Kunstmarkt Berlin vom 18. ins 21. Jahrhundert. Zweiter Workshop des Forums Kunst und Markt

Kunstmarkt Berlin vom 18. ins 21. Jahrhundert. Zweiter Workshop des Forums Kunst und Markt

Organisatoren
Johannes Nathan / Bénédicte Savoy / Dorothee Wimmer, Forum Kunst und Markt, Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik, Technische Universität Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.11.2013 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Maria Obenaus, Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik, Technische Universität Berlin

Die Forschung zum Kunstmarkt erfuhr durch das jüngst entdeckte Schwabinger Gurlitt-Konvolut ein breites öffentliches Interesse. Gleichzeitig machte der spektakuläre Fund frappant deutlich, wie wenig über die Geschichte dieses Themenfeldes bekannt ist. Das Forum Kunst und Markt der Technischen Universität Berlin nähert sich auf Initiative von Bénédicte Savoy und Dorothee Wimmer seit gut einem Jahr den vielfältigen Forschungsfragen, die an die Akteure, Strukturen und Objekte des Kunsthandels herangetragen werden. Der Zusammenschluss von Wissenschaftlern profitiert von Blickwinkeln aus der Forschung von Universitäten, Museen und dem Kunsthandel selbst. Nachdem sich der Eröffnungsworkshop des Forums im Oktober 2012 dem „Preis der Kunst“ gewidmet hatte, befasste sich der zweite Workshop mit dem Kunsthandelszentrum Berlin. Diese standortbezogene Annäherung an die Kunstmarktforschung setzte sich die Beschreibung prägender Charakteristika in einem zeitlichen Rahmen vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart zum Ziel. In seiner Einführung machte JOHANNES NATHAN (Zürich / Berlin) darauf aufmerksam, dass bisher vor allem die Provenienzforschung Beiträge zum Themenfeld lieferte, die sich überwiegend auf Einzelakteure stützten und bereits einen Fächer an Fragestellungen und Netzwerken an die Oberfläche beförderten. Der Kunsthändler – ein Beruf der weder geschützt noch staatlich ausgebildet wird – stellt sich hier in einer gesellschaftlichen Schnittstelle von Künstlern, Sammlern, Kritikern und Museen dar.

Die erste von zwei Sektionen beschäftigte sich mit dem „Beginn und Boom“ des Kunstmarktes in Berlin. Der rasante Bedeutungsgewinn der späteren Reichshauptstadt als Kunsthandelszentrum machte besonders TILMANN VON STOCKHAUSENs (Freiburg im Breisgau) Blick auf die Zeit vor 1800 deutlich, als der Markt für alte und zeitgenössische Kunst noch identisch war und sich Berlin gegen die Handelsstädte Leipzig, Hamburg und Frankfurt am Main auch im Bereich der Kunst (noch) nicht behaupten konnte. Der Sales Catalogs File des Getty Research Institutes listet für die Zeit von 1670 bis 1800 insgesamt 298 Auktionskataloge und handschriftliche Verzeichnisse im deutschsprachigen Raum, von denen gerade einmal zwölf auf Berlin entfallen. Entscheidende Vorbereitung für den nachfolgenden Boom Ende des 19. Jahrhunderts war jedoch die Entwicklung einer bürgerlichen Sammlerkultur in Berlin, die einerseits in der Tradition fürstlicher Sammlungen stand, andererseits neue Impulse sowie Anleitung und Motivation durch den ersten Inspektor der Königlichen Gemäldegalerie, Matthias Österreich, erhielt.

Die Internationalisierung des bisher vorwiegend regionalen Kunstmarktes Berlin veranschaulichte ANNA AHRENS (Berlin) in ihrem Beitrag zur Präsentation internationaler Gegenwartskunst im Berlin des 19. Jahrhunderts. Mit der Eröffnung der ersten privaten wie auch permanenten Kunsthalle durch Louis Friedrich Sachse gewann die Stadt 1853 einen Ort der Begegnung mit und des Verkaufes von Kunst abseits staatlicher und akademischer Kontrollen. Strategien der Präsentation und des Absatzes kamen vor allem aus London und Paris, den führenden Kunsthandelszentren Europas. Mit der, wenn auch noch vereinzelten, Adaption der international bewährten Strategien wob sich das Netz des Kunstmarktes verstärkt auch um Berlin: Zu Sachse gesellten sich bald die Gebrüder Lepke, die hier das Kunstauktionswesen begründeten.

Wie Berlin sich zur ersten Adresse für die Kunst des französischen Impressionismus entwickelte und welche geschmacksprägenden Leistungen dem Kunsthandel zuerkannt werden können, zeichnete CHRISTINA FEILCHENFELDT (Berlin) am Beispiel des Kunstsalons Paul Cassirer nach. Den Schwerpunkt ihrer Ausführungen bildete die umfangreiche Presseresonanz zu einzelnen Ausstellungen. In ihrer Detailverliebtheit ermöglichten diese Besprechungen bereits die Identifizierung ausgestellter Kunstwerke; ergänzend zu Katalogen sowie Einkaufs- und Verkaufsbüchern bilden sie die Grundlage für die Aufarbeitung der Ausstellungstätigkeit der Kunsthandlung Cassirers. Die Gegenüberstellung verschiedener europäischer Schulen mit den aktuellen deutschen Künstlern wurde durch den Kunsthandel ermöglicht und durch die Kunstkritik beherzt besprochen. Diese Wechselwirkung strahlte nicht zuletzt auf die Sammler- und Museumspolitik der Kaiserzeit aus.

Die Tendenzen zur Professionalisierung des Kunsthandels in den 1920er-Jahren zeigte im Folgenden EMILY D. BILSKI (Jerusalem) mit ihrem Beitrag zur Galerie Thannhauser auf. Mit der im Januar 1927 eröffneten „Ersten Sonderausstellung“ verließ die Galerie schrittweise den von Antisemitismus und Antimodernismus geprägten Münchener Kunstmarkt und betrat die Berliner Bühne mit 263 Werken des Impressionismus, Post-Impressionismus und der französischen Gegenwartskunst. Die Bandbreite der Ausstellungen und die Qualität der Kataloge wurde von der Presse positiv besprochen, im Übrigen setzte sich Thannhauser für eine besonders direkte Vermittlung der von ihm ausgestellten Kunst ein – eine Tatsache, die (wie Johannes Nathan in der Einführung erläuterte) auch durch die Positionierung der Galerie mit dem ausladenden Schaufenster im Stadtraum sichtbar wurde. Anschaulich zeigt die Figur Thannhausers auch, wie Kunsthändler selbst zu Sammlern wurden und eine emotionale Bindung zu ihrer „Ware“ aufbauten. Nach der erzwungenen Emigration in die USA vermachte Thannhauser seine Sammlung dem Guggenheim Museum in New York.

Die nahtlose Überleitung in die zweite Sektion der Tagung mit dem Titel „Zäsuren und Brüche“ fand PATRICK GOLENIA (Berlin) mit seinen Ausführung zur Zeitschrift „Die Weltkunst“, die im Zuge der steigenden Dynamik und Professionalisierung auf dem deutschen Kunstmarkt 1927 in Berlin gegründet wurde und mit ihrem wöchentlichen Erscheinen eine zeitnahe Kommentierung des Kunstmarktgeschehens ermöglichte. Das ambitionierte Vorhaben einer internationalen, unpolitischen und unabhängigen Berichterstattung fand ab 1933 ein Ende, indem „Die Weltkunst“ zum Instrument der ideologisch bestimmten Erziehung neuer Sammlerkreise wurde. Der Beitrag skizzierte den engen Grat zwischen kritischer Berichterstattung und Instrumentalisierung durch das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, auf dem sich das Blatt bis zu seiner kurzzeitigen Einstellung 1944 bewegte. Lohnend wird die weiterführende Untersuchung der Herausgeber und deren Einflussnahme auf den Kunsthandel sein, der sich Golenia in seinem Promotionsvorhaben widmen wird.

Ob der Kunstmarkt, der unmittelbar der nationalsozialistischen Kulturpolitik folgte, eine „Stunde Null“ erfuhr, hinterfragte DOROTHEE WIMMER (Berlin) und konzentrierte sich dabei in ihren Ausführungen auf West-Berlin. Bereits im August 1945 eröffnete die Galerie Gerd Rosen am Kurfürstendamm mit einer Präsentation der neuesten künstlerischen Strömungen sowie Werken der zuvor als „entartet“ diffamierten Künstler. Der Beitrag veranschaulichte, wie in den frühen Nachkriegsjahren bis zur Währungsreform 1948 eine Vielzahl an Galerieneugründungen und Ausstellungen stattfand – allein für das Jahr 1946 können fast 70 Kunstausstellungen privater und öffentlicher Einrichtungen in Berlin nachgewiesen werden –, gleichzeitig spiegelte sich dieses Interesse auch in hohen Besucherzahlen und umfangreichen Pressebesprechungen wider. Vor allem das Wiederaufgreifen der Moderne und die Überbrückung des „Bruches“ im Nationalsozialismus sind die – in notwendigen Detailforschungen im Einzelnen zu wägenden – Verdienste des Kunsthandels der frühen Nachkriegszeit.

Die improvisierte Praxis des sozialistischen Kunsthandels beleuchtete im Folgenden JÉRÔME BAZIN (Paris) am Beispiel Ost-Berlins. Mit der Ablehnung des kapitalistischen Kunstsystems und der Verweigerung einer Anerkennung des unabhängigen Kunsthandels entwickelten sich in den vierzig Jahren des Bestehens der DDR alternative Formen des Verkaufes von Kunst. Den Schwerpunkt legte Bazin in seinem Vortrag auf Verkäufe anlässlich von Bezirksausstellungen und während der internationalen Messe „Intergrafik“, die seit 1957 im Palast der Republik stattfand. Einerseits unterlag der Kunstmarkt einer rigiden Regulierung, etwa durch Festsetzung von Mindest- und Höchstpreisen, andererseits wurde er zur Devisenbeschaffung durch staatliche Kunstverkäufe gefördert – Umstände, die die zum Teil unvermeidlichen Widersprüche des Kunsthandels im sozialistischen Marktsystem veranschaulichen.

Einen „Brückenschlag“ ins 21. Jahrhundert lieferte ALEXANDRA ENZENSBERGER (Berlin) abschließend mit ihrem Beitrag zum Auktionshaus Villa Grisebach. Die Brücke war vor allem als Schlag über die deutsche Wiedervereinigung zu verstehen, die das Auktionshaus aus einem „Wagnis in einer von einer Mauer umschlossenen Stadt“ in das Wagnis des Weltmarktes führte. Die Untersuchung basierte überwiegend auf dem Pressespiegel der Villa Grisebach und zeigte auf, wie sich das Auktionshaus bereits mit der Gründung 1986 um die Anerkennung Berlins als Kunsthandelszentrum von nationaler Bedeutung bemühte. Dabei nahm das Haus die Impulse der vier Jahre zuvor erstmalig stattfindenden Kunsthandelsmesse „Orangerie“ in Charlottenburg auf und leistete damit – in einem Netzwerk mit Museen, der Politik, Wissenschaft und Sammlern – einen kulturpolitischen Beitrag der Wendezeit. Mit Blick auf die Wirtschaftskrisen der vergangenen Jahre zeigte sich die Verflechtung eines international agierenden Marktakteures, der von Hochphasen ebenso profitierte, wie er von Rückschlägen getroffen wurde.

Besonders die Beiträge zur Nachkriegszeit verdeutlichten, dass die Forschungen am Anfang stehen und nur eine umfassende Sicherung und Erschließung von Quellen die Grundlage für weiterführende Untersuchungen bilden können. Zum Nachzeichnen von Entwicklungslinien und Bedingungen, unter denen Künstler das Auf und Ab ihrer Wertschätzung erfuhren, stellte der standortbezogene Blick in einer Zeitspanne vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart einen Zugewinn dar. Bei allen an diesem Tag vorgetragenen und zur Diskussion gestellten Betrachtungen wurden die Wechselwirkungen des Kunsthandels mit der Kulturpolitik und Kunstkritik und sein Beitrag zur Geschmacksbildung – unter anderem auch durch die Etablierung eines Marktwertes für Kunstwerke – immer wieder verdeutlicht. Der Workshop gab neue Anstöße für die Betrachtung dieser facettenreichen Wechselwirkungen. Er zeigte aber ebenfalls, dass weitere Forschungen vor allem im Bereich des Altmeistermarktes und mit Blick auf übergeordnete volkswirtschaftliche Belange folgen müssen. Dass das Interesse an den vielfältigen Fragen, die an die Geschichte des Kunstmarktes herangetragen werden, rege ist und nicht zuletzt vom Forschungsnachwuchs begeistert aufgenommen wird, bestätigte an diesem Tag auch der bis auf den letzten Platz gefüllte Senatssitzungssaal der Technischen Universität Berlin.

Konferenzübersicht:

Begrüßung: Bénédicte Savoy / Dorothee Wimmer (Berlin)

Einführung: Johannes Nathan (Zürich / Berlin)

Sektion 1: Beginn und Boom
Moderation: Bénédicte Savoy (Berlin)

Tilmann von Stockhausen (Freiburg im Breisgau): Berlin und der deutsche Kunstmarkt vor 1800

Anna Ahrens (Berlin): „Van Gogh ist hier mit 50 Ölgemälden“ – Berlin und der europäische Markt in den 1850er- bis 1870er-Jahren

Christina Feilchenfeldt (Berlin): Die Ausstellungen des Kunstsalons Cassirer und ihre Presseresonanz bis 1910

Emily D. Bilski (Jerusalem): From Munich to Berlin: Thannhauser and the Changing Art Market of the 1920s

Sektion 2: Zäsuren und Brüche
Moderation: Stephanie Tasch (Berlin)

Patrick Golenia (Berlin): Die Weltkunst – Spiegelbild des Kunstmarktes? Von innovativer Berichterstattung zum Propagandaorgan, 1927-43

Dorothee Wimmer (Berlin): Stunde Null? Der West-Berliner Kunstmarkt und seine Rezeption in der Nachkriegszeit

Jérôme Bazin (Paris): Ost-Berlin: Form und Funktionen des Kunsthandels in einer sozialistischen Stadt

Alexandra Enzensberger (Berlin): Das Auktionshaus Villa Grisebach. Ein Brückenschlag 1986-2013


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