Unversöhnte Verschiedenheit. Verfahren zur Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz in der europäischen Neuzeit

Unversöhnte Verschiedenheit. Verfahren zur Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz in der europäischen Neuzeit

Organisatoren
Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz; Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster; Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.11.2013 - 16.11.2013
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Von
Alexandra Kohlhöfer, Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main; Sonja Wimschulte, Fachbereich Geschichtswissenschaft, Eberhard Karls-Universität Tübingen

Die Frage nach dem Umgang mit religiös-konfessioneller Differenz und den sich daraus entwickelnden Spannungen und Zwängen ist ein zentrales Thema der Neuzeitforschung. Zugleich handelt es sich um eines der Forschungsgebiete, die der ehemalige Direktor des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte in Mainz (IEG), Heinz Duchhardt, in den Mittelpunkt der Arbeit des Instituts gerückt hatte. Daher fand im IEG anlässlich seines siebzigsten Geburtstages ein Kolloquium zum Thema „Unversöhnte Verschiedenheit. Verfahren zur Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz in der europäischen Neuzeit" statt. Die unter der Leitung von Johannes Paulmann (Mainz), Irene Dingel (Mainz), Barbara Stollberg-Rilinger (Münster), Matthias Schnettger (Mainz) und Thomas Weller (Mainz) konzipierte Tagung ermöglichte eine vergleichende und breitgefächerte Betrachtung von Strategien zur Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz im neuzeitlichen Europa.

JOHANNES ARNDT (Münster) thematisierte am Beispiel der Niederlande das Nebeneinander der die Mehrheit bildenden Calvinisten und der Katholiken, die ihren Glauben nicht öffentlich praktizieren konnten. In den 1570er-Jahren sei es zu Plünderungen katholischer Kirchen gekommen, und viele Gläubige seien nach Spanien oder in das Alte Reich geflüchtet. Etwa zwanzig Jahre später habe die römische Kurie die sieben Provinzen der Niederlande zum Missionsgebiet erklärt. Trotzdem habe sich letztendlich eine friedliche Koexistenz entwickelt. Die gegenseitige Toleranz sei nicht durch bewusste gegenseitige Akzeptanz entstanden, sondern sei vielmehr das Ergebnis des Zusammenlebens der beiden Konfessionen gewesen. Die notwendigen Grenzüberschreitungen im Alltag seien sowohl durch den wirtschaftlichen Austausch als auch durch die Kleinräumlichkeit der Republik begünstigt worden.

Dass der Umgang mit religiöser Differenz im frühneuzeitlichen Spanien nicht im Sinne der „schwarzen Legende“ erklärt werden könne, zeigte THOMAS WELLERs (Mainz) Vortrag. Er bot einen differenzierten Blick auf die Aktivitäten der spanischen Inquisition im Auftrag der Krone und deren Vorgehen gegen religiös-konfessionelle Minderheiten. Zu Beginn richtete Weller sein Augenmerk auf die Protestanten, vorrangig auf ausländische Kauf- und Seeleute. Nachdem die Inquisition diese Gruppe ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts scharf kontrolliert und auch zahlreiche Todesurteile eingeleitet habe, sei es zur Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen mit den protestantischen Handelsnationen, insbesondere mit England und den Hansestädten, gekommen. Die spanische Krone habe sich zum Umdenken gezwungen gesehen. Infolgedessen habe sie ab Ende des 16. Jahrhunderts ausländischen Protestanten vertraglich die Duldung zugesichert, wenn diese sich in der Öffentlichkeit den katholischen Gepflogenheiten anpassten. Anders als bei den protestantischen Kaufleuten, deren Schicksal diplomatisches Gewicht zugekommen sei, habe sich die Krone den Neuchristen, also den (zwangs-)getauften Juden, conversos, und den ebenfalls (zwangs-)getauften Muslimen, moriscos, gegenüber verhalten. Es seien immer wieder brutale Verfolgungen und Zwangsumsiedlungen durchgeführt worden, aber es habe auch Phasen eines relativ friedlichen Zusammenlebens gegeben. Letzteres habe meist auf Geheimabkommen mit der Krone im Gegenzug zu entsprechenden Zahlungen beruht. Im Gegensatz zu den ausländischen Protestanten sei hier eine langfristige Integration jedoch nie geglückt. Als Grund dafür gab Weller ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber den Neuchristen an.

MATTHIAS SCHNETTGER (Mainz) widmete sich dem lutherischen Herzogtum Württemberg und seinen katholischen Landesherren Karl Alexander und Carl Eugen in den Jahren 1733 bis 1797. Während in den beiden ersten Beiträgen thematisiert wurde, dass konfessionelle Minderheiten von den jeweiligen Autoritäten verfolgt oder zumindest kontrolliert wurden, ging es in diesem Vortrag um den andersgläubigen Landesherrn, der sich mit einer einflussreichen und selbstbewussten Ständevertretung, der protestantischen Landschaft, auseinandersetzen musste. Diese habe die Einführung des Simultaneums befürchtet. An zahlreichen Beispielen, wie der Einführung des katholischen Hofgottesdienstes, der Organisation einer katholischen Seelsorge außerhalb des Hofes und des sich darauf formierenden Widerstandes der Landstände, machte Schnettger deutlich, dass die materiellen Konflikte eine symbolische Ebene gehabt hätten. Diese Annahme belegte er an den größeren Handlungsspielräumen der katholischen Herzöge in deren Zweitresidenz Ludwigsburg im Gegensatz zur Residenzstadt Stuttgart: Ein Beispiel dafür sei, dass Carl Eugen in seinem Schloss in Ludwigsburg die ursprünglich protestantische Schlosskapelle für den katholischen Gottesdienst genutzt habe, während er in Stuttgart eine neue Kapelle habe bauen müssen. Letztendlich habe die evangelische Elite des Herzogtums die Etablierung einer katholischen Pfarre sowie eine öffentliche Ausübung des katholischen Glaubens und somit auch das Simultaneum verhindern können.

CHRISTOPHE DUHAMELLE (Paris) thematisierte in seinem Beitrag die doppelte Osterfeier im Jahre 1724 im Heiligen Römischen Reich. Er machte deutlich, dass sich religiös-konfessionelle Streitigkeiten und der Umgang mit religiös-konfessioneller Differenz nicht nur aus politischen Konflikten ablesen ließen, sondern auch aus dem wissenschaftlichen Diskurs. So belegte er anhand vieler Quellenbeispiele die lebhafte wissenschaftliche Diskussion über die Kalenderfrage. Die Katholiken hätten den gregorianischen Kalender 1583 eingeführt. Zwar hätten die Protestanten diesen Kalender im Jahr 1699 faktisch übernommen; Unterschiede ergaben sich jedoch immer noch hinsichtlich der Berechnung des Osterfests. 1724 seien daraus zwei verschiedene Ostertermine resultiert. Obwohl bereits im Februar festgelegt worden sei, dass die Osterzeit für alle Untertanen am 9. April beginnen sollte, sei es auf lokaler Ebene reichsweit zu Verwirrungen gekommen. Letztlich habe das Reichskammergericht über die Kalenderfrage entscheiden sollen. Anhand des Konflikts zeige sich, so Duhamelle, wie vielschichtig konfessionelle Konflikte seien und dass auch dem Faktor Zeit eine bedeutende Rolle dabei zukomme.

Nach dieser Fülle von Einzelstudien stellte BARBARA STOLLBERG-RILINGER (Münster) fünf pointierte Thesen zur Inszenierung religiös-konfessioneller Differenz im Heiligen Römischen Reich vor. Erstens sei das Alte Reich in seiner Verfassung stets auf Konsens angewiesen gewesen. Dieser sei, zweitens, durch sakral überhöhte Rituale geschaffen und demonstriert worden. Die Reformation habe den fundamentalen Konsens des Reiches zerbrochen: Um die verlorene Einheit wiederherzustellen, sei der Gegensatz der Konfessionen ritualisiert worden. Es sei demnach, viertens, nicht auf die unterschiedlichen Deutungen eines Rituals angekommen, sondern auf dessen gemeinsamen Vollzug. Die Ritualisierung des konfessionellen Gegensatzes sei, fünftens, kontinuierlich im Alltag präsent gewesen, wie unter anderem das Kalenderbeispiel im Beitrag von Duhamelle gezeigt habe. Eben diese fortwährende Ritualisierung habe zur Folge gehabt, dass ein Zwang zum Konsens geschaffen worden sei. Die Konsequenz daraus sei gewesen, dass einzelne Fürsten den Konsenszwang als politisches Druckmittel angewendet und damit die Reichsorgane in ihrer Handlungsfähigkeit blockiert hätten. Die Untrennbarkeit von Reichsverfassung und Religion habe, mit den Worten Hegels zum „Zerreißen“ des Reiches geführt.

BETTINA BRAUN (Mainz) widmete sich der Politik Elisabeths I. und Jakobs I. von England gegenüber den sich in der Minderheit befindenden englischen Katholiken. Die religiös-konfessionelle Differenz sei in erster Linie als politisches Problem betrachtet worden: So habe die Politik gegenüber den Rekusanten auf der Befürchtung aufgebaut, dass es sich bei ihnen um potentiell illoyale Untertanen handelte, die in erster Linie dem Papst die Treue hielten. Insbesondere denjenigen englischen Katholiken, die sich in den englischen katholischen Klöstern und Schulen auf dem Kontinent aufhielten, seien Verbindungen zu katholischen Mächten unterstellt worden, welche die englische Krone gefährden würden. Die 1559 unter Elisabeth erneuerte Suprematsakte sowie der unter Jakob 1606 eingeführte Loyalitätseid hätten keinen Gehorsam gegenüber den dogmatischen Ansichten der Anglikanischen Staatskirche verlangt. Sie hätten stattdessen durch die Ablehnung der päpstlichen Jurisdiktion auf ein Bekenntnis zur Loyalität gegenüber den englischen Monarchen gezielt. Die den Katholiken abverlangte Dissimulation sei eine rein äußerlich erforderliche Anpassung gewesen.

MACIEJ PTASZYŃSKI (Warschau) stellte grundsätzliche Betrachtungen über die Existenz religiöser Toleranz in Polen-Litauen an. Er widersprach der gängigen Forschungsmeinung, wonach das 16. Jahrhundert von konfessioneller Toleranz geprägt gewesen sei. Die Warschauer Konföderation von 1573 zwischen protestantischen Adeligen und dem katholischen König zur Koexistenz der Bekenntnisgemeinschaften habe nicht auf ethisch-irenischen Toleranzvorstellungen basiert. Sie sei vielmehr ein politisches Zugeständnis des polnischen Königs gewesen, der damit auf die Forderungen nach Ständeprivilegien der protestantischen Adeligen reagiert habe. Toleranzvorstellungen im Sinne von Gewissensfreiheit und Freiheit des religiösen Kultus sowie einer Trennung von Kirche und Staat mit dem König als Garanten des konfessionellen Friedens hätten lediglich Sozinianer vertreten.

Anschließend referierte JAN KUSBER (Mainz) über drei verschiedene Strategien zur Bewältigung religiös-konfessioneller Toleranz im neuzeitlichen Russland. Die Unterwerfung der islamischen Tartaren Kazans 1552 durch Zar Ivan IV. habe einerseits der Bezwingung politischer Gegner gedient. Andererseits habe die in der Folge vorgenommene Deutung der Ereignisse Parallelen zur Kreuzzugsrhetorik der Habsburger Kaiser gegen die sogenannten „Ungläubigen“ aufgewiesen. Dem sich anschließenden Nebeneinander der Religionen habe die rigorose Verfolgung der sich in den 1650er-Jahren von der orthodoxen Kirche abgespaltenen sogenannten Altgläubigen entgegengestanden. Das Vorgehen gegen die Altgläubigen sei in erster Linie deren Forderung nach dem Führungsanspruch der geistlichen Gewalt über die weltliche Gewalt geschuldet gewesen. Dies habe einen Angriff auf die Macht des Herrschers dargestellt. Die Verfolgungen hätten schließlich unter Katharina II. ein Ende gefunden, die einen funktionalen Umgang mit Differenz verfolgt habe. Im Bewusstsein um die Vielschichtigkeit des russischen Vielvölkerstaates sowie mit dem Ziel der Zentralisierung der Verwaltung und der Herausbildung loyaler Staatsbürger habe Katharina zum Zweck eines friedlichen und sicheren Zusammenlebens ihrer Untertanen eine Tolerierung der unterschiedlichen Bekenntnisse und Religionen, gleichwohl keine strukturelle Gleichberechtigung angestrebt.

In der abschließenden Zusammenfassung betonte JOHANNES PAULMANN (Mainz) den Einfluss von Außenbeziehungen zur Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz. Religiös-konfessionelle Minderheiten hätten nicht isoliert in einer Gesellschaft, sondern in Beziehungen zu politischen Mächten außerhalb ihres Aufenthaltslandes gestanden, die gegebenenfalls Fürsprache einlegten. Dies sei sowohl in offiziellen Vertragswerken wie dem Westfälischen Frieden oder bilateralen Geheimabkommen möglich gewesen. Der europäische Vergleich der Bewältigungsstrategien sei bereits von Zeitgenossen vorgenommen worden. Es bleibe zu fragen, inwiefern sich die Herrschenden der strukturellen Unterschiede zwischen ihren Ländern und den Angehörigen der Minderheitenbekenntnisse bewusst gewesen seien und somit die unterschiedlichen Möglichkeiten und Erfordernisse, mit religiös-konfessioneller Differenz umzugehen, erkannt hätten. Die Tagung habe gezeigt, wie vielschichtig die Verfahren zur Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz gewesen seien. Diese hätten auf der Ebene der staatlich-ständischen Herrschaft, auf derjenigen der unmittelbar Betroffenen sowie derjenigen der wissenschaftlichen, insbesondere der theologischen Experten stattgefunden. Dabei sei auch die Vielfältigkeit der Differenzierungsprozesse deutlich geworden, die es bei der Untersuchung der Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz in den Blick zu nehmen gelte.

Das Kolloquium zeigte verschiedene und unterschiedlich – etwa religiös, politisch oder funktional – motivierte Strategien zur Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz auf. Es wurde deutlich, dass die jeweils eigenen lokalen, territorialen und internationalen politischen Hintergründe und kirchlichen Strukturen in den betrachteten Ländern spezielle Erfordernisse und Möglichkeiten im Umgang mit religiös-konfessioneller Differenz bedingten. Die politische Bedeutung religiös-konfessioneller Differenz war entscheidend für ihre Bewältigung. Aufbauend auf einem jeweils spezifischen Grad der Ambiguitätstoleranz der politisch Herrschenden und der Mehrheitsgesellschaft wurde die religiös-konfessionelle Minderheit zu einem jeweils unterschiedlichen Grad und mit unterschiedlichen Intentionen zur Dissimulation getrieben.

Die Frage nach der Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz sowie nach ihrer Etablierung und Ermöglichung wird noch bis zum Jahr 2017 im Zentrum des Forschungsprogramms des IEG stehen. Der Untersuchungszeitraum beschränkt sich hierbei nicht nur auf die Frühe Neuzeit, sondern reicht bis zum 20. Jahrhundert.

Konferenzübersicht:

Johannes Arndt (Münster): Sichtbare und unsichtbare Grenzen. Das Nebeneinanderleben der Konfessionen in der niederländischen Republik (1581-1795)

Thomas Weller (Mainz): Eine schwarze Legende? Zum Umgang mit religiöser Differenz im frühneuzeitlichen Spanien

Matthias Schnettger (Mainz):„... keine andere, als die Evangelische Religion, in Unserm Herzogthum eingeführet, noch geduldet werden darff“. Das lutherische Herzogtum Württemberg und seine katholischen Landesherren (1733-1797)

Christophe Duhamelle (Paris): Die doppelte Osterfeier im Jahre 1724. Entstehung und Werdegang eines konfessionellen Konflikts im Alten Reich

Barbara Stollberg-Rilinger ( Münster): Inszenierung der Differenz im Heiligen Römischen Reich

Bettina Braun (Mainz): Anpassung, Untergrund oder Emigration? Die englischen Katholiken zur Zeit Elisabeths I. und Jakobs I

Maciej Ptaszyński (Warschau): Religiöse Toleranz oder politischer Frieden? Verhandlungen über den Religionsfrieden in Polen-Litauen

Jan Kusber (Mainz): Imperialer Pragmatismus und orthodoxe Dominanz. Situationen religiös-konfessioneller Differenz im neuzeitlichen Russland

Johannes Paulmann (Mainz): Zusammenfassung und Schlussdiskussion


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