Orden in der Krise – Möglichkeiten und Grenzen religiöser Lebenswelten in der Vormoderne

Orden in der Krise – Möglichkeiten und Grenzen religiöser Lebenswelten in der Vormoderne

Organisatoren
Doktoranden des Fachbereichs Geschichtswissenschaft an der Universität Tübingen, Seminar für Neuere Geschichte
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.09.2013 - 06.09.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Susanne Häcker, Seminar für Neuere Geschichte, Eberhard Karls Universität Tübingen

Am 5. und am 6. September fand an der Eberhard Karls Universität Tübingen der Doktoranden-Workshop „Orden in der Krise – Möglichkeiten und Grenzen religiöser Lebenswelten in der Vormoderne“ statt. Gefördert wurde die Veranstaltung vom Zukunftskonzept der Universität Tübingen und vom Universitätsbund Tübingen e. V.

Der Workshop zielte darauf ab zu erörtern, inwieweit sich „Krise“ als heuristische und analytische Kategorie für die Ordensforschung der Vormoderne als operationalisierbar und erkenntnisfördernd erweisen kann. Mit der römisch-katholischen Kirche wurde eine Institution in den Blick genommen, die in der Gegenwart – zumindest in weiten Teilen der „Westlichen Welt“ – als sich in einer tiefgreifenden Krise befindlich angesehen wird. Dies gilt insbesondere für die geistlichen Orden.

In der ersten Sektion des Workshops, kommentiert von FABIAN FECHNER (Tübingen), lag der Schwerpunkt auf institutionellen und strukturellen Krisenursachen. Dabei standen ordens- oder kircheninterne Umstrukturierungen und Verschiebungen im Fokus.

CORNELIA EBERLEIN (Berlin) zeigte exemplarisch an den zisterziensischen Frauenklöstern Neukloster und Zarrentin auf, dass sich der Zisterzienserorden im Zuge der sogenannten religiösen Frauenbewegung mit einer großen Zahl an Frauengemeinschaften konfrontiert sah, deren Gewohnheiten, geistliche Betreuung und Verhältnis zum Orden geregelt werden mussten. Diese gesteigerte Nachfrage bezüglich der Aufnahme von Frauen in den Orden kann als Moment der Überstrapazierung des Ordens interpretiert und somit als Krise betrachtet werden. Eine Reihe von Beschlüssen des Generalkapitels, welche die Aufnahme beziehungsweise Ablehnung von Frauengemeinschaften regelten, war die Folge. BRIGITTE OBERLE (Mainz) untersuchte die Krise des Benediktinerordens im 15. Jahrhundert. Kirchliche und weltliche Obrigkeiten nahmen einen Verfall des monastischen Lebens im Sinne einer Krise wahr, dem sie vor allem durch Rückgriff auf ursprüngliche Regelstrenge begegnen wollten. Damit trafen sie insbesondere die vom Adel dominierten Konvente, deren Lebensweise sie als dringend reformbedürftig identifizierten. Die betroffenen Konvente hingegen sahen sich mit unerhörten Forderungen konfrontiert, die ihre hergebrachte Lebensform gefährdeten. Für diese entstand dadurch eine durchaus krisenhafte Situation, der sie auf unterschiedliche Weise zu begegnen suchten. ESTHER SCHMID HEER (Zürich) ging in ihrem Beitrag von der Beobachtung aus, dass die frühneuzeitlichen Jesuitenmissionen in ein krisenhaftes Umfeld hineingegründet wurden. Die allgemeinpolitischen und kirchenpolitischen Verhältnisse gestalteten sich komplex und unübersichtlich. Den ordensinternen Rahmen bildeten die Konstitutionen (Satzungen und Regeln), jeder einzelne Jesuit hatte sich jedoch darüber hinaus an die kulturell kontingenten Situationen vor Ort anzupassen, was für deutschsprachige Jesuiten wie Anton Sepp, Martin Schmid oder Florian Paucke zu Spannungen und Missverständnissen mit der indigenen Bevölkerung führte, die in deren Südamerika-Berichten nachzuvollziehen sind. Im Kontext der Missionsarbeit in Lateinamerika erörterte ebenfalls MANUEL GÓMEZ MENDOZA (Mainz) die Krise der missionarischen Identität für die Franziskaner des Kollegs der Propaganda Fide von Tarija. Als Ansatz zur Lösung wurde einerseits ein neues Verständnis der Spiritualität des Ordens entwickelt, andererseits aber auch ein neues Regelwerk für Kolleg und Mission verfasst.

Die zweite, von CHRISTINE SCHNEIDER (Wien) moderierte Sektion bezog sich auf gesellschaftliche Umbrüche, welche die Orden und deren Ordo beeinflussten. Darunter sind etwa staatliche Reformen, soziale Verschiebungen oder gesellschaftliche Transformationsprozesse zu verstehen.

Anhand der Chronik der Genfer Klarissen während und nach der Reformationszeit zeigte BABETTE REICHERDT (Kassel), wie eng Erfolg und Verlust mit einer Semantik von Schmerz verknüpft sind. Die mit Schmerz identifizierten, emotionalen, körpergebundenen Praktiken werden hier als Bewältigungsstrategie von Krise verstanden und sind eng an die Narration einer Konventgemeinschaft gebunden, die es über die Krise hinweg zu erhalten galt. Am Beispiel von Magdalena von Österreich (1532-1590) veranschaulichte JULIA HODAPP (Tübingen) das Wirken einer Erzherzogin in der Gegenreformation und zeigte auf, welche Aufgaben und Funktionen die Erzherzogin in dieser krisenhaften Zeit für die Dynastie wahrnahm und inwieweit sie dabei mit dem Jesuitenorden kooperierte. Hierbei wurde deutlich, welches Konfliktpotential die Umsetzung des religiösen Handlungsraumes durch hochadlige Frauen in Zusammenarbeit mit Jesuiten bergen konnte. Eine „zweifache Krise“, ausgelöst durch die aufgeklärt absolutistischen Reformen des Josephinismus, beleuchtete DENNIS SCHMIDT (Tübingen). Am Beispiel des steirischen Stiftes Stainz zeigte er auf, welche Folgen die Bedrohung durch die Reformen für die kleinräumige Ordnung einer einzelnen Gemeinschaft hatte. Doch galt dies nicht nur auf der Mikro-, sondern auch auf der Makroebene, wie er mit publizistischen Quellen veranschaulichte – die Ordnung der ganzen Habsburgermonarchie schien für die Gegner der Reformen krisenhaft umgekehrt. Das Engagement von Klöstern im Elementarschulwesen in Altbayern und Böhmen untersuchte MARIA ROTTLER (Regensburg) vor dem Hintergrund der Katholischen Aufklärung, aber auch in Bezug auf den Paradigmenwechsel des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in dem die Religiosen sich gezwungen sahen, ihre Nützlichkeit für den Staat zu betonen, da sich ihr Lebensentwurf massiver antimonastischer Kritik ausgesetzt sah und ihre Klöster unmittelbar von der Aufhebung bedroht waren.

Am Beispiel des Wiener Ursulinenkonvents zwischen 1770 und 1790 stellte CHRISTINE SCHNEIDER (Wien) in ihrem öffentlichen Abendvortrag dar, wie der Konvent mit der Bedrohung der Klosterauflösung umging und welche Bewältigungsstrategien sowohl der Konvent im Allgemeinen als auch die Nonnen im Besonderen sich zu eigen machten.

Unter der Leitung von MICHAEL KAISER (Bonn) standen in der dritten Sektion Kriege und andere Katastrophen im Mittelpunkt. Die Jesuiten spielten für das katholische Bildungswesen und für die katholische Reform im Alten Reich eine zentrale Rolle. SUSANNE HÄCKER (Tübingen) beschrieb die Aktivitäten der Societas Jesu an den Universitäten Heidelberg, Tübingen und Freiburg während des Dreißigjährigen Krieges. In diesem Rahmen verwies sie auf erhebliche Rückschläge, aber auch auf Möglichkeiten zur Ausweitung des jesuitischen Einflusses auf das Bildungswesen im Reich. Den Mord an einem Franziskanermönch im Jahr 1632 durch den in schwedischen Diensten stehenden Söldner Caspar Imlin und den darauf folgenden Prozess skizzierte OLEG RUSAKOVSKIY (Tübingen). Er konnte dabei die konfessionelle Komponente und die Wahrnehmung katholischer Geistlicher in einem streng protestantischen und seit dem Restitutionsedikt von Rekatholisierungsversuchen betroffenen Territorium aufzeigen. THOMAS SCHRÖTER (Tübingen) sprach über die temporäre Säkularisation des Zisterzienserklosters Schöntal während des Dreißigjährigen Krieges sowie über die enormen materiellen, kulturellen und demographischen Belastungen, die das Kloster während der Kriegsjahre auszuhalten hatte. Anhand vielfältiger Quellen konnte er die Bedeutung der engen Verflechtung verschiedener Bereiche für die Strategie der einzelnen Akteure aufzeigen und deren dahinterstehende Intentionen separat erörtern.

Über die Mission im Umfeld kolonialer Grenzkonflikte berichtete IRINA PAWLOWSKY (Tübingen) am Beispiel des Jesuitenpaters Samuel Fritz, dessen Missionsgebiet an der Grenze von spanischem und portugiesischem Kolonialterritorium am Oberlauf des Amazonas lag. Eine permanente Bedrohung der Sicherheit stellten Einfälle portugiesischer Sklavenhändler dar. Fritz setzte sich sowohl für die indigene Bevölkerung als auch die Besitzansprüche der spanischen Krone ein.

In den Diskussionsbeiträgen und anhand der Vorträge wurde festgestellt, dass Krisen häufig durch eine spezifische zeitliche Dynamik geprägt sind: Bedrohungsmomente können eine Krise verschärfen und zu einem Wechsel von Latenz und Manifestation der Krise führen, und in einer Phase erhöhten Handlungsdrucks kann es zu einer diskursiven Zuspitzung auf harte Alternativen kommen. Hinsichtlich der Semantik der Krise wurde wiederholt der in der Quellensprache oftmals auftauchende Verfallstopos diskutiert, der stets vor allem hinsichtlich seines moralisierenden Potentials zu hinterfragen ist und gelegentlich wohl vorschnell in die Forschungsliteratur übernommen wird.

Die DiskutantInnen des Workshops plädierten für eine grundlegende Unterscheidung von zwei Blickwinkeln hinsichtlich des Konzepts „Krise“, nämlich die zeitgenössische Krisenerfahrung und die nachmalige Diagnose aus Sicht der Sozialwissenschaften. Bei letzterer Anwendung des Begriffs sind stets auch zeitgenössische Protestkulturen, Bewältigungsstrategien aus einem möglichen Set zwischen Tradition und Innovation und Erwartungshorizonte zu berücksichtigen. So sei etwa Krieg in der Frühen Neuzeit nicht automatisch als Krise zu bewerten, galt er doch über lange Zeiträume hinweg als allzu probates Mittel der Politik.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung
Renate Dürr / Dennis Schmidt

Maria Rottler (Universität Regensburg), Ordensgeschichte. Ein interdisziplinäres Gemeinschaftsblog zur Geschichte von Klöstern und Orden

Sektion 1: Institutionelle und strukturelle Ursachen

Cornelia Eberlein (Freie Universität Berlin), Neukloster und Zarrentin. Zisterziensische Frauenklöster des südlichen Ostseeraumes zwischen Bischof, Papst und Orden

Brigitte Oberle (Universität Mainz), Umwandlungen von Benediktinerklöstern in Säkularkanonikerstifte im 15. und 16. Jahrhundert

Esther Schmid Heer (Provinzbibliothek SJ, Zürich), „Die Zeiten thun sich enderen...“. Krisendiskurse in Südamerika-Berichten deutschsprachiger Jesuiten im 18. Jahrhundert

Manuel Gómez Mendoza (Universität Mainz), Missionarische Krise und Erneuerung der Franziskaner des missionarischen Kollegs der Propaganda Fide in Tarija. 1755-1814

Kommentar: Fabian Fechner (Universität Tübingen)

Sektion 2: Reformen und gesellschaftliche Umbrüche

Babette Reicherdt (Universität Kassel), Die Gemeinschaft im Schmerz, Krisenerzählung und -bewältigung in der Chronik der Genfer Klarissen

Julia Hodapp (Universität Tübingen), Jesuiten, hochadlige Frauen und die Gegenreformation

Dennis Schmidt (Universität Tübingen), Josephinismus und geistliche Orden – Schlaglichter auf eine zweifache Krise

Maria Rottler (Universität Regensburg), Engagement der Klöster im Elementarschulwesen in der Sattelzeit in Altbayern und Böhmen

Kommentar: Christine Schneider (Universität Wien)

Abendvortrag:
Christine Schneider (Universität Wien), „Der Wiener Ursulinenkonvent im Spannungsfeld der josephinischen Kirchenreformen. Innenansicht einer Krise“

Sektion 3: Kriegseinwirkungen

Susanne Häcker (Universität Tübingen), Die Jesuiten an den Universitäten Heidelberg, Tübingen und Freiburg während des Dreißigjährigen Krieges

Oleg Rusakovskiy (Universität Tübingen), „In qualitate hostis publici“: Ermordung eines Franziskaners im protestantischen Württemberg

Thomas Schröter (Universität Tübingen), „Nit ohne argwohn der Verrätherey hinweggeraubet worden, und der langwihrige Krieg noch darzu kommen“. Temporäre Säkularisation des Zisterzienser-Klosters Schöntal während des Dreißigjährigen Krieges

Irina Pawlowsky (Universität Tübingen), Mission im Umfeld kolonialer Grenzkonflikte – das Wirken des Jesuitenpaters Samuel Fritz in der Provinz Maynas im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert

Kommentar: Michael Kaiser (Max Weber Stiftung Bonn)

Abschlussdiskussion


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