Forschungen zur NS-Justiz nach 1945 – Eine Zwischenbilanz

Forschungen zur NS-Justiz nach 1945 – Eine Zwischenbilanz

Organisatoren
Forum Justizgeschichte e.V.
Ort
Wustrau
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.10.2013 - 27.10.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Sebastian Felz, Köln

Die Justizgeschichte der nationalsozialistischen Diktatur boomt. Egal, ob auf lokaler1 oder nationaler2 Ebene, die Forschung interessiert sich für die Funktionsweise und Nachwirkungen der Justiz im „Dritten Reich“. 80 Jahre nach Hitlers Machtantritt wurde auf der 15. Tagung des Forums Justizgeschichte die NS-Justizforschung nach 1945 bilanziert.

THOMAS HENNE (Frankfurt am Main) stellte ein vierteiliges Phasenmodell der Aufarbeitung der NS-Justiz nach 1945 zur Diskussion. Die erste Phase zwischen den Nürnberger Prozessen (1946) und dem Ulmer Einsatzgruppenprozess (1958) sei durch das Beschweigen der eigenen Schuld gekennzeichnet gewesen. In den 1960er-Jahren sei durch die großen Gerichtsverhandlungen (Auschwitz- und Eichmann-Prozess) langsam der Schweigekonsens aufgebrochen worden. Aufgrund der Pathologisierung der Täter des Holocausts als Bestien und der Auffassung der Morde als extralegale Aktionen kam die Frage nach der Rolle der Juristen erst durch die Werke von Herbert Jäger und Ilse Staff über nationalsozialistische Gewaltverbrechen und die Justiz im „Dritten Reich“ in den Blick. Ebenso grundlegend war Bernd Rüthers Habilitation „Die unbegrenzte Auslegung“ von 1968. Die 1970er-Jahre waren ein verlorenes Jahrzehnt. Die Linke war blockiert durch die Faschismustheorie. Die „Bielefelder Schule“ sei am Recht desinteressiert gewesen. Das Projekt „Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus“ unter Schirmherrschaft des ersten BGH-Präsidenten und vormaligen Reichsgerichtsrats Hermann Weinkauff war mehr Apologetik denn wissenschaftlicher Fortschritt.

Die dritte Phase der Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit wurde 1978 mit der Fernsehserie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ eingeleitet. Durch diese bekamen die Opfer ein Gesicht und die Alltagsgeschichte im Nationalsozialismus rückte ins Zentrum des Interesses. Gerade Ingo Müllers 1987 erschienenes Buch „Furchtbare Juristen“ individualisiere Täter und Opfer. In den 1990er-Jahre habe dann die vierte Phase der wissenschaftlichen Beschäftigung den Nationalsozialismus als hochdynamische Epoche der Selbstmobilisierung der Volksgemeinschaft konturiert, in der nicht mehr zwischen braunen und nicht-braunen Recht unterschieden wurden, sondern das „Recht im Unrecht“ (Michael Stolleis) herauspräpariert wurde.

Nur einen „halbierten Rechtsstaat“ konnte CLAUDIA FRÖHLICH (Hannover) in der juristischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit erkennen. Ein Umstand, der in der zeitgeschichtlichen Literatur zur „Erfolgsgeschichte“ der Bundesrepublik Deutschland, leider häufig übersehen werde. Defizite und Verfehlungen buchstabiere die Forschung häufig nicht aus, sondern übertünche sie mit dem Begriff der „lernenden Demokratie“. Kritiker der Restauration in den 1950er-Jahren wie Jean Améry, Eugen Kogon, Reinhard Strecker oder Karl Jaspers seien marginalisiert worden. Die personellen Kontinuitäten der Funktionseliten führten auch zur Tradierung alter Wertvorstellung. So delegitimierte der Bundesgerichtshof die Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus als Hoch- und Landesverräter, da dort ehemalige Richter des Volksgerichtshofes wie Ernst Mantel oder des Reichsgerichts wie Hermann Weinkauff judizierten. Widerstand sei nur gerechtfertigt, wenn er auch zum Umsturz des Regimes hätte führen können und sei außerdem zunächst Angelegenheit der staatlichen Amtsträger. Dagegen habe sich Fritz Bauer vehement für ein Widerstandsrecht des Einzelnen ausgesprochen. Eine Ansicht, die nach Meinung Weinkauffs, ins nihilistische Chaos führen würde. Dieser elitäre und staatshörige Widerstandsbegriff der obersten Bundesrichter war nicht nur akademischer Natur, sondern führte auch zu einer restriktiven Entschädigungspraxis für Widerstandskämpfer. Ein weiteres frappantes Beispiel für das verhängnisvolle Wirken der alten Richtereliten identifizierte Claudia Fröhlich in der Gehilfenrechtsprechung bei NS-Gewaltverbrechen, die für viele Täter milde Strafen bedeuteten. Eine weitere Hypothek der Integration von NS-Eliten sieht Fröhlich in der Entsubjektivierung der Verbrechen. Das „Dritte Reich“ werde zu einem katastrophalen „Geschichtsschicksal“ umgedeutet; Passivkonstruktionen exkulpieren individuelle Verbrechen. Nur die Hinwendung und Aufdeckung individueller Schuld könne die Zeitgeschichtsschreibung wieder zur „magistra vitae“ machen.

Über personelle Kontinuitäten und Karriere von 34.000 Justizjuristen zwischen 1933 und 1965 berichtete HUBERT ROTTLEUTHNER (Berlin). Fast 8.000 Juristen waren im Untersuchungszeitraum durchgängig tätig. Rottleuthner fand mit seinem Team in zwei DFG-Projekten heraus, dass die Berufszufriedenheit der Juristen unter dem Hakenkreuz sehr hoch war, denn die Arbeitsbelastung sank drastisch, die Aufstiegschancen erhöhten sich durch die Vertreibung jüdischer Kollegen und das Ansehen war hoch, auch wenn das Regime Urteilskorrekturen vornahmen oder sich (allerdings meist privat) abfällig über die Judikative äußerte. Die Nationalsozialisten führten auch erstmalig die Bezahlung der Referendare ein. Gute Karrierechancen ergaben sich durch überdurchschnittliche Examina bei gleichzeitiger Parteimitgliedschaft. Während die SBZ/DDR eine umfassende Säuberung der Justiz von Parteigenossen und deren Ersetzung mit Volksrichtern anstrebte, war die Personalpolitik der Bundesrepublik durch Kontinuitäten und „Huckepackverfahren“ gekennzeichnet. Die Möglichkeit einen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand gemäß § 116 des Deutschen Richtergesetzes einzureichen, der 1961 aufgrund der „Braunbuch“-Kampagne der DDR geschaffen wurde, nahmen 149 Richter und Staatsanwälte wahr. Rottleuthners Zahlen zeigen, wie die Gerichte in den 1950er-Jahre immer mehr „nazifiziert“ wurden. Alte Karrieremuster, tradierte Werte (Antikommunismus) und eine restriktive Rechtsprechung zum § 339 Strafgesetzbuch (Rechtsbeugung) sicherten diese Entwicklung ab. Als weitere Forschungsperspektiven nannte Rottleuthner die Frage nach den Seilschaften und das Problem der Ballung alter Parteigenossen in speziellen Oberlandesgerichtsbezirken. Die Karrieremuster von Justizjuristen, die 1939 in die eroberten Ostgebiete gingen, das Schicksal der Emigranten und Remigranten sowie die Entwicklung in der Rechtsanwaltschaft seien weiterhin Desiderate.

In ihrem Referat über „ungelesene Akten“ stellte BIANCA WELZING-BRÄUTIGAM (Berlin) heraus, dass mit der vollständigen Archivierung des Bestandes der Generalstaatsanwaltschaft Berlin der größte und vollständigste Bestand über nationalsozialistisches Justizunrecht in Berlin vorhanden sei. Die Referentin wies auf den großen Umfang von Akten mit einem Bezug zu „Ausländer“-Sachverhalten hin, der sich allein auf 14.000 Bände erstrecke. Die Auswertung des Bestandes ermögliche eine Untersuchung des Denunziations- und Anzeigeverhaltens der Bevölkerung im nationalsozialistischen Berlin. Die Referentin wies auch auf die sogenannten Statusklagen hin, mit denen die Revidierung rassistischer Kategorisierungen durch die Opfer versucht wurde. Hier sei den Justizbehörden ein weit größerer Spielraum zur individuellen Rettung eröffnet gewesen, als später oft behauptet wurde, was die Akten belegen könnten. Schlaglichtartig zeigte die Referentin anhand von zwei Themenkomplexen auf, dass der Bestand auch für die Zeit von 1945 bis 1989 aufschlussreiche Inhalte enthalte. So seien die Ermittlungen gegen ehemalige Richter des Volksgerichtshofes (VGH) und Angehörige des Reichssicherheitsauptamtes (RSHA) mit einem Aufwand geführt worden, der zum Teil gar nicht bekannt sei. Die ab März 1963 geführten Ermittlungen gegen Angehörige des RSHA erstreckten sich über zehn Jahre und umfassten 35 Ermittlungsverfahren mit 900 Beschuldigten. Diese seien größtenteils eingestellt und die zuständige Abteilung im Jahr 1973 wegen Personalmangels aufgelöst worden. Eine umfassende Aufarbeitung des Bestandes stehe aber immer noch aus.

Den Lebensweg des exilierten Juristen und herausragenden Politikwissenschaftlers Ernst Fraenkel zeichnete SIMONE LADWIG-WINTERS (Berlin) nach. Mit seiner epochemachenden Analyse „Der Doppelstaat“ war Fraenkel der erste Chronist der Rechtsentwicklung des „Dritten Reiches“. Das Besondere an diesem Werk, das als Diplomatengepäck deklariert aus dem Deutschen Reich herausgeschmuggelt wurde, ist, dass es als einzige kritische Schrift in Deutschland selbst verfasst wurde. Fraenkel arbeitete noch als Rechtsanwalt, schloss sich der Widerstandsgruppe „Internationaler Sozialistischer Kampfbund“ an und recherchierte für den „Doppelstaat“ in der Berliner Staatsbibliothek. Die nationalsozialistische Staatsverfasstheit analysierte er als Nebeneinander eines jeder gerichtlichen Kontrolle entzogenen Maßnahmenstaates als einer Verstetigung des Belagerungszustandes und einem Normenstaat, in dem vor allem zivilrechtliche Formen der Gewerbefreiheit und der Vertragstreue weiter galten und justizförmig gesichert wurden. Zwar wurde nach Fraenkels Ankunft in den Vereinigten Staaten der „Doppelstaat“ für das amerikanische Publikum überarbeitet und übersetzt, aber Fraenkels Werk wurde schnell vom Erfolg seines Kollegen Franz L. Neumann überstrahlt, der das NS-Regime als „Behemoth“ erklärte. In der frühen Bundesrepublik wirkte Fraenkel als Vertreter einer pluralistischen Demokratieauffassung zunächst gegen Widerstände der etablierten und reformunwilligen Juristenschaft, später gegen die ihm in ihrem Anti-Amerikanismus unverständliche Studentenbewegung. Ladwig-Winters würdigte Fraenkels bleibendes Verdienst in der Analyse und Demokratisierung der deutschen Justiz.

ALEXA STILLER (Bern) fragte in ihrem Referat nach dem „historischen Ort Nürnbergs“ und antwortete mit spezifizierenden Lokalisierungen nicht nur „des“ Nürnberger Prozesses in Form des so genannten Hauptkriegsverbrecherprozesses, sondern sie bestimmte vor allem den historischen Ort der zwölf Nachfolgeprozesse vor dem Nürnberger Militärtribunal (NMT). Diese Prozesse richteten sich gegen verschiedene Berufsgruppen und Funktionseliten des „Dritten Reiches“. Möglichkeiten diese Prozesse zu historisieren, so Stiller, seien die Prozessstrategien der Ankläger und Angeklagten in den Kontexten der politischen Rahmenbedingungen der USA und Nachkriegsdeutschlands zu analysieren sowie die aus diesen Strategien und den Prozessausgängen resultierenden Narrative zu untersuchen. Die Prozesse vor dem NMT waren in vielerlei Weise mit dem Hauptkriegsverbrecherprozess verbunden. Ankläger und Anwälte waren oft schon vor dem Internationalem Militärtribunal (IMT) aufgetreten. Viele Zeugen wie SS-Gruppenführer Otto Ohlendorf mussten sich nun selbst verantworten. Es ging nun weniger um individuelle Schuld als um die Schuld von Organisationen. Der Tatbestand des „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ wurde nun eigenständig angeklagt und vorwerfbare Taten auch im Zeitraum vor Kriegsbeginn 1939 als verfolgbar angesehen. Besonderes Augenmerk legte Alexa Stiller auf die Verteidigungsstrategien der Angeklagten. Die Unrechtmäßigkeit der Tribunale und die Verletzung des Rückwirkungsverbotes wurden ebenso vorgebracht wie die Exkulpationsstrategie des Befehlsnotstand oder des „tu quoque“, also dem Gegenvorwurf an die Alliierten selber Verbrechen begangen zu haben. Auch wenn der beginnende „Kalte Krieg“ dazu führte, dass die meisten Verurteilten schon wenige Jahre später wieder auf freiem Fuß waren, bleiben auch die Prozesse vor dem NMT ein Meilenstein des Völkerstrafrechts.

Dem „Kampfauftrag Rechtsgeschichte“ in der DDR ging ANNETTE WEINKE (Jena) nach und untersuchte die Stellung der NS-Justiz in den rechtshistorischen Diskursen des sozialistischen Deutschlands. Zunächst habe die „Faschismustheorie“ im Gewand der Dimitroff-Formel, welche die rechtsgerichteten Diktaturen der ab den 1920er-Jahren als reaktionärste Diktaturen des Finanzkapitals ansah, die Forschung bestimmt. Das Recht wurde nur als Überbauphänomen angesehen und nicht als Objekt der Geschichtsschreibung. Im Übergang von der bürgerlichen zur marxistischen Geschichtswissenschaft habe mit der „Miseretheorie“ ein Paradigma geherrscht, dass die deutsche Geschichte als „Irrweg“ (Alexander Abusch) von Luther bis Hitler gesehen habe. Schließlich habe die Politik Personalwechsel im Wissenschaftsbetrieb initiiert und durch Dekrete ein positives Bild der deutschen Geschichte verordnet, dass die Geschichtswissenschaft in den Arbeiter- und Freiheitsbewegungen bis zurück zum Mittelalter aufzufinden hatte. Seit dem KPD-Verbot 1956 ging es in den „Blutrichter“- und Braunbuchkampagnen rechtsgeschichtlich um die moralische Diskreditierung der Bundesrepublik und ihrer Justiz durch Konzentration auf die Erforschung der terroristischen Strafjustiz des Nationalsozialismus. In der Honecker-Ära ab 1971 wurde die Wissenschaftspolitik liberaler und das Interesse erwachte auch für rechtshistorische Fragestellungen. So veröffentlichte Friedrich Karl Kaul eine Studie über die Judikatur des Reichsgerichts, in der nach dem „Sandwich-Prinzip“ eingekleidet in ideologische Zugeständnisse auch die antisemitische Spruchpraxis des Gerichts analysiert wurde. Die 1980er-Jahre seien wiederum geprägt von einem enggeführten Konzept der NS-Rechtsgeschichte gewesen, welches Weinke exemplarisch an den Projekten des Staatsanwalts Günther Wieland aufzeigte, der wieder die Felder Strafjustiz, Volksgerichtshof, Kommunistenverfolgung und Kriegsgerichtsbarkeit in den Fokus rückte.

GOTTFRIED OY und CHRISTOPH SCHNEIDER (beide Frankfurt am Main) widmeten sich der von Reinhard Strecker 1959 initiierten Ausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“ und dem 1963 veröffentlichten Katalog von Wolfgang Koppel „Justiz im Zwielicht“. Sowohl die Ausstellung als auch das Buch machten deutlich in welchem Maße die Justiz in verbrecherischer Weise das NS-Regime gestützt hatte. Des Weiteren wurden die ungebrochenen personellen Kontinuitäten durch die Aufstellung der Gerichte deutlich, in denen ehemalige NS-Richter in den 1950er-/1960er-Jahren judizierten. Entgegen der gängigen Narrative der NS-Täter als sadistische Exzesstäter aus den Reihen der SS wurde hier deutlich, dass die Täter damals wie heute in den Gerichtsstuben der Amts-, Land- und Oberlandesgericht saßen. Der bis dahin eiserne Schweigekonsens, die bruchlose Kontinuität und die sparsamen Versuche der Ahndung der nationalsozialistischen Justizverbrechen machen es fast unmöglich, so Oy und Schneider, von der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik zu sprechen. Erst die zaghaften zivilgesellschaftlichen Umbrüche ab 1958, beispielsweise die Anti-Atom-Bewegung, die Proteste gegen den NS-Regisseur Veit Harlan oder eben die Aktionen von Reinhard Strecker und Wolfgang Koppel waren Impulse von der Vergangenheitspolitik (Norbert Frei) zur „Vergangenheitsbewältigung“ zu gelangen.

An die „Kritische Justiz“ zwischen Faschismustheorie und dem Ende der Apologetik erinnerte JOACHIM PERELS (Hannover). Perels schilderte die Gründung der Zeitschrift im Frühjahr 1968 anekdotenreich. So habe Fritz Bauer auf den Namen „Kritische Justiz“ irritiert mit der Bemerkung reagiert, dass die Grammatik schief sei und vorgeschlagen das Periodikum „Kampf ums Recht“ zu nennen. Als ihm erklärt wurde, dass der Name Erinnerung und Fortführung des großen und kritischen Periodikums der Weimarer Republik „Die Justiz“ sei, habe Bauer knapp geantwortet: „Wenn das so gedacht ist, soll es so sein“. Die „Kritische Justiz“, so Perels, sei auf vier Säulen aufgebaut. Zunächst die Frage nach der Rolle des Rechts im Nationalsozialismus, der juristischen Techniken des Rechts und daraus resultierend die zweite Säule, nämlich die spezifischen Justizverbrechen im „Dritten Reich“. Des Weiteren ging es um die Konstituierung demokratischen Rechts im Sinne des Grundgesetzes und schließlich um die Auseinandersetzung mit dem autoritären Staatssozialismus. Außerdem habe sich die „Kritische Justiz“ um die (Wieder-)Entdeckung und Übersetzung der Emigranten Otto Kirchheimer oder Franz L. Neumann verdient gemacht, indem deren Werke übersetzt und in der „Kritischen Justiz“ veröffentlicht worden seien. Auch die fehlende juristische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Justiz- und Gewaltverbrechen sei immer ein Thema der Zeitschrift gewesen. Umso schmerzlicher empfindet es Perels, wenn ausgewiesene Wissenschaftler in der Publikation der „Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“ die Reintegration ehemaliger NS-Juristen in das Ministerium als unausweichlich und mit dem Paradigma „Erfolgsgeschichte Bundesrepublik“ als unschädlich einschätzen.

Die Referate zeigten viele Schattenseiten des politischen, juristischen und historischen Umgangs mit der NS-Justizgeschichte auf. Das Gros der Studien bewahrheitete die Analyse Otto Kirchheimers, der 1941 die „Rechtsordnung des Nationalsozialismus“ beschreibend, konstatierte, dass das „Personal der Justizbürokratie“ immer noch aus den Juristen bestehe, „die ihr Amt schon während und zum Nachteil der Weimarer Republik ausgeübt haben“.3 Ein Befund, der auch für die Bundesrepublik Gültigkeit hat.

Konferenzübersicht:

Thomas Henne (Frankfurt am Main), Die Phasen der Aufarbeitung der NS-Justiz nach 1945

Claudia Fröhlich (Hannover), Der halbierte Rechtsstaat– die NS-Vergangenheit vor Gericht und in der Zeitgeschichte

Hubert Rottleuthner (Berlin), Personelle Kontinuitäten nach 1945 – Bestandsaufnahme und Perspektiven

Bianca Welzing-Bräutigam (Berlin), Ungelesene Akten

Simone Ladwig-Winters (Berlin), Ernst Fraenkel - Die Anfänge der NS-Justizforschung im Exil

Alexa Stiller (Bern), Wo „Nürnberg“ liegt. Zur historischen Verortung der Nürnberger Militärtribunale

Annette Weinke (Jena), Kampfauftrag Rechtsgeschichte. Repräsentationen der NS-Justiz in den Rechtsdiskursen der SBZ/DDR

Gottfried Oy / Christoph Schneider (beide Frankfurt am Main), Die Ausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“ und die „58er“

Joachim Perels (Hannover), Zwischen Faschismustheorie und Ende der Apologetik – Die Zeitschrift „Kritische Justiz“ in den 1970er-Jahre

Anmerkungen:
1 Hans-Peter Haferkamp / Margit Szöllösi-Janze / Hans-Peter Ullmann (Hrsg.), Justiz im Krieg. Der Oberlandesgerichtsbezirk Köln 1939 – 1945, Münster u. a. 2012.
2 Manfred Görtemaker / Christoph Safferling (Hrsg.), Die Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit – eine Bestandsaufnahme, Göttingen 2. Auflage 2013.
3 Otto Kirchheimer, Die Rechtsordnung des Nationalsozialismus, in: Ders., Funktionen des Staats und der Verfassung. 10 Analysen, Frankfurt am Main 1972, S. 115-142, hier: S. 128 f.


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