Tod und Gedenken in der Landschaft. 40. Jahrestagung des „Arbeitskreises für Kulturlandschaftsforschung in Mitteleuropa e.V.“ (ARKUM)

Tod und Gedenken in der Landschaft. 40. Jahrestagung des „Arbeitskreises für Kulturlandschaftsforschung in Mitteleuropa e.V.“ (ARKUM)

Organisatoren
Arbeitskreis für Kulturlandschaftsforschung in Mitteleuropa e.V., ARKUM; Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Ort
Heidelberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.09.2013 - 21.09.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Claudia Binder, Mannheim Email:

Die Tagung fand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg statt und wurde durch das „Heidelberg Center for the Environment“ (HCE) und das Cluster „Asia and Europe in a Global Context“ unterstützt. Das diesjährige Tagungsthema „Tod und Gedenken in der Landschaft“ eröffnete Referenten der unterschiedlichsten Fachbereiche die Möglichkeit, auf der Tagung zu referieren. Denn der Tod war und ist in jeder Kultur ein entscheidendes Ereignis im Leben der Menschen, nicht nur des Verstorbenen. Und so individuell die Menschen und deren Gemeinschaften, so vielfältig waren und sind auch die Bewältigungsstrategien, mit denen die Überlebenden dem unfassbaren Ereignis des Todes begegnen. Einige dieser Strategien und der dazu nötigen Rituale und Handlungen hinterlassen nicht nur bleibende Spuren in der Landschaft, sondern laden Orte mit Erinnerungen und Bedeutungen auf. Das materiell eingeschriebene Gedenken wird damit zu einem wesentlichen Baustein der Konstitution von Räumen und Landschaften. So spannte sich der inhaltliche Bogen der Tagung von archäologischen Denkmälern wie beispielsweise mächtigen Grabhügeln der Bronzezeit bis zur lokalpolitischen Bedeutung von Gedenkorten des Dritten Reichs.

THOMAS MEIER (Heidelberg) eröffnete als Organisator die Tagung am Donnerstagmorgen. Er stellte die drei Sektionen vor und erklärte ihre Konzeption: 1. Der Tod liege immer außerhalb des kulturellen Raumes der Lebenden, benötige aber gleichzeitig einen Ort in diesem um seiner zu gedenken. Ebenso brauche ein beliebiger geografischer Platz Erinnerung um zu einem kulturellen Ort zu werden. Die „Monumente des Todes“ würden beide Funktionen erfüllen, sie böten dem Toten(gedenken) einen Ort und konstituierten gleichsam einen solchen. 2. Diese raumschaffende Wirkung des Todes, die „Geografie des Todes“, bildete die zweite Sektion. Die Gestaltung des Gedenkortes schaffe nicht nur eine Beziehung zwischen den Toten und seinen Angehörigen. Vielmehr könne sie durch die Wahl der verwendeten Materialien oder Symbole Wirkungskreise und Bezugsrahmen schaffen, indem sie auf entfernte Orte verweise und dies gleichzeitig herbeizitiere. Sie könne aber auch die Welt der Toten von der der Lebenden trennen und den physischen wie spirituellen Übergang von der einen in die andere gestalten. 3. Abwesende Tote verlangen bei der Ausgestaltung ihres Gedenkortes unter Umständen andere Lösungen als ein physisch vorhandener Leichnam. Diesem Umstand wurde mit der letzten Sektion „Die Raumwirksamkeit abwesender Toter“ Rechnung getragen. Der Tote müsse durch den Gedenkort selbst herbeigeholt werden, durch die Nennung seines Namens oder die Nachbildung des Ortes, an dem sich der Körper (vermeintlich) befände. Eine andere Herausforderung stellten Tote dar, deren Leichnam zwar anwesend sei, die aber der Bestattungsgemeinschaft unbekannt seien (zum Beispiel Wasserleichen).

Am Vorabend leitete bereits HEIKO WACKER (Heidelberg) mit einem öffentlichen Abendvortrag über das Heidelberger Schloss in die Thematik der Erinnerungsorte ein. Das Heidelberger Schloss zähle heute zu einem der beliebtesten Touristenziele Deutschlands mit etwa einer Million Besucher im Jahr. Von seinen Ursprüngen im 12. Jahrhundert sei nichts mehr zu sehen. Vielmehr zeige sich das Schloss dem Besucher als Sammelsurium unterschiedlichster Baustile, da jede Generation dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprechend die Anlage aus- und umbauen ließe. Wacker stellte in seinem Vortrag kurz die noch sichtbaren Bauelemente des Schlosses dar und betonte die identifikationsbildende Wirkung des Heidelberger Schlosses für die Pfalzgrafen bei Rhein, den Besitzern des Schlosses und Herren der Stadt. Diese besondere Bedeutung habe das Schloss auch nicht verloren, nachdem unter Karl Philipp die Residenz der Pfalzgrafen von Heidelberg nach Mannheim verlegt wurde war. Die Anlage, wenn auch nicht mehr durch die Fürstenfamilie bewohnt, sei bereits damals zum Anziehungspunkt für Heidelbergbesucher umgestaltet worden. So seien zu dieser Zeit die letzten beiden Großen Fässer (das Karl-Philipp-Fass 1728 und das Karl-Theodor-Fass 1751) entstanden, die auch außerhalb Europas Berühmtheit erlangt haben. Während in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hier die Deutsche Romantik ihren Anfang gefunden habe, habe sich im 19. Jahrhundert eine Debatte über den denkmalschutzgerechten Umgang mit historischen Bauwerken entzündet, deren Ergebnisse bis heute die Richtlinien der Denkmalschutzgesetze in Deutschland prägten.

ARIANE BALLMER (Paris) eröffnete die erste Sektion mit einer Zusammenfassung ihres momentanen Forschungsthemas über vorgeschichtliche Grabbauten. Dabei bezog sie sich vor allem auf die Bedeutung der Grabarchitektur in Bezug auf ihre raumgestaltende Wirkung, die für vorgeschichtliche Zeit gleichsam schwieriger zu (re-)konstruieren sei als für die historische. So könne nur eine vergleichsweise dichte Beobachtung von Lage und Gestaltung der Monumente vor Ort und eine große Zahl an Vergleichen zu plausiblen Erklärungskonzepten führen. Dabei sei die Bedeutung dem Ort nicht immanent, sondern ein Ergebnis von immer wieder neu zu führenden Aushandlungsprozessen. Frau Ballmer zeigte anhand verschiedener Beispiele, welche Möglichkeiten und Grenzen der Archäologie bei der Erforschung dieser Orte gegeben sind.

Einen zeitlichen Sprung in die jüngste Vergangenheit machte anschließend KLAUS FEHN (Bonn) mit einem Beitrag über nationalsozialistische Erinnerungsorte und -landschaften. Die Verbindung mit den Ahnen und der propagierte Heldenkult der Nationalsozialisten sind zentrale Motive bei der Wahl der Erinnerungsorte und deren Architektur gewesen. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Anlagen tatsächlich errichtet worden waren oder nur als Planung auf uns gekommen seien. In ihrer Zeit haben sie den Sinn einer großen geschichtlichen Wende, den Aufstieg des nationalsozialistischen Deutschlands, verkörpern sollen, für dessen Legitimation die Beziehung zu den toten Vorfahren eine zentrale Rolle eingenommen habe.

Ganz in die Gegenwart führte LUCYNA PRZYBYLSKA (Gdańsk) die Zuhörer. Sie beschrieb das seit den 1990er-Jahren verstärkt auftretende Phänomen, an Verkehrstote durch Gedenkkreuze am Straßenrand zu erinnern. Die Kreuze würden in Polen in verschiedenen Formen auftreten, die zum Teil chronologisch, zum Teil kontextuell bedingt seien. Dabei ist diese Form der spontanen, persönlichen Erinnerung im öffentlichen Raum nicht unumstritten. Nur eine knappe Mehrheit der Polen sei für das Belassen der Kreuze am Wegrand. Ein wichtiger Aspekt der Kritik sei die durch die Kreuze einhergehende Sakralisierung des öffentlichen, profanen Straßenraums.

Die Sektion „Geografie des Todes“ leitete der Bericht über das Kulturlandschaftspflegewerk des ehemaligen KZ-Mauthausen-Zwillingslager Gusen von HANS PETER JESCHKE (Linz) ein. Das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers ist weitgehend durch eine Siedlung überbaut oder gewerblich genutzt. Nur einzelne Strukturen und Bauteile aus der NS-Zeit sind heute noch in der Landschaft erkennbar, zum Beispiel ein alter Steinbrecher. Deren Schutz und Sichtbar-Machung in der Kulturlandschaft sei Ziel des Pflegewerks. Am Beispiel des Steinbrechers stellte Jeschke das Konfliktpotential zwischen Erhalt der Erinnerungsobjekte und heutiger Nutzungsplanung vor, zeigte aber auch zugleich die Möglichkeiten, beiden Ansprüchen gerecht zu werden.

THOMAS MEIER (Heidelberg) holte im Anschluss die Zuhörer zurück auf die Friedhöfe des Mittelalters. Dabei wandte er Foucaults Konzept der „anderen Räume“ an und arbeitete heraus, dass es sich bei mittelalterlichen Friedhöfen um heterotope Räume gehandelt habe. Sie seien Bestandteil des täglichen Lebens (zum Beispiel Marktplatz) gewesen, haben sich aber als eigener Rechtsbereich (Kirchenasyl) aus diesem abgehoben. Als Ort der Toten sei der Friedhof gleichzeitig als Gegenort zum Leben zu begreifen. Erst mit der Verlegung der Friedhöfe vor die Städte im 18. und 19. Jahrhundert habe der Friedhof seinen multifunktionalen Charakter verloren, sei nun den Toten und dem Gedächtnis der Angehörigen überlassen geblieben.

Den Tag beschloss JÜRGEN HASSE (Frankfurt am Main) mit seinem Vortrag „Zur Atmosphäre sepulkralkultureller Räume der Gegenwart“. Diese würde über bestimmte Symbole und Elemente der Raumgestaltung erzeugt, die Emotionen bei dem Betrachter hervorriefen. Die Finalität und Unvorstellbarkeit des Todes werde durch Rituale innerhalb dieser Atmosphäre für den Menschen verarbeitbar. Diese Funktion der traditionellen Friedhöfe sei in Friedwäldern aufgebrochen, in denen bewusst auf sepulkrale Elemente verzichtet werde, die individuelle Erinnerung nur noch durch ein dezentes Namensschild an einem Baum möglich sei.

Die letzte Sektion, „Die Raumwirksamkeit abwesender Toter“, begann LUKAS WOLFINGER (München), der über fürstliche Strategien des Totengedenkens im Spätmittelalter sprach. Am Beispiel Rudolfs IV., des Stifters, erläuterte er die verschiedenen Funktionen memorialer Stiftungen zur Etablierung von Herrschaft. Rudolf habe durch seine Stiftungen ein Netzwerk von symbolischen Abhängigkeiten aufgebaut, gestützt durch materielle Verpflichtungen seinerseits, die die fürstliche Selbstdarstellung als Stifter inszeniert haben. Gleichsam habe Rudolf durch die Vielfältigkeit der Memorien für sein eigenes Seelenheil und das seiner Familie gesorgt.

PAVEL VAŘEKA und ZDENKA SCHEJBALOVA (beide Plzen) sprachen über ihr Forschungsprojekt zur Geschichte deutscher Friedhöfe in Tschechien. Nach dem 2. Weltkrieg musste die deutsche Restbevölkerung in Tschechien ihre Heimat verlassen, wodurch vor allem entlang der deutsch-tschechischen Grenze Wüstungen entstanden. Vařeka und Schejbalova untersuchten das Schicksal der zugehörigen Friedhöfe: Einige seien wüst gefallen, wenige seien intentionell zerstört und aufgelassen worden, in den meisten Fällen seien die deutschen Gräber (teilweise) beseitigt und der Friedhof weiter genutzt worden. Die Beisetzung von auf Todesmärschen verstorbenen Tschechen habe die für die nun zugezogenen Tschechen nötige Vergangenheit geschaffen, die Toten seien zu den „symbolischen Vorfahren“ der neuen Bevölkerung geworden.

Den Abschluss des Vortragsteils machte GERNOT MEIER (Karlsruhe) mit einem Beitrag zu „Friedhöfe und Tote im Cyberspace“. Immer mehr Plattformen böten Nutzern an sich ihre eigene individuelle Grabstätte im Internet zu schaffen. Andere Seiten, zum Beispiel Facebook, kennzeichneten Profile verstorbener Nutzer entsprechend, machten diese dadurch zu potentiellen Erinnerungsorten im Netz. Der Tote oder besser sein virtuelles Gegenstück bliebe im Netz zunächst präsent. Der Cyberspace werde zum Zwischenraum zwischen Leben und Tod. Da es sich hierbei um recht neue Phänomene der Totenkultur und des Totengedenkens handle, sei die weitere Entwicklung, zum Beispiel die Veränderung von Trauerkonzepten, noch nicht absehbar.

Der Tag klang mit sechs Kurzbeiträgen aus. HAUKE KENZLER (Bamberg) zeigte in seinem Vortrag „Die räumliche und geistige Trennung der Toten von den Lebenden durch die Reformation“, wie sich unter dem Einfluss dieser neuen religiösen Bewegung die Bedeutung des Bestattungsortes und die Form der Trauerkonzepte veränderten.

KAREN DE VRIES (Groningen) referierte über das Forschungsprojekt „Mortality peaks and the spacial layout of cemeteries in the Northern-Netherlands“. Das Projekt habe zeigen können, dass trotz eines kurzzeitigen, sprunghaften Anstiegs der Todesfälle durch die Spanische Grippe, die Belegungspraxis auf dem untersuchten Friedhof nicht verändert worden war.

ZOLTÁN ILYÉS (Miskolc) berichtete über die „Heritagisation, erinnerungskulturelle Nutzung und touristische Erschließung der Militärfriedhöfe der Ostkarpaten im Szeklerland, Rumänien“. Diese würden seit einigen Jahren besonders durch nationalistische Bewegungen zunehmend erschlossen und politisch instrumentalisiert.

WOLFGANG WEGENER (Bonn) stellte das „Projekt Hürtgenwald. Eine kritische Betrachtung von Erinnerungskultur und Kulturlandschaft des Zweiten Weltkriegs“ vor. Im Rahmen des Kulturlandschaftsschutzes spiele hier am ehemaligen Westwall auch das Totengedenken eine zentrale, wenn auch nicht unumstrittene Rolle.

HANS PETER JESCHKE (Linz) sprach über die „Topographisch orientierte Beforschung von Zeitzeugenberichten – Beispiele aus Dachau (Viktor Frankl), Mauthausen und Gusen/St. Georgen (Aussagen zweier Überlebender aus Frankreich und Polen)“. Jeschke stellte Beispiele vor, wie sich aus Berichten und Aufzeichnungen der Opfer die Geografie des Ortes erschließen ließe.

STEFAN BRAUCKMANN (Hamburg) referierte über den „Erinnerungsort Deportationsbahnhof. Kulturlandschaftsforschung und Jugendbeteiligung“. Das Gelände des ehemaligen Deportationsbahnhofs sei in den letzten Jahren unter Einbeziehung von Jugendlichen aus umliegenden Schulen zu einem Erinnerungsort umgestaltet worden.

Die Tagung bot den Zuhörern eine bunte Mischung aus den unterschiedlichsten Bereichen rund um den Tod und dessen räumliche Vergegenwärtigung. Von der Vorgeschichte bis zum Jahr 2013, mit einem Schwerpunkt auf den Ereignissen des 20. Jahrhunderts, berichteten die Vortragenden ihre Erlebnisse aus dem lokalen Denkmalschutz vor Ort oder erläuterten allgemeinen Überlegungen, wie Tod und Raum verknüpft seien; praktische Ansätze trafen auf theoretische Modelle. Es ist zu hoffen, dass künftig beide Elemente stärker miteinander kombiniert werden, um einerseits ein besseres Verständnis für die Handlungen der Menschen in der Vergangenheit zu gewinnen und andererseits tragfähige Modelle für den Umgang mit den Resten jener Zeiten in unserer Gegenwartskultur zu erarbeiten.

Konferenzübersicht:

Öffentlicher Abendvortrag:
Heiko Wacker (Heidelberg), Das Heidelberger Schloss. Burg – Residenz – Denkmal.

Thomas Meier (Heidelberg), Einführung in das Tagungsthema „Tod und Gedenken in der Landschaft.“

Sektion 1: „Monumente des Todes“

Adriane Ballmer (Paris), Vorgeschichtliche Grabbauten und ihre Raumrelevanz. Eine Übersicht.

Klaus Fehn (Bonn), Erinnerungsorte und Erinnerungslandschaften im nationalsozialistischen Deutschen Reich 1933-1945.

Lucyna Przybylska (Gdańsk), Memorial crosses as a part of sacralization of public spaces in Poland.

Sektion 2: „Geografie des Todes“

Hans Peter Jeschke (Linz), Schutz und Pflegekonzeptionen für memoriale Kulturlandschaften – ein Kulturlandschaftspflegewerk für den Bereich des ehemaligen KZ-Mauthausen-Zwillingslager Gusen (Cultural Heritage and Memorial Landscape Gusen).

Thomas Meier (Heidelberg), Die anderen Orte der Toten.

Jürgen Hasse (Frankfurt am Main), Zur Atmosphäre sepulkralkultureller Räume der Gegenwart.

Sektion 3: „Die Raumwirksamkeit abwesender Toter“

Lukas Wolfinger (München), Der Fürst und die Seinen – im Totengedenken vereint. Zu Strategien und Praktiken herrschaftlicher Raumerschließung im Spätmittelalter.

Pavel Vařeka / Zdenka Schejbalova (Plzen), Cemeteries in Western Bohemia as an evidence of population and settlement discontinuity in the 2nd half of the 20th century.

Gernot Meier (Karlsruhe), Friedhöfe und Tote im Cyberspace.

Kurzbeiträge


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