„Krumme Touren“ in der Wirtschaft. Zur Geschichte ethischen Fehlverhaltens und seiner Bekämpfung in Privatwirtschaft und Unternehmen

„Krumme Touren“ in der Wirtschaft. Zur Geschichte ethischen Fehlverhaltens und seiner Bekämpfung in Privatwirtschaft und Unternehmen

Organisatoren
Jens Ivo Engels, Darmstadt; Andreas Fahrmeir, Frankfurt am Main; Olivier Dard, Paris; Frédéric Monier, Avignon
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.11.2013 - 30.11.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Annika Klein, Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt a.M.; Volker Köhler / Anna Rothfuss, Institut für Geschichte, TU Darmstadt

Vom Siemensskandal über die Affäre Christian Wulff bis hin zum Umgang mit den Steuerhinterziehungsvorwürfen gegen Uli Hoeneß: Die Frage nach ethischem Fehlverhalten von Unternehmern im Spannungsfeld von Gewinnstreben und Verantwortungsbewusstsein steht heute wiederholt im Mittelpunk des öffentlichen Interesses. Um die historische Dimension genau dieser Fragen drehte es sich auch auf der Konferenz ‚Krumme Touren‘ in der Wirtschaft. Zur Geschichte ethischen Fehlverhaltens und seiner Bekämpfung in Privatwirtschaft und Unternehmen, die vom 28. bis 30. November 2013 in Frankfurt am Main stattfand.

Die Konferenz wurde organisiert von Jens Ivo Engels (Darmstadt), Andreas Fahrmeir (Frankfurt), Olivier Dard (Paris) und Frédéric Monier (Avignon) und tagte mit freundlicher Unterstützung des Institut Français (Frankfurt) und der DFG in den Gebäuden des Exzellenzclusters Normative Ordnungen der Goethe-Universität Frankfurt. Entstanden ist die Konferenz im Kontext des deutsch-französischen Forschungsprojektes Korruption in der Moderne (POC/K), das sich in verschiedener Form bereits seit einigen Jahren mit der Geschichte von politischer Korruption seit dem 19. Jahrhundert beschäftigt.1 Ziel der Konferenz war es, die Korruptionsforschung zu erweitern und neue Problemfelder zu erschließen. Insbesondere durch eine Ausdehnung auf die Wirtschaftsgeschichte. So diskutierten etwa 30 Wissenschaftler aus Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und Dänemark Fragen zur Geschichte der Wirtschafts- und Unternehmensethik.

Eingeleitet wurde die Tagung durch ein Panel welches konzeptionelle Gedanken zu einer Geschichtsschreibung der Wirtschaftsethik formulierte. Dabei betonte Moderator WERNER PLUMPE (Frankfurt), dass bisher wenig konzeptionelle Grundlagenforschung betrieben worden sei und stellte die Frage in den Mittelpunkt, wie Wirtschaft und Korruption in Zukunft historisch zusammengedacht und gemeinsam betrachtet werden können. In der das Panel begleitenden Diskussion rückte dann schnell das (vermeintliche) Spannungsverhältnis von wirtschaftlichem Erfolg und Unternehmensethik in den Mittelpunkt. Es blieb im Folgenden einer der zentralen Angelpunkte der Konferenz.

Eröffnet wurde das Panel durch einen Tandemvortrag von JENS IVO ENGELS (Darmstadt) und JULIAN OSTENDORF (Potsdam). Sie gingen von der Annahme aus, dass ethischem Fehlverhalten ein ethisches Wohlverhalten, kurzum die Unternehmensethik gegenüber stehen müsse und dass unternehmerisches Handeln auf Basis des Gewinnmaximierungsprinzip gesellschaftlich als moralisch defizitär betrachtet werde. In ihrem Beitrag entwickelten Engels/Ostendorf ein viergliedriges Schema mit dem sich die Entwicklung von Unternehmensethik diachron beschreiben lässt. Dabei untersuchten sie 1) die Manifestation und 2) die verschiedenen Geltungsbereiche von Unternehmensethik sowie 3) unterschiedliche Akteure und Interessen in einem dynamischen Interessenaushandlungsprozess in 4) verschiedenen Arenen der Normenaushandlung.

Das Panel wurde komplementiert durch einen Vortrag von STEFAN HIELSCHER (Halle-Wittenberg), der sich mit „Unternehmen als Governance-Entrepreneure“ beschäftigte und einen wirtschaftsethischen Beitrag zur gesellschaftlichen Rolle von Unternehmen im historischen Kontext lieferte. Am Beispiel der erfolgreichen sozialpolitischen Maßnahmen des Unternehmers Alfred Krupp im 19. Jahrhundert zeigte Hielscher auf, dass es wichtig sei, in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Geschichtswissenschaft und Wirtschaftsethik die Rolle privater Organisationen bei der Entwicklung gesellschaftlicher Governance-Strukturen zu berücksichtigen. Krupp, so argumentierte Hielscher, agierte selbsttätig als Governance-Entrepreneur dessen Maßnahmen proto-staatlichen Charakter hatten.

Panel zwei stand unter dem Thema „Verflechtung von Staat und Wirtschaft“, oder, wie Moderator PIERRE MONNET (Frankfurt) es formulierte, dem Zusammenhang von Herrschafts- und Wirtschaftsapparat. Die drei Vorträge gaben dabei Beispiele von Inklusions- und Exklusionsmustern durch normengeleitete Wirtschaftspraktiken. Den Auftakt machte ein Vortrag HERVÉ JOLYs (Lyon) zur Pantouflage, das heißt dem Wechsel hoher Beamter zwischen Wirtschaft und Staat im Frankreich des 19. und 20. Jahrhunderts. Am Beispiel von Bergbauassessoren machte er in der französischen Gesetzgebung Phasen von Restriktion und Liberalisierung des Wechsels aus. Für Joly bedeutete der dabei festzustellende Wandel hin zu einer klarer regulierten Pantouflage eine Ausweitung der Pantouflage, die nun auch weiteren Beamtenkreisen ermöglicht wurde. Damit blieb sie ein zentrales Element in der französischen Beamtenkarriere.

Der zweite Vortrag des Panels kam von BEATE GIEHLER (Berlin), die sich mit dem Zitrus-und Südfrüchtehandel in der späten Sowjetunion beschäftigte. Am Beispiel einer tadschikischen Kolchose konnte sie zeigen, dass die Schattenwirtschaft in der Selbstwahrnehmung nicht als „korrupt“ betrachtet wurde und gar einen stabilisierenden Effekt auf das politisch-ökonomische System der Sowjetunion hatte, da sie fehlende wirtschaftliche Effizienz ebenso wie mangelnden ideologischen Kitt ersetzen konnte.

Im dritten Vortrag beschäftigte sich RAINER LIEDTKE (Darmstadt) auf einer konzeptionellen Ebene mit „Klientelismus als Determinante unternehmerischer Ethik in Südeuropa im 20. Jahrhundert“. Nach Liedtke muss sich die Geschichtswissenschaft der klientelistischen Basisstruktur südosteuropäischer Gesellschaften bewusster nähern und sie als sozioökonomische Grundlage aller moralisch-ethischen Überlegungen ernst nehmen. Den anderen Weg Südosteuropas in die Moderne gelte es dabei als eigenständigen Beitrag zu würdigen.

Im dritten Panel der Tagung wurde unter der Leitung von ALFRED RECKENDREES (Kopenhagen) die Verbindung von Ethik und Unternehmensentscheidungen nach 1945 thematisiert. Zentral war dabei wiederum die Frage, welchen Einfluss gesellschaftliche Debatten über Normen auf unternehmerische Praktiken haben bzw. wie sich eine ethische Entwicklung auf den beiden Analyseebenen Debatten und Praktiken verfolgen lässt. Das Panel begann mit einem Vortrag von STEFFEN DÖRRE (Kiel), der zu Wirtschaftskriminalität und Korruption als unethisches Verhalten in der frühen Bundesrepublik sprach. Er identifizierte eine Schwerpunktverschiebung innerhalb der Debatten: Während sich diese bis in die späten 1960er-Jahren vor allem mit Normenkonflikten zwischen den Sphären von Politik und Ökonomie beschäftigten und ethisches Fehlverhalten als lokal begrenzte Einzeltat wahrgenommen wurde, beschäftigten sich die Debatten der frühen 1970er-Jahren unter anderem durch den Eintritt neuer Akteure (Psychologen, Kriminologen,…) vermehrt mit der nationalen, systemgefährdenden Wirkung von Wirtschaftskriminalität.

In dem zweiten Vortrag des Panels zeigte THILO JUNGKIND (Saarbrücken) am Beispiel der Dünnsäureverklappung der Bayer AG, welchen Mehrwert die Verwendung eines neoinstitutionalistischen Ansatzes für die Unternehmensgeschichte haben kann. Jungkind hob hervor, dass ein solcher Ansatz die stärkere Berücksichtigung von sozialen und legalen Normen als Kriterien von Unternehmensentscheidungen und somit deren historische Kontextualisierung erlaube. Jungkind argumentierte am Beispiel der Entscheidung der Bayer AG, die Dünnsäureverklappung in den 1980er-Jahren selbsttätig einzustellen, dass Ordnungsverhältnisse und Rollenzuschreibungen zwischen Unternehmen und ihrem gesellschaftlichen Umfeld stärker konzeptualisiert werden müssten und plädierte dafür, Unternehmen und gesellschaftliche Erwartungen als wechselseitig wirkungsmächtig anzuerkennen.

Das Panel wurde abgeschlossen durch einen Vortrag von MATTHIAS KUHNERT (München), der die Kritik britischer Entwicklungsaktivisten an unethischem Verhalten internationaler Großkonzerne in den 1970er- und 1980er-Jahren untersuchte. Kuhnert argumentierte, dass sich die Zunahme solcher Kritik auf eine Neuausrichtung des Entwicklungshilfediskurses der 1970er-Jahre zurückführen ließe. Enttäuschung über den geringen Erfolg eigener Projekte der NGO trug dazu bei, die Ursachen von Armut in den Blick zu nehmen und dabei die Rolle der Konzerne zu thematisieren. So wurde der Versuch unternommen, Defizite nicht nur anzuprangern oder juristisch zu verfolgen, sondern einen ethisch-moralischen Referenzrahmen zu etablieren, der Großkonzerne zu ethischem Verhalten zwingt. Kunhnert interpretierte diesen Vorgang als eine von mehreren Wurzeln des Konzepts Corporate Social Responsibility (CSR).

Das vierte Panel ging unter Leitung von JANINE OELKERS (Darmstadt) der Frage nach, inwiefern ethische Standards von Unternehmen und Institutionen als Fassade für korrupte Praktiken bewusst ausgenutzt werden können. ANNA ROTHFUSS und VOLKER KÖHLER (Darmstadt) stellten im ersten Vortrag den 1911 gegründeten Verein gegen das Bestechungsunwesen als ein Instrument vor, mit dessen Hilfe die beteiligten Konzerne vorgeblich gegen Korruption in den eigenen Reihen vorgingen, faktisch jedoch ein Begünstigungsnetzwerk erschaffen hätten. Sie argumentierten, dass die Industrie den Verein genutzt habe, um Korruptionsvorwürfe gegen Konkurrenten zu instrumentalisieren und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Ressourcenverteilung innerhalb des Netzwerkes im Interesse der im Verein zusammengeschlossenen Großbetriebe funktioniere.

Im zweiten Vortrag stellte FABRICE GRENARD (Paris) die Maßnahmen vor, die das Vichy-Regime ab 1940 zur Regulierung und Rationierung der Wirtschaft einführte. Die so entstandene Zwangswirtschaft wurde von der Regierung Pétain als eine "gerechtere" Wirtschaftsform gegenüber der freien Wirtschaft präsentiert, führte aber zu einem Aufschwung illegitimer Praktiken. Skandale um solche Manipulationen führten dazu, dass das Regime viel von seiner Glaubwürdigkeit verlor.

Presseunternehmen und das Problem journalistischer Unabhängigkeit standen im Zentrum des fünften Panels, moderiert von ANDREAS FAHRMEIR (Frankfurt). Zentral für dieses Panel war die Frage inwiefern zeitgenössische Normenvorstellungen das in den Vorträgen beschriebene Verhalten legitimieren konnten. Im ersten Vortrag beleuchtete DOMINIQUE PINSOLLE (Bordeaux) die zahlreichen Skandale, in die die französische Tageszeitung Le Matin in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts involviert war. Pinsolle analysierte dabei verschiedene Strategien und Argumente (beispielsweise "Ich war's nicht" und "Es war alles legal"), mit deren Hilfe sich der Besitzer des Matin, Maurice Bunau-Varilla, gegen Korruptionsvorwürfe zur Wehr setzte.

Im zweiten Vortrag stellte JEAN-RENÉ MAILLOT (Metz) den Journalisten und Pazifisten Jean Luchaire als Schlüsselfigur der deutsch-französischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit vor. Maillot zeigte auf, dass sich die pro-deutsche und später pro-italienische Position von Luchaires Zeitung Notre temps in den 1930er-Jahren in direkten Bezug zu finanziellen Zuwendungen bringen lässt, die Luchaire von deutscher bzw. italienischer Seite erhielt.

Das letzte Panel (VI) der Tagung stand unter dem Zeichen „Öffentliche Aushandlung von Normen durch Skandale“. Moderator JENS IVO ENGELS (Darmstadt) eröffnete das Panel, indem er auf die bedeutende Funktion von Skandalen in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen hinwies. Der erste Beitrag kam von ALEXANDER NÜTZENADEL (Berlin), welcher den Banca-Romana-Skandal unter dem Blickwinkel der Normenaushandlung betrachtete. Dieser Skandal um Verflechtung von Politik und Finanzwirtschaft war ein Transformationsphänomen, welches sich zum einen unter den Bedingungen eines „demokratischen Massenmarktes“ (Hans Rosenberg) erst entfalten konnte und welches anderseits Katalysator für neue, erfolgreiche Regulierungsformen war. Bemerkenswert, so Nützenadel, sei in diesem Kontext aber die dominante Rolle des Parlaments als Ort der Debatte. Nicht Presse oder Straße, sondern die Legislative habe in Italien die Hoheit über den Diskurs inne gehabt.

Der zweite Beitrag in diesem Panel führte die Konferenzteilnehmer nach Südamerika. STEPHAN RUDERER (Münster) schilderte den Skandal um die Bestechungsvorwürfe im Zuge der Privatisierung der sanitären Anlagen Buenos Aires‘ als Musterbeispiel für das Korruptionsverständnis im Argentinien des späten 19. Jahrhunderts. Für Ruderer ließ sich an der öffentlichen Reaktion des Ex-Präsidenten Celman auf den Korruptionsvorwurf zweierlei ablesen: Zum einen kam es nur zu einer Reaktion, da das Thema durch die steigenden Abwasserpreise bereits negativ konnotiert war und zudem durch britische Involvierung patriotisch aufgeladen werden konnte. Zum anderen zeigte sich eine öffentliche Korruptionsrhetorik, welche von fehlendem Unrechtsbewusstsein im privaten bzw. inneren Zirkel der Eliten abgegrenzt werden muss. Korruption wurde in diesen Kreisen als „normal“ angesehen, dennoch in öffentlichen Debatten stark kritisiert.

Im letzten Vortrag des Panels und auch der Tagung führte ANNIKA KLEIN (Frankfurt) die Tagungsteilnehmer schließlich in die Weimarer Republik, wo sie am Beispiel eines Beleidigungsprozesses gegen Gustav Stresemann in Plauen zeigen konnte, dass gegen Politiker gerichtete Korruptionsprozesse in erster Linie dazu dienten, aktuelle politische Debatten vor Gericht und damit vor einer größeren Medienöffentlichkeit verhandeln zu können. Im Gegensatz zum bekannteren Erzberger-Helfferich-Prozess gelang es Stresemann aber, den Prozess auf die sich als haltlos herausstellenden Korruptionsvorwürfe zu beschränken.

In der Schlussdiskussion führten Andreas Fahrmeir und Jens Ivo Engels die Fäden der Konferenz zusammen. Andreas Fahrmeir betonte dabei besonders drei Punkte: Erstens ging es ihm um die Begrifflichkeit „Unternehmensethik“. Hier sei noch genauer zu untersuchen, inwieweit Unternehmensethik im Gegensatz zu einer politischen Ethik besonders begründungsbedürftig sei. Zweitens leite sich hieraus die Problematik des Untersuchungsfeldes an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft ab. Denn, so Fahrmeir, die Problematik von als korrupt bezeichnetem Fehlverhalten entstehe nur in Interaktion mit anderen gesellschaftlichen Sphären, da innerhalb der Wirtschaft selbst Profitmaximierung ohne Wertung von Mitteln handlungsleitend sei. Für Fahrmeir ist, drittens, „Vertrauen“ dabei eine mögliche zentrale Kategorie zur Untersuchung ethischen Fehlverhaltens, da dies sowohl innerhalb des Unternehmens als auch in Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Regulationsmechanismen von Bedeutung sei. Diesen Ausführungen schloss sich Jens Ivo Engels mit drei weiteren Leitgedanken an. Zum einen hob er die Bedeutung der Chronologie hervor. Der Begriff „Wertewandel“ habe im Zusammenhang mit der Wirtschaftsethik eine erstaunlich geringe Rolle gespielt. Er warf die Frage auf, ob dieser Begriff oder gegebenenfalls alternative Konzepte geeigneter seien, den Wandel der Unternehmensethik zu beschreiben. Zweitens schlug er vor, sich weiterhin am ethischen Fehlverhalten als Leitkategorie zu orientieren. Dies ermögliche es, der negativen Thematisierung von Normen auf dem Weg der Devianzkonstruktion nachzuspüren. Schließlich betonte Engels, dass eine Kontextualisierung des Verhaltens der Akteure wichtig sei und regte an auf die Existenz unterschiedlicher Normensysteme oder gar einer „Normenkonkurrenz“ (Hillard von Thiessen) in modernen Gesellschaften zu achten. Für Engels war weiterhin klar, dass handlungsleitende Normen schwerer artikuliert werden können als deren kritische Pendants. Die anschließende Diskussion drehte sich vor allem um die trennscharfe Abgrenzung von Begrifflichkeiten wie Korruption, Kriminalität, Unternehmensethik, Normenpluralität und -konkurrenz sowie um die Möglichkeiten und Limitationen, welche diese Begriffe für eine Erforschung von ethischem Verhalten von Unternehmern bieten. So merkte beispielsweise Alfred Reckendrees an, dass Unternehmen eigentlich ja keine Personen seien und somit auch nicht ethisch oder unethisch handeln könnten. Andreas Fahrmeir betonte, dass der ethische Diskurs eine Rückübertragung staatlicher Begrifflichkeiten auf die Unternehmenswelt beinhalte und damit dem modernen Konzept der Trennung staatlicher und wirtschaftlicher Sphäre entgegenlaufe.

Insgesamt stellte die Tagung einen ersten Versuch dar, sowohl internationale als auch interdisziplinäre Möglichkeiten unternehmerischer Ethik als eines historischen Untersuchungsfeldes auszuleuchten. Vor allem auf der Ebene der Begriffe und Untersuchungskategorien zeigt sich noch erheblicher Reflexionsbedarf. Obwohl der Austausch zwischen den beiden großen Forschungstraditionen Unternehmens-/Wirtschaftsgeschichte und Kulturgeschichte sicher noch weiter ausgebaut werden sollte, zeigten sich die Konferenzteilnehmer überzeugt, dass dieser Dialog für beide Seiten lohnenswert sei und daher weiter verfolgt werden solle. Das Feld unternehmerischer Ethik und unternehmerischen Fehlverhaltens kann sowohl die Geschichtsschreibung von Unternehmen als auch die Narrative um gesellschaftliche Selbstbeschreibung sinnvoll ergänzen.

Konferenzübersicht:

Begrüßung
Pierre Monnet, Andreas Fahrmeir

Panel I – Konzeptionelles zu Wirtschaftsethik und Geschichte
(Moderation: Werner Plumpe)

Jens Ivo Engels (Darmstadt) / Julian Ostendorf (Potsdam), Geschichte von Unternehmensethik schreiben. Konzeptionelle Überlegungen.

Stefan Hielscher (Halle-Wittenberg), Unternehmen als Governance-Entrepreneure. Ein wirtschaftsethischer Beitrag zur gesellschaftlichen Rolle von Unternehmen im historischen Kontext.

Panel II – Verflechtung von Staat und Wirtschaft
(Moderation: Pierre Monnet)

Hervé Joly (Lyon), Le pantouflage des hauts fonctionnaires dans les entreprises privées (XIXe–XXIe).

Beate Giehler (Berlin), Der Zitrus- und Südfrüchtehandel der späten Sowjetunion.

Rainer Liedtke (Darmstadt), Klientelismus als Determinante unternehmersicher Ethik in Südeuropa im 20. Jahrhundert.

Panel III – Ethik und Unternehmensentscheidung nach 1945
(Moderation: Alfred Reckendrees)

Steffen Dörre (Kiel), Korruption als Entscheidungskriterium. Die Auswirkung von Korruptionsdebatten auf das Auslandsengagement deutscher Unternehmer 1945–1985.

Thilo Jungkind (Saarbrücken), ‚Krumme Tour‘ auf hoher See. Die Dünnsäureverklappung der Bayer AG und ihre Entwicklung von einer umjubelten Technologie zum Teufelswerk.

Matthias Kuhnert (München), David gegen Goliath. Die Kritik britischer Entwicklungsaktivisten am ‚unethischen‘ Verhalten internationale Großkonzerne in den 1970er- und 1980er-Jahren.

Panel IV – Ethische Standards als Fassade
(Moderation: Janine Oelkers)

Anna Rothfuss / Volker Köhler (Darmstadt), Der Verein gegen das Bestechungsunwesen (1911–1933).

Fabrice Grenard (Paris), Le régime de Vichy et l’échec d’une «économie morale» dans un contexte de pénurie et d’occupation.

Panel V – Presseunternehmen und das Problem journalistischer Unabhängigkeit
(Moderation: Andreas Fahrmeir)

Dominique Pinsolle (Bordeaux), How can a media mogul act with impunity? Le Matin, Corrupt Practices and Prosecution from the end of the XIXth Century to the 1930s.

Jean-René Maillot (Metz), Jean Luchaire, réussir dans le journalisme et œuvrer pour la paix en Europe. Une illustration du pacifisme dévoyé par la corruption dans l’entre-deux-guerres.

Panel VI – Öffentliche Aushandlung von Normen durch Skandale
(Moderation: Jens Ivo Engels)

Alexander Nützenadel (Berlin), Der Banca-Romana-Skandal.

Stephan Ruderer (Münster), Privatisierung und Korruption. Der Skandal zwischen Argentinien und England um die Privatisierung der sanitären Anlagen in Buenos Aires 1888–1891.

Annika Klein (Frankfurt), Stresemann und die Evaporator AG.

Schlussdiskussion (Jens Ivo Engels, Andreas Fahrmeir)

Anmerkung:
1 Siehe auch: Korruptionsforschung des Instituts für Geschichte an der TU Darmstadt: <www.korruptionsforschung.tu-darmstadt.de> (19.2.2014).


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