Erinnerungsorte Ruhr

Organisatoren
Theo Grütter, Ruhr Museum, Essen; Stefan Berger, Institut für soziale Bewegungen, Bochum
Ort
Essen
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.12.2013 - 14.12.2013
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Von
Joana Seiffert, Institut für soziale Bewegungen, Ruhr-Universität Bochum

Das Bochumer Institut für soziale Bewegungen und das Ruhr Museum auf Zollverein haben im Jahr 2012 auf Initiative und mit Unterstützung des Regionalverbandes Ruhr ein Projekt ins Leben gerufen, das sich mit den „Erinnerungsorten Ruhr“ auseinandersetzt. Im Dezember 2012 wurde auf einer internationalen Tagung im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets zur Frage „Was ist ein Erinnerungsort und wie entsteht er?“ die Übertragbarkeit des von der europäischen Historiografie entwickelten Erinnerungsortekonzepts auf altindustrielle Regionen wie das Ruhrgebiet diskutiert.1

Auf der Konferenz im Welterbe Zollverein im Dezember 2013 wurde dann anhand einer Auswahl unterschiedlicher Erinnerungsorte des Ruhrgebiets der Frage nachgegangen, wie man diese regionalen Erinnerungsorte beschreiben kann und worin deren Erinnerungswert besteht. Dabei wurde bewusst nicht zwischen materiellen und immateriellen, konkreten und metaphorischen, topografischen und ereignishaften Erinnerungsorten unterschieden, sondern in insgesamt sechs thematischen Workshops anhand verschiedenartiger Fallbeispiele Fragen der Kanonisierung und Vermittlung im Hinblick auf eine zukünftige Präsentation der Erinnerungsorte Ruhr diskutiert.

Als Einführung in die zweitägige Konferenz hat STEFAN BERGER (Bochum) die historischen Ursprünge des auf Pierre Nora zurückgehenden, internationalen „Erfolgskonzeptes Erinnerungsorte“ sowie seine verschiedenen Anwendungen und Abwandlungen nachgezeichnet und sowohl die Stärken und Potenziale des Begriffs als auch seine Schwächen und Problematiken aufgezeigt.

THEO GRÜTTER (Essen) machte unter der Fragestellung „Was ist das Ruhrgebiet?“ deutlich, dass der Suche nach den Erinnerungsorten des Ruhrgebiets die Frage nach symbolträchtigen Fixpunkten gemeinsamer Erinnerung zugrunde liege, welche für das gesamte Ruhrgebiet eine identitätsstiftende Funktion besitzen bzw. besitzen können. Demgegenüber bildeten Erinnerungsorte im Ruhrgebiet Gegenstände von Erinnerung, die sich zwar in der Region verorten ließen, vielmehr jedoch lokale Teilidentitäten bedienten, welche sich von der Vorstellung des Ruhrgebiets als einem homogenen Gedächtnisraum abgrenzten. Von elementarer Bedeutung sowohl bei der Suche als auch der Vermittlung der Erinnerungsorte Ruhr sei daher die Frage, was wir überhaupt als das Ruhrgebiet verstehen und seit wann bzw. in welchen Zusammenhängen vom Ruhrgebiet als einem zusammengehörigen Raum gesprochen werden kann.

WINFRIED SCHENK (Bonn) plädierte mit Blick auf das Ruhrgebiet für einen Landschaftsbegriff, mittels welchem Landschaft als ein bewusstes gesellschaftliches Konstrukt begriffen werden könne. Auf diese Weise, so Schenk, könne die funktionale Beziehung zwischen den einzelnen zu vermittelnden Erinnerungsorten innerhalb der Erinnerungslandschaft Ruhrgebiet sichtbar gemacht werden.

KLAUS DIETER KLEEFELD (Bonn) zeigte in diesem Zusammenhang verschiedene Anschlussmöglichkeiten des geplanten Projektes an bestehende regionale Initiativen auf und betonte, dass in dem dezidiert regionalen Charakter des Vorhabens sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance für einen innovativen Umgang mit dem Erinnerungsortekonzept bestehe.

Den Abschluss des ersten Konferenztages bildete eine von DIETER NELLEN (Essen) moderierte Gesprächsrunde mit LUDGER CLASSEN (Essen), BÄRBEL KUHN (Siegen), TOM ROHDE (Essen) und BEATE SCHLANSTEIN (Köln) als Vertretern aus den Bereichen Medien, Public Relations und Geschichtsdidaktik. In der Gesprächsrunde wurden Ansätze eines Kommunikationskonzepts sowie Ideen für die Implementierung des Projekts mittels der Möglichkeiten von Internet und Social Media erarbeitet.

In dem von UTA HOHN (Bochum) geleitet Workshop „Landschaft“ wurden mittels eines konstruktivistischen sowie eines handlungstheoretischen Landschaftsbegriffs verschiedene Zugänge für die Darstellung und Vermittlung von Erinnerungsorten diskutiert und der Blick auf die verschiedenen Aushandlungsprozesse um eine Landschaft, also auf die Frage, wie verschiedene Akteure Landschaft (neu) kodieren und deuten, gelenkt.

CHRISTA REICHER (Dortmund) hat die verschiedenen „Zeitschichten“ der Landschaft Ruhrgebiet aufgezeigt und in diesem Zuge die Frage nach der nächsten Schicht, dem „Wie kann es weitergehen?“, aufgeworfen und mit verschiedenen Ansätzen einer neuartigen Raumgestaltung, beispielsweise der Idee des Weinanbaus im Ruhrtal, „gespielt“.

DIRK HALLENBERGER (Essen) hat die sich verändernde Wahrnehmung von Landschaft anhand von Romanen über das Ruhrtal nachgezeichnet und Interdependenzen zwischen Landschaft als einem physischen Raum und einem Handlungsraum bestimmter Akteure aufgezeigt.

JÖRG DETTMAR (Darmstadt) hat aus ökologischer Perspektive die Dimensionen permanenten Wandels im Ruhrgebiet sichtbar gemacht und ähnlich eines geologischen Aufschlusses ebenfalls verschiedene Landschaftsschichten und somit verschiedene „Schichten“ der Ruhrgebietsgeschichte offengelegt.

SÖKE DINKLA (Duisburg) hat die Bedeutung von Landmarken bzw. Landmarkenkunst für die Gestaltung und Wahrnehmung von Landschaft im Ruhrgebiet diskutiert. Insgesamt wurde deutlich, dass bei einer Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ruhrgebiets mittels der Kategorie Landschaft der dynamische Charakter von Landschaft gegenüber statischen Landschaftsvorstellungen stärker in den Vordergrund gestellt werden müsse. In der Frage nach der Besonderheit des Ruhrgebiets dürfe folglich die Dimension des Wandels bzw. die permanente Erfahrung von Wandel lohnenswerte Zugänge in der Frage nach einer Gemeinsamkeit stiftenden Erinnerung eröffnen.

Inwieweit haben bestimmte Persönlichkeiten, Menschengruppen oder Vorstellungen vom Wesen und Charakter der Menschen im Ruhrgebiet die Region in ihrer Selbst- und Fremdwahrnehmung geprägt und ein Bewusstsein regionaler Zusammengehörigkeit geschaffen? Aus einer Vielfalt unterschiedlicher Perspektiven wurden diese Fragen in dem von REGINA SCHULTE (Bochum) geleiteten Workshop „Menschen“ beleuchtet.

ACHIM PROSSEK (Berlin) hat den so genannten „Ruhri“ als Sinnbild für den (ur-)typischen Ruhrgebietler in den Blick genommen, nach den Ursprüngen dieser Figur sowie nach ihrem nostalgischen Wert gefragt und auf diese Weise eine Dekonstruktion des „Mythos Ruhri“ betrieben. Prossek hat den „Ruhri“ hierbei nicht nur als eine mögliche Identifikationsfigur diskutiert, sondern gleichsam ihren ausschließenden Charakter (männlich, weiß) offengelegt und nach alternativen Identifikationsfiguren gefragt.

MANFRED RASCH (Duisburg) hat das Leben und Wirken der Unternehmerpersönlichkeit August Thyssen skizziert und die Bedeutung Thyssens für das Werden und Sein des Ruhrgebiets diskutiert. Die Person Thyssen stellte in diesem Zusammenhang auch einen interessanten Kontrast zu der Figur des „Ruhris“ dar.

Der Einführungsvortrag von DIETMAR OSSES (Bochum) zum Thema „Migration“ sowie der Beispielvortrag von JACEK BARSKI (Bochum) zu den so genannten „Ruhrpolen“ waren thematisch wiederum sehr eng aufeinander bezogen. Anhand der jeweiligen Migrationswellen wurde das Wachsen und Werden der Region Ruhrgebiet in seinem Zeitverlauf nachgezeichnet und die vielfältigen kulturellen Prägungen, die das Ruhrgebiet durch die Zuwanderung verschiedener Menschengruppen erfahren hat, als wesentliche Bestandteile regionaler Identitätsbildung diskutiert.

Der von UTE SCHNEIDER (Essen) moderierte Workshop zum Thema „Arbeit“ wurde durch die Topoi „Kohle“ und „Stahl“ strukturiert, zu denen MICHAEL FARRENKOPF (Bochum) und WALTER HAUSER (Oberhausen) die jeweiligen Einführungsvorträge hielten. Beide Referenten stellten heraus, dass es sich bei Kohle und Stahl nicht um genuine Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, sondern lediglich um bedeutsame Ressourcen bzw. Teile der materiellen Kultur des Ruhrgebiets handele, die es als solche zu betrachten gelte. Um die Bedeutung von Kohle und Stahl für die Ausbildung und Entwicklung des Ruhrgebietes adäquat darzustellen, müsse gezeigt werden, wie sie den Raum sowie die Lebens- und Arbeitswelt des Ruhrgebiets im Zeitverlauf strukturiert haben. Eine besondere Herausforderung bestehe in der Sichtbarmachung der weitgehend „unsichtbaren“ Arbeitswelt unter Tage.

WALTER BUSCHMANN (Aachen) hat am Beispiel der Zeche Zollverein, die heute als Welterbe für die gesamte Region Ruhrgebiet einen repräsentativen Charakter besitzt, die Veränderungen der Arbeits- und Produktionsbedingungen in der Montanindustrie im Zeitverlauf nachgezeichnet. Er hat herausgestellt, dass das Ruhrgebiet unter dem Aspekt der Arbeit nur in seinen europäischen Verflechtungen adäquat betrachtet werden könne und die Dimension des Wandels auch hierbei einen notwendigen Zugriff darstelle.

FRANK STENGLEIN (Essen) hat die diversen Krupp-Denkmäler in Essen in den Blick genommen und zur Diskussion gestellt, ob und inwiefern solche „gestifteten Erinnerungsorte“ überhaupt Ankerpunkte kollektiver Erinnerungen sein können und welche anderen Möglichkeiten sich bieten, das Thema Arbeit im Ruhrgebiet in seinem historischen Wandel zu vermitteln. In der Diskussion wurde mit dem Begriff der „Lernorte“ eine Form der Vermittlung zwischen Museum und Erinnerungsort angeregt und darüber hinaus betont, dass die Erinnerung an Arbeit immer nur eine fragmentarische Erinnerung sein könne. Bei der Darstellung und Vermittlung von Arbeit müsse folglich nach Merkmalen wie Generation oder Geschlecht differenziert und die sich wandelnden Formen und Begriffe von Arbeit in die Darstellung mit einbezogen werden.

LUCIAN HÖLSCHER (Bochum) hat dem Workshop „Krisen und Konflikte“ die Frage nach möglichen „Gegenerinnerungen“ vorangestellt – Erinnerungen, die in einem Konkurrenzverhältnis zu den etablierten, allgemein verbindlichen Erinnerungen einer Gesellschaft stehen und institutionalisierte Geschichtsnarrative in Frage stellen. Hölscher warnte in diesem Zusammenhang davor, eine Art „Erinnerungsgerechtigkeit“ einzufordern und festzuschreiben, was gegenüber vermeintlich „unwichtigen“ Erinnerungen als „erinnerungswürdig“ zu gelten habe. Die einzelnen Vorträge zeigten dann verschiedene Möglichkeiten und Gefahren im Umgang mit Erinnerungsorten als prinzipiell umstrittenen Ankerpunkten kollektiver Erinnerung auf.

Eine Besonderheit bildete der Beitrag von THEO STEEGMANN (Duisburg) zur „Brücke der Solidarität“ in Duisburg-Rheinhausen, da Steegmann die Ereignisse aus der Perspektive eines damals beteiligten Akteurs schilderte und so auf die emotionale Eingebundenheit von Zeitzeugen bei der Deutung und Vermittlung von Erinnerungen aufmerksam machte.

Mit der Frage wie sich „Streik“ in seinem historischen Wandel darstellen und kommunizieren lasse, hat DAGMAR KIFT (Dortmund) die Schwierigkeiten bei der Vermittlung dieses Themenkomplexes deutlich gemacht. Streik bilde in erster Linie einen performativen Akt, dessen Ausdrucksformen sowie dessen Bedeutung sich im Zeitverlauf verändert haben. Der Rückgriff auf charakteristische Motive, Figuren oder Gegenstände bilde einen möglichen Zugriff bei der Vermittlung dieses abstrakten Erinnerungsortes.

Eine ähnliche Problematik wurde im Vortrag von STEFAN GOCH (Gelsenkirchen) zum Strukturwandel im Ruhrgebiet erkennbar, wobei Goch zu bedenken gab, ob und inwieweit Strukturwandel überhaupt als ein Erinnerungsort fassbar gemacht werden könne.

Im Vortrag von JOANA SEIFFERT (Bochum) zum Ruhrkampf und der Roten Ruhrarmee wurde vor allem das Wechselverhältnis von Erinnern und Vergessen beleuchtet. Nicht zuletzt weil der Erinnerung an den Ruhrkampf die Zukunftsdimension abhanden gekommen sei, so Seiffert, stelle dieser heute keinen Erinnerungsort des Ruhrgebiets mehr dar.

Die Gleichung „Ruhrgebiet = Kulturgebiet“ zusammen mit der Frage, wie diese Gleichung aufzulösen sei, bildete den Ankerpunkt für den von MILENA KARABAIC (Köln) moderierten Workshop „Kultur“. Zu Eingang setzte FRANZ-JOSEF BRÜGGEMEIER (Freiburg) verschiedene Vorstellungen von Kultur, von „Alltagskultur“ bis hin zu „Hochkultur“, miteinander in Beziehung um davon ausgehend der Frage nachzugehen, mittels welcher Zugänge der Dimension der Erinnerung über den Kulturbegriff beizukommen sei.

Darauf aufbauend hat HANNELIESE PALM (Dortmund) in ihrem Vortrag zur „Literatur der Arbeitswelt“ Einblicke in ein besonderes literarisches Genre als Ausdruck einer speziellen literarischen Kultur des Ruhrgebietes gegeben.

JÜRGEN FISCHER (Essen) betonte, dass das, was das Ruhrgebiet als Kulturgebiet auszeichne, nicht die Summe, sondern die speziellen Ausdrucksformen von Kultur in der Region seien. So stelle die Route der Industriekultur eine ruhrgebietsspezifische, endemische Kulturform dar.

INGRID WÖLK (Bochum) betrachtete das Schauspielhaus Bochum als „Labor“ und machte auf diese Weise historische Transformationsprozesse mit Blick auf das Ruhrgebiet als einem Kulturgebiet sichtbar.

In dem von WINFRIED SCHULZE (Essen) geleiteten Workshop zur „Vormoderne“ stand das Spannungsverhältnis zwischen den Erinnerungsorten des Ruhrgebiets und den Erinnerungsorten im Ruhrgebiet im Zentrum – die Frage also, wie die Zeit der Vormoderne mit dem heutigen (Bild vom) Ruhrgebiet als einem durch die Industrialisierung definierten Raum in Verbindung gebracht werden könne.

Nach einem Überblicksvortrag von THOMAS SCHILP (Dortmund) zur Epoche des Mittelalters im Ruhrgebiet konkretisierte BIRGITTA FALK (Essen) diese Fragen mit Blick auf die Verehrung des Heiligen Liudger in Essen-Werden sowie der Figuren Cosmas und Damian in Essen.

RUDOLF ASSKAMP (Haltern) und CHARLOTTE SCHREITER (Xanten) machten wiederum die Spuren antiker Kultur im Ruhrgebiet sichtbar. Insgesamt wurde deutlich, dass vor allem der Blick auf die Transformationsprozesse konkreter Orte innerhalb des Ruhrgebiets oder aber der Wandel von Zeit und Zeiterfahrung (etwa anhand von Beschleunigung, Verkehr und Infrastruktur) lohnenswerte Zugriffe in der Frage nach den Erinnerungsorten des bzw. im Ruhrgebiet(s) eröffne. Als Alternative zum Begriff der Erinnerungsorte wurde der Begriff der Erinnerungs- bzw. Zeitschichten als ein stärker „verzahnendes Konzept“ zur Diskussion gestellt.

Den Abschluss der Konferenz bildete eine von ULRICH BORSDORF (Düsseldorf) geleitete Podiumsdiskussion. In der Frage nach den Chancen des Projektes Erinnerungsorte Ruhr gab Dieter Nellen zu bedenken, dass das für das Ruhrgebiet mitunter zu schwer wiegende industriekulturelle Paradigma durch das Projekt aufgebrochen werden könne. Mit der Bewerbung um den Weltkulturerbe-Titel würden ebenfalls neue Ansätze der Selbstdefinition und -darstellung des Ruhrgebiets verfolgt. Demnach sei eine Verlinkung beider Projekte im Falle einer positiven Entwicklung des UNESCO-Bewerbungsverfahrens denkbar.

WOLFGANG ROTERS (Aachen) äußerte in diesem Zusammenhang Kritik am derzeitigen Stand der Weltkulturerbe-Bewerbung. Diese orientiere sich zu stark an den einzelnen (industriekulturellen) Standorten des Ruhrgebiets, wohingegen die Beziehung zwischen den jeweiligen Standorten, die den Raum Ruhrgebiet erst als eine „Kulturlandschaft“ auszeichne, zu kurz komme. Es sei daher wünschenswert, dass von dem Projekt Erinnerungsorte Ruhr innovative Impulse an die UNESCO-Bewerbung ausstrahlen.

JÖRN RÜSEN (Essen) hat das Moment der Lebendigkeit von erinnerter Vergangenheit betont und als Kritik am Erinnerungsortekonzept angeführt, dass dem Erinnerungsparadigma die Zukunftsdimension fehle, bzw. der Erinnerungsdiskurs den Zukunftsdiskurs weitgehend abgeschnitten habe. Ebenso bemängelte er das Fehlen einer kritischen Dimension innerhalb des Erinnerungsdiskurses und warnte vor einer beschönigenden Erinnerung, etwa einer „Topolatrie des Ortes“.

CHRISTA REICHER (Dortmund) betonte, dass durch den Schichtenbegriff, stärker als durch den der Erinnerungsorte, nicht nur die gegenwärtige, sondern auch die historische Dimension von Erinnerung greifbar gemacht würde. Zudem müsse mit Blick auf das Ruhrgebiet vor allem die lokale Relevanz von Erinnerung gegenüber ihrer regionalen Ausrichtung stärker betont werden. Mittels des Begriffs der „Zeitschichten“, so Winfried Schulze, ließe sich außerdem die Gewordenheit des Ruhrgebiets in einer diachronen Perspektive darstellen und das Moment des Wandels plastischer vermitteln.

Das Erinnerungsortekonzept, so ein zentrales Ergebnis der Konferenz, ist mit Blick auf das Projektvorhaben revisionsbedürftig. Weder soll das Ruhrgebiet nach einem mittlerweile bekannten Muster geschichtspolitisch „aufbereitet“, noch soll ein einheitliches bzw. ein zur Einheit inszeniertes Gedächtnis als eine Art Norm bildendes Modell entworfen werden. Es hat sich gezeigt, dass für das gegenwärtige Ruhrgebiet eine Vielzahl vergangener Ereignisse, Entwicklungen und Zeiträume Relevanz besitzen und die Erinnerung daran von einer Vielfalt unterschiedlicher Gruppen getragen wird. Der Zusammenhang dieser historischen Entwicklungen und Veränderungen muss einerseits im regionalen Raum eines je anders definierten Ruhrgebiets, andererseits im Bewusstsein seiner Bewohner bzw. Außenbeobachter sichtbar gemacht und vermittelt werden, wobei die für das Ruhrgebiet elementare Dimension der Zukunftsgestaltung nicht ausgeblendet werden darf.

Konferenzübersicht:

Begrüßung
Heinrich Theodor Grütter (Direktor Ruhr Museum)

Grußwort
Karola Geiß-Netthöfel (Regionaldirektorin RVR)

Einführung
Stefan Berger (Direktor Institut für soziale Bewegungen), Das Konzept der Erinnerungsorte

Erinnerungsorte im / Erinnerungsorte des Ruhrgebietes

Heinrich Theodor Grütter (Ruhr Museum, Essen), Was ist das Ruhrgebiet?

Winfried Schenk (Universität Bonn), Das Ruhrgebiet – Ein neuer Landschaftsbegriff (?)

Klaus-Dieter Kleefeld (LVR, Bonn), Erinnerungslandschaft Ruhrgebiet – Das kulturelle Erbe

Round Table
Vermittlungsfragen – Gesprächsrunde mit Vertretern aus Medien, Public Relations und Geschichtsdidaktik

Moderation: Dieter Nellen (RVR, Essen)

Gesprächspartner: Ludger Claßen (Klartext Verlag, Essen), Bärbel Kuhn (Universität Siegen), Tom Rohde (KNSK West, Essen), Beate Schlanstein (WDR Köln)

Workshop 1: „Landschaft“

Christa Reicher (TU Dortmund), Landschaft und Orte

Dirk Hallenberger (Universität Duisburg-Essen), Das Ruhrtal – Ein literarischer Zugriff

Jörg Dettmar (TU Darmstadt), Industrienatur

Söke Dinkla (Lehmbruck-Museum, Duisburg), Landmarkenkunst

Moderation: Uta Hohn (Universität Bochum)

Workshop 2: „Menschen“

Achim Prossek (Humboldt-Universität zu Berlin), Der „Ruhri“

Manfred Rasch (ThyssenKrupp Konzernarchiv, Duisburg), August Thyssen

Dietmar Osses (LWL-Industriemuseum Zeche Hannover, Bochum), Migration

Jacek Barski (Dokumentationsstelle zur Geschichte und Kultur der Polen in Deutschland, Bochum), Ruhrpolen

Moderation: Regina Schulte (Universität Bochum)

Workshop 3: „Arbeit“

Michael Farrenkopf (Deutsches Bergbau-Museum, Bochum), Kohle

Walter Buschmann (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen), Zeche Zollverein

Walter Hauser (LVR-Industriemuseum, Oberhausen), Stahl

Frank Stenglein (Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Essen), Krupp

Moderation: Ute Schneider (Universität Duisburg-Essen)

Workshop 4: „Krisen und Konflikte“

Dagmar Kift (LWL-Industriemuseum Zeche Zollern, Dortmund), Streik / Bergarbeiterstreik

Joana Seiffert (Institut für soziale Bewegungen, Bochum), Ruhrkampf und Rote Ruhrarmee

Stefan Goch (Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen), Das Ruhrgebiet nach Jahrzehnten des Strukturwandels

Theo Steegmann (Duisburg), Brücke der Solidarität in Rheinhausen

Moderation: Lucian Hölscher (Universität Bochum)

Workshop 5: „Kultur“

Franz-Josef Brüggemeier (Universität Freiburg), Alltagskultur des Ruhrgebietes

Hanneliese Palm (Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt, Dortmund), Literatur der Arbeitswelt

Jürgen Fischer (RVR, Essen), Das Ruhrgebiet als Kulturgebiet

Ingrid Wölk (Stadtarchiv Bochum), Das Schauspielhaus Bochum

Moderation: Milena Karabaic (LVR, Köln)

Workshop 6: „Vormoderne“

Thomas Schilp (Stadtarchiv Dortmund), Mittelalter im Ruhrgebiet

Birgitta Falk (Domschatzkammer Essen), St. Liudger in Essen-Werden und St. Cosmas und
Damian in Essen

Rudolf Aßkamp (LWL-Römermuseum Haltern), Römer an Rhein und Lippe

Charlotte Schreiter (LVR-Römermuseum Xanten), Die Römerstadt Xanten

Moderation: Winfried Schulze (Stiftung Mercator, Essen)

Podiumsdiskussion – Die Zukunft der Erinnerung

Karola Geiß-Netthöfel (RVR) / Christa Reicher (TU Dortmund) / Wolfgang Roters (Universität Aachen) / Jörn Rüsen (KWI, Essen) / Winfried Schulze (Stiftung Mercator, Essen)

Moderation: Ulrich Borsdorf (Düsseldorf)

Anmerkung:
1 Vgl. Tagungsbericht Zwischen Gedächtnis, Geschichte und Identitätskonstruktion: Was ist ein Erinnerungsort und wie entsteht er? 13.12.2012-14.12.2012, Bochum, in: H-Soz-u-Kult, 28.03.2013, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4716> (29.4.2014).


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