Städte im Krieg. Erlebnis, Inszenierung und Erinnerung des Ersten Weltkriegs. 52. Arbeitstagung des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung

Städte im Krieg. Erlebnis, Inszenierung und Erinnerung des Ersten Weltkriegs. 52. Arbeitstagung des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung

Organisatoren
Südwestdeutscher Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung
Ort
Karlsruhe
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.11.2013 - 24.11.2013
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Von
Stephan Sander-Faes, Historisches Seminar, Universität Zürich

Noch vor dem in den nächsten Jahren zu erwartenden Tagungsmarathon zum Ersten Weltkrieg fand Ende November 2013 in Karlsruhe die 52. Arbeitstagung des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung statt. Unter dem Titel „Städte im Krieg“ rückte die Tagung Erlebnis, Inszenierung und Erinnerung an den „Großen Krieg“ in den Fokus. Insgesamt zwölf Vortragende aus Deutschland, Frankreich und Österreich widmeten sich verschiedenen Aspekten des Themas: Sektion I thematisierte Julikrise, Augusterlebnis und Kriegsausbruch in der zeitgenössischen Wahrnehmung; Sektion II untersuchte Erlebnis und Inszenierung des Ersten Weltkriegs aus verschiedenen urbanen Blickwinkeln; in Sektion III stand schließlich vor allem die Erinnerung des Krieges im Mittelpunkt.

HELENA PALMER (Stuttgart), Schülerin aus Stuttgart, stellte zunächst ihr Abiturprojekt „Stuttgart 1914“ vor. Auf der Basis umfangreicher Archivrecherchen berichtete Sie aus dem Briefwechsel des Mecklenburger Unteroffiziers Carl Görs und seiner Stuttgarter Verlobten Lia Freud. Der Südwestdeutsche Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung beschritt damit erstmals einen neuen Weg, indem er eine bemerkenswerte Schülerarbeit in die öffentliche Auftaktveranstaltung aufnahm.

ERNST OTTO BRÄUNCHE (Karlsruhe) umriss das Tagungsthema mit seinem öffentlichen Abendvortrag zur Stadt Karlsruhe im Ersten Weltkrieg. Er skizzierte dabei den bisherigen Forschungsstand aus lokalhistorischer Perspektive und präsentierte erste Einblicke in das für 2014 geplante Ausstellungs- und Publikationsprojekt „Der Krieg daheim – Karlsruhe 1914-1918“. Innerhalb der angerissenen Themen besaß das Kapitel „Luftkrieg“ einen besonderen Stellenwert: Karlsruhe war die deutsche Stadt mit den meisten Toten bei Luftangriffen im Ersten Weltkrieg. Der zweite schwere Angriff am Fronleichnamstag 1916 mit 120 Toten, darunter 71 Kinder, der eigentlich dem Hauptbahnhof galt und stattdessen ein Zirkuszelt traf, hat sich bis heute in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingeprägt.

DANIEL PETER (Nancy), Conservateur en Chef der Archives Municipales der Karlsruher Partnerstadt Nancy, beschrieb in seinem Beitrag eine dem Tagungsort in vielerlei Hinsicht vergleichbare Situation. Wenngleich die Einwohner der lothringischen Stadt besonders in der Anfangszeit unmittelbarer mit dem Krieg konfrontiert waren, zeigte die Darstellung insgesamt doch vor allem die Parallelen auf, die für kommende Studien einen Vergleich gerade im deutsch-französischen Kontext – beziehungsweise im Spannungsfeld zwischen „Gewinnern“ und „Verlierern“ – sinnvoll erscheinen lassen.

BERND ROECK (Zürich), kurzfristig eingesprungen, gab zunächst einen Überblick über Formen der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Kriegserfahrung seit dem Dreißigjährigen Krieg und schloss daran einen sehr persönlichen Beitrag an. Auf der Basis einiger Feldpostbriefe seines Vaters, der im Krieg an der Westfront im Einsatz war, vermittelte er den Blickwinkel eines nichtadeligen und „nicht-elitären“ Soldaten, der von den Schlachtfeldern von Verdun und der Somme sowie aus dem Umfeld von Zusammenbruch, Rückzug und Revolution im Herbst 1918 berichtete.

BERNHARD LIEMANN (Gent / Münster) stellte Erkenntnisse aus seiner im belgisch-deutschen Grenzgebiet angesiedelten Dissertation vor und beschrieb die Situation in der Grenzstadt Eupen, damals die zweitwestlichste Stadt der preußischen Rheinprovinz – und gleichsam das Einfallstor der 1. und 2. deutschen Armeen Anfang August 1914. Wahrnehmungen und Reaktionen der Zeitgenossen, deren Lage durch die unmittelbare Nachbarschaft mit Belgien und den Niederlanden sowie einer Fülle an verwandtschaftlichen wie beruflichen Grenzüberschreitungen gekennzeichnet war, standen im Mittelpunkt.

FRANZ JUNGBLUTH (Hamburg) stellte einige Ergebnisse seiner vor kurzer Zeit erschienenen Dissertation vor, in deren Zentrum Julikrise und Kriegsausbruch in Mannheim standen. In vielerlei Hinsicht war die kurpfälzische Residenzstadt mit den übrigen Städten im Deutschen Reich vergleichbar; das Besondere aber war eine Kommunalpolitik, die die ideologischen Grenzen zwischen Nationalliberalen und der SPD bereits vor 1914 immer wieder überschritt und die letzten Endes zu einer verspäteten Proklamation des innenpolitischen „Burgfriedens“ Anfang September führte.

GUNDA BARTH-SCALMANI (Innsbruck) thematisierte die bis dato wenig beachtete österreichisch-ungarische Peripherie und konzentrierte sich in ihrem Vortrag auf Innsbruck, die Hauptstadt des Kronlandes Tirol. Die Tagebucheinträge eines Tiroler Reserveoffiziers wurden in den größeren Kontext der Berichterstattung in der Innsbrucker Presse gerückt. Eindrücklich führte sie vor, wie die Anfang Juli in der gesamten Innsbrucker Diözese veranstalteten Trauerfeiern zumindest für die Donaumonarchie die Existenz eines „Juli-Erlebnisses“ nahelegen.

Die Theater-, Film- und Medienwissenschaftlerin EVA KRIVANEC (Berlin) bot einen Überblick über die Transformation der Theaterbühnen während der Kriegsjahre und zeigte, wie sich der historische Kriegsverlauf in den Spielplänen der Metropolen spiegelte. Auf eine erste Phase der Verhöhnung des jeweiligen Feindes auf der Bühne folgten das Rekurrieren auf Klassiker des Biedermeier, lokal gefärbte Operetten (z.B. die Csárdásfürstin, 1916) und ein Anstieg leichter Unterhaltung. Unter dem Eindruck der Umbrüche des Jahres 1917 thematisierten auch die Theater zunehmend aktuelle Fragen, die schließlich im letzten Kriegsjahr im Kriegsspektakel und einer zunehmend zur Schau gestellten Friedenssehnsucht gipfelten.

CLAIRE MORELON (Paris / Birmingham) stellte erste Ergebnisse ihrer Dissertation vor, in der sie sich mit Prag im Ersten Weltkrieg befasst. Anhand verschiedener Beispiele aus dem städtischen Alltag thematisierte sie Fragen nach einer spezifisch tschechischen Kriegserfahrung, die sie im Spannungsfeld zwischen Nationalismus und habsburgischem Patriotismus verortete. Konkret erscheint es unmöglich, zwischen dem Patriotismus der Deutschböhmen und Tschechen vor dem Winter 1916/17 zu unterscheiden.

Die zweite Sektion beschloss der Vortrag von CHRISTINE BEIL (Eppelheim), die sich mit den in vielen deutschen Städten gezeigten Kriegsausstellungen auseinandersetzte. Die dort verbreiteten stereotypen Feindbildern und die der deutschen Waffentechnik als unterlegenen dargestellten erbeuteten Waffen sollten – mit allerdings schwindendem Erfolg – der mit Fortdauer des Krieges größer werdenden Kriegsmüdigkeit an der „Heimatfront“ entgegen wirken. In Karlsruhe beispielsweise lockte die zu Beginn des Jahres 1916 gezeigte Kriegsausstellung noch rund 100.000 Besucher an.

ALFRED PFOSER (Wien) präsentierte die Kernstücke der kürzlich in Wien eröffneten Ausstellung „Im Epizentrum des Zusammenbruchs“, in der die ehemalige k.u.k. Reichshaupt- und Residenzstadt während der Kriegsjahre dargestellt wird. Er legte eindrücklich dar, wie sich, bedingt durch die Ausnahmesituation des Weltkriegs, die Stimmung in Wien entwickelte: Je länger der Krieg andauerte, desto mehr versanken die Einwohner in einer Art „Belagerungszustand ohne Belagerung“, der schließlich 1918/19 in zunehmenden Spannungen, Streiks und dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns kulminierte.

Daran anschließend skizzierte ELISE JULIEN (Lille / Paris) die Erinnerung an die Toten des Ersten Weltkriegs in den beiden Hauptstädten Berlin und Paris, indem sie die Verschmelzung lokaler und nationaler Ebenen analysierte. Neben dem Arc de Triomphe und der nach 1918 umgestalteten Neuen Wache in Berlin existieren eine Vielzahl weiterer Mahnmale, die mehrheitlich einen lokalen Charakter aufweisen und außerhalb der Stadtzentren lokalisiert sind.

Den Abschluss bildete der Beitrag von ALEXANDRA KAISER (Karlsruhe), die die Problematik der Karlsruher Fliegertoten und deren Erinnerung(en) thematisierte. Sie beschrieb die Schwierigkeit, dieser Toten öffentlich zu gedenken und ihr Sterben in die zeitgenössischen Deutungsmuster vom „ehrenhaften“ Kriegstod einzuordnen.

Konferenzübersicht:

Wolfram Jäger (Bürgermeister Karlsruhe), Begrüßung

Helena Palmer (Stuttgart), Stuttgart 1914 – ein Abiturprojekt

Ernst Otto Bräunche (Karlsruhe), Karlsruhe im Ersten Weltkrieg

Sektion I: Julikrise und Kriegsausbruch in der Wahrnehmung der Zeitgenossen

Daniel Peter (Nancy), Der Kriegsausbruch in Nancy (Juli bis September 1914)

Bernd Roeck (Zürich), Die Hässlichkeit des Krieges

Bernhard Liemann (Gent / Münster), Der belgische Nachbar. Die zweitwestlichste Stadt Preußens und der Kriegsbeginn 1914

Franz Jungbluth (Hamburg), Von der Julikrise zum verschobenen Burgfrieden. Der Kriegsausbruch und die Mannheimer Stadtgesellschaft

Sektion II: Erlebnis und Inszenierung des Ersten Weltkriegs in der Stadt

Gunda Barth-Scalmani (Innsbruck), August 1914 an der Peripherie der Donaumonarchie: Reaktionen in der Stadt Innsbruck

Eva Krivanec (Berlin), Krieg auf den Bühnen der Stadt. Zum Theater in europäischen Metropolen (1914-1918)

Claire Morelon (Paris / Birmingham), Staging the Austrian War Effort in Public Space. Prague during the First World War

Christine Beil (Eppelheim), Kriegsbeute und Feindbilder. Kriegsausstellungen während des Ersten Weltkrieges in deutschen Städten

Sektion III: Der Erste Weltkrieg in der Erinnerung: Zeitgenössische und gegenwärtige Perspektiven

Alfred Pfoser (Wien), Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg

Elise Julien (Lille / Paris), Inhalt und Organisation der Erinnerung an den Krieg im hauptstädtischen Kontext: Paris und Berlin der Zwischenkriegszeit im Vergleich

Alexandra Kaiser (Karlsruhe), Kriegerhelden – Fliegeropfer. Das Gedenken an die Toten des Ersten Weltkriegs in Karlsruhe