Landesgeschichtliche Perspektiven für Oberschwaben

Landesgeschichtliche Perspektiven für Oberschwaben

Organisatoren
Gesellschaft Oberschwaben für Geschichte und Kultur e.V.
Ort
Aulendorf
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.12.2013 - 07.12.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Antje Oswald, Gesellschaft Oberschwaben für Geschichte und Kultur e.V., Salem

Die regionalgeschichtliche Forschung wird in neuerer Zeit im Wesentlichen getragen durch regionalgeschichtliche Vereine, Institute für Landesgeschichte an benachbarten Universitäten und staatliche Institutionen für Landeskunde. In der Vergangenheit existierte kein regionalgeschichtlicher Verein für Oberschwaben – der Verein für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben konzentrierte sich auf Ulm. Erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gingen wesentliche Impulse für die Erforschung der oberschwäbischen Geschichte von den Universitäten Augsburg, Bern und Stuttgart aus. Bis dahin galt eine Feststellung von 1961: „Die Landesgeschichte wird im oberschwäbischen Raum nicht so gefördert, wie es dieses Gebiet mit seiner reichen Geschichte verdient hätte.“1

Mittlerweile hat in der Landesgeschichte der umliegenden Universitäten ein Generationswechsel stattgefunden. Die Gesellschaft Oberschwaben für Geschichte und Kultur e.V. lud aus diesem Grund zu einer Bestandsaufnahme bisheriger und aktueller Forschungsschwerpunkte der Landesgeschichte Oberschwabens ein.

Am Freitag Abend begrüßte SIGRID HIRBODIAN (Tübingen) die Tagungsteilnehmer im Schloss zu Aulendorf und verwies auf die Intention der Veranstaltung, die universitäre Landesgeschichte und die praktische landesgeschichtliche Forschung in der Region zusammenzubringen. Seit dem Wechsel von Frau Hirbodian auf den Tübinger Lehrstuhl für Landesgeschichte stand besonders die Aufgabe im Mittelpunkt ihrer Forschungen mit den Kollegen der landesgeschichtlichen Lehrstühle die deutschsprachige Landesgeschichte neu zu organisieren und als Fach sowohl national als auch international sichtbar zu machen. Fragen, wie die Disziplin methodisch und theoretisch zu verorten und was das Proprium der Landesgeschichte sei, wurden hier als Ausgangspunkte der Tagung angerissen. Eine moderne Landesgeschichte, so Hirbodian, müsse sich besonders über die Zusammenarbeit mit anderen historisch arbeitenden Einrichtungen, wie Archiven, Museen und historischen Vereinen der Region definieren. Anlass der Tagung war es somit, ein Forum aus neuen Lehrstuhlinhabern der Landeskunde und Forschern, die sich schon seit längerer Zeit mit Oberschwaben beschäftigen, zu schaffen.

Die Tagung untergliederte sich thematisch in drei große Sektionen. Der erste Tagungskomplex beschäftigte sich mit verschiedenen Formen der „Aneignung von Räumen“ als wichtiger Ausgangspunkt, um landesgeschichtliche Forschung zu betreiben. JÜRGEN DENDORFER (Freiburg im Breisgau), Lehrstuhl für Früh- und Hochmittelalter, referierte über die landesgeschichtliche Forschung in Kooperation seines Mittelalter-Lehrstuhls an der Universität im Breisgau. Er wies Perspektiven auf, wie diese Forschungsschwerpunkte auf die Region Oberschwaben übertragen werden können und konzentrierte sich bei seinen Ausführungen auf die Zeit vor 1274, in der es den durch die Landvogtei unter Rudolf von Habsburg entstandenen Begriff Oberschwaben noch nicht gab. Nicht die Entstehung und der Untergang von Adelsherrschaften sondern die Frage nach Orten und Städtegründungen in dieser Region und ihren regionalen Raumbeziehungen untereinander könne Ausgangspunkt für weitere Forschungsschwerpunkte des mittelalterlichen „Oberschwabens“ sein.

Das sich anschließende Referat von MARTINA STERCKEN (Zürich) griff die Fragestellung der „Aneignung von Räumen“ in der mittelalterlichen Landesgeschichte auf und stellte dar, wie Ansprüche auf Raum präsent gemacht wurden. Die Parallele der habsburgischen Herrschaft sowohl im schweizerischen Raum als auch in Vorderösterreich ließe einen Vergleich zwischen diesen Landesgeschichten zu. Zwei Strategien der Zurschaustellung von Herrschaftsansprüchen auf ein bestimmtes Gebiet wurden hierbei genannt: zum einen die Praktiken der Verankerung von, in diesem Falle, habsburgischer Herrschaft, zum anderen der Fokus auf Karten als Instrument der Aneignung von Räumen und als eine Form der Herrschaftsausübung.

Letzteres Phänomen wurde von BETTINA SCHÖLLER (Zürich) weiter ausgeführt. Ihr Referat stellte das aktuelle Resultat einer von der Gesellschaft Oberschwaben in Auftrag gegebenen Studie eines Handschriften-Census dar, der als Grundlage für eine Publikation von Kartenmaterial aus dem Raum Oberschwaben gedacht ist. Fragen, wie viele Karten in den Archiven zur Verfügung stehen, um was für Darstellungstypen es sich handelt, in welche Zeit sie jeweils datiert werden können und inwiefern sie als Quelle Aufschluss über Machtverhältnisse oder Streitigkeiten über Grenzen und Besitztümer geben, sind Ausgangspunkte der Studien von Frau Schöller.

Der erste Abend wurde durch eine öffentliche Podiumsdiskussion beschlossen, in der es um einen Rückblick der bisherigen Leistungen der Gesellschaft Oberschwaben für die Landeskunde der Region ging. Analog hierzu stand zur Diskussion, welche Defizite innerhalb der oberschwäbischen Forschung in Zukunft angegangen werden sollten. Hierbei wurden besonders die aktuelle mediale Präsenz der Region im World Wide Web sowie der Bereich Wirtschaftsgeschichte bemängelt.

Räumlich-politische Verhältnisse durch Kartenbilder zu visualisieren, führte am zweiten Tag der Tagung SABINE HOLTZ (Stuttgart) weiter aus. Ein geplantes Kartographie-Projekt solle einen virtuellen Atlas des deutschen Südwestens zum Ziel haben, der in digitaler Form auf einer Internet-Plattform zugänglich gemacht werde. Da Oberschwaben sowohl im Hinblick auf die Überlieferungstradition als auch auf die territoriale Vielfalt eine gute Ausgangssituation darstelle, biete sich diese Region als Pilotprojekt innerhalb des Gesamtprojektes an, so Frau Holtz. Erste Quellenstudien und Kartenbeispiele des 18. Jahrhunderts zur Grafschaft Königsegg-Aulendorf untermauerten ihren Vortrag.

In die zweite Sektion der Tagung, „Themen im Raum: Wirtschaft, Religion und Reich“, führte ROLF KIEßLING (Augsburg), der sich mit der Frage auseinandersetzte, ob es eine Gewerbelandschaft Oberschwaben gab. Ausgangspunkt hierzu stellte die gute Forschungslage zur ostschwäbischen Textillandschaft dar, die Kießling in ersten Ansätzen auf den Raum Oberschwaben übertrug, um beide Räume in eine genauere Beziehung zu bringen. Dass die ostschwäbische Textilgewerbelandschaft in weiten Teilen auch das westliche Oberschwaben bestimmte – die Integration über den traditionellen Leinwandhandel sei hier als ein Beispiel zu nennen – stünde außer Frage. Doch inwieweit und wie intensiv dies geschah, riss Kießling anhand verschiedener gewerblicher Faktoren an. Forschungsdesiderate hierzu, wie die Ausbildung eines eigenen flächendeckenden Zunftsystems während der Frühen Neuzeit und dessen Einfluss auf eine Veränderung der dörflichen Sozialstruktur oder das noch unklare räumliche Verhältnis von Gewerbegebiet und Getreideexport als wesentlicher Wirtschaftsfaktor des 17. und 18. Jahrhunderts, wurden abschließend aufgezeigt.

Sigrid Hirbodian griff in ihrem Referat einen weiteren Faktor auf, Raum zu vermessen, nämlich die Erforschung geistlicher Frauengemeinschaften als Aufgabe süddeutscher Landesgeschichte. In ihren Ausführungen zeigte Frau Hirbodian zunächst verschiedene Lebensformen von geistlichen Frauen in Oberschwaben auf und verwies abschließend auf einige wichtige Forschungsprojekte zu diesem Thema, die sowohl an ihrem Lehrstuhl, als auch auf internationaler Ebene betrieben werden. An dieser Stelle sei besonders der Arbeitskreis geistlicher Frauen im europäischen Mittelalter, kurz AGFEM, zu nennen. Es handelt sich hierbei um eine Forschungskooperation zwischen der Ohio State University in Columbus und weiteren deutschen Universitäten, darunter auch Tübingen (http://agfem.wordpress.com).

ANDREAS HOLZEM (Tübingen), Lehrstuhlinhaber für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte, blieb mit seinem Referat „Bauernkrieg – Bildstock – Bibel“ beim Thema Religion als ein Parameter, Oberschwaben als Raum zu definieren. Seine Ausführungen beschäftigten sich mit der Religiosität und religiöser Praxis in Landgemeinden zwischen Reformation und Aufklärung. Er konzentrierte sich hierbei auf den Entwicklungsstrang zwischen einer im Bauernkrieg gelebten evangelischen Religiosität Oberschwabens, weiter über eine katholisch konfessionalisierte Barockfrömmigkeit bis hin zu einer Christus-zentrierten Aufklärungsreligiosität des 18. Jahrhunderts. Doch um zu verstehen, wie Oberschwaben zwischen lutherischer Hochburg und oberdeutsch-schweizerisch ausgeprägter evangelischer Konfessionalität eine ganz eigene religiöse Identität entwickelte, müsse man einen Blick auf das chronologische „Zwischen“, so Holzem, also auf die Zeit zwischen Westfälischem Frieden und katholischer Aufklärungsbewegung werfen.

Das sich anschließende Referat von SABINE ULLMANN (Eichstätt-Ingolstadt) verknüpfte Landesgeschichte mit Reichsgeschichte und fokussierte den Kaiser und seine auf den Raum Oberschwaben bezogene Funktion. Klöster, wie Salem oder Ottobeuren, seien Zeugnisse ihrer Reichsunmittelbarkeit aber auch einer habsburgischen Kaiserlandschaft. Die Untertanen seien ihrer jeweiligen Landeshoheit unterstellt gewesen. Doch zahlreich von Frau Ullmann vorgestellte Quellenbeispiele, besonders aus dem Ulmer Stadtarchiv, belegen in Form von Untertanensuppliken an den Reichshofrat den unmittelbaren Kontakt zwischen Untertan und Reichsinstitutionen. In den Bittbriefen an den Kaiser handele es sich besonders um finanzielle Gnadengesuche oder um Begnadigungen von Straftätern. Die Fülle dieser Suppliken lege zudem ein Zeugnis darüber ab, dass das Reichsoberhaupt als letzte Instanz und als Gnadenbringer verstanden wurde.

Die dritte und letzte Sektion der Tagung beschäftigte sich mit dem Thema „Institutionen für den Raum“. MARITA KRAUSS (Augsburg) zeigte innerhalb ihres Vortrags Projekte zur landesgeschichtlichen Forschung ihrer Universität, einer „Netzwerkuniversität“, auf. Interdisziplinarität sei ein Merkmal von landesgeschichtlicher Forschung. Themen und Ausgangspunkte, wie der Einfluss von Migration auf eine bestimmte Region – wie wurde eine Landschaft kulturell oder ökonomisch dadurch beeinflusst – oder geographische bzw. biologische Aspekte, wie Flüsse und ihre soziokulturelle und ökonomische Beeinflussung, seien wichtige Verbindungspunkte, die eine interdisziplinäre Landeskunde bereichern.

Das abschließende Referat von DIETMAR SCHIERSNER (Weingarten) stellte die Pädagogische Hochschule Weingarten als eine „wirklich“ oberschwäbische Hochschule ins Zentrum und wie dort landesgeschichtliche Forschung betrieben werde. In Form von Exkursionen lernen die Studenten an außeruniversitären Einrichtungen, wie Museen und Archiven, Essentielles über die oberschwäbische Region – Regionalgeschichte forschend und lehrend zu betreiben, fördere das eigene Berufsverständnis einer zukünftigen Lehrerschaft. Denn auch die Zahl der Zulassungsarbeiten von 80% über ein regionalgeschichtliches Thema zeuge von der Ernsthaftigkeit und Wichtigkeit, wie und warum Landeskunde betrieben werde. Schiersner beendete seinen Vortrag mit dem Hinweis auf das Online-Portal Oberschwaben (http://www.oberschwaben-portal.de), das eine digitale Plattform zum Thema Oberschwaben darstelle und Studenten und Wissenschaftlern die Möglichkeit biete, Forschungsberichte oder wissenschaftliche Zulassungsarbeiten zu publizieren.

Die Abschlussdiskussion wurde geleitet von EDWIN ERNST WEBER (Sigmaringen), Geschäftsführer der Gesellschaft Oberschwaben und Kreiskultur- und Archivamtsleiter Sigmaringen. Weber fasste die drei Sektionen der Tagung zusammen und verdeutlichte, wie die einzelnen Referenten den Raum Oberschwaben mittels unterschiedlicher Aspekte, wie Religion und Wirtschaft, zu vermessen gedachten. Oberschwaben stelle mit seiner kulturhistorischen und politischen Vielfalt einen geeigneten Ausgangspunkt für zahlreiche Forschungskonzepte innerhalb der deutschen und einer interdisziplinär gestalteten Landeskunde dar. Die Referate zeugten davon, dass es sich lohne, Oberschwaben aus verschiedenen epochalen Perspektiven, vom Mittelalter bis in die Zeitgeschichte, zu betrachten. Sigrid Hirbodian bedankte sich für einen gelungenen wissenschaftlichen Austausch, der in Zukunft sicher einige wichtige Projekte zur oberschwäbischen Forschung generieren werde.

Die Aulendorfer Tagung schuf somit ein geeignetes Forum vor Ort, um interessanten Forschungskonzepten Nachdruck zu verleihen und zwischen Wissenschaftlern – Professoren und Dozenten landeskundlicher Lehrstühle und süddeutscher Universitäten, Archivleitern und Kreiskulturamtsleitern verschiedenere Generationen – eine Zusammenarbeit zu bewirken.

Zahlreich angerissene Forschungsdesiderate im Bereich Wirtschafts- und Kirchengeschichte sowie die genannten Kartographie-Projekte, die verdeutlichen, dass es um die Quellenlage um Oberschwaben gut bestellt ist, geben der süddeutschen Landeskunde in Zukunft neuen und interdisziplinären Auftrieb. Vielseitige Projekte, die während der Tagung vorgestellt wurden, zeugen von einem internationalen Austausch und der Intention, den Raum Oberschwaben ebenso im Internet für die Zukunft zu etablieren.

Konferenzübersicht:

Sektion I: Aneignungen von Räumen

Jürgen Dendorfer (Freiburg im Breisgau): Räume, Orte, Personen(gruppen) – Landesgeschichtliche Perspektiven für die Geschichte des Früh- und Hochmittelalters

Martina Stercken / Bettina Schöller (Zürich): Aneignungen von Räumen. Projekte zu Klöstern, Städten und Karten

Sabine Holtz (Stuttgart): (Re)Präsentation von Raum. Oberschwaben im Kartenbild der Vormoderne

Sektion II: Themen im Raum: Wirtschaft, Religion und Reich

Rolf Kießling (Augsburg): Gab es eine Gewerbelandschaft Oberschwaben? Das Handwerk der Vormoderne zwischen lokaler Versorgung und Exportorientierung

Sigrid Hirbodian (Tübingen): Die Erforschung geistlicher Frauengemeinschaften als Aufgabe der Landesgeschichte in Süddeutschland

Andreas Holzem (Tübingen): Bauernkrieg – Bildstock – Bibel. Religiöses Wissen und religiöse Praxis in Landgemeinden zwischen Reformation und Aufklärung (1530–1800)

Sabine Ullmann (Eichstätt-Ingolstadt): Der Kaiser in Oberschwaben – Landesgeschichtliche und reichsgeschichtliche Perspektiven

Sektion III: Institutionen für den Raum

Marita Krauss (Augsburg): Disziplinübergreifend, grenzüberschreitend, multiperspektivisch. Landesgeschichtliche Forschungen in der Netzwerkuniversität

Dietmar Schiersner (Weingarten): Zwischen Archiv, Museum und Schule: Chancen und Grenzen landesgeschichtlicher Forschung an einer wirklich oberschwäbischen Hochschule

Anmerkungen:
1 Karl Friedrich Eisele, Oberschwäbische Geschichtsforschung, in: Schwäbische Zeitung 1961.


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