Mit Freundschaft oder mit Recht? Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15.-19. Jahrhundert

Mit Freundschaft oder mit Recht? Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15.-19. Jahrhundert

Organisatoren
LOEWE-Schwerpunkt „Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung“, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main; Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung e.V.
Ort
Wetzlar
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.10.2013 - 04.10.2013
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Von
Ellen Franke, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Universität Wien

Sowohl die rechtshistorische als auch die historische Forschung diskutiert seit längerem darüber, wie die Wege der Konfliktbewältigung, die vor, neben, nach oder unabhängig von einem streitentscheidenden Gerichtsverfahren zum Zwecke der Konfliktlösung beschritten wurden, zu erfassen, zu klassifizieren und zu interpretieren sind. Ein Teil dieser Diskussion wird im Schwerpunkt „Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung“ der Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz des Landes Hessen (LOEWE) gegenwärtig gebündelt, konzeptionell erweitert sowie für aktuelle rechtspolitische als auch gesellschaftliche Debatten fruchtbar gemacht. Die gut besuchte Jahrestagung 2013 des LOEWE-Schwerpunkts fand Anfang Oktober unter der Leitung von ALBRECHT CORDES (Frankfurt am Main) in Wetzlar statt. Dazu luden die Organisatoren sowohl renommierte Forscher als auch Nachwuchswissenschaftler ein, aus ihren Arbeiten Fragen zu inner- und außergerichtlichen Konfliktlösungsmodellen zu entwickeln und zur Diskussion zu stellen.

Angesichts einer bis in das 19. Jahrhundert hinein fehlenden Gewaltenteilung, eines sich in der Frühen Neuzeit sehr langsam herausbildenden staatlichen Gewaltmonopols sowie dessen wahrscheinlicher Erosion in einer globalisierten Welt ergeben sich hier spannende Forschungsansätze, von denen PETER OESTMANN (Münster) in seiner Tagungseinführung wichtige umriss. So sei der Blick auf die Konfliktparteien (und deren aktive Mitgestaltung), auf die Anwälte (und deren wirtschaftliche Interessen), auf die Gerichte (und deren Überforderung) sowie auf die Kosten zu lenken. Vor diesem Hintergrund könne die rechtshistorische Forschung dem gegenwärtigen „Modethema“ gütliche Streitbeilegung wichtige Impulse verleihen. Die Unterschiede zur Vergangenheit seien kleiner als angenommen. Doch seien sie bislang noch nicht hinreichend erforscht, was mit der schwierigen Quellenlage zusammenhänge. Außergerichtliche Konfliktlösungsmodelle sind häufig durch Mündlichkeit und informelle Lösungsstrategien gekennzeichnet, die in den historischen Quellen, die die Zunft klassischerweise nutzt (Gerichtsakten, normative Quellen etc.), keinen oder nur geringen Niederschlag fanden. So könne die Tagung als eine Bestandsaufnahme dienen, in der der Blick von außen – aus Nachbardisziplinen – erkenntnisgewinnend sein dürfte.

Eine derartige Außenperspektive nahm JOHANNA BERGANN (Weimar) ein. Sie hinterfragte Walter Benjamins Konzept von den „Techniken der Übereinkunft“, wonach die heilende Kraft friedensstiftender Worte eine erstrebenswerte „Streitkultur des Herzens“ erzeuge, literaturwissenschaftlich. Dazu griff sie auf die Kalendergeschichte „Der Friedensstifter“ (1814) von Johann Peter Hebel zurück. Indem der „Friedensstifter zur kommunikationsfördernden Schlägerei“ anstiftete, gelang es ihm, die Freundschaft wiederherzustellen. Wutentladende, wohl dosierte Gewalt könne als Vermittlung ebenso fungieren wie jegliche Gewaltvermeidung, lautete ihre These.

In das späte Mittelalter führte anschließend UTE RÖDEL (Mainz) zurück, als sie den hohen Stellenwert der „Sühneverfahren“ am Hofgericht König Ruprechts von der Pfalz unterstrich. Angesichts der festen Instrumentarien, die die untersuchten Schiedsverfahren auszeichneten und die kaum von denen der ordentlichen Gerichtsverfahren abwichen, müsse geprüft werden, ob an der ohnehin schweren Abgrenzung von Gerichts- und Schiedsverfahren überhaupt noch festgehalten werden sollte. Gewinnbringender sei es, weniger rechtsdogmatisch als stärker sozial zu differenzieren sowie den Parteiwillen berücksichtigend zu gewichten.

Diesen Faden griff MARK GODFREY (Glasgow) auf, indem er ins frühneuzeitliche Schottland blickte, das mit dem Herrschaftsverdichtungsprozess hin zum vormodernen Staat einen Wandel in der Nutzung seiner Gerichte und Justizangebote während des 16. Jahrhunderts durchschritt. Einer Dichotomie von privater und öffentlicher Streitbeilegung wollte und konnte der Referent nicht das Wort reden, da beide Methoden allzu häufig ineinandergriffen und sich gegenseitig ergänzten.

Mit einem „Feuerwerk in der Abendstunde“ (Joachim Rückert, Frankfurt am Main) beschloss THOMAS DUVE (Frankfurt am Main) den ersten Sitzungstag. Er widmete sich der Konfliktlösung durch kirchliche Autoritäten in der frühneuzeitlichen „Neuen Welt“. Souverän verstand es der Referent, die Theorien zur Verrechtlichung, zur Justiznutzung sowie zu den Regelungskollektiven für die Frage fruchtbar zu machen, wie Justiz ohne Staat funktioniert. „Unscharfe Zuständigkeiten dienten als Herrschaftselement, […] vieles sollte bewusst im Mündlichen verbleiben“. Aufgrund der weiten Entfernungen seien Geistliche häufig einzig und allein die Justizausübenden gewesen, wobei die Beichte wohl – trotz ihres restituierenden und regulativen Charakters – nicht als „Paralleljustiz“ angesehen werden könne.

Zurück ins Alte Reich führte am zweiten Tag der ebenfalls instruktive Beitrag von HORST CARL (Gießen), der aufgrund der Erkrankung des Referenten von Anette Baumann (Wetzlar) verlesen wurde. Die im Rahmen des Schwäbischen Bundes (1488-1534) professionell betriebene Schiedsgerichtsbarkeit habe sich der ordentlichen Gerichtsbarkeit stark angenähert, so Carl. Schwer sei es, wie schon Rödel konstatierte, hier eine Trennung vorzunehmen. Infolge eines „Institutionalisierungsprozesses“ im zersplitterten Südwesten des Reiches war die Schiedsgerichtsbarkeit „parallel zur beschleunigten Verdichtung der Reichsverfassung um 1500“ entstanden und in den Instanzenzug der Reichsjustiz einbezogen. Die Bundesschiedsgerichte seien effektiver und durchsetzungsfähiger gewesen als das Reichskammergericht.

Das von Carl gezeichnete Bild lud zum direkten Vergleich mit der kastilischen Schiedsgerichtsbarkeit (1474-1504) ein, mit der sich ANTONIO SÁNCHEZ ARANDA (Granada) beschäftigte. Hier ergaben sich bemerkenswerte Parallelen: Auch die kastilische Schiedsgerichtsbarkeit war in den ordentlichen Instanzenzug eingebunden und galt als kostengünstigeres und schnelleres Konfliktlösungsmodell gegenüber der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Da auch Sánchez Aranda krankheitsbedingt leider nicht anwesend war, verlas Ignacio Czeguhn (Berlin) das Skript.

Die nachfolgenden beiden Tagungsblöcke blieben dem Nachwuchs als Forum vorbehalten, welches ANNA MEIWES (Münster) eröffnete. Die in königlichen Hofgerichtsurkunden (1346-1400) enthaltende Paarformel „mit Minne oder mit Recht“ und deren Bedeutungsgehalt interessiert sie, wobei sie sich für den Vortrag auf „Minne“ als Form der gütlichen Übereinkunft der Parteien konzentrierte. Noch offen blieb, ob es sich dabei um einen konsensual gefundenen Vergleich oder um eine schiedsrichterliche Billigkeitsentscheidung handelte, womöglich dürften beide Formen mit „Minne“ erfasst worden sein.

Auch PHILIPP HÖHN (Frankfurt am Main) nutzte spätmittelalterliche Quellen, wobei sein Augenmerk auf die „soziale Dimension des Rechts“ gerichtet war. Den Lübecker und Stralsunder Netzwerken, Handlungsstrategien und Institutionen, die die hansischen Kaufleute nutzten, um einerseits ihre Ansprüche durchzusetzen, aber andererseits das für den Handel unabdingbare Vertrauen in die Partner wiederzugewinnen, galt sein Interesse.

Vom Spätmittelalter schlug STEFFEN WELKER (Frankfurt am Main) überzeugend einen Bogen zur Gegenwart. Ob die in § 278 Abs. 2 ZPO eingeführte obligatorische Güteverhandlung eine „echte Reform“ gewesen sei oder ob es nicht vielmehr Vorläufer in der Vergangenheit gegeben habe, stellte er zur Diskussion. Er klopfte seine Quellen unter anderem nach dem beteiligten Personenkreis der Schlichter sowie nach den Rechtsfolgen ab und arbeitete interessante Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus.

Auf eine bislang wenig bis gar nicht beachtete Quellengattung – die kaufmännischen Pareres – lenkte SONJA BREUSTEDT (Frankfurt am Main) den Blick. Die untersuchten Gutachten der Jahre 1690-1740, die handelsrechtliche Fragen zum Handelsplatz Frankfurt am Main thematisieren, würden im Aufbau den Gutachten der Juristenfakultäten gleichen. Die Paarformel „Freundschaft und Recht“ fehle. In welchen Zusammenhängen die Pareres entstanden sind und ob sie außergerichtlich verwendet wurden, wäre noch zu klären.

Von Frankfurt und den Kaufleuten weg – hin zu Vergleichen von Amtsträgern mit ihren reichsunmittelbaren Dienstherren – führte der Vortrag von FLORIAN LEHRMANN (Freising). Anhand der reichskammergerichtlichen Prozessakten wurde deutlich, dass häufig die Parteien parallel zum laufenden Prozess „die Vergleiche außergerichtlich und offenbar bilateral“ verhandelten. In wenigen Ausnahmen scheint auch das Reichskammergericht beteiligt worden zu sein. Die Initiative dazu hätten häufig die Parteien selbst ergriffen, wohingegen die Anwälte eher eine untergeordnete Rolle gespielt hätten.

Zum Abschluss des Nachwuchsforums referierte YORICK WIRTH (Frankfurt am Main) über die Hintergründe der in den 1860er-Jahren aktiven Judicature Commission, die die Vorarbeiten zur Reform der englischen Höchstgerichtsbarkeit in den 1870er-Jahren leistete. Fehlendes offizielles Kommissionsmaterial und eine schwierige Quellenlage erschweren die prosopographischen sowie sozial- und gesellschaftshistorischen Ansätze zur Erforschung des für die Reform verantwortlichen Netzwerks.

Aus einem reichhaltigen Quellenfundus schöpfte BERNHARD DIESTELKAMP (Kronberg), als er einen Jahrhunderte währenden Kampf des Dorfes Freienseen um die Reichsunmittelbarkeit vorstellte. Die soziale Stellung habe, so Diestelkamp, die Modi des Konfliktaustrags wesentlich mitbestimmt; Verfahren nach Freundschaft seien immer ein Entgegenkommen der sozial höherrangigen Partei gewesen. Hinzuweisen sei auch auf die hohen, zuweilen existenzgefährdenden Kosten der Konfliktaustragung. So mussten „bekanntermaßen erhebliche Summen zusätzlich zu den offiziellen Gebühren“ aufgebracht werden, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Nicht zuletzt waren – wie so oft – mehrere Wege zur Konfliktlösung von den Parteien genutzt worden: neben Vergleichsverhandlungen vor Ort der Rekurs an den Reichshofrat und das Reichskammergericht.

Beim Reichskammergericht blieb auch ANJA AMEND-TRAUT (Würzburg). Sie unterstrich die Wirkmächtigkeit gütlicher Konfliktbewältigung und erkannte in der frühneuzeitlichen Rechtskultur eine „gütegeneigte Praxis“. Ähnlich wie Florian Lehrmann konnte sie im reichskammergerichtlichen Quellenmaterial eine Beeinflussung der gütlichen Einigungen durch das Höchstgericht nur selten feststellen. Vielmehr konstatierte sie eine Zunahme der „Vergleichsfreudigkeit“, „wenn die Effektivität des gewöhnlichen Rechtsschutzes“ sinkt. Auch wies sie auf die fehlende Trennschärfe der juristischen Termini hin, die klare Grenzen „zwischen Klagerücknahme, Erledigung und Verzicht“ unmöglich machten. Zugleich plädierte sie zu Recht für eine weitere Loslösung von der „traditionellen Urteilszentristik“.

Auf hohe See und in kriegerische Untiefen englisch-hanseatischer Handelskonflikte (1468-1604) führte ALAIN WIJFFELS (Fixin). Er hob hervor – und knüpfte damit indirekt an das Referat von Johanna Bergann an –, dass Konflikte (auch ihr gewaltsamer Austrag) nicht als „notwendig schlecht“ zu erachten seien. In den vorgestellten Konflikten sei zu beobachten gewesen, dass alte und tiefliegende Interessengegensätze schließlich gewaltsam eskalieren mussten, um sie einer Gesundungsphase zuzuführen. So gab der Vortrag einen wichtigen Impuls für die Reflexion darüber, welchen Stellenwert Konflikte als reinigende Gewitter und Vorboten unausweichlicher Veränderungen einnahmen.

Ebenfalls im Ostseeraum angesiedelt, war das Thema von MIA KORPIOLA (Helsinki) zu Ehestreitigkeiten im frühneuzeitlichen Schweden. Drei Konfliktkonstellationen nahm sie anhand der von ihr herangezogenen Kirchengerichtsprotokolle (um 1600) unter die Lupe: erstens gebrochene Eheversprechen, zweitens umstrittene Verlöbnisse und drittens eheliche Zwietracht. Sie betonte die große Bedeutung, die der Familie, dem sozialen Umfeld sowie dem Eigentumsschutz bei der Konfliktbewältigung zukam. Die vor Ort agierenden Priester sowie die damit einhergehende Sozialkontrolle spielten hierbei eine wichtige Rolle.

Der Beitrag von ULRICH RASCHE (Wien) fokussierte erneut auf die Reichsgerichtsbarkeit – nun auf den Reichshofrat. Unter Verwendung des Justiznutzungskonzepts und mit Bezug auf die aktuelle Reichshofratsforschung sieht er in der vom Reichshofrat gehandhabten Entscheidungspraxis ein nicht zu unterschätzendes „Steuerungspotenzial“ für eine weniger streitentscheidende als vielmehr streitlenkende Konfliktbewältigung. Die reichshofrätlichen Entscheidungen seien sozial abgestimmt und wohl erwogen ergangen; es müssten sämtliche Entscheidungen bei der Bewertung des Reichshofrats berücksichtigt werden. Ähnlich wie Anja Amend-Traut betonte auch Rasche die Notwendigkeit, sich von der „Urteilszentristik“ zu verabschieden.

Der dem Reichshofrat und dem Reichskammergericht vorgeschalteten Austrägalgerichtsbarkeit des reichsunmittelbaren Adels wandte sich SIEGRID WESTPHAL (Osnabrück) zu. Als erstinstanzliche Schiedsgerichtsbarkeit habe sie die reichsständische Autonomie bewahrt und die dynastische Ehre geschützt. Aufgrund ihres mündlichen Charakters seien die den Austrägen vorgelagerten Güteverhandlungen nur schwer in den Quellen fassbar. Die in den ordentlichen Instanzenzug eingebundenen Austräge seien „kompliziert, schwerfällig und durchsetzungsschwach“ gewesen; nicht selten hätten schwächere Reichsstände die „schnelleren, günstigeren und unparteiischen“ Reichsgerichte als Druckmittel genutzt. Damit gelangte Westphal für den reichsständischen Adel zu einem interessanten, von den übrigen Befunden zur Schiedsgerichtsbarkeit abweichenden Befund.

Auf den westlichen Nachbarn Frankreich und einen diachronen Vergleich konzentrierte sich SERGE DAUCHY (Lille). Er verglich den Ordonnance civile von 1667 mit dem napoleonischen Code de procédure civile (1806). Als Gemeinsamkeit sei hervorzuheben, dass beide Gesetzeswerke starken politischen Motiven entsprangen und sowohl extra- als auch infrajudizielle Mechanismen in die ordentliche Gerichtsbarkeit integriert werden sollten. Die Vorteile der außergerichtlichen Streitbeilegung (geringere Kosten sowie Verfahrensdauer) sollten den neuen Zivilprozessordnungen implantiert werden. Zugleich seien sie schöne Beispiele des voranschreitenden Staatsbildungsprozesses.

In der von Albrecht Cordes geleiteten, lebhaften und kontroversen Abschlussdiskussion ergaben sich zahlreiche Gesichtspunkte, von denen fünf hervorzuheben sind.

Ob Schiedsgerichte – erstens – auch in der Vergangenheit als zumeist kostengünstigere, effektivere und sozial verträglichere Alternativmodelle angesehen und den ordentlichen Gerichten vorgezogen worden sind (Amend-Traut, Carl, Dauchy, Sánchez Aranda), bedarf – mit Verweis auf die reichsständische Austrägalgerichtsbarkeit (Westphal) – noch der weiteren Diskussion. Die Einbindung von Schiedsgerichten (Schwäbischer Bund, Kastilien, Austrägalgerichte) in den ordentlichen Instanzenzug unterstreicht einmal mehr, wie schwierig es für die Vergangenheit ist, sie von den ordentlichen Gerichten abzugrenzen, wobei die Zeitumstände freilich stets zu berücksichtigen sind.

Schwierigkeiten bereiten zudem die Vielfalt sowie die Unschärfen der Termini, aber auch die Abgrenzungen. Soll man von Konfliktlösung, -bewältigung, -regulierung, -beilegung oder –management sprechen? Wo hören Güteverhandlungen auf? Wo fängt Schiedsgerichtsbarkeit an? Sollte weiterhin versucht werden, letztere von der ordentlichen Gerichtsbarkeit abzugrenzen? Welche Perspektive scheint zum Aufbau eines methodisch überzeugenden Begriffsinstrumentariums geeignet? Der Jurist wird die Betrachtungsweise des Richters favorisieren. Doch ist die richterliche Legitimation eng an die Gesellschaft gekoppelt.

Es zeigte sich, drittens, dass eine Konjunktur der Schiedsgerichtsbarkeit oftmals ausstehende Reformen ankündigt. So gesehen, bot die Bestandsaufnahme, die in vergleichender europäischer Perspektive erfolgte, nicht nur europaweit verbindende Einsichten, sondern vielmehr den Raum zur Frage, inwieweit die in der Vergangenheit verschwimmenden Kompetenzen schiedsrichterlicher und ordentlicher Gerichtsbarkeit Züge von Effizienz trugen, da sie womöglich über ein und denselben Personenkreis gestaltet wurden und flexible Handlungsmöglichkeiten eröffneten.

In diese Richtung weist ein vierter Aspekt, der hinter rechtstechnischen und institutionellen Fragestellungen zurücktrat, nämlich die Frage nach den Parteien, den Anwälten und den (Schieds)Richtern sowie nach dem sozialen Umfeld, das eine für alle Beteiligten gesichtswahrende Konfliktbewältigung einforderte. Hier besteht – um den Bogen zum Eröffnungsvortrag von Peter Oestmann zu schlagen – nach wie vor Forschungsbedarf.

Dass dabei – fünftens – die bis in das 19. Jahrhundert hinein vorherrschenden sozialen Rangunterschiede, die sich in den Gerichtsstrukturen nicht nur spiegelten, sondern diese vielmehr schufen und prägten, eine wesentliche Rolle spielten, steht außer Frage. Auch jene Tatsache, über die Theorie- und Methodenangebote der Nachbardisziplinen noch weiter nachdenken und diskutieren zu müssen. Um Strukturen und Institutionen, insbesondere aber die Personen, die selbige erst schaffen, multiperspektivisch erforschen zu können, bedürfe es weiterer „Theorieimporte“ (Thomas Duve).

Konferenzübersicht:

Albrecht Cordes (Frankfurt am Main), Begrüßung

Peter Oestmann (Münster), Einführung in das Tagungsthema und Moderation

Johanna Bergann (Weimar), Streitkultur und Friedensstiftung. Benjamins „Techniken der Übereinkunft“ als eine Theorie der Vermittlung

Ute Rödel (Mainz), König Ruprecht als Richter und Schlichter

Anette Baumann (Wetzlar), Moderation

Mark Godfrey (Glasgow), Alternative Dispute Resolution within Law Courts in 16th Century Scotland

Thomas Duve (Frankfurt am Main), Öffentlicher Abendvortrag – Konfliktlösung durch kirchliche Autoritäten in der frühneuzeitlichen „Neuen Welt“

Wolfgang Sellert (Göttingen), Moderation

Horst Carl (Gießen), Schiedsgerichtsbarkeit im Schwäbischen Bund

Antonio Sánchez Aranda (Granada), Das Schiedsverfahren im Königreich Kastilien

Nachwuchsforum Vormoderne
Albrecht Cordes (Frankfurt am Main), Moderation

Anna Meiwes (Münster), „Minne oder Recht“ zur Zeit Karls IV. und König Wenzels

Philipp Höhn (Frankfurt am Main), Kaufmännische Konfliktaustragung im Hanseraum (ca. 1350-1450)

Steffen Welker (Frankfurt am Main), do dann die gutigkeit nicht statt haben kann. Verbindlicher Gütetermin in der Zivilprozessordnung als „echte Reform“?

Sonja Breustedt (Frankfurt am Main), Kaufmännische Pareres - Gutachten als Konsens und Beweismittel

Florian Lehrmann (Freising), Vergleiche in Amtsträgerkonflikten am Reichskammergericht im 18. Jh.

Yorick Wirth (Frankfurt am Main), Common Law- und Equity-Gerichtsbarkeit in England und ihre Reform im 19. Jh.

Friedrich Battenberg (Darmstadt), Moderation

Bernhard Diestelkamp (Kronberg), Reichskammergericht, Vergleichsverhandlungen und Reichshofrat als Privilegienerteiler als konkurrierende Lösungsmöglichkeiten

Anja Amend-Traut (Würzburg), Wie Prozesse enden können. Alternative Formen der Beendigung reichskammergerichtlicher Zivilverfahren

Alain Wijffels (Fixin), Krieg, Diplomatie und Recht. Die englisch-hanseatischen Konflikte 1468-1604

Ignacio Czeguhn (Berlin), Moderation

Mia Korpiola (Helsinki), Marriage-Counselling and Reconciliation in Marriage Cases in the Ecclesiastical Courts of Reformation Sweden

Ulrich Rasche (Wien), Entscheidungspraktiken und Konfliktsteuerung des Reichshofrats im 17. Jh.

Siegrid Westphal (Osnabrück), Verhandlungen zur Güte als Mittel der Streitbeilegung im frühneuzeitlichen Adel des Alten Reiches

Serge Dauchy (Lille), Judicial and non-judicial Conflict Resolution in French Procedural Codification. A comparison between the Code Louis (1667) and the Code de procédure civile (1806)

Abschlussdiskussion


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