arztes und Humanisten Grundler. Nicht zuletzt war sie, resümierte Wolfgang Maaz, eine Frau, die von ihren humanistischen Briefpartnern als gleichberechtigt anerkannt und geschätzt wurde.

In der dritten Sektion referierte Jutta Schwarzkopf (Hannover) über "Die weise Herrscherin - Bildung und Legitimation weiblicher Herrschaft am Beispiel Elisabeths I. von England" (1558-1603). In der zeitgenössischen Kritik zu Elisabeths Regentschaft sah Schwarzkopf deren Rückgriff auf die Medien üblicher Herrschaftslegitimation, nämlich ihre Reden vor dem Parlament, begründet. Für ihre "konstruierte Selbstinszenierung" als absolutistischer Herrscher konnte sich Elisabeth - gemäß Schwarzkopf - männlich konnotierte Tugenden (z. B. sapientia) und als weiblich verstandene Eigenschaften und Rollen (etwa die als Mutter) nutzbar machen. Als hilfreiche Prämissen führte sie außerdem die angediehene Prinzenerziehung, persönliche Erfahrungen und letztlich die Ratgeber der Herrscherin an.

Schwarzkopf, die in der nachfolgenden Debatte mit der Frage konfrontiert wurde, warum Elisabeth nie verheiratet war, verwies auf die ohnehin schon schwierige Aufrechterhaltung des Herrschaftsanspruches. Als Ehefrau hätte sie vor einem noch größeren Unterfangen gestanden. In der Kontroverse wurde übereingekommen, dass die Entscheidung gegen eine Heirat auch einen außenpolitischen Hintergrund hatte. Danach wurde angeführt, dass "absolutistische Herrschaft" nicht zwangsweise als männlich zu verstehen sei, ebensowenig wie "sapientia" als ausschließlich männliche Tugend gelten könne. Dem Begriff "sapientia" stellte ein anderer Teilnehmer den der "scientia" gegenüber und deutete auf den semantischen Unterschied hin. Schließlich stieß das in die Diskussionsrunde eingebrachte, historiographische Konzept "Die zwei Körper des Königs" von Ernst Kantorowicz auf breite Ablehnung, denn es ist in der Rezeption nur bedingt wirksam geworden.

Gisela Metteles (Chemnitz) Beitrag trug den Titel "Theologische Gelehrsamkeit versus innere Erfahrung. Narrative Theologie in der Herrnhuter Brüdergemeinde" (gegr. 1727). Ihre Resultate stützten sich auf die pietistische Sammelbiographie. Zu Zwecken der Darstellung konzentrierte sie sich auf die Vita von Anna Gold. Mettele hielt fest, dass die Gemeinden den Frauen zwar die Möglichkeit zur intellektuellen Entwicklung boten, parallel jedoch Gelehrsamkeit und Bildung aus Gründen der Frömmigkeit ablehnten - auch für Männer. In ihrem Vortrag hob sie hervor, dass den Viten der Frauen, die in den Gemeindenachrichten abgedruckt wurden, bei der Suche nach authenti schen weiblichen Stimmen mit Skepsis begegnet werden sollte. Ihre Haltung begründete sie mit dem Verweis auf die Redigiertätigkeit und die postumen Hinzufügungen durch die männlichen Herausgeber, andere Chormitglieder und Verwandte. Der Leitgedanke ihres Referates, dass "innere Erfahrung" nicht unbedingt im Widerspruch zur "Gelehrsamkeit" stehen müsse, war stets gegenwärtig. Dem entsprechend entwarf sie die Kategorien "Gelehrsamkeit des Wissens" und "Gelehrsamkeit der Erfahrung".

Im Anschluss daran sprach Gertrud Langer-Ostrawsky (St. Pölten) über die Bildung, den Beruf und das Leben der Absolventinnen des "Civil-Mädchen-Pensionates" (1786-1848). Das Pensionat bot Frauen einerseits Ausbildungsmögl ichkeiten und andererseits Berufsperspektiven, z. B. später an staatlichen Schulen zu lehren und Beamtenstellen zu übernehmen. Die Brisanz dieser Ergebnisse gründet auf der eigentlichen, staatsrechtlichen Unmöglichkeit.

Renate Jacobi (FU Berlin) widmete sich mit dem letzten Vortrag aus dem Themenbereich "Lebensformen und Wissenstypen" den gelehrten Frauen im islamischen Spätmittelalter. Anhand zweier biographischer Lexika aus dem 14. und 15. Jahrhundert rekonstruierte sie individuelle Lebensbedingungen und wissenschaftliche Karrieren. Im Gegensatz zum bisher dargestellten Bild genossen die während der islamischen Mamlukenzeit (1250-1517) öffentlich lehrtätigen Frauen eine breite sowie hohe soziale Anerkennung. Allerdings wurden ihnen zumeist keine festen Positionen im Lehrdienst zugestanden. Deshalb unterrichteten sie häufig, ebenso wie viele gelehrte Männer, ohne jegliche Vergütung.

In Cornelia Niekus Moores (Wolfenbüttel/Honolulu) Vortrag, eingegliedert in den Komplex "Gelehrsamkeit und Schriftstellerei", standen zwei Aspekte im Vordergrund: die zeitgenössische Bewertung der Autorinnen von Gelehrten poesie und deren Reaktionen darauf. Moore hatte Frauen aus dem 17./18. Jahrhundert ausgewählt, deren vielfältige Reaktionen sie veranschaulichend einer fünfstufigen Typologie zuordnete: 1. Das kann ich nicht, 2. Das will ich nicht, 3. Ich muss: die religiöse Aussage, 4. Ich muss: der Zwang der Gelegenheit, 5. Das kann ich auch.

Katherine R. Goodman (Providence, Rhode Island) wandte sich unter dem Titel "Gelehrsamkeit als Handwerk" der Aufgabe zu, "Ehe" und "Zunft" in einem Vergleich gegenüberzustellen. Als Basis dienten ihr explizite Äußerungen des Ehepaars Johann Christoph und Luise Gottsched.

Am Ende des Workshops stellte Magdalene Heuser (Berlin/Osnabrück) die Schriftstellerin und Übersetzerin Terese Huber vor. Ihrem Referat lagen zwei wesentliche Fragestellungen zugrunde: 1. Wie gestaltete sich der Bildungse rwerb bei Frauen und 2. welche Verbindung gab es zwischen Wissenschaft und Alltagspraxis?

Nach jedem Beitrag blieb Zeit für Fragen. Die Diskussionen konzentrierten sich vornehmlich auf drei Gebiete: 1. die Selbstwahrnehmung der Frauen bezüglich ihrer Gelehrsamkeit, 2. die Bedeutung der sozialen Netzwerke (z. B . Verwandtschaft/Patronage) und der Haushalte sowie 3. die zeitgenössischen Reaktionen auf diese Frauen. Generell erwies es sich als sehr informativ, den konkreten Entstehungskontext der einzelnen Quellen genauer zu erört ern.

Die Abschlussdiskussion zur Konferenz leitete Michaela Hohkamp. Sie resümierte, dass zahlreiche Vorträge aufgezeigt hätten: Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit war nicht auf den exklusiven Kontext der Institutionen beschränkt. Als ebenso positiv kennzeichnete sie den kontinuierlichen Blick auf die Teilnahme der Frauen an der Öffentlichkeit.

Als besonders aufschlussreich haben sich die Fragen nach den Netzwerken, in welche die Frauen eingebunden waren, herausgestellt. Ihre Analyse förderte nicht nur soziale Beziehungen zutage, sondern auch berufsmäßige Verbindungen zwischen den gelehrten Frauen. Namentlich wurde dies am Beispiel D. Christiana Erxlebens deutlich. Einen großen Raum innerhalb des Workshops nahm zudem das Problem des Haushalts ein. Als einer der Orte begriffen, an dem Wissenschaft praktiziert wurde, eröffneten sich - von diesem Verständnis ausgehend - Fragen in bezug auf "Privatheit" und "Öffentlichkeit".

Grundsätzlich kann der Workshop als gelungen und interessant eingeschätzt werden. Die anspruchsvolle Aufgabe, "Gelehrsamkeit" auch außerhalb des institutionellen Rahmens und der Öffentlichkeit aufzuzeigen und damit auch die Integrierbarkeit von Frauen in diese Kategorien nachzuweisen, wurde bewältigt. Wünschenswert wäre jedoch gewesen, wenn die Zentralbegriffe der Tagung, "Wissen - Bildung - Gelehrsamkeit", in den Vorträgen ausführlicher und eigens zur Debatte gestanden hätten. Denn daran hätte sich die prinzipielle Frage anknüpfen lassen, ob und inwieweit es sich um nützliche Forschungskategorien handelt.

Die Fortsetzung und Vertiefung der hier begonnenen, interdisziplinären Forschungsbemühungen zu den sozialen Rollen von Frauen ist letztlich ein erstrebenswertes Vorhaben für die Zukunft. Zahlreiche spannende Themenbereiche warten noch auf ihre Erforschung und Präsentation - etwa die Klöster und die Salons, die italienischen Professorinnen und die jüdischen gelehrten Frauen. Darüber hinaus birgt auch die Ausdehnung des geographischen Untersuchungsrahmens, z. B. auf Nord- und Osteuropa, neue wissenschaftliche Herausforderungen.

Die Veranstalterinnen der Konferenz haben vor, ihre Ergebnisse zu veröffentlichen. Es kann also eine interessante und anregende Lektüre erwartet werden.


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