Britain as a Model of Modern Society? German Views

Britain as a Model of Modern Society? German Views

Organisatoren
Arnd Bauerkämper, Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas, Freie Universität Berlin; Christiane Eisenberg, Großbritannien-Zentrum, Humboldt-Universität zu Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.07.2004 - 11.07.2004
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Von
Gert Röhrborn, Berlin

Die Konferenz "Britain as a Model of Modern Society? German Views", die vom 9.-11. Juli 2004 in der Europäischen Akademie in Berlin stattfand, wurde von Arnd Bauerkämper (Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas, FU Berlin) und Christiane Eisenberg (Großbritannien-Zentrum, Humboldt-Universität) veranstaltet und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Anglo-German Foundation und dem British Council großzügig gefördert. 16 Vorträge und 2 Podiumsdiskussionen widmeten sich den Betrachtungen und Beurteilungen Großbritanniens als eines Modells der modernen Gesellschaft, die in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert angestellt wurden, und versuchten, den vielfältigen Wechselbeziehungen und Transferprozessen zwischen Großbritannien und Deutschland auf die Spur zu kommen. Dabei blieb stets das Ziel vor Augen, die intellektuellen Beschränkungen sowohl der insularen Whig Interpretation of History als auch der Debatte um den deutschen Sonderweg zu überwinden. Trotz der erfrischenden Pluralität der inhaltlichen Blickrichtungen und methodischen Ansätze war die Konferenz insgesamt durch ein hohes Maß an Kohärenz gekennzeichnet.

In ihren programmatischen Einführungsvorträgen vermittelten Günther Lottes (Potsdam) und Peter Wende (Frankfurt/Main) einen Überblick über die verschiedenen Modellfunktionen Großbritanniens in der deutschen Geschichte. Dabei unterschied Günter Lottes für die Frühe Neuzeit zwischen zwei Zugangsweisen: dem an den argumentativen Interessen der Beobachter ausgerichteten Paradigma einer moralischen Gesellschaft, wie sie etwa von Voltaire als Gegenmodell zum tendenziell totalen Herrschaftsanspruch des mittelalterlichen Papsttums konzipiert wurde, und dem objektbezogenen Konzept einer kommerziellen Gesellschaft, deren fortgeschrittene Formen von Arbeitsteilung und ökonomischer Organisation den Staaten des europäischen Kontinents den Wettbewerbsvorsprung Englands vor Augen führen sollte. Dieser Eindruck von Überlegenheit beruhte Lottes zufolge nicht zuletzt auf der erfolgreichen Integration des englischen Adels in die moderne Eigentümergesellschaft. Peter Wende nannte weitere Faktoren, die den deutschen Blick nach Großbritannien nahegelegt hätten: die territoriale und geistige Zersplitterung Deutschlands in Folge des Dreißigjährigen Krieges, den Einfluss der französischer Aufklärungsphilosophen und den sich seit der Französischen Revolution verschärfenden deutsch-französischen Gegensatz. Als eine „utopia easy to be visited“ habe Großbritannien in der deutschen Wahrnehmung einen zunehmend zur eigenen Distinktion „kultivierten“ Widerspruch zwischen abstrakter Bewunderung und realer Ablehnung hinterlassen, wobei die Ablehnung sich insbesondere auf die krassen sozialen Gegensätze und eine angeblich materiell korrumpierte Kleingeistigkeit berufen habe. Diese vor allem im Bereich sozialer Organisation adaptionsfeindliche deutsche Grundhaltung beruhte nach Auffassung beider Referenten wesentlich auf dem in der Aufklärungsphilosophie entwickelten Geschichtsverständnis eines „storehouse of strategies“ (Günther Lottes), dem auch Leopold von Ranke mit seiner Auffassung organischer gesellschaftlicher Entwicklungspfade gefolgt sei.

Rudolf Muhs (London) eröffnete mit seinem Vortrag zum Großbritannienbild der deutschen Liberalen im 19. Jahrhundert die erste Sektion „Britain as a Cradle of Parliamentarism and Democracy?“. In seiner Sicht bewunderten die deutschen Liberalen Großbritannien durchaus nicht wegen seines zunehmend parlamentarisch-demokratischen Regierungssystems, sondern gerade wegen des historisch-organischen Charakters seiner Freiheit und Liberalismus garantierenden Verfassung. Verstört durch die in bürgerlichen Augen bedrohlichen Auswüchse von Massenunruhen während der Revolution 1848/49 in Deutschland, hätten deutsche liberale Politiker Freiheit und parlamentarische Demokratie zunehmend als unversöhnliche Gegensätze gefasst und sich daher von letzterer distanziert. In dieser Meinung seien sie nicht nur vom vorherrschenden Hegelianischen Staatsverständnis bestärkt worden, sondern gerade auch von britischen Konservativen. Erst gegen Ende des Jahrhunderts seien in Deutschland erneut Affinitäten zum britischen Parlamentarismus zu beobachten gewesen, bezeichnenderweise zunächst bei Sozialdemokraten wie Eduard Bernstein und später bei liberalen Imperialisten wie Friedrich Naumann.

Helmut Weber (Berlin) unternahm es im Anschluss, die oftmals synonym gebrauchten Begriffe „Rule of Law“ und „Rechtsstaat“ deutlich voneinander zu unterscheiden. Seit den Auseinandersetzungen der Stuarts mit dem Papst im 16. Jahrhundert sei in Großbritannien der ahistorische Glaube an die Urtümlichkeit des englischen „Common Law“ gewachsen, der die Wirkungslosigkeit kanonischen Rechtes unterstellte. Die evolutionäre Entwicklung hin zu parlamentarischer Souveränität habe schließlich in die Auffassung gemündet, dass der Gesetzgeber lediglich die „Rule of Law“ zu garantieren habe, ohne ihr jedoch selber zu unterliegen. Dieser fundamentale Unterschied zum Rechtsstaatsprinzip ist Weber zufolge in den letzten Jahrzehnten aufgeweicht worden, vor allem durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auf dem Gebiet des Menschen- und Verfassungsrechts. Zudem habe das gewachsene Wissen um den tatsächlichen Kern der unterschiedlichen Rechtstraditionen die völlig übertriebenen Ansichten der deutschen Freirechtsschule über die Einzigartigkeit des britischen Rechtssystems falsifiziert.

In einem weiteren Schritt zeichnete Marie-Luise Recker (Frankfurt/Main) den spezifischen Einfluss Großbritanniens auf den Parlamentarischen Rat 1948/49 nach. Bis 1947 seien in der britischen Zone auf Kommunal- und Länderebene unter anderem mittels Lizenzvergabe und Wahlrechts durchaus gezielte politische Gestaltungsversuche der Besatzungsmacht nachweisbar, auch wenn diese – wie im Falle des Planes zur Abschaffung des Berufsbeamtentums – gegen den entschiedenen deutschen Widerspruch im Allgemeinen nicht durchsetzbar gewesen seien. Während der verfassungsgebenden Beratungen des Parlamentarischen Rates habe Großbritannien mithilfe von Verbindungsoffizieren informellen Einfluss ausgeübt. Jedoch seien die Beziehungen ambivalent geblieben, vor allem wegen des allgemeinen Misstrauens gegenüber den Deutschen und des zerrütteten Verhältnisses zum deutschen Widerstand. Letzteres belegte Recker an den Einstellungen Erich Ollenhauers und Carlo Schmids, die sehr unterschiedliche Beziehungen zu britischen Stellen unterhielten. Vorrangig sei es aber die Weimarer Erfahrung der verantwortlichen deutschen Politiker gewesen, die bewirkt habe, dass das Grundgesetz am Ende nicht dem britischen Parlamentarismus nachgebildet, sondern durch die Einführung fundamentaler anglo-amerikanischer Verfassungsprinzipien bei gleichzeitigem Rekurs auf deutsche Traditionen formuliert worden sei. Man sei von britischer Seite ohnehin darauf bedacht gewesen, den Eindruck einer direkten Einflussnahme unbedingt zu vermeiden, um keiner neuen „Dolchstoß“-Legende Vorschub zu leisten.

Holger Nehring (Oxford) widmete sich britisch-deutschen Verbindungen am Beispiel der Kampagnen für nukleare Abrüstung. Er hob hervor, dass neben der als pressure group agierenden britischen Campaign for Nuclear Disarmament (CND) und der 1959 in Frankfurt am Main gegründeten Europäischen Föderation für Nukleare Abrüstung erfahrene internationale Organisationen wie die seit den 1920er Jahren bestehende Internationale der Kriegsdienstverweigerer (War Resisters International) untersucht werden müssten. Ihrem internationalen Netzwerk sei es zu verdanken, dass junge pazifistische, anarchistische und sozialistische Aktivisten aus der Bundesrepublik in Kontakt mit Gleichgesinnten aus Großbritannien und Westeuropa gekommen seien. Nehring belegte, dass dadurch längerfristig ein Impuls zur Formierung der „Neuen Linken“ und der basisdemokratischen Zielvorstellungen der späteren Studentenbewegung vermittelt worden sei. Der US-amerikanische Einfluss auf die bundesdeutsche Protestkultur der 1960er Jahre wird insofern wohl relativiert werden müssen.

Mit ihrem Vortrag über „Britain as a World Trading and Imperial Nation“ eröffnete Julia Angster (Tübingen) die zweite Sektion „Britain as an Industrial Pioneer. Economic Developments and Social Accommodation”. Der hinreichend bekannten Zuspitzung der deutsch-britischen Beziehungen während des Wilhelminischen Kaiserreiches, die vor allem seit dem ökonomischen Krisenjahrzehnt der 1880er Jahre durch die verschärfte Rivalität auf ökonomischem und in der Folge auch auf politischem Gebiet belastet wurden und dann durch die forcierte Flottenbaurüstung zerfielen, setzte die Referentin ein durchaus ambivalentes Bild von Großbritannien bei den Deutschen vor der Reichsgründung entgegen. Erst nach 1871 hätten sich die Stereotypen der materialistischen „Händler“-Nation Großbritannien mit rassistischen und sozialdarwinistischen Vorstellungen eines nationalen „Existenzkampfes“ verbunden, die schließlich in den „Ideen von 1914“ aufgingen, konstatierte ANGSTER. Demgegenüber habe es noch Mitte des 19. Jahrhunderts eine Gemengelage politisch-ökonomischer Vorstellungen von der Grundlage britischer Weltmacht gegeben. Man könne vereinfachend zwischen den eher anglophob, protektionistisch und kolonial eingestellten Vertretern einer Schlachtflotte einerseits und den eher anglophilen, antikolonialen Freihändlern andererseits unterscheiden, die den Aufbau einer Handelsflotte propagierten. Allerdings sei auch hier eine längerfristige Kräfteverschiebung zugunsten der ersten Gruppe in Folge der Revolution von 1848/49 festzustellen, wofür auch der Aufbau einer gegen Dänemark gerichteten Flotte durch die Paulskirchenversammlung als Indiz gewertet werden könne. Die Entwicklung hin zur konfliktträchtigen Vorstellung von Großbritannien als einem antiquierten Modell der Moderne erscheint mithin nicht als zwangsläufig, sondern an spezifische historische Entwicklungen, darüber hinaus auch an lebensgeschichtliche Erfahrungen der politischen Akteure gebunden.

Stefan Berger (Glamorgan) bestätigte, dass die deutsche Beobachtung Großbritanniens im 20. Jahrhundert eher von sozialdemokratischer Seite ausging. Er hob zugleich hervor, dass die Sicht der deutschen Sozialdemokratie nicht frei von Verzerrungen geblieben sei, denn der "britische Sozialismus" wurde – mit Ausnahme etwa von Eduard Bernstein – insgesamt als zurückgeblieben angesehen. Dieses Urteil sei erst in der Zwischenkriegszeit in den positiv gewendet worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien die Beziehungen zwischen den beiden Parteien dann erneut an einen Tiefpunkt angelangt, da die SPD die Labour Party zumindest bis weit in die Achtziger Jahre hinein als rückwärtsgewandt, anti-europäisch und zu DDR-freundlich betrachtet habe. Die deutschen Sozialdemokraten hätten sich deshalb verstärkt an der amerikanischen Politik orientiert, bis unter Blair das Bild einer pragmatischen Vorreiterrolle der Labour Party erneuert worden sei.

Dominik Geppert (London) setzte diese gegenwartsorientierte Analyse mit seinem Referat über den Thatcherismus als Modell für die Lösung der Probleme moderner Wohlfahrtsstaaten im späten 20. Jahrhundert fort. Die vorherrschende Ablehnung des Thatcherismus in der Bundesrepublik habe vor allem auf zwei Gründen beruht. Erstens sei die Politik Margaret Thatchers in der Ära Kohl ausdrücklich als Gegenmodell bundesdeutscher Reformpolitik betrachtet worden, zumal trotz der allseits beschworenen neo-konservativen Wende in Westeuropa und den USA auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik weder ein transatlantisches Netzwerk noch intellektueller Austausch bestanden hätten. Die weitaus bessere ökonomische Situation in der Bundesrepublik habe dies auch nicht notwendig gemacht. Zweitens sei der in den letzten Jahren verstärkt wahrnehmbare Ruf nach einer "deutschen Thatcher" eher der Ausdruck eines „aimless discontent“, da trotz der zunehmenden programmatischen Radikalisierung der europäischen Konservativen und einer um sich greifenden Krisenstimmung in der deutschen Bevölkerung die Hoffnung auf eine starke Führungspersönlichkeit, die das komplizierte und konsensorientierte politische System der Bundesrepublik mit einfachen Lösungen aufbrechen könnte, doch eher unausgeprägt geblieben sei.

Den Mittlern zwischen beiden Gesellschaften wandte sich die dritte Sektion der Konferenz zu, die Michael Maurer (Jena) mit einem genaueren Blick auf deutsche Großbritannienreisende des 18. bis 20. Jahrhunderts eröffnete. Nach einem kurzen Exkurs zur literarischen Einordnung von Reisenberichten, denen ein starker Hang zu Subjektivität, spektakulärer, kontrastiver Überzeichnung und lebensweltlichem Vergleich innewohne und deren zweckgerichtete Produktion und identitätsstiftende Wirkung nicht übersehen werden dürften, wandte sich Maurer der Darstellung sich wandelnder Bilder von Großbritannien zu. Reisende der Aufklärungsperiode seien von London als zeitgenössischem Inbegriff von Freiheit, Vernunft und gestaltbarer Zukunft fasziniert gewesen und hätten hierin das Spiegelbild der deutschen Zukunft zu erkennen geglaubt. Demgegenüber hätten die Reisenden der Romantik Großbritannien als eine vielgestaltige, kontrastreiche Gesamtheit aus modernem Zentrum und zurückgebliebener Peripherie, überschäumendem Reichtum und krasser Armut, urbaner Kultur und herausfordernd wilder Natur, mithin als „both challenge and consolation“ entdeckt. Dass hierbei besonders England und Schottland in den Vordergrund des Interesses rückten, während Wales seltsam im Dunkeln blieb, erklärt sich nach Maurer durch die Rezeption von Schriftstellern wie William Shakespeare, Walter Scott und Friedrich Schiller, über deren Werke die Vorstellungen der Reisenden vorgeformt und in einen historisierten Kontext eingebettet worden seien.

Christian Haase (Oxford) stellte in seinem Vortrag über die Geschichte der britisch-deutschen Königswinter Konferenzen in den 50er Jahren unter der Leitfrage ‘Britain as a Modell?’ drei Thesen auf: Erstens zeigte er, dass die bisherige Betrachtung der Königswinter Konferenzen als deutsche Nachkriegsgründung irreführend sei. Man müsse Sie vielmehr in der Tradition der Tätigkeiten der liberal internationalistisch orientierten Institute sehen, welche nach der Pariser Friedenskonferenz 1919 gegründet worden seien, darunter Chatham House in London, das Hamburger Institut für Auswärtige Politik und das Council on Foreign Relations in New York. Zweitens führte er aus, dass diese Traditionsbestände nach 1945 aus mehreren Gründen nicht sichtbar geworden seien. Zum einem wären die Alliierten darauf bedacht gewesen aufgrund der Besatzung und der angestrebten Westintegration von Ihnen geförderte Institutionen als deutsche Gründungen erscheinen zu lassen, um ihre Akzeptanz zu erhöhen. Zum anderen hätten die Briten darauf gedrungen, keine Wiedergründungen der durch die Appeasement-Politik belasteten deutsch-britischen Gesellschaften und Konferenzen zuzulassen. Dabei seien sie aber auf den Widerstand einiger national-konservativer Diplomaten des ehemaligen Deutschen Büros für Friedensfragen gestoßen. Diese hätten ein ‚deutsches Chatham House’ gründen wollen, um damit indirekt an die britische Appeasement-Politik zu erinnern und hinter der Fassade eines britischen Modells alliierte Bestimmungen zu unterlaufen und für nationale Einheit und territorialen Revisionismus zu werben. Briten, Amerikaner und Adenauer hätten sie aber daran gehindert und die ‚westorientierten’ Königswinter Konferenzen als Alternative gefördert. Drittens führte Christian Haase aus, dass die Königswinter Konferenzen als zentrale Transferagentur für ‚Westminster Debating Culture’ in den 50er Jahren gewirkt hätten. Dabei hätten sich sowohl Alliierte als auch die westdeutschen Teilnehmer, wie Ernst Friedlaender und Theodor Steltzer, auf ein liberal-elitäres Modell von Demokratie verständigt, was nicht immer in Einklang zu bringen gewesen sei mit den Erfordernissen einer modernen Parteiendemokratie. Die beiden zentralen Anliegen der Königswinter Konferenzen in den 50er Jahren, nämlich die Herstellung eines parteienübergreifenden Konsensus in der Frage der Westverträge (British-American Bipartisanship as a Modell) und die Förderung der Akzeptanz des Gegeneinanders von Oppositions- und Regierungsparteien in der Demokratie (Westminster/Congress as a Modell) hätten so in einem permanenten Spannungsverhältnis zueinander gestanden. Insgesamt verdeutliche die Geschichte der Königswinter Konferenzen in den 50er Jahren, dass der britische Einfluss auf die kulturell-politischen Organisationen des Kalten Krieges (es gab mehrere Nachahmerkonferenzen) und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik bisher unterbewertet worden sei.

In seinem Vortrag über "Propaganda, Public Relations and Advertising after the First World War" wies Corey Ross (Birmingham) auf den engen Zusammenhang in der Wahrnehmung von politischer und wirtschaftlicher Kommunikation in der Zwischenkriegszeit hin. Beiden Formen sei ein Potential zur Steuerung moderner Gesellschaften mit ihren zentrifugalen Tendenzen zugeschrieben worden, wobei man in Deutschland nach der Erfahrung der äußerst effektiven britischen Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg Großbritannien als Modellfall gelungener politischer Kommunikation angesehen habe. In der Kontinuität der Verwendung politischer Symbole und Rituale meinte man eine wesentliche Ursache für die innere Stabilität Großbritanniens zu erkennen. Die zunehmende Perfektionierung der Propagandatechniken durch die Nationalsozialisten habe allerdings übersehen, dass der britische Erfolg während des Ersten Weltkrieges gerade auch auf wohldosiertem und zeitlich begrenztem Einsatz beruht habe.

Der Samstagabend bot den Teilnehmerinnen und Teilnehmern unter Leitung von Jonathan Brenton (Pressechef der Britischen Botschaft, Berlin) eine anregende und unterhaltsame Podiumsdiskussion britischer und deutscher Journalisten zur Wahrnehmung Großbritanniens und der Briten in den deutschen Medien. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Diskussion um die Auswirkungen der veränderten Stellung der Massenmedien im demokratischen System – Jürgen Krönig (Die Zeit, London) hatte zuvor ein leidenschaftliches Referat wider die Hyperkommerzialisierung, Verflachung und Skandalisierung in der medialen Berichterstattung gehalten – wurde zunächst die Frage nach der fortdauernden Wirkung nationaler Stereotypen diskutiert. Dabei wiesen besonders Moritz Schuller (Tagesspiegel, Berlin) und Roger Boyes (The Times, Berlin) darauf hin, dass die Verwendung solcher Stereotypen in den Medien eine Möglichkeit sei, ein weitgehend distanziertes Publikum für das jeweils andere Land zu interessieren und sich anhand bereits vorhandener Vorstellungen der Realität schrittweise zu nähern. Die Gefahr erneuter gegenseitiger Entfremdung aufgrund verkürzter Darstellungen und enttäuschter Anglophilie vor allem im Bezug auf das Verhalten Großbritanniens in der Europäischen Union, wie sie Jonathan Brenton beschrieb, besteht ihrer Meinung nach nicht. Der – erzieherische wie manipulierende – Einfluss zumindest von Zeitungen sei ohnehin begrenzt. Allerdings sei eine Verschärfung der medialen und politischen Auseinandersetzungen besonders in Folge des Irakkrieges nicht von der Hand zu weisen. Hier hätten sich deutsche Auslandskorrespondenten der aggressiveren Gangart der britischen Medien angepasst. Eine direkte Verbindung zwischen der Wahrnehmung Großbritanniens und der Darstellung britischer Politik in Deutschland bestehe aber nicht, wie Tom Levine (Berliner Zeitung, Berlin) feststellte. Die Wurzeln gegenseitigen Interesses wie Misstrauens seien vielmehr in der widersprüchlichen Beziehung von „two economic powers in competition, not knowing what their role is“ (Roger Boyes), zu suchen.

Die vierte und letzte Sektion zum Thema „Popular Culture“ eröffnete Sven Oliver Müller (Bielefeld) mit Ausführungen zum Blick deutscher Eliten auf das Musik- und Konzertleben in Großbritannien im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Auf diesem Gebiet habe nicht Großbritannien, sondern Deutschland als Modell gegolten. Die deutsche Selbstzuschreibung der Kulturnation habe auf Seiten deutscher Journalisten und Musikkritiker zu einer scharfen Abgrenzung von der vorgeblich kommerzialisierten, modisch-oberflächlichen und rein zu Distinktionszwecken betriebenen „bourgeoisen“ Musikkultur Londons geführt. Dass es hierbei aber nicht nur um die Verteidigung kultureller Standards, sondern vielmehr um die Konstruktion einer nationalen Identität gegangen sei, zeige die Inanspruchnahme von Wiener Komponisten wie Wolfgang Amadeus Mozart oder Joseph Haydn. In Großbritannien habe sich spätestens bis zur Jahrhundertwende als Reaktion auf die deutsche Position nicht nur eine Übernahme deutscher musikkultureller Standards, sondern überdies eine Politisierung und nationale Aufwertung der Rolle der Kultur vollzogen. Dieser Prozess sei als Teil der Bildung einer europäischen Elitenkultur zu verstehen.

Pointierte Unterschiede zwischen den Sportkulturen in beiden Ländern arbeitete Christiane Eisenberg (Berlin) heraus. In Großbritannien sei Sport als soziale Angelegenheit betrachtet worden, geprägt von einer Kultur des Wettbewerbs, der Fairness und vornehmen Zurückhaltung. In Deutschland hingegen sei der Sport schon frühzeitig von militärischen Konventionen durchsetzt gewesen, die Risikobereitschaft, Ritterlichkeit und Rivalität als oberste Maxime einer auf die Hebung nationaler Stärke gerichteten Veranstaltung betrachtet habe. Die modernen Massenmedien hätten diesen Eindruck der Differenz noch verstärkt, was im Gegenzug zu einer breiten Ablehnung der deutschen Sportkultur in Großbritannien geführt habe. Die ausgeprägte Kooperationsunwilligkeit der Briten mit den internationalen Sportorganisationen und der Olympischen Bewegung, die in Sportkreisen auch unabhängig von den Konflikten mit den Deutschen zum Problem wurde, habe die gegenseitige Entfremdung dann noch weiter geschürt. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei in Deutschland schließlich sogar die Erinnerung an die britischen Ursprünge des Sports verloren gegangen, weil maßgebende Sportfunktionäre die Weisheit verbreiteten, der moderne Sport gehe auf die alten Griechen zurück. Es erkläre sich durch dieses deutsch-britische Nicht-Verhältnis, dass die Presse bei heutigen Fußballmatches durchweg auf außersportliche Assoziationen, insbesondere den Zweiten Weltkrieg, zurückgreife.

In einem fesselnden Vortrag erwies Gerd Stratmann (Bochum) der britischen Popkultur der Sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts seine Reverenz. „Swinging London“ sei in erster Linie eine ökonomische Erfolgsgeschichte gewesen, die auch ganz bewusst von offizieller Seite unterstützt worden sei. Dennoch lasse sich nicht von der Hand weisen, dass seit den Fünfziger Jahren - aufbauend auf technologischem Fortschritt und gestiegenem Wohlstand - ein Prozess soziokultureller, intellektueller und ökonomischer Amalgamierung stattgefunden habe und eine genuine, individualisierte Jugendkultur entstanden sei. Als deren entscheidende Merkmale habe man die unkonventionelle Verbindung gegensätzlicher kultureller Versatzstücke und ein obsessiv zur Schau getragenes Gefühl von Klassenlosigkeit gegenüber einer bestehenden Klassengesellschaft anzusehen. Die Wahrnehmung der Beatles und der Rolling Stones habe die beiden deutschen Staaten zunächst in seltener Einigkeit gezeigt, da die politischen und gesellschaftlichen Eliten (wohl in Übereinstimmung mit Adornos Theorie einer standardisierten kapitalistischen Massenkultur) mit Ablehnung reagiert hätten. Die tief greifenden Erschütterungen der Studentenbewegung seien mithin auch dadurch bedingt gewesen, dass man sich in der Bundesrepublik – im Vergleich zu Großbritannien – zu lange jugendspezifischen Themen verweigert habe. Allerdings dürfe man sich nicht der Illusion hingeben, dass von den deutschen Jugendlichen ein veritabler Kulturtransfer vorangetrieben worden sei. Allein die damals noch vorherrschende Sprachbarriere habe ein tieferes Verständnis der Hintergründe unmöglich gemacht.

Den Abschluss dieser anregenden und inhaltsreichen Tagung bildete eine Diskussionsrunde unter der Leitung von Gerhard A. Ritter (München/Berlin), welche die theoretischen und methodologischen Grundlagen zusammenfassend in den Blick nahm. Die Feststellung des Diskussionsleiters, dass die Einsicht in die unmögliche Reproduzierbarkeit von organisch gewachsenen Gesellschaftsmodellen die deutsche Historiographie des 19. Jahrhunderts entscheidend geprägt habe, bei heutigen Forschungen aber keine ausreichende Berücksichtigung fände, wurde von den Diskussionsteilnehmern in vielfältiger Weise aufgenommen. So wies Anthony J. Nicholls (Oxford) darauf hin, in welch hohem Maße der deutsche Blick auf Großbritannien von der deutschen Selbstzuschreibung kultureller Überlegenheit geprägt gewesen sei, was zunehmend zu einer vielfältigen Projektion von Angst und Ablehnung auf Großbritannien geführt habe. Es sei deshalb außerordentlich wichtig, die Rezeption von Ideensystemen in die Betrachtung einzuschließen. Die von Adam Smith vertretene Vorstellung vom Frieden und Wohlstand fördernden Wettbewerb habe beispielsweise in Deutschland nicht Fuß fassen können. Vielmehr habe sich im Zeitalter des Imperialismus die sozialdarwinistische Vorstellung eines „Vernichtungswettbewerbs“ durchgesetzt. Auch Arnd Bauerkämper (Berlin) betonte, dass – bei aller Bedeutung der Brückenfunktion Großbritanniens – der bei dieser Tagung gewählte bilaterale Blickwinkel auch aus Gründen der analytischen Schärfung des Arguments eingenommen worden sei. Bei weiteren Forschungen gelte es, auch die transatlantischen Transferprozesse in eine multipolare, mehrschichtige und interaktive Matrix mit einzubeziehen. Zudem müssten anstelle nationaler Vergleichsobjekte stärker europäische Regionen in den Blick genommen werden, woraus sich allerdings die Notwendigkeit der Gewichtung dieser Regionen im internationalen, europäischen und nationalen Kontext ergäbe. Hieran schloss der Beitrag von Frank Trentmann (London) an, der nicht nur für eine Untersuchung regionaler Affinitäten und Antipathien im deutsch-britischen Verhältnis plädierte, sondern darüber hinaus dafür warb, die Modellsuche als solche zu historisieren. Er verwies dabei auf die zentrale Bedeutung der mittleren Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts für den Wandel in den britisch-deutschen Wahrnehmungen und Beziehungen. Zunächst sei jedoch keine theoretische Innovation vonnöten, denn die Kulturstudien und die Literaturtheorie böten bereits viel versprechende Instrumentarien, unter anderem das Konzept der „Glokalisierung“. Auch John Breuilly (Birmingham) befasste sich eingehend mit der Frage des Charakters von Modellen, indem er eine Typologie vorstellte, die zwischen der Wirkung von Vergleichen („comparative approach“, „connective approach“) und Modellen („comprehensive“, „attractive“ und „deep model approach“) zu unterscheiden suchte. Nur beim „deep model approach“ (der nur äußerst selten vorkomme und aufgrund schwerwiegender Krisen oder Machtdisparitäten – wie im Verhältnis zwischen dem Napoleonischen Frankreich und Preußen – ausgelöst werde) könne es auf der Basis ernsthafter Beschäftigung mit dem Modellfall zu bewussten Adaptions- und Transformationsprozessen kommen. Welche desaströse Wirkung der Wettlauf beider Gesellschaften in die Moderne hatte, verdeutlichte abschließend Lothar Kettenacker (London). In seiner Sicht ist es die „general openness to change with hardship in its company“, welche die Attraktivität und die permanente Entwicklungsfähigkeit der britischen Gesellschaft ausmacht. Er ließ in seinem abschließenden Statement keinen Zweifel aufkommen, dass diese britische Modernität auch in Zukunft Maßstäbe setzen werde: „Britain will show us the way how to cope with a far from perfect future […] I believe in cool Britannia“.

Wie die Zusammenschau aller Beiträge zeigte, ist es mit dieser Tagung gelungen, ein vielfältiges und tiefenscharfes Bild der sich wandelnden deutschen Vorstellungen von Großbritannien und der mit ihnen verbundenen politischen und kulturellen Veränderungen im Verhältnis beider Gesellschaften zueinander zu entwerfen. Dabei ist besonders der breite zeitliche Rahmen hervorzuheben, der Dank der Fülle von Fallbeispielen allgemeinere Rückschlüsse auf das deutsch-britische Verhältnis zulässt. Diese sollen mit der geplanten Publikation der Tagungsbeiträge einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Es bleibt zu hoffen, dass die vielfältigen Anregungen der Tagung alsbald in weiteren empirischen Forschungsarbeiten fruchtbar gemacht werden können.


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