Raumkleider – dressed for architecture

Raumkleider – dressed for architecture

Organisatoren
Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich; Kunsthistorisches Institut der Universität Bern
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
13.06.2014 - 14.06.2014
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Von
Rahel Hartmann Schweizer, Köniz b. Bern

In dem Moment, da sich der Architektenberuf in verschiedene Disziplinen aufzuteilen begann – sich die Ingenieurwissenschaft von ihm emanzipierte und Design sowie Kunsthandwerk ein eigenes Selbstverständnis prägten –, bildete sich ein inszeniertes Zusammenspiel zwischen Architektur, Design, Kunst und Mode heraus. Dass sich dieses ausgesprochen im 20. Jahrhundert manifestierte und ebenso von technischen und kulturellen Aufbrüchen geprägt war wie von historischen Entwicklungen und politischen Umwälzungen, thematisierte die vom Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und dem Kunsthistorischen Institut der Universität Bern durchgeführte Tagung.

„Meine Kleider sind keine Mode. Sie sind Wohnraum für Menschen, schenken Wohlbefinden, Geborgenheit und Schutz.” Augenfällig demonstrierte die ‚Mode‘-Schöpferin CHRISTA DE CAROUGE (Zürich) bei der Tagung „Raumkleider – dressed for architecture” Mitte Juni im für die Tagung umfunktionierten Ausstellungssaal ARchENA der ETH Zürich in einer Performance, wie sehr ihr Diktum auf ihre Kreationen zutrifft. Schicht um Schicht streifte sie mehrere, notabene schwarze, Roben hintereinander ab: Von der ersten zeltartigen, über eine zweite, transformierbare bis zur dritten, die sich ballonartig blähte, als sich die Frau wirbelnd im Kreis drehte.

Die Nähe von Körper, Kleid und Raum, die Aufeinanderbezogenheit der Hüllen, die uns umgeben, führte Christa de Carouge so berückend vor, dass ihre Darbietung wie eine zusammenfassende Manifestation dessen war, was Niklas Naehrig, Rolf Füllmann, Ita Heinze-Greenberg, Burcu Dogramaci, Bettina Köhler, Isabelle Raboud-Schüle, Manfred Speidel, Ivan Boccio, Kathleen James-Chakraborty, Karl R. Kegler, Marie Theres Stauffer, Sandra Bornemann, Anna Minta und Julia Bertschik während der zwei Tage des 13. und 14. Juni 2014 an der ETH vortrugen.

Es war ein breiter Fächer, den die Referentinnen und Referenten öffneten: von der „Erfindung der Schweizer Trachten“ (ISABELLE RABOUD-SCHÜLE, Bulle), über die Wahlverwandtschaften zwischen „Bauhaus und Bubikopf“ (ITA HEINZE-GREENBERG, Zürich) und die „Architektenuniform“ als Ausdruck von „Ansehen-Würde-Einfachheit“ (NIKLAS NAEHRIG, Zürich) bis zum DDR-sozialistischen Mikrokosmos, den „Unser Sandmännchen“ ab 1959 in die ostdeutschen Wohnzimmer flimmern liess und dem makroskopisch orientierten Paar „Hausanzug und Raumkapsel“ (KARL R. KEGLER, Zürich), der um 1970 den Alltag der westlichen Welt prägte.

So breit die Palette der Themen angelegt war, so tiefgreifend erwiesen sich deren innere Zusammenhänge. Sowohl in den Referaten als auch in der überdurchschnittlich intensiven Diskussion offenbarten sich die Wechselbeziehungen zwischen Kleidung, Architektur und Lebensführung aus historischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive. Dabei wurde die Mode als nicht bloss vorübergehende Zeiterscheinung entdeckt, sondern als identitätsstiftendes, in umfassende Lebensentwürfe eingefügtes Element, als sichtbares Zeichen politischer Umbrüche oder historischer Umwälzungen – und mithin als in besonderer Weise epochemachend.

Zum guten Ton eines Architekten gehört heutzutage, nicht nur Bauten, Möbelstücke und Leuchten zu entwerfen, sondern auch ein eigenes Parfum im Portefeuille zu haben. Doch Schwarz tragen bei weitem nicht mehr alle.1 Die Emergenz des Architekten werde in dem Augenblick sichtbar, in dem er sich durch seine Kleidung von anderen am Bau beteiligten Personen abgrenze, postulierte NAEHRIG und illustrierte anschaulich, wie der berühmteste Schweizer Architekt Le Corbusier das sich in der Kleidung formulierende Selbstverständnis des Baukünstlers auf die Spitze trieb.

Weit über die Kennzeichnung eines Berufsstands hinaus gingen der „Hausanzug und die Raumkapsel“. Wiewohl sie anmuteten, als entsprängen sie einem Science-Fiction-Spielfilm, waren sie mit dramatischen, sehr realen globalen Ereignissen verknüpft: Die Mondlandung und mithin der Kalte Krieg. Exemplarisch illustrierte KEGLER Entwürfe von nach aussen abgeschotteten Kabinen, wie sie das Architektenpaar Alison und Peter Smithson mit dem „House of the Future“ 1956 bei der Daily Mail Ideal Home Show in London präsentierten.2 Dieses verband nicht nur die damals innovativsten, für die Flugzeugindustrie entwickelten Materialien mit futuristischer, das Jahr 1980 anvisierender Kleidung der posierenden Mannequins. Es war auch Ausdruck der Furcht vor der atomaren Bedrohung und ergo ein politisches Statement.

Die politische Dimension sozialistischer Weltentwürfe lotete ANNA MINTA (Bern) aus, die die Gestaltung der Kurzgeschichten, die „Unser Sandmännchen“ in ostdeutsche Stuben transportierte, auf ihren Gehalt an ideologischer Doktrin anhand von Kleidung und Interieur analysierte. Unter dem Titel „Monumentalität der Form“ untersuchte JULIA BERTSCHIK (Berlin), wie abseits der gleichgeschalteten Uniformierung im nationalsozialistischen Deutschland und im faschistischen Italien durch die Kombination aus „monumentaler Sachlichkeit und technoider Eleganz“, „modisches Kleidwerk zur Einheit mit dem Bauwerk“ gestaltet werden sollte. Daraus griff IVAN BOCCIO (Zürich) mit Gio Ponti eine der markanten Figuren der italienischen Architektur des 20. Jahrhunderts heraus. Er illustrierte anhand des Hotels „Albergo Sportivo Valmartello“ von 1936, wie Ponti sich einerseits dem Kollektiv einschrieb, indem er im Gemeinschaftsraum mit den Farben der italienischen Nationalflagge operierte, andererseits durch auf die Haarfarbe der weiblichen Gäste abgestimmte Zimmerausstattungen das Individuum hofierte.

Demgegenüber war der Bubikopf, dem das Bauhaus zum Durchbruch verhalf, keineswegs nur Ausdruck emanzipatorischer Bestrebungen der Frauen in der Zwischenkriegszeit. HEINZE-GREENBERG dokumentierte eindrücklich, dass die „Entledigung der alten Zöpfe“ mit Typisierung und Normung einherging.

Dass auch bezüglich der Schweizer Trachten mit einigen Legenden aufzuräumen ist, zeigte die Ethnologin RABOUD-SCHÜLE anschaulich. Sie entwickelten sich mitnichten gewissermassen organisch, sondern wurden als mit landwirtschaftlichen Architekturen korrespondierende Elemente eines idealisierten ländlichen Lebens gestaltet.

Einer ganz anderen Idylle entsprang die metaphorisch aufgeladene transparente Kugel, in der 1963 das Model Simone D’Aillencourt für ein Shooting des Fotografen Melvin Sokolsky schwebte, um für die Zeitschrift „Harper’s Bazaar“ in Garderoben mehrerer Couturiers zu posieren. BETTINA KÖHLER (Zürich) führte vor, wie die Darstellung Adams und Evas in einer durchsichtigen Blase in Hieronymus Boschs Triptychon „Der Garten der Lüste“ (um 1500) den Fotografen inspiriert hatte. Wie in diesen kondensierte in den „Fashion Bubbles“ die Sehnsucht nach einem Ideal, das auch in dem Projekt „R129“ von Werner Sobek, einer von einer Seifenblase inspirierten Kunststoffhülle als Wohnort, Gestalt annimmt.

Burcu Dogramaci widmete sich dem Zusammenspiel von temporärer Architektur, Mode und surrealistischer Kunst (als deren Vorläufer Hieronymus Bosch zu sehen ist) unter anderem im Kontext der Pariser Weltausstellung von 1937. Unter der künstlerischen Leitung des Modehauses Lanvin wurde im „Pavillon de l’Elegance“ ein Setting aufgebaut, das Neoklassizismus und Art Déco kreuzte und in dem sich der Bildhauer Robert Couturier, der überlebensgrosse, bedrohlich wirkende Schaufensterpuppen entwarf, und die Modeschöpferin Elsa Schiaparelli, die deren Funktion unterlief, indem sie ihre Puppe nackt liess und das Kleid auf dem Boden drapierte, ein Stelldichein gaben.
Der albtraumhaften aus dem Surrealismus geborenen Szenerie antwortete SANDRA BORNEMANN (Köln) mit „‚Ein Fiebertraum‘: Das Kostüm als Element der Spielraumgestaltung in Max Reinhardts ‚Das Mirakel‘ von 1911”, dessen Kostüme sie als „Projektionsfläche für die Imagination des Mittelalters“ und als „Trägermedium des kulturellen Bildgedächtnisses jener Zeit“ interpretierte.

Als eine Mehrfachprojektion mit Überblendungen könnte man die Inszenierungen der Künstlerin und Modedesignerin Sonia Delaunay (1885-1979) beschreiben, wie sie KATHLEEN JAMES-CHAKRABORTY (Dublin) auffächerte. Die Kunsthistorikerin wies nach, wie Delaunay die plane Fläche eines Gemäldes dem dreidimensionalen „plastischen“ Kleid einer Tänzerin anverwandelte. Dieses wiederum verschmolz sie mit dem Raum, der in dieselben geometrischen Muster aufgelöst war, die das Gewand dekorierten, zu einer kinetischen Skulptur.

Viele Jahre später, 1978, zu einer Zeit, die den Rahmen des Referats gesprengt hätte, posierte Delaunay, gewandet in ein schwarzes Kostüm und eine weisse Bluse, für den deutschen Fotografen Lothar Wolleh (1930-1979) in einem minimalistisch reduzierten, vollkommen weiss gehaltenen, nur durch die schwarz erscheinenden Linien von Wandvertäfelungen gegliederten Raum: eine Verschmelzung von Minimal Art und De Stijl.

Die niederländische Kunst- und Architekturbewegung um Theo van Doesburg, Piet Mondrian und anderen war der Anknüpfungspunkt für den Architekturtheoretiker und intimen Japan-Kenner MANFRED SPEIDEL (Aachen). Anhand von Bruno Taut, zu dem Speidel intensiv forscht und dessen Schriften neu ediert, erläuterte er das Gegensatzpaar „Das Kleid zum Raum, der Raum zum Kleid” und fasste es in der konzisen Formel: „In Japan der gedämpfte Raum zum stark farbigen Kleid, in Deutschland der stark farbige Raum zur bedeckten Kleidung.”

Während der traditionelle japanische Raum bis heute fasziniert, mutet die Neorenaissance zwischen Gründerzeit und Jahrhundertwende nur noch anachronistisch an. Das, so berichtete ROLF FÜLLMANN (Köln), schien sie Heinrich Mann bereits 1905 zu sein, als er in der Novelle „Pippo Spano“ mit „dem Übermenschenkult im Kostüm der Neorenaissance” abgerechnet habe.

Demgegenüber strebte das Florentiner Architektenteam Superstudio mit dem zwischen 1969 und 1972 entworfenen Projekt „Monumento continuo” nichts weniger an, als den „ersten“ ebenso wie den „letzten Akt in der Ideengeschichte der Architektur“ einzufangen. MARIE THERES STAUFFER (Genf) dokumentierte dessen Entstehungsprozess akribisch: vom Konzept einer radikal geometrischen, gerasterten, monochrom weissen Megastruktur, die sich formal an ein Aquädukt anlehnte, bis zur Fassung als fast durchscheinendes Geflecht, das an leichte Hüllen zwischen der textilen Kunst des Architekten und Kunsttheoretikers Gottfried Semper3 und den Membranen des Ingenieur-Architekten Frei Otto denken liess. Die Menschen, die auf Fotomontagen des Projekts nunmehr nackt abgebildet waren, so folgerte Stauffer, „gehen sukzessive auf Distanz zu Behausung und Kleidung”.

Es ist ein Phänomen des 20. Jahrhunderts, dass sich die Kleidung tendenziell immer enger um die Körper der Menschen legt und ihre Materialität sich zusehends ausdünnt – bis sie in Form der Tätowierung nur noch das Dekor behält. Das ist keine Modeerscheinung, sondern korrespondiert mit der Entwicklung der immer stärker sich verdichtenden gebauten Umwelt: Die isolierende Funktion, die früher zuerst den Kleidern zukam – mit sowohl kühlender, als auch wärmender Wirkung –, wird heute zunehmend an die Häuser delegiert.

„Von Semper bis Tattoo“ könnte denn auch – ohne vorgreifen zu wollen – eine nächste Tagung gewidmet sein. Jedenfalls möchten die Organisatoren das Thema weiter vertiefen.

Konferenzübersicht

Begrüssung und Moderation
Karl R. Kegler, Niklas Naehrig, Anna, Minta

Formen der Distinktion
Niklas Naehrig (Zürich): Identität und Anpassung: Die Kleidung des Architekten

Rolf Füllmann (Köln): Modesymbolik des Fin de Siècle: Renaissance der Renaissance als Technologie des Selbst

Ita Heinze-Greenberg (Zürich): Bauhaus und Bubikopf: Der Typenschnitt im genormten Raum

Verhüllen und Enthüllen
Burcu Dogramaci (München): Pavillon, Shop und Schaufenster: Moderne Mode und (temporäre) Architekturen im Paris der Surrea- listen

Bettina Köhler (Zürich): "Inside the Bubble": Von Melvin Sokolskys Modeaufnahmen für Harper's Bazar 1963 bis zu Werner Sobeks R129

Welten und Gegenwelten
Isabelle Raboud-Schüle (Bulle): Die Erfindung der Schweizer Trachten: Kleid, Kultur und Nation als Gesamtkunstwerk

Manfred Speidel (Aachen): Der Raum zum Kleid: Perspektiven und Positionen zwischen Japan und Europa

Ivan Bocchio (Zürich): "Quattro colori per i turisti": Komplexion, Mode und Interieur in Gio Pontis Südtiroler Alpenhotels

Abendveranstaltung
Kathleen James-Chakraborty (Dublin): From the Picture Plane out into 3-D The Clothing Designs of Sonia Delaunay

Christa de Carouge (Zürich): "Meine Kleider sind Wohnraum für Menschen"

Technische Imaginationen

Karl R. Kegler (Zürich): Hausanzug und Raumkapsel: Utopische Raumkonzepte um 1970

Marie Theres Stauffer (Genf): Overall all over: Superstudios Monumento Continuo

Ordnung, Mode, Architektur
Sandra Bornemann (Köln): "Ein Fiebertraum": Das Kostüm als Element der Spielraumgestaltung in Max Reinhardts Inszenierung "Das Mirakel" von 1911

Anna Minta (Bern): "Unser Sandmännchen": Kleiderordnung und Weltvorstellung im Sozialismus

Julia Bertschik (Berlin): "Monumentalität der Form": Zur faschistischen Verbindung von Mode und Baukunst

Anmerkungen:
1 Cordula Rau, Why Do Architects Wear Black? Wien 2008.
2 Vgl. dazu <http://www.cca.qc.ca/en/collection/13-alison-and-peter-smithson-house-of-the-future> (09.07.2014).
3 Gottfried Semper, Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder Praktische Aesthetik. Bd. 1: Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst, Frankfurt am Main 1860.