27. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung (SAK)

27. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung (SAK)

Organisatoren
Nicole Priesching / Andreas Henkelmann, Schwerter Arbeitskreis Katholizismusforschung, SAK; Katholische Akademie Schwerte des Erzbistums Paderborn
Ort
Schwerte
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.11.2013 - 17.11.2013
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Von
Andreas Henkelmann, Katholisch-Theologische Fakultät, Ruhr-Universität Bochum; Nicole Priesching, Institut für Katholische Theologie, Universität Paderborn

Zur 27. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung (SAK) versammelten sich vom 15. bis 17. November ca. 40 Historiker und Theologen aus Deutschland, Österreich sowie Luxemburg. Geleitet wurde die Tagung von Nicole Priesching (Paderborn) und Andreas Henkelmann (Bochum) in Kooperation mit der Katholischen Akademie Schwerte des Erzbistums Paderborn. Die Generaldebatte setzte sich in diesem Jahr mit dem Thema „Katholische Kirche und Fundamentalismus – eine Verhältnisbestimmung in historischer Perspektive“ auseinander.

Am Freitagabend widmeten sich zwei Vorträge dem Thema „Katholische Frauenbilder zwischen Kriegsende und Konzilsbeginn“. MARKUS KROLL (Bochum) sprach über „Frauenbild und Selbstwahrnehmung. Auf der Suche nach einem ‚weiblichen Bewusstsein‘ von Ordensfrauen am Beispiel der Franziskanerinnen von der Buße und der christlichen Liebe“ und stellte damit sein Dissertationsprojekt zu Transformationsprozessen weiblicher Ordensgemeinschaften vor. Am Beispiel der Franziskanerinnen von der Buße und der christliche Liebe zeigte Kroll innere und äußere Faktoren auf, die das Selbstbild von Ordensschwestern in den 1950er-Jahren beeinflussten und prägten. Den Mittelpunkt des Selbstverständnisses bildet das Stifterinnenideal, dem sowohl kontemplative als auch aktiv apostolische Elemente inhärent sind. Im Untersuchungszeitraum zeigt sich eine Stärkung der klösterlichen Elemente bei gleichzeitiger Professionalisierung, die sich in individueller Förderung und mehr Verantwortungsübernahme durch die Schwestern ausdrückt. Am Selbstbild der Lehrschwestern wird erkennbar, dass diese einerseits als demütige Ordensschwester auftreten sollten und andererseits als Lehrerin gut ausgebildet und kompetent sein mussten, um die Schülerinnen dem Erziehungsziel der Genossenschaft folgend zu guten Katholikinnen und Multiplikatoren auszubilden.

Im Anschluss referierte REGINA ILLEMANN (Bonn) über das Thema „‚In Familie, Beruf und öffentlichem Leben‘! Frauenrollenbilder im Katholischen Deutschen Frauenbund in den 1950er-Jahren“. Die Frauenrollenbilder im Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB) nach 1945 wiesen eine große Vielfalt auf; entgegen der gesellschaftlichen und kirchlichen Idealvorstellung, die Frauen in erster Linie als Familienmütter sah. Der KDFB betonte einerseits die tatsächliche Vielfalt weiblicher Lebensumstände und beanspruchte andererseits, dass Frauen vielfältigere berufliche und gesellschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten erhalten sollten. Der KDFB begründete Wert und Würde jeder Frau – vor jeder Rolle – religiös: mit ihrer persönlichen Gottbezogenheit. Die angestrebte Ausweitung der Frauenrollen wurde vom KDFB damals nicht in ihrer problematischen Einseitigkeit gesehen: Frauen sollten in Berufen und Politik verstärkt tätig werden, während sie jedoch zugleich für die Familien- und Hausarbeit zuständig blieben. Männerrollen blieben gänzlich unangetastet.

Den Samstag eröffnete KLAUS SEIDL (München) mit einem Beitrag über den „Ultramontanismus zwischen konstitutioneller Monarchie und religiöser Freiheit. Der politische Katholizismus in Bayern 1848/49“. In seinem Vortrag zielte Seidl auf eine Neuinterpretation der Revolution von 1848/49 ab, basierend auf seinem Dissertationsprojekt „Gesetzliche Revolution im Schatten der Gewalt“. Für das Frühjahr 1849 lag der Forschungsfokus bisher auf der militärischen Niederwerfung der Revolution. Doch warum wagten es die Fürsten überhaupt, Gewalt anzuwenden? Dies lag nach Seidl vor allem am starken Rückhalt der Fürsten im Volk, der besonders im Ultramontanismus verankert war. Dies wird in einer Petitionskampagne gegen die Grundwerte deutlich, welche von mehreren katholischen Vereinen (z.B. Piusvereine) geführt wurde. Abschließend stellte Seidl die Sozialstruktur dieser Vereine in Bayern vor und fragte nach deren politischer Bedeutung.

Als nächstes trug FRANZ SIEPMANN (Bochum) das Thema „Innovativ oder doch reaktionär? Pastorale Identitätsbildungsprozesse im jungen Ruhrbistum“ vor. Das Referat befasste sich mit dem gegenwärtig verblassenden Gründungsmythos der seit 1958 bestehenden Diözese Essen. Dem jungen Ruhrbistum haftete in den 1960er-Jahren ein enorm innovatives Potential an, indem es zwar die Tradition des katholischen Milieus der Region übernahm, diese jedoch um zeitgemäße, pastorale Elemente erweiterte. Hierzu zählten der Gebrauch neuer Kommunikationsmittel, die Implementierung eines diözesaneigenen pastoralsoziologischen Instituts, der Ausbau milieusensibler Arbeiterpastoral, eine weitreichende sozialpolitische Interessenvertretung durch Bischof Hengsbach sowie die Experimente um apostolisch-missionarische Laienbeteiligungen respektive überpfarrliche Regionalseelsorge. Als Reaktion auf kirchliche bzw. gesellschaftliche Wandlungsprozesse schwächten sich diese innovativen Ansätze jedoch gegen Ende des Jahrzehnts bereits deutlich ab. Ablesbar ist dies an der einseitigen Fokussierung auf Territorial- und Familienseelsorge bei gleichzeitiger Abmilderung spezifischer Milieupastoral.

Es folgte die Vorstellung eines DFG-Forschungsprojektes von JOACHIM SCHMIEDL und ROBERT WALZ (beide Vallendar) über „Mitteleuropas Nationalsynoden nach dem Zweiten Vaticanum“. Im ersten Teil referierte Joachim Schmiedl über den Entstehungsprozess und die Konzeption des Projektes, dessen Schwerpunkt auf der Durchführung qualitativer Zeitzeugeninterviews der noch lebenden Synodenteilnehmer liegt. Im Anschluss daran berichtete Robert Walz von den doch erheblich differierenden Interviewbefunden hinsichtlich der Würzburger Synode (1971-75), die die Bistümer der damaligen BRD umfasste, und der Dresdner Synode (1973-75), die sich aus den Jurisdiktionsbezirken der damaligen DDR zusammensetzte. Letztere erweist sich dabei als Veranstaltung einer zahlenmäßig kleinen Kirche in einer Diasporasituation. Die Arbeit in den Sachkommissionen und die Diskussionen auf den Vollversammlungen erreichten in der Erinnerung der Zeitzeugen dabei offenkundig nicht die Schärfe und Intensität wie bei der Würzburger Synode. Dies dürfte nicht zuletzt der besonderen historischen Situation der Dresdner Synode geschuldet sein, die weder eine offene Kritik des Diktaturregimes noch eine entschiedene Infragestellung kirchlich-lehramtlicher Positionen für angebracht hielt. Konsens besteht dagegen in der Einschätzung, dass nicht verabschiedete Dokumente, sondern das Zusammentreffen als solches die zentrale Frucht des synodalen Geschehens bildete.

Den Auftakt am Samstagnachmittag machte SARAH THIEME (Münster) mit einem Vortrag über einen Teilaspekt ihres Dissertationsprojektes zu „‚Lokalen Märtyrern des Dritten Reiches‘. Begräbnis und Verehrung ‚Alter Kämpfer‘ in Westfalen und von Juliputschisten in der Steiermark“. Ausgehend von den Überlegungen von Emilio Gentile zur „Sakralisierung der Politik“ untersuchte sie exemplarisch das Verhältnis des NS-Märtyrerkultes zur katholischen Kirche hinsichtlich Nachahmung und Synkretismus. Sie analysierte dabei zunächst Beisetzungsfeierlichkeiten für verstorbene NS-Kämpfer unter Teilhabe katholischer Kleriker und zeigte in einem zweiten Schritt auf, wie katholische Traditionen in der rituellen Ausformung von Märtyrerverehrung bei den NS-Gedenkfeiern nachgeahmt wurden.

KATHARINA GRANNEMANN (Aachen) stellte anschließend ihr Dissertationsprojekt zum „Katholischen Milieu im Nationalsozialismus am Beispiel des Märkischen Sauerlandes“ vor. Welche Handlungsspielräume boten sich den Katholiken im Nationalsozialismus? Welche Teilnetzwerke bildeten sich innerhalb des katholischen Milieus heraus und welchen Einfluss nahmen besonders lokale Autoritäten? Eine dieser Persönlichkeiten war Dr. Lorenz Pieper, der katholischer Geistlicher und gleichzeitig überzeugter Nationalsozialist war. Er arbeitete als Seelsorger in den 1920er- und 1930er-Jahren in verschiedenen Pfarrgemeinden im Sauerland und warb zugleich für die NSDAP, reiste sogar an der Seite Hitlers mehrere Monate durch Süddeutschland, um für die Nationalsozialisten zu werben. Aufgrund seines Einsatzes für die NSDAP wurde er schließlich durch das Bischöfliche Generalvikariat (Paderborn) in den frühzeitigen Ruhestand versetzt. Später kritisierte er offen die Euthanasiemorde und verweigerte der NSDAP weitere Unterstützung.

Am Abend wurde der Film „Jesus Camp“ (USA 2006) gezeigt, der in das Thema der Generaldebatte am nächsten Vormittag einstimmte. Im Mittelpunkt der Dokumentation steht Becky Fischer, die sich selber als Pentecostal children’s pastor bezeichnet, und ihr Sommerlager. Fischer und die anderen Prediger wirken dort vehement auf die Kinder ein, an einer christlichen Erneuerung der USA mitzuwirken. Dazu gehören etwa der Kampf gegen Abtreibung und Homosexualität sowie das gemeinsame Gebet für George W. Bush Jr.. Die Formen der Gottesdienste sind dabei stark charismatisch geprägt. Dazu gehören die Zungenrede, aber auch Glaubenszeugnisse und Sündenbekenntnisse von Kindern vor der gesamten Gruppe. Als kritische Stimme blendet „Jesus Camp“ verschiedene Szenen mit dem Radiomoderator Mike Papantonio ein, der die naheliegende Frage stellt, inwieweit in Sommerlagern wie dem von Becky Fischer nicht von Indoktrination und Gehirnwäsche zu sprechen ist.

Am Sonntag eröffnete der Vortrag des evangelischen Kirchenhistorikers THOMAS KUHN (Greifswald) die Generaldebatte. Sein Beitrag zur „Entstehung des Fundamentalismus im Protestantismus“ zeigte einerseits historische Entwicklungen und andererseits unterschiedliche Ausprägungen des protestantischen Fundamentalismus auf. Dieser entstand im frühen 20. Jahrhundert in den USA. Vorläufer, die durchaus als „Proto-Fundamentalismus“ bezeichnet werden können, sind in den deutschsprachigen Erweckungsbewegungen des frühen 19. Jahrhunderts auszumachen. Für diese religiösen Erneuerungsbewegungen allerdings ist charakteristisch, dass sie im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts zunächst in volkskirchlichen Milieus aufgingen. Erst seit den 1960er-Jahren kann von greifbaren fundamentalistischen Bewegungen im deutschsprachigen Raum gesprochen werden, die sich auch in Ausbildungsstätten einen institutionellen Rahmen geben. Als eine spezifische gedankliche Konstruktion und Interpretation von sozialer Wirklichkeit, die Heilsgeschichte und Gesellschaftskritik verknüpft, Unheils- und Heilsszenarien entwirft und sich in heftigen Xenophobien ergehen kann, stellen die protestantischen Fundamentalismen eine zentrale Herausforderung religionswissenschaftlicher und theologischer Forschung dar.

Im Anschluss daran erläuterte der katholische Kirchenhistoriker WIM DAMBERG (Bochum) das Thema „Katholischer Fundamentalismus? Die Piusbruderschaft und ihre historischen Wurzeln“. Damberg verortete an der Biographie des Begründers Marcel Lefebvre die historischen Wurzeln der Piusbruderschaft im französischen Rechtskatholizismus um die Action française. Als Bischof von Dakar nahm Lefebvre am Zweiten Vatikanischen Konzil teil und kämpfte dort vor allem gegen die Erklärung zur Religionsfreiheit Dignitatis Humanae an. Der Bruch erfolgte allerdings erst nach dem Konzil im Zuge einer Radikalisierung, bis Lefebvre schließlich 1974 das Konzil vollständig ablehnte. Als Reaktion darauf wurde er 1976 vom priesterlichen Dienst suspendiert. In einer weiteren Eskalation mündete der Konflikt 1988 im vollständigen Schisma, an dessen Überwindung auch Benedikt XVI. scheiterte. Begrifflich erkennt Damberg in der Bezeichnung Traditionalismus mit Blick auf die Piusbruderschaft die Gefahr einer Verharmlosung. Für die Einschätzung der Piusbruderschaft als fundamentalistisch spricht seines Erachtens in Anlehnung an Martin Riesebrodt ihr Geschichtsbild: Mit dem Dreh- und Angelpunkt der Französischen Revolution als Urkatastrophe der Moderne geht es der Piusbruderschaft um die Wiederherstellung einer göttlichen Ordnung, die mit autoritären, ekklesiologischen und politischen Formationen des 19. und 20. Jahrhunderts, vor allem an der besonderen Popularität von Donoso Cortés in der Piusbruderschaft erkennbar, gleichzusetzen ist.

Die anschließende Diskussion ging zunächst auf Probleme des Begriffs Fundamentalismus ein, der zum Beispiel auf weltweite Phänomene wie den Pentecostalismus angewandt wird, was jedoch bei der Heterogenität der Gruppen und Akteure jeweils differenziert werden muss. Eine interessante Vergleichsperspektive zwischen den beiden Vorträgen eröffnete das vielschichtige Feld der Geschichtsbilder. Diese wirken in allen fundamentalistischen Kreisen sehr stark identitätsstiftend und motivierend. Allerdings zeigt sich im katholischen Kontext eine starke Rückwärtsorientierung im Hinblick auf eine Konstruktion (bis hin zur Erfindung) der eigenen Tradition, während in evangelikalen Kreisen eine zukunftsorientierte Perspektive auf das nahe oder ganz nahe Weltende (Post- und Praemilleniarismus) dominiert, wobei eine historische Traditionslinie (zum Beispiel zur Reformation) keine Rolle mehr für das eigene Selbstverständnis spielt. Hier zeigt sich ein struktureller Unterschied zwischen einem Schriftprotestantismus und einem charismatischen Protestantismus. Im Wirken der Geschichtsbilder lassen sich mehrere Ebenen unterscheiden: Die heilsgeschichtliche Bewertung historischer Ereignisse (z. B. 1789 als Sündenfall der Geschichte), die Suche nach historischen Urmustern (z. B. Orientierung am Urchristentum, Verklärung des Mittelalters) und die Entwicklung endzeitlicher Szenarien (Milleniarismus). Insgesamt erscheinen die Konstruktionen und Wirkweisen von Geschichtsbildern in religiösen Gruppen bzw. Gesellschaften ein lohnendes zukünftiges Forschungsfeld zu sein.

Konferenzübersicht:

Markus Kroll (Bochum), Frauenbild und Selbstwahrnehmung. Das „weibliche Bewusstsein“ von Ordensfrauen am Beispiel der Franziskanerinnen von der Buße und christlichen Liebe (Lüdinghausen/Nonnenwerth) zwischen 1945-1965

Regina Illemann (Bonn), „Zum Wohl der Kirche und des Volkes“. Der Katholische Deutsche Frauenbund zwischen Krieg und Konzil (1945-1962)

Klaus Seidl (München), Ultramontanismus zwischen konstitutioneller Monarchie und religiöser Freiheit. Der politische Katholizismus in Bayern 1848/49

Franz Siepmann (Bochum), Innovativ oder doch reaktionär? Pastorale Identitätsbildungsprozesse im jungen Ruhrbistum

Joachim Schmiedl / Robert Walz (Vallendar), Mitteleuropas Nationalsynoden nach dem Zweiten Vaticanum. Zwischenbericht zu einem internationalen Projekt

Sarah Thieme (Münster), „Lokale Märtyrer des Dritten Reiches“. Begräbnis und Verehrung „Alter Kämpfer“ in Westfalen und von Juliputschisten in der Steiermark

Katharina Grannemann (Aachen), Katholisches Milieu im Nationalsozialismus am Beispiel des Märkischen Sauerlandes

Generaldebatte: Katholische Kirche und Fundamentalismus – eine Verhältnisbestimmung in historischer Perspektive:

Thomas Kuhn (Greifswald), Entstehung des Fundamentalismus im Protestantismus

Wim Damberg (Bochum), Katholischer Fundamentalismus? Die Piusbruderschaft und ihre historischen Wurzeln


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