Diplomatie unter Druck? Legitimität als diplomatisches Problem im 19. Jahrhundert

Diplomatie unter Druck? Legitimität als diplomatisches Problem im 19. Jahrhundert

Organisatoren
Mareike König, Deutsches Historisches Institut Paris; Katrin Rack, Universität Bielefeld / Deutsches Historisches Institut Paris
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
28.02.2014 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Nadja Ackermann, Historisches Institut, Universität Bern

Säkularisierung, Rationalisierung, Industrialisierung, Nationenbildung und historisches Fortschrittsdenken prägten die 125-jährige Phase, welche Eric Hobsbawm als das lange 19. Jahrhundert bezeichnet. Es war das Zeitalter neuer Kommunikations- und Reisemöglichkeiten durch die Erfindungen des Telegrafen und der Eisenbahn sowie die Blütezeit der Nationalbewegungen. Diese Innovationen gestalteten die Bühne der internationalen Beziehungen um, sie rückten die einzelnen Schauplätze näher zusammen und riefen neue Akteure auf den Plan. Inwiefern führten diese Veränderungen zu einer Umschreibung der Rolle der bisherigen Hauptdarsteller – insbesondere der Diplomaten – auf dem internationalen Parkett? Gerieten durch diesen Wandel die diplomatischen Akteure unter Druck? Waren sie gezwungen, ihre Funktionen neu auszurichten, um neue Legitimitätsgründe für ihre Präsenz zu finden?

Die Frage nach mit neuen Legitimitätsgrundlagen einhergehenden, diplomatischen Übergangsphasen im 19. Jahrhundert stand im Zentrum des am Deutschen Historischen Institut in Paris (DHIP) von MAREIKE KÖNIG (DHIP) und KATRIN RACK (Universität Bielefeld/DHIP) organisierten Workshops. Mit dem bereits in anderen Forschungsbereichen angewandten Konzept ‚Legitimität‘ sollte eine weitere Perspektive für die Diplomatiegeschichte eröffnet werden. Die als Werkstattbericht gedachte Tagung sollte den Rahmen bilden, um Erfahrungen auszutauschen und die Kernfrage, inwiefern Diplomaten im 19. Jahrhundert ihre Aufgaben und Strategien neu ausrichten mussten, um sich und dem Staat, den sie repräsentierten, Anerkennung zu verschaffen, zu diskutieren.

Eröffnet wurde die Tagung durch VERENA STELLER (Frankfurt am Main) die grundsätzliche Überlegungen zum Konzept der Legitimität im Verhältnis zur Diplomatie vorstellte. Bezüglich der Legitimität seien prinzipiell zwei Ebenen zu unterscheiden: Einerseits die normative Ebene der Anerkennungsstrategie und andererseits die Ebene der Aushandlungspraxis. Bei der konkreten Aushandlung von Anerkennung werde deutlich, dass die Legitimität einer Regierung sehr stark von der sozialen Anerkennung des sie repräsentierenden Diplomaten abhinge. Diplomaten stiften einerseits Legitimität, müssten aber gleichzeitig bereits über ein Mindestmaß an persönlicher Anerkennung verfügen, um überhaupt die Legitimität des Staates aushandeln bzw. diese aufrechterhalten zu können. Diese Wichtigkeit der Person des Diplomaten verdeutlichte Steller am Beispiel der Wiederaufnahme der deutsch-französischen Beziehungen nach 1870/71. Mit dem Staatsformwechsel von der Monarchie zur Republik sahen sich die französischen Diplomaten der Schwierigkeit ausgesetzt, einen Staat mit unklarem Charakter zu repräsentieren. Indem die Diplomaten auf bekannte diplomatische Praktiken zurückgriffen, versuchten sie, über den diplomatischen Habitus Anerkennung für ihre Person zu erringen, welche wiederum die Basis für die Aushandlung der staatlichen Legitimität von Angesicht zu Angesicht sein sollte. Die persönliche Anerkennung sollte sich auf jene des Staates übertragen. Damit wurde zugleich eine Kontinuität zwischen der Monarchie und der Republik geschaffen. Neben wichtigen Forschungsarbeiten der letzten Jahre nannte Steller abschließend Überlegungen zu Grenzen, Chancen betreffend der Anwendbarkeit des Legitimitätskonzepts in der Diplomatiegeschichte. So stelle sich beispielsweise im Hinblick auf Periodisierung die Frage nach „neuen ‚diplomatische[n] Sattelzeiten‘“. Es ist beabsichtigt, den Vortrag als Podcast zur Verfügung zu stellen.

Eine Herausforderung, der sich die Diplomaten im 19. Jahrhundert stellen mussten, war das Auftreten neuer Akteure. Wie SONJA HILLERICH (Essen) in ihrem Beitrag darlegte, erhielt die Presse seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine zunehmend größere Gewichtung im komplexen Dreiecksverhältnis von Diplomaten, Auslandskorrespondenten und den staatlichen Regierungen. Die Auslandskorrespondenten traten zum einen verstärkt in ein Konkurrenzverhältnis zu den Diplomaten, für welche Informationsbeschaffung bislang eine ihrer drei Kernfunktionen dargestellt hatte. Zum anderen veränderte sich auch ihr Verhältnis zu den Regierungen. Mit dem Aufstieg der Presse zu einem eigenständigen politischen Akteur, stieg die Bedeutung, welche die Regierungen den Auslandskorrespondenten beimaßen. Grundsätzlich wurde die Kooperation gesucht. Im Konfliktfall konnte es aber auch zur Ausweisung eines unliebsamen Korrespondenten kommen. Die im Kontext des Panama-Skandals sich abspielende Affäre um den 1893 aus Paris ausgewiesenen deutschen Journalisten Otto Brandes verdeutlichte jedoch, dass eine solche Ausweisung diplomatische Folgen nach sich ziehen konnte, da die Auslandskorrespondenten als Vertreter der nationalen Presse angesehen wurden. Dies führte wiederum dazu, dass Ausweisungen vorsätzlich für innenpolitische Zwecke eingesetzt werden konnten. In der Diskussion wurde mit dem Hinweis der engen Verbindung zwischen Inlands- und Auslandsberichterstattung das Beziehungsdreieck zu einem Beziehungsviereck erweitert. Inwiefern der Auslandskorrespondent nicht nur der Bruder des Diplomaten, sondern auch des Politikers war, blieb eine offene Frage.

KATRIN RACK (Bielefeld/Paris) legte den Fokus auf die legitimationsstiftende Funktion der diplomatischen Repräsentation. Der Beitrag verdeutlichte am Beispiel des 1848 gescheiterten Versuchs einer gesamtdeutschen diplomatischen Vertretung in Paris, wie wichtig die symbolische und völkerrechtliche Anerkennung eines Diplomaten als Repräsentant des Staates für dessen Anerkennung auf internationaler Ebene war. Durch ihre erfolgreiche Akkreditierung trugen die Diplomaten zur völkerrechtlichen Legitimität ihrer Regierungen bei. Vor dem Hintergrund dieser Logik lässt sich die Absicht der Provisorischen Zentralregierung mit Friedrich von Raumer einen eigenen Diplomat in Paris zu etablieren, erklären. Gleichzeitig trug dieses Denkmuster auch zum Scheitern dieses Vorhabens bei, denn aus derselben Logik rechtfertigten die deutschen Einzelstaaten im 19. Jahrhundert die Notwendigkeit eigener Diplomaten in Paris. Die kleinen Staaten waren deshalb 1848 trotz hoher Unterhaltskosten und der Verfügbarkeit neuer Kommunikationsmedien nicht gewillt, ihre diplomatischen Vertretungen in Paris aufzugeben. Sie fürchteten in diesem Falle einen Souveränitätsverlust. Damit zeigt sich zum einen, dass Diplomaten als Akteure vor Ort Legitimität nicht nur aushandelten und stifteten, sondern auf ein Mindestmaß an Anerkennungswillen seitens der anderen Regierungen und Diplomaten angewiesen waren. Die Bereitschaft zur Anerkennung eines Diplomaten hing einerseits vom Entsendestaat, aber auch von der Person des Diplomaten selbst sowie der Regierung, bei der er akkreditiert werden sollte ab. Zum anderen verdeutlichte Rack, dass Legitimität und Souveränität nicht gegeben waren, sondern immer wieder neu ausgehandelt werden mussten.

Der wichtigste Posten oder diplomatisches Abstellgleis? MARION ABALLÉA (Genf/Straßburg) untersuchte die Frage der Legitimität unter dem Aspekt der Selbst- und Fremdwahrnehmungen eines Botschafterpostens. Wie legitimierten Diplomaten ihre Präsenz und wie verhielten sie sich, wenn sich die Meinungen des Heimat- und des Gastlandes über die Bedeutung ihre Mission diametral gegenüberstanden? Anhand der französischen Botschaft in Berlin zwischen 1871 und 1914 zeigte Aballéa auf, dass die Hauptfunktion des französischen Diplomaten auf als feindlich angesehenem Terrain vor allem darin bestand, den Posten zu besetzen und durch symbolische Repräsentation die Beziehungen aufrechtzuhalten. Eine längerfristige Agenda gab es aufgrund der seit dem Krieg von 1870/71 angespannten deutsch-französischen Beziehungen nicht. Ein Abzug des Botschafters hätte einen Bruch der diplomatischen Beziehungen signalisiert. Für die Verhandlungen aktueller Politiken wurden andere Akteure nach Berlin geschickt. Diese Doppeldiplomatie weise darauf hin, dass es zunehmend zu einer Aufteilung der Funktionen Repräsentation und Information auf der einen und Verhandlungen auf der anderen zwischen den verschiedenen Akteuren gekommen sei. Aballéa kommt aufgrund ihrer Studie zum Schluss, dass die Botschafter versuchten, ihre Position durch eine verstärkte Ausrichtung auf die Informationsfunktion zu relegitimieren.

Die gesellschaftlichen Änderungen führten dazu, dass sich die Argumentationsstrategien im diplomatischen Diskurs änderten. Der letzte Beitrag richtete sodann den Blick auf die Argumente der Akteure beim Aushandeln der Legitimität. THOMAS MÜLLER (Bielefeld) zeigte in seinem Referat auf, das mit dem Übergang von der traditionellen Fürstengesellschaft zur einer stärker auf staatlichen Machtpotentialen basierten stratifizierten Ordnung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, das Konzept der Großmacht zunehmend die Anerkennungspraxis zwischen den Staaten prägte. Dabei war die Großmacht-Semantik anfangs noch sehr fluide. Erst mit dem Wiener Kongress begann dieses Argument in den Legitimitätsverhandlungen zu wirken. Der Großmachtstatus wurde zum Kriterium, wer an welchen Verhandlungen teilnehmen konnte. Dabei beschäftigte die Akteure die Frage, wem die Einteilungskompetenz zukam. Grundsätzlich gelte es zu beachten, dass es sich beim Großmacht-Konzept um eine normative Vorstellung handelte, die die Argumentationsstrategien zwar prägte, Interessenspolitik aber keineswegs ausschloss.

In der Schlussrunde des Workshops resümierte König panoramaartig die angesprochenen Aspekte und aufgeworfenen Fragen. Sie nannte in diesem Zusammenhang vor allem das Spannungsverhältnis zwischen den Vorgaben durch die Zentrale und den konkreten Gegebenheiten vor Ort, die Bedeutung der Person des Diplomaten und seiner Beziehungen, die Tradierung alter Rechte und transnationaler Wertesysteme, die symbolischen Dimensionen von Handlungen und das Aufkommen neuer Akteure wie der Presse. Schulz ergänzte, dass bei der künftigen Untersuchung des Wandels im diplomatischen System der Generationenfaktor mit zu berücksichtigen sei. Ebenfalls plädierte er dafür, die Kategorie der Fremdheit – sowohl im Hinblick auf außereuropäische Beziehungen als auch Exilregierungen und neue Staaten – stärker in die Forschungen miteinzubeziehen. Der Workshop wird begleitet durch das Blog „Das 19. Jahrhundert in Perspektive. Geschichtswissenschaftliche Forschungen aus Deutschland und Frankreich“, auf dem vor allem die Abstracts der Vorträge zu finden sind.1

Konferenzübersicht:

Einführung und Moderation: Mareike König (DHIP)

Verena Steller (Goethe-Universität Frankfurt), Legitimität in der Praxis -oder: neue Chancen für die Diplomatiegeschichte?

Sonja Hillerich (Universität Duisburg-Essen), Diplomaten, Journalisten und die Grenzen des Erlaubten: Die Affäre Brandes

Katrin Rack (Universität Bielefeld/DHIP), (Un-)entbehrlich? Standort- und Anerkennungsprobleme deutscher Diplomaten in Paris, 1815-1870/71

Moderation: Oliver Schulz (Paris)

Marion Aballéa (Université de Genève/Université de Strasbourg), »Poste le plus important« ou pensionnat d’»enfants sages«? L’ambassade de France à Berlin aux prises avec les contradictions d’une diplomatie en terrain hostile (1871–1914)

Thomas Müller (Universität Bielefeld), Anerkennung von Statusunterschieden: »Großmächte«-Semantik und -Rollen, 1763–1833

Schlussdiskussion: Mareike König (DHIP), Oliver Schulz (Paris)

Anmerkung:
1 Der Blog zur Tagung: <http://19jhdhip.hypotheses.org/>, (19.4.2014).


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