Dealing with economic failures: Extrajudicial and judicial conflict regulations

Dealing with economic failures: Extrajudicial and judicial conflict regulations

Organisatoren
Margrit Schulte Beerbühl (Frankfurt am Main/Düsseldorf); Albrecht Cordes (Frankfurt am Main)
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.02.2014 - 21.02.2014
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Von
Clemens Butzert, Goethe-Universität/Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main

Die Geschichte des ökonomischen Scheiterns hat in der Forschung spätestens seit 2008 ein verstärktes Interesse sowohl in wirtschafts- und sozialgeschichtlichen als auch in rechtshistorischen Untersuchungen gefunden, wobei die Fragestellungen beider Fächer divergieren. So haben Wirtschaftshistoriker – neuerdings auch unter Einbeziehung von kulturellen Faktoren wie Reputation und Kreditwürdigkeit – Konkurs- und Insolvenzakten vor allem zur Analyse ökonomischer Aspekte herangezogen. Der Einfluss von Recht und Gerichten in diesem Kontext fand jedoch bislang weniger Beachtung. Das Interesse der Rechtshistoriker richtete sich dagegen stärker auf die normativen Seiten des Konkurs- und Insolvenzrechts, wobei kulturelle und wirtschaftliche Gesichtspunkte unbeachtet blieben. Das Ziel der Tagung „Dealing with economic failures: Extrajudicial and judicial conflict regulations“, die im Rahmen des Frankfurter Schwerpunkts „Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung“ der Landes-Offensive zur Entwicklung wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz des Landes Hessen (LOEWE) stattfand, war es, Vertreter beider Disziplinen zusammenzubringen und den Dialog zwischen den Fächern zu intensivieren. Die Tagung fand Ende Februar unter Leitung von Margrit Schulte Beerbühl (Frankfurt am Main/Düsseldorf) und Allbrecht Cordes (Frankfurt am Main) im Max Planck Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main statt. Forscher aus insgesamt neun europäischen und außereuropäischen Ländern kamen zusammen, um die Praxis der Konkurs- und Insolvenzverfahren aus einer interdisziplinären und vergleichenden Langzeitperspektive zu diskutieren.

MARGRIT SCHULTE BEERBÜHL (Frankfurt am Main/Düsseldorf) eröffnete die Tagung mit einigen generellen Überlegungen zur Differenz von Recht und sozio-ökonomischer Praxis im Umgang mit Bankrotteuren. Das Recht stelle eine normative Quelle dar, die zwar Interpretationen zum Rechtsverständnis einer gewissen Epoche erlaube, jedoch nicht zwangsläufig der Praxis entsprochen habe. Konkurs- und Insolvenzrecht seien in den europäischen Ländern lange Zeit auf die Gläubiger zentriert gewesen. Der Bankrott sei über Jahrhunderte hinweg als Ausdruck schuldhaften und betrügerischen Verhaltens und einer Straftat betrachtet worden und entsprechend habe die Gesetzgebung bis weit ins 19. Jahrhundert den Bankrotteur mit Gefängnis und Verlust gesellschaftlicher Rechte bestraft. Erst in der Neuzeit setzte sich allmählich ein funktionales Verständnis durch, sodass bei der Modernisierung der Bankrottregelungen zunehmend auf Belange der Bankrotteure und der Allgemeinheit Rücksicht genommen wurde. Vor dem Hintergrund der weltweiten Ausdehnung des Handels – spätestens seit dem 16./17. Jahrhundert – sowie der rasch wachsenden Verflechtung der internationalen Finanzmärkte müsse gefragt werden, in welchem Umfang sich die Praxis vom Recht entfernte und Kaufleute sowie Unternehmer unabhängig von den bestehenden Regelungen private und vorgerichtliche Vereinbarungen trafen, die dem Schuldner die Chance auf einen wirtschaftlichen Neubeginn einräumten. Zu betrachten sei dabei, so Schulte Beerbühl weiter, welche sozialen Gruppen jeweils zur Gestaltung der Regulierung von Bankrottfällen beigetragen haben und welche Möglichkeiten zur Beilegung von Konflikten um bankrotte Unternehmen erarbeitet wurden. Eine Kernfrage fokussiere sich dabei auf die Rolle der Gerichte, das heißt unter welchen Umständen diese angerufen wurden und wann ein privater Versuch zur Streitbeilegung unternommen wurde. Ferner sei zu überlegen, in welchem Umfang Gesetzesänderungen lediglich bereits gängige Praktiken in der Vergangenheit fixiert, bzw. neue Rahmenbedingungen zur außergerichtlichen und gerichtlichen Schlichtung geschaffen hätten.

Beginnend mit einem Überblick über die Funktionsweise des heute geltenden Insolvenzrechts, das PETER VON WILMOWSKY (Frankfurt am Main) im Eröffnungsvortrag vorstellte, folgte die Tagung einem systematisch-chronologischen Aufbau vom 16. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Vortrag von Wilmowsky richtete den Blick vor allem auf die Veränderungen, die in der Behandlung von Bankrotten beobachtet werden können. So stünden sich in einem Unternehmensbankrott Interessen am Fortbestand des Unternehmens, etwa seitens der Belegschaft, und die Befriedigung der Gläubiger gegenüber. Das Insolvenzrecht, das in der Insolvenz zunächst Zugriffe einzelner Gläubiger unterbinde und eine anteilige Bedienung aller Verbindlichkeiten verfolge, solle eine neutrale Entscheidung zur Verwertung des Unternehmens ermöglichen. Im Rahmen der Entscheidung sollte in einem Wertvergleich festgelegt werden, ob durch Fortführung oder Auflösung des Unternehmens mit Verwertung des Firmenvermögens die Schulden besser bedient werden können – was letztlich neben anderen Belangen des Bankrotts, wie der vereinbarten Kürzung von Forderungen, in einem Insolvenzplan zum Ausdruck gebracht werde.

In der ersten Sektion legte MECHTHILD ISENMANN (Leipzig) dar, welche Maßnahmen zur Vermeidung innergesellschaftlicher Konflikte in oberdeutschen Familiengesellschaften im 15. und 16. Jahrhundert getroffen werden konnten. Diese Mechanismen der Konfliktlösung, die vor allem die Vermeidung gerichtlicher Verfahren zum Ziel hatten, zeigte Isenmann am Beispiel der Familien Höchstetter, Arzt und Imhoff. Hier konnte herausgearbeitet werden, wie friedensstiftende Regelungen in Gesellschaftsverträgen, Verhandlungen in Gesellschafterversammlungen sowie die Einbeziehung von Kaufleuten als Vermittler den Familienunternehmen als Strategien zur Vermeidung, Klärung und Bereinigung von gesellschaftsinternen Konflikten dienten, um die langfristige Funktionsfähigkeit des Geschäfts zu gewährleisten.

WOLFGANG FORSTER (Tübingen) trug über die Behandlung von Patronats- und Begräbnisrechten im Konkurs vor. Ein Patronatsrecht sei vererbbar, aber nicht einzeln durch Kauf zu erwerben gewesen, sondern nur als Teil einer gekauften Gesamtvermögensmasse, wie einer Erbschaft. Nach der Interpretation der Regelungen über die römisch-rechtliche Vermögensaufgabe zugunsten eines Gläubigers im Sinne eines Konkursverfahrens, der cessio bonorum, durch Salgado im Spanien des 17. Jahrhunderts sei ein Patronatsrecht auch von der Konkursmasse umfasst gewesen. Der Schuldner habe es aber weiter ausüben dürfen, da er nur die Verfügungsbefugnis darüber verloren habe. Dadurch sei, so Forster, ein Patronatsrecht, das auf einen Gläubiger im Rahmen eines Bankrotts übergegangen ist, praktisch nicht nutzbar gewesen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verschuldung der Adligen habe Salgados Konstrukt durch die weiter mögliche Nutzung des Patronatsrechts dazu gedient, den gesellschaftlichen Status der Adligen in einem Bankrottfall zu erhalten und die Kriminalisierung ihres schuldnerischen Verhaltens entsprechend dem zeitgenössischen Recht zu vermeiden. Das Recht an einer Grabstelle habe dagegen nach Salgado als Vermögenswert in einem Konkurs verwertet werden können.

Die zweite Sektion eröffnete DAVE DE RUYSSCHER (Brüssel), der über die Reform des Konkursverfahrens in Antwerpen zu Beginn des 16. Jahrhunderts zugunsten des Schuldners und die Entwicklung von Schlichtungspraktiken referierte. Das Antwerpener Insolvenzverfahren habe zudem circa 100 Jahre später das neu geregelte Insolvenzverfahren in Amsterdam im Rahmen eines transregionalen Transferprozesses rechtlicher Normen inhaltlich beeinflusst. Das Antwerpener Modell, das de Ruysscher als „Soft“-Bankruptcy-System bezeichnete, habe auf gleichberechtigten Verhandlungen zwischen Gläubigern und Schuldnern beruht, wobei nicht, wie zuvor, allein ein offizielles Vorgehen gegen einen Schuldner möglich gewesen sei, um das verbliebene Vermögen an die Gläubiger auszuschütten. Ratsherren hätten die Unterredungen überwacht und versucht, die Gläubiger zur Eingehung einer Kompromisslösung zu drängen, sodass zur Vermeidung eines Strafprozesses oft ein Ausgleich zwischen Gläubigern und Schuldnern gefunden worden sei.

Anschließend trug LINA WEBER (Amsterdam/Basel) über die Behandlung der zahlreichen Bankrotte im Amsterdam des 18. Jahrhunderts vor. Dort habe sich die 1643 gegründete Behörde der Kamer voor desolate Boedels um die Abwicklung von Insolvenzen gekümmert, das verbliebene Schuldnervermögen erfasst und für eine gerechte Verteilung an die Gläubiger gesorgt sowie dabei eine Frist gesetzt, in der eine Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubigern zu treffen gewesen sei. Nach der Erfüllung dieser Vereinbarung sei der Schuldner von allen Ansprüchen frei geworden und es stand ihm ein erleichterter Neuanfang bevor. Weber legte dar, dass aber in Fällen, in denen keine derartige Vereinbarung zustande kam, die Inhaftierung des Schuldners möglich war. Von dieser konnte er nur befreit werden, wenn ihn nachweislich an seinem Bankrott keine Schuld traf. Um der Haft zu entgehen habe der Schuldner des Weiteren auch einen befristeten Schutz vor Verhaftung, ein vrijgeleid, erhalten können. Während dessen Geltung habe er sich um die Sichtung seiner Unterlagen und die Aufstellung seiner Verbindlichkeiten, verbunden mit ersten vorgerichtlichen Verhandlungen mit seinen Gläubigern, kümmern können. Ansonsten sei ihm nur die Flucht in eine der freien Städte Culemborg und Vianen verblieben, um dem Zugriff der Gläubiger zu entkommen.

Die dritte Sektion begann mit einem Vortrag von MAGNUS RESSEL (Frankfurt am Main) über den Umgang mit Bankrotten deutscher Kaufleute im 18. Jahrhundert in Venedig. Ressel bezog sich in seinem Vortrag auf den venezianische Rechtsanwalt Ferro, der 1779 drei mögliche Gründe für Bankrotte nannte: unverschuldete Verluste, verschuldete Verluste, die als kriminell angesehen wurden, und „krasses Missmanagement“. Seit der Gründung des Magistrats der Sopraconsoli dei Mercanti habe dieses Tribunal seine Aufgabe darin gesehen, Bankrotteure und Gläubiger zum accord zu bewegen. Angesichts der engen wirtschaftlichen und teilweise verwandtschaftlichen Beziehungen mit den deutschen und niederländischen Handels- und Finanzzentren seien deutsche und italienische Kaufleute in Venedig 1763 in die von Amsterdam ausgehende Wirtschaftskrise hineingezogen worden. Trotz der hohen Zahl der Konkurse griff die venezianische Regierung – anders als in einigen europäischen Ländern – aber nicht in die Abwicklung des Konkursgeschehens ein, sondern überließ die Verfahren der etablierten Schlichtungspraxis. Da ein Bankrotteur nicht grundsätzlich strafgerichtlich behandelt worden sei, habe er bald nach der Abwicklung seines Konkurses wieder als Kaufmann tätig werden können.

CHRISTINE ZABEL (Essen) sprach über die Behandlung von Insolvenzen im Frankreich des Ancien Régime im 17. und 18. Jahrhundert, die sich maßgeblich nach dem Ordonnance de Commerce von 1673 richtete. Mit der Regulierung von Insolvenzen waren gleich mehrere Institutionen, das königliche Gremium des Châtelet, Handelsgerichte und städtische Verwaltungsorgane betraut. Unter den Bankrottfällen sei dabei zwischen Banqueroute und faillite unterschieden worden, wobei nur die erste Fallgruppe als selbstverschuldet und betrügerisch angesehen wurde. Das Verfahren um einen Banqueroute habe demnach Pleiten geahndet, die auf – nach christlichen Wertvorstellungen – betrügerischen und unmoralischen Gründen beruhten. Ein Verfahren im Sinne des faillite hingegen stand Kaufleuten offen. Es beinhaltete das Einsetzen einer von den Gläubigern eingesetzten Kommission, eine Befragung des Schuldners, die Offenlegung aller seiner Geschäftsunterlagen und endete mit einer Entscheidung über Liquidation oder Fortführung des Betriebs. Außerdem konnte sich der Schuldner beim König um einen Lettre de Répit bemühen, der ihm einen zeitlichen Aufschub zur selbständigen Regelung seiner Angelegenheit verschafft habe. Für Bankrotte nicht-gewerblicher Schuldner sei die aus dem römischen Recht stammende Cession angewendet worden, wobei der Schuldner sein gesamtes verbliebenes Vermögen an die Gläubiger übergeben habe und dadurch von seinen Schulden befreit worden sei. Damit war im Ancien Régime ein gesetzlicher Rahmen geschaffen, der Gläubigern wie Schuldnern Strategien und Chancen einräumte, die Härte des Gesetzes zu vermeiden und ihre Beziehungen aufrechtzuerhalten. Abschließend hielt Zabel fest, dass angesichts der Vielzahl privater Insolvenzregelungen gerichtliche Konkursverfahren kaum als Indikator ökonomischer Krisen im Untersuchungszeitraum betrachtet werden können.

Die vierte Sektion eröffneten KLAS NYBERG und HÅKAN JAKOBSSON (Stockholm) mit einem Vortrag über Funktionsweise und Effizienz der Abwicklung von Bankrotten in Stockholm im Zeitraum von 1767, als das erste ausführliche Gesetz zum Verfahren bei Bankrotten erlassen worden sei, bis 1849. Als Grundlage ihrer vorgestellten Forschungen konnten sie eine Datenbankanalyse der Konkursakten des zuständigen Stockholmer Gerichts heranziehen. Die Auswertung des Materials zeigte, dass die neuen Bankrottgesetze ab 1767, die eine bedeutende Zäsur in der schwedischen Konkursgesetzgebung darstellten, das Konkursverfahren für die steigende Zahl von Pleiten schneller und effizienter gestalten und vorherige Missstände beseitigen konnte. Dadurch habe man auch die Strukturen der Kreditwirtschaft absichern und Geschäftsverluste verringern wollen. Durch die Verfahrensreform wurde ein Bankrott zunächst nicht mehr grundsätzlich als selbstverschuldet angesehen, so dass dem Schuldner neben einer Flucht weitere Optionen zur Verfügung standen. Das Verfahren, in dem die öffentliche Verwaltung, Vertrauenspersonen aus der Wirtschaft und die Gerichte zusammenarbeiteten, konnte auf Antrag des Schuldners bei Gericht begonnen werden. Das Gericht führte das Verfahren, sammelte die relevanten Unterlagen des Schuldners, veröffentlichte den Bankrott, lud Schuldner und Gläubiger zu Verhandlungen und erklärte den Fall nach einer bestimmten Frist letztlich für abgeschlossen. Nyberg und Jakobsson schlossen mit dem Fazit, dass die neue Gesetzgebung eine Zunahme der Konkursanträge durch die Schuldner bewirkt habe, da diese durch das neue Verfahren weitgehend vor den Zugriffen der Gläubiger geschützt und die Verfahren nun erheblich verkürzt gewesen seien.

ERIKA M. VAUSE (Chicago) widmete sich der Frage, welche Bankrotteure im Gefängnis St. Josef im Lyon des 19. Jahrhunderts in Schuldnerhaft genommen wurden. Dazu wertete sie Unterlagen dieses Gefängnisses aus, die sowohl über konkrete persönliche Angaben zu Schuldnern und deren Gläubigern, als auch zu den Berufen der Beteiligten sowie der Schuldenhöhe, informieren. Eine Inhaftierung konnte auf Antrag eines Gläubigers bewirkt werden, um eine günstige Vereinbarung zur Begleichung der Schulden zu erzwingen. In Frankreich seien pro Jahr 1.000 bis 3.000 Personen wegen Schulden aus gewerblicher Tätigkeit inhaftiert worden. In Lyon hätten sich dabei verhältnismäßig wenige Personen in Schuldnerhaft befunden. Vause betonte allerdings, dass bei dieser Auswertung beachtet werden muss, dass zum Beispiel Schuldner des umsatzreichen Seide produzierenden Sektors in den Unterlagen von St. Josef gar nicht erscheinen. Gesetzlich beruhte die Schuldnerhaft auf einer Reform von 1832, die eine Mindestschuldsumme für die Inhaftierung und eine Bestimmung, wer konkret inhaftiert werden konnte, normierte. Die meisten Schuldner seien wegen kleinerer Summen in Haft geraten und gehörten eher der Gruppe der kleinen Gewerbetreibenden und Handelwerker an, während die Gläubiger eher zur besitzenden Schicht der Unternehmer, Grundbesitzer und Rentiers zählten.

In der fünften Sektion sprach zunächst VIERA REBOLLEDO-DHUIN (Paris) über die Kreditprobleme der Pariser Buchhändler und die Konkursentwicklung vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Gesetzgebung. Ausgehend vom Code de Commerce (1807) war das französische Konkursverfahren im 19. Jahrhundert unter den Aspekten von Transparenz, Laufzeit und Effizienz reformiert worden. Dabei wurde zwischen betrügerischem und unverschuldetem Bankrott unterschieden und die Schuldnerhaft abgeschafft. Das Handelsgericht führte das Konkursverfahren ein, wobei die Gläubiger einen Treuhänder für das Schuldnervermögen bestimmten. Oft hätten Schuldner auch vorgerichtlich versucht, durch Verhandlungen ein Konkursverfahren zu vermeiden. Rebolledo-Dhuin zeigte auf, dass vor allem Pariser Buchhändler relativ oft Pleite gingen – teils bereits nach kurzer Betriebsdauer. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Buchhändler nur zurückhaltend Kredite erhielten, da die Geldgeber der Wirtschaftskraft ihrer Betriebe wenig Vertrauen entgegengebracht hätten. Wegen der nötigen großen Menge an Aktiva habe sich der Betrieb eines Buchhandels teurer gestaltet und ein Gewinn als viel schleppender zu erwirtschaften als in anderen Branchen. So sei der Buchhandel nur schwer durch Kredite an Kapital gelangt und habe sich zum Beispiel durch die Ausgabe von Schuldscheinen behelfen müssen. Ein Bankrott habe für einen Buchhändler aber nicht das endgültige wirtschaftliche Aus bedeutet, sondern wurde vielmehr oft als Chance für einen Neubeginn genutzt.

Anschließend verglich SAKIS GEKAS (York/Toronto) die Entwicklung der Konkursregelungen in zwei historisch wie rechtlich getrennten Regionen Griechenlands, dem unabhängigen griechischen Staat und in den unter britischer Herrschaft stehenden Ionischen Inseln im 19. Jahrhundert. Gekas richtete sein Augenmerk auf die Behandlung zahlungsunfähiger Schuldner durch die beiden neu gegründeten Banken, der Ionischen Bank im britisch besetzten Teil und der Nationalbank des griechischen Staates. Die Gründungen der Nationalbanken beider Staaten hätten die Zeit eines modernen Bankensystems eingeläutet, das auch auf den Geldhandelssektor steuernd Einfluss genommen habe. Dabei sei es im agrarisch geprägten Griechenland vorrangig um die Kreditvergabe an Agrarbetriebe gegangen. Beide Banken wurden jedoch bei der Behandlung von zahlungsunfähigen Schuldnern durch unterschiedliche Rechtstraditionen beeinflusst. Die Ionischen Inseln orientierten sich am venezianischen und später nordwesteuropäischen Recht, der griechische Staat hielt hingegen mehr am traditionellen Gewohnheits- und Lokalrecht fest. Entsprechend der unterschiedlichen Rechtsauffassungen seien beide Banken bei der Behandlung von zahlungsunfähigen Schuldnern ebenso unterschiedlich vorgegangen. Die Ionische Bank lehnte Grundbesitz als Sicherheit ab und setzte eher auf Bestrafung und Versteigerung des Besitzes. Dagegen orientierte sich die Griechische Nationalbank, die den agrarischen Kreditmarkt beherrschte, eher am alten Gewohnheits- und Lokalrecht. Insbesondere in Jahren, in denen sie einen Überschuss erwirtschaftete, betrieb sie eine Politik der Kreditabschreibung zugunsten der verschuldeten Landwirte.

Die sechste Sektion leitete PAOLO DI MARTINO (Birmingham) mit einem Vortrag über die praktische Funktionsweise von normierten Bankrottverfahren in einer europäischen Perspektive im Zeitraum um 1880 bis 1914 ein. Di Martino verglich die Lösungen und Verfahren in Bankrottfällen und deren Effizienz in Deutschland, England, Frankreich und Italien. Während Deutschland seit 1877 ein Verfahren angewendet habe, das mit der Vereinbarung einer Verwertung des Unternehmens in der Form einer Liquidation oder einer Schuldenbegleichung durch Fortführung abgeschlossen habe, habe man in Frankreich und Italien zusätzlich die Möglichkeit gekannt, bereits vor dem konkreten Bankrottfall Vereinbarungen zwischen Schuldner und Gläubigern zu treffen. Das englische Verfahren ab 1887 sei komplexer gestaltet gewesen, wobei neben den üblichen Verfahren vor und in dem eingetretenen Bankrottfall weitere Entschuldungsvereinbarungen außerhalb eines Bankrotts angewendet worden seien. England habe dabei eine weite Entscheidungsfreiheit der Verfahrensparteien angestrebt, während in Frankreich und Italien eine gerichtliche Regulierung favorisiert worden sei und hier weniger vorgerichtliche Vereinbarungen stattgefunden hätten als in England. Die englischen Verfahren hätten dafür am längsten gedauert. Das einfach gestaltete deutsche Bankrottverfahren habe am schnellsten zu einer abschließenden Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubigern geführt.

ULRICH FALK und CHRISTOPH KLING (beide Mannheim), die derzeit eine konkurshistorische Datenbank aufbauen, sprachen über das Regelungskonzept des Zwangsvergleichs in der deutschen Konkursordnung. Ein Zwangsvergleich sei durch den Schuldner mit seinen Gläubigern ausgehandelt und durch das Gericht bestätigt worden. Dies beendete das Konkursverfahren, wobei bis dahin ein durch das Konkursgericht bestellter Konkursverwalter den Betrieb schließen oder fortführen lassen konnte. Bis zum Jahr 1900 kam in 90 Prozent der Fälle ein Zwangsvergleich zustande und auch bis in das letzte Jahr der hier ausgewerteten Unterlagen, das Jahr 1913, funktionierte diese Verfahrensweise. Gegenüber späteren Zeiten wurden nur verhältnismäßig wenige Eröffnungsanträge mangels Masse abgewiesen. Durch den einfach gestalteten Zwangsvergleich konnten die meisten Konkursverfahren in angemessener Zeit abgeschlossen werden, auch, da zu dieser Zeit nur wenig an gesichertem Kredit im verbliebenen Schuldnervermögen vorhanden gewesen war. Die fortschreitende Verbreitung von Kreditsicherungsmitteln führte schließlich zum Ende des 20. Jahrhunderts mangels Konkursmasse zur Wirkungslosigkeit des Konkursverfahrens.

In der abschließenden Diskussion fasste Schulte Beerbühl noch einmal die bestimmenden Fragestellungen der Tagung zusammen, um Vergleiche und Zusammenhänge der vorgestellten Bankrottfälle in den betrachteten Regionen und Zeiträumen herzustellen. So wurde zunächst betrachtet, wie Staaten agierten, wenn Unternehmensbankrotte und Wirtschaftskrisen auftraten und anschließend, welcher Staat am effektivsten und vorteilhaftesten vorging. Dabei zeichnete sich ab, dass alle normierten Verfahrensweisen bei Bankrotten, die vorgestellt wurden, ähnliche Grundstrukturen aufwiesen, jedoch im Detail erheblich voneinander abwichen. Wie übereinstimmend in der Diskussion festgehalten wurde, ist allen Verfahren gemeinsam, dass ihre praktische Anwendung bis in die heutige Zeit von den gesetzlichen Vorgaben abweicht. Stets waren soziale und wirtschaftliche Belange (wie Reputation und Kreditwürdigkeit) ausschlaggebend gewesen, was oftmals zu einer außergerichtlichen Einigung geführt hätte. In diesem Sinne hätten auch die Gerichte aus praktischen Erwägungen häufig auf eine Kompromisslösung hingewirkt.

Die Konferenz zu den Vorgehensweisen bei wirtschaftlichen Krisen und Bankrotten stieß insgesamt auf ein beträchtliches Interesse an diesem bisher wenig berücksichtigten Thema, so dass der geplante Tagungsband einen entscheidenden Beitrag zur weiteren Erforschung dieses Bereichs leisten wird. Die detailreichen Vorträge, die von angeregten Diskussionen begleitet wurden, beleuchteten in eindrucksvoller Weise verschiedene Perspektiven auf Lösungen zu unternehmerischen Bankrott- und Konfliktfällen vom Europa des 15. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit. Im Verlauf der Tagung eröffnete sich ein breites Forschungsfeld mit neuen Fragestellungen, unter anderem bezüglich der Wechselbeziehung und rekurrierende Diskrepanz von Norm und Praxis, der Frage nach den Verlaufsformen der Verfahren und nicht zuletzt der durch kulturelle Deutungen und individuelle Interessen beeinflussten Anwendung im Einzelfall in der gerichtlichen und außergerichtlichen Praxis. Auch zeigten sich Desiderata hinsichtlich der jeweiligen Hintergründe für bankrottrechtliche Veränderungen und der Ursachen von Innovationen in diesem Bereich. Es ergaben sich insgesamt anregende Anknüpfungspunkte für weitere Projekte sowohl in europäischer als auch in interdisziplinärer Hinsicht.

Konferenzübersicht:

Albrecht Cordes (Frankfurt am Main) und Margrit Schulte Beerbühl (Frankfurt am Main/Düsseldorf): Begrüßung und Einführung

Eröffnungs- und Einleitungsvortrag:
Peter von Wilmowsky (Frankfurt am Main): Funktionen des Insolvenzrechts

1. Sektion:
Anja Amend-Traut (Würzburg): Moderation

Mechthild Isenmann (Leipzig): Vor dem Konkurs: Strategien zur Konfliktlösung oberdeutscher Handelshäuser im 15. Und 16. Jahrhundert
Wolfgang Forster (Tübingen): Gescheiterte memoria: Patronats- und Begräbnisrechte im Konkurs

2. Sektion:
Wim Decock (Leuven/Frankfurt am Main): Moderation

Dave de Ruysscher (Brüssel): Going beyond Creditor-Friendliness: Voluntary Bankruptcy in the Low Countries (16th-17th Centuries)
Lina Weber (Amsterdam/Basel): Failing in the Dutch Republic during the Economic Crises of the 18th Century

3. Sektion:
Margrit Schulte Beerbühl (Frankfurt am Main/Düsseldorf): Moderation

Magnus Ressel (Frankfurt am Main): Failures of German business-houses in eighteenth-century Venice. Norms and reality of handling bankruptcies of privileged foreigners
Christine Zabel (Essen): The show must go on? German merchants in Bordeaux facing bankruptcy in the outgoing 18th century

4. Sektion:
Heikki Pihlajamäki (Helsinki): Moderation

Klas Nyberg und Håkon Jakobsson (Stockholm): Negotiations, credit and trust in Northern Europe. Was there an increased efficiency in the handling of bankruptcies in Stockholm 1767-1849
Erika M. Vause (Chicago): „That Pawnshop of Human Flesh“: Debtors, Creditors, and the Cash Nexus in the Debtors‘ Prisons of nineteenth-century Lyon

5. Sektion:
Andreas Fahrmeir (Frankfurt am Main): Moderation

Viera Rebolledo-Dhuin (Paris): Below and beyond the bankruptcy: the credit, in the Parisian book trade in the 19th century
Sakis Gekas (York/Toronto): Crises, bankruptcies and the state in nineteenth-century Greece

6. Sektion:
Felix Maultzsch (Frankfurt am Main): Moderation

Paolo Di Martino (Birmingham): The Functioning of Bankrupcy Law and Practices in European Perspective (c. 1880-1914)
Ulrich Falk und Christoph Kling (Mannheim): Das Regelungskonzept des Zwangsvergleichs in der deutschen Konkursordnung

Abschlussdiskussion:
Margrit Schulte Beerbühl (Frankfurt am Main/Düsseldorf): Moderation