Juden, Christen, Heiden? Religiöse Inklusion und Exklusion in Kleinasien bis Decius

Juden, Christen, Heiden? Religiöse Inklusion und Exklusion in Kleinasien bis Decius

Organisatoren
Stefan Alkier / Hartmut Leppin, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.06.2014 - 07.06.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Sophie Röder, Alte Geschichte, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Die religiöse Vielfalt des Römischen Reiches ging mit einer Mannigfaltigkeit an Sichtweisen und Umgangsformen einher. Diese Interaktionen angemessen zu beschreiben, gestaltet sich für die moderne Forschung schwierig. Allzu oft stellte man Heidentum und Christentum einander gegenüber und ging von statischen Identitäten aus, ohne dabei regional unterschiedlichen Konfliktsituationen angemessen Rechnung zu tragen oder zu prüfen, was als christlich, jüdisch oder heidnisch in Selbst- sowie in Fremdbeschreibung benannt wurde. Daher fragten Althistoriker sowie evangelische Theologen auf der Tagung „Juden, Christen, Heiden? Religiöse Inklusion und Exklusion in Kleinasien bis Decius“ unter der Leitung von Stefan Alkier (Evangelische Theologie) und Hartmut Leppin (Alte Geschichte) nach regionalen und überregionalen Formen, Mechanismen und Begrifflichkeiten der religiösen Inklusion und Exklusion in Kleinasien. Eine überschaubare Gruppe von Spezialisten sollte zusammengebracht werden und ausgiebig Zeit für Diskussionen haben.

Wie STEFAN ALKIER (Frankfurt am Main) in seiner Einleitung betonte, war es das Ziel, der schlichten Gegenüberstellung von Heidentum und Christentum mit Analysen zu begegnen, welche die Komplexität und Dynamik des Sachverhaltes herausstellen und dadurch Erkenntnisgewinn ermöglichen. Zentral sei dabei die Frage, welche Rolle die überregionalen Identitätsmarker wie „Römisches Reich“, „Christentum“, „Judentum“ usw. bei der Bildung von Identitäten im Alltag tatsächlich einnahmen oder ob nicht lokale Gegebenheiten hierbei maßgeblich waren. Das Beispiel Kleinasien zeige außerdem deutlich die Diversität des Christentums seit seinen Anfängen. Es habe zur religiösen Vielfalt dieser Region beigetragen und sei selbst durch sie beeinflusst.

Im Mittelpunkt der ersten Sektion standen Grundsatzfragen. TOBIAS NICKLAS (Regensburg) bot einen sehr geeigneten Anfangspunkt. Er kritisierte in seinem Vortrag das Konzept des „Parting of the Ways“, da dies stabile religiöse Gruppierungen und Identitäten voraussetze, von denen bei einer differenzierten Analyse gerade nicht auszugehen sei. Nicklas zeigte an geeigneten Beispielen und daraus abgeleiteten Thesen die Dynamik und Pluralität der Identitäten sowie die regionalen Verschiedenheiten des Mit-, Neben- und Gegeneinanders in Konfliktsituationen. Man könne demnach unter „Parting of the Ways“ immer nur einen Teil der Realität verstehen, vielleicht passender von mehreren Trennungen mehrerer Gruppierungen auf mehrere Arten sprechen, ohne zu vernachlässigen, an welchen Stellen auch von einem temporär gemeinsamen Weg die Rede sein kann. Nicklas verwendete dafür ein plastisches Bild, nämlich das eines Gruppentanzes, in dem bestimmte Gruppen oder Paare zeitweise miteinander tanzen, Partnerwechsel stattfinden, teils aber auch aneinander vorbeigetanzt wird, sei es mit Absicht oder nicht. Der moderne Historiker könne dabei stets nur Ausschnitte beobachten, so als schaue er durch ein Schlüsselloch.

MANUEL VOGEL (Jena) ging in seinem Vortrag auf konzeptionelle Probleme der Begriffsbestimmung von Judentum, Christentum und Heidentum ein. Die Schwierigkeit bestehe bereits darin, dass diese Bezeichnungen in den Quellen nicht nur zwecks inhaltlicher Abgrenzung verwendet worden seien, sondern häufig in polemischer Absicht. Zentral für Vogels Ausführungen war dabei der Briefwechsel zwischen Julian und Gregor, genauer der Wortgebrauch von dẽmos, laós, éthnos, génos. Vogel fragte, ob und wo Christen als Religion ohne ethnische Komponente oder doch als génos verstanden wurden, was wiederum zur ganz prinzipiellen Frage nach dem Verhältnis von génos und Religion in der Antike führt.

JAMES RIVES (Chapel Hill) rundete die erste Sektion mit seinem Beitrag „Ritual Practice, Social Power, and Religious Identity: The Case of Animal Sacrifice“ ab. Rives bezog sich dabei auf die Apostelgeschichte, die berichtet, dass Paulus in Lystra einen Lahmen heilte, woraufhin die Bevölkerung ihn als Gott bezeichnete und ihm Opfer darbringen wollte. Außerdem zog er das Martyrium des Carpus heran, der beim Verhör argumentiert, man werde selbst zum daímon, wenn man den daímones opfere. Grundlegend für Rives Überlegungen ist die Fokussierung der Christen auf Orthodoxie und die Fokussierung der Anhänger der traditionellen römischen Religion auf Orthopraxie, die wiederum auch im Judentum verhandelbar sei. Gerade die Opfer selbst verkörpern nach Rives ein verbindendes Element zwischen Heiden und Juden. Im Christentum hingegen könnten Bischöfe, Priester und vielleicht auch Diakone Diskussionen über Opferriten dazu genutzt haben, Orthodoxie zu thematisieren, gegebenenfalls sich selbst zu profilieren, Identitäten zu formen und Exklusivität zu betonen.

Im Fokus der zweiten Sektion standen epigraphische und archäologische Zeugnisse. GIAN FRANCO CHIAI (Berlin) präsentierte in seinem Vortrag zu „Christen und Christenidentität(en) in den Inschriften des kaiserzeitlichen Phrygien“ reiches Material, an dem inklusivistische Tendenzen sehr deutlich werden, so etwa an Formulierungen wie „Gott hilf…“ oder am Hinweis für potentielle Grabschänder, vor Gott Rechenschaft ablegen zu müssen, was in einer variatio durch die Aufforderung „Bei Gott, tue kein Unrecht“ zugespitzt wird. Chiai betonte, dass eher bestimmte Kombinationen von Formeln den Dedikanten und Empfänger erkennbar als christlich zeigen, etwa wenn zu „Gott hilf…“ die Bemerkung hinzutritt, man sei von Gott geschaffen worden oder ein Sklave des Herrn, oder wenn die Inschrift durch Kreuze verziert ist. Beispiele christlicher Selbstbeschreibung existieren aber auch ohne die Kombination von Formeln, etwa wenn die Trinität angerufen oder die Wendung Christianoí Christianoĩs eingraviert wird.

ULRICH HUTTNERs (Siegen) Vortrag schloss sich sehr gut an, indem er vertiefend und weiterführend Grabinschriften betrachtete, die Christen, Juden und Heiden zugeordnet werden können. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn angedroht wird, dass die Flüche des Deuteronomiums oder die Fluchsichel Grabschänder ereilen werden. Auch die Eumeneische Formel („Er wird Rechenschaft ablegen vor Gott“) oder die Formeln lógon dósei tõ theõ und tón theón soi, mè adikéseis sind Kennzeichen der Grabinschriften, die Bestrafungen von Frevlern durch (den) Gott ankündigen und mehreren religiösen Gruppierungen zugeordnet werden können. Im Fazit ging Huttner zudem kurz auf die Probleme um die Kryptochristen ein.

Eine Inschriftengruppe, in der Inklusion besonders deutlich zu Tage tritt, behandelte CHRISTIAN MAREKs (Zürich) Beitrag zu den theòs hypsistos-Inschriften, von denen einige bezeugen, dass bestimmte Christen, die etwa durch verzierende Kreuze als solche identifizierbar sind, an die Vorstellung des Hades und gleichzeitig der Auferstehung glaubten. In manchen Inschriften, die wahrscheinlich Helios zuzuordnen sind, kommen christliche, jüdische sowie nichtchristliche Elemente zusammen, so der Hinweis auf die Schöpfung durch Gott, die Vorstellung von Gott als Pantokrator und die Androhung von Rache in einem Zeugnis. Marek gab zu bedenken, dass die Hypsistiani mancherorts als Häretiker galten, dass aber überhaupt unklar sei, ob sie eine eigene religiöse Gemeinschaft bildeten. Er betonte schließlich die Durchlässigkeit der Formeln, also im Sinne einer Übernahme bestimmter christlicher Wendungen durch Nichtchristen und umgekehrt.

CARSTEN CLAUßEN (Elstal) wandte sich in seinem Beitrag einer anderen Quellengattung zu, indem er nach der Identität antik-jüdischer Gemeinden in Kleinasien im Spiegel von Rechtstexten fragte. Als Hauptquelle hierfür zog er Josephus heran, der einige Dekrete und darin enthaltende Privilegien zitiert, beispielsweise die Befreiung vom Militärdienst in Ephesos oder das Zugeständnis eines Versammlungsortes in Sardes. Aus der Bekräftigung der Privilegien schließt Claußen, dass es auf der Handlungsebene auch Widerstände gegen diese gab, es aber gleichzeitig der jüdischen Gemeinde möglich war, sich zu organisieren und ihr Anliegen vor den Statthalter zu bringen.

Den Abschluss der epigraphischen und archäologischen Sektion bildete DOROTHEA ROHDE (Bielefeld) mit ihrem Beitrag zur religiösen Landschaft in Ephesos. Sie betonte zunächst die Besonderheiten dieser Hafenstadt, die zentraler Anlaufpunkt auch für Verwaltung und Militär in Kleinasien war, was sich auch auf die religiöse Vielfalt ausgewirkt habe. Der Artemiskult sei seit jeher von besonderer Bedeutung gewesen; während der Kaiserzeit seien viele weitere Kulte hinzu gekommen. Christen seien allerdings erst ab dem Zeitpunkt im Stadtbild sichtbar geworden, ab dem sie Kirchen und andere Gebäude errichteten, mithin im dritten Jahrhundert, dann aber umso prägender. Rohde vermutet, dass sich die christlichen Gemeinden lange im Schatten der jüdischen Gemeinde entwickelten und darin für uns nicht greifbar sind. Die Trennungslinien zwischen den Gruppierungen schienen offenbar lange Zeit durchlässig gewesen zu sein, ein Nebeneinander ermöglicht zu haben.

In der dritten Sektion wurden literarische Zeugnisse in den Fokus gerückt. ALEXANDER WEIß (Leipzig) setzte sich mit der Offenbarung des Johannes auseinander, eines der zentralen und zugleich schwierigsten Texte bei der Beschäftigung mit der religiösen Landschaft Kleinasiens. Er widmete seine Untersuchung den Städten der sieben Sendschreiben. In Gestalt eines imaginierten „Heptapoliten“ unternahm er einen Gang durch die Gemeinden und suchte nach manchem wahren Kern in der komplexen Symbolik. So erwog er, dass in Ephesos der Lebensbaum mit dem Baumkult der Artemis identifiziert werden konnte. In Philadelphia ließe sich die Beschreibung der Pfeiler des Tempels, verbunden mit der Warnung, nicht hinauszugehen, als eine Referenz an die zahlreichen Erdbeben der Region verstehen. Die Augensalbe, die der Gemeinde in Laodizea Heilung bringen soll, könne auf die dortige, renommierte Augenarztschule Bezug nehmen.

ULRICH GOTTER (Konstanz) bot eine Interpretation eines zwar sehr bekannten, doch oft missverstandenen Textes über das Nebeneinander und Gegeneinander von Nichtchristen und Christen, nämlich des Plinius-Briefes X, 96 an Kaiser Traian. Er hob zunächst einen Widerspruch hervor, der darin bestehe, dass Plinius zu Beginn seine Unwissenheit betont, dann aber im Laufe des Prozesses sehr routiniert handelt, das übliche Vorgehen also gekannt haben muss. Plinius unterbreite Traian die Alternative, statt des nomen ipsum nur die damit zusammenhängenden Verbrechen zu bestrafen, womit er bei Traian allerdings keinen Erfolg gehabt habe, wie aus dem Antwortschreiben deutlich werde. Es stelle sich also die Frage, wie das Christentum sich trotz der traianischen Rechtsgrundlage so erfolgreich verbreiten konnte. Ein Grund hierfür könnte darin liegen, dass Denunziationen doch selten blieben, denn sie hätten Racheakte bis hin zu staseis auslösen, also die öffentliche Ordnung bedrohen können, woran weder der Statthalter, noch ein Großteil der Bevölkerung ein Interesse gehabt habe.

JAN BREMMER (Groningen) fragte nach Juden, Heiden und Christen im Zeugnis der apokryphen Apostelakten. Er unterstrich, dass die Akten innerchristliche Diskurse behandeln, nicht etwa Konflikte mit Nichtchristen oder Juden, oder gar an diese adressiert gewesen wären. So sei in den Johannesakten der Artemiskult in Ephesos nicht von besonderer Bedeutung (eher der Kaiserkult), über Juden äußerten sich nur die Petrusakten negativ. Die Texte richteten sich vielmehr an Konvertiten, unter ihnen auch an wohlhabende Frauen, und bezeugen die Vielfalt des Christentums selbst. Fragen der christlichen Lebensführung stehen im Mittelpunkt: Ausschweifender Lebensstil wird verurteilt, manchmal auch römische Autoritäten. Asketische Lebensweise sowie Seelsorge rücken dabei in den Vordergrund (ohne bereits Doktrinen zu verkörpern), wodurch die Texte auch zum mittleren Platonismus und dem Neopythagorismus passen.

Nach dieser Reihe von Vorträgen, in denen vielfältige inklusivistische Tendenzen sichtbar wurden, setzt WALTER AMELING (Köln) mit seiner Betrachtung einen anderen Akzent. In seinem Vortrag zu Smyrna als „Marktplatz oder Kampfplatz der Religionen“ konzentrierte er sich auf die Martyriumsberichte über Polykarp und Pionius. Im Martyriumsbericht des Polykarp seien auch andere christliche Gruppierungen, beispielsweise die Montanisten, greifbar, vor allem aber seien die Unterschiede zwischen Anhängern des traditionellen römischen Glaubens und den Christen deutlich herausgearbeitet, was im Gebrauch von Begriffen wie asébeia und atheótes manifest werde. Ein Miteinander der paganen und christlichen Gruppen werde an keiner Stelle in Betracht gezogen. Der Bericht des Pionius verkörpere einen innerchristlichen Diskurs. Hier werde das Gegeneinander von Christen und Juden besonders herausgestellt. Die Akteure seien sich ihrer jeweiligen Identität sehr sicher, Christen hätten sich gar von geltendem Recht distanziert, wenn ihnen dies als unvereinbar mit ihren religiösen Vorstellungen erschienen sei.

HARTMUT LEPPIN (Frankfurt am Main) versuchte abschließend, die Ergebnisse zusammenzufassen. Dekonstruktion habe die Verwendung von Begriffen wie Christen, Juden, Heiden geprägt, doch sei unklar geblieben, was an deren Stelle rücken könnte. „Christusanhänger“ habe weite Zustimmung für die Zeit des 1. Jahrhunderts gefunden, „Judäer“ sei ebenfalls vorgeschlagen worden, um innerjüdische Differenzierungen sichtbar zu machen. Es sei aber gar nicht davon auszugehen, dass es eine schlechthin richtige Begrifflichkeit geben könne, da dies einen archimedischen Punkt des Betrachters voraussetze, der sich für einen externen, objektiven Betrachter hält. Man habe also punktuell auf Metaphern zurückgegriffen, etwa auf das Bild eines Pferderennens, eines Gruppentanzes, eines Marktplatzes oder Kampfplatzes der religiösen Gruppen. Für sich allein genommen könnten diese Bilder allerdings erneut nicht die Komplexität der Prozesse und Strukturen abbilden. Religiöse Inklusion und Exklusion stünden vielmehr in einem dialektischen Verhältnis, in dem Sinne, dass Inklusion auch Exklusion provozieren könne: Inschriften zeugten vielfach von inklusivistischen Tendenzen in der Bevölkerung, die zur Betonung der Exklusion in den Eliten (beispielsweise Tertullian) geführt haben könnten. Schließlich habe sich dasjenige Christentum durchgesetzt, das klare Abgrenzung verfolgte. So scheine man in einer Aporie zu enden, die trotzdem zu der Erkenntnis führe, wieviel in dieser Hinsicht noch zu erarbeiten möglich sei.

Die Frankfurter Tagung war geprägt von Methodenvielfalt und lebendigen Diskussionen; der Ertrag wird in einem Sammelband herausgegeben.

Konferenzübersicht

Stefan Alkier: Einführung

Sektion I: Grundsatzfragen:

Tobias Nicklas: Parting of the Ways – Kritik eines Konzeptes

Manuel Vogel: Judentum, Christentum, Heidentum – Konzeptionelle Probleme der Begriffsbestimmungen

James Rives: Ritual Practice, Social Power, and Religious Identity: The Case of Animal Sacrifice

Sektion II: Epigraphik und Archäologie

Gian Franco Chiai: Christen und Christenidentität(en) in den Inschriften des kaiserzeitlichen Phrygien

Ulrich Huttner: Christliche Grenzgänger und ihre Inschriften

Christian Marek: Theos Hypsistos-Inschriften

Carsten Claußen: Die Identität antik-jüdischer Gemeinden in Kleinasien im Spiegel von Rechtstexten

Dorothea Rohde: Die religiöse Landschaft einer Hafenstadt im Wandel: Das Beispiel Ephesos

Sektion III: Literarische Quellen

Alexander Weiß: Die Städte der sieben Sendschreiben

Ulrich Gotter: Wie verfolgt man Christen? Plinius, Traian und die face-to-face-Gesellschaften im Osten des Imperiums

Jan Bremmer: Religiöse Inklusionen und Exklusionen im Zeugnis der Apostelakten

Walter Ameling: Smyrna von der Offenbarung bis Pionius – Marktplatz oder Kampfplatz der Religionen?

Hartmut Leppin: Zusammenfassung