BA/MA - Die archäologische Ausbildung an den Universitäten versus archäologische Praxis

BA/MA - Die archäologische Ausbildung an den Universitäten versus archäologische Praxis

Organisatoren
Kommission für archäologische Landesforschung in Hessen
Ort
Wiesbaden
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.11.2013 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Doris Gutsmiedl-Schümann, Institut für Archäologie und Kulturanthropologie, Studiengangsmanagement Archäologien, Universität Bonn

Die Kommission für archäologische Landesforschung in Hessen lud am 8.11.2013 zu einer Podiumsdiskussion „BA/MA - Die archäologische Ausbildung an den Universitäten versus archäologische Praxis“1 nach Wiesbaden ein.

CLAUS DOBIAT (Marburg), Vorsitzender der Kommission für archäologische Landesforschung in Hessen, stellt nach einer Begrüßung die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Podium kurz vor, anschließend gab er eine kurze Einführung in die Veranstaltung: Nach 14 Jahren „Bologna“ gab es aus der Denkmalpflege die Rückmeldung an die Universitäten, dass Bachelor-Absolventen für die denkmalpflegerische Praxis nicht geeignet seien. Es fehle einerseits an archäologischer Praxis, andererseits an archäologischem Wissen. Um die bestehenden Probleme zu verdeutlichen, gab er einen kurzen Rückblick auf den „Bologna-Prozess“, in dem die Magister- und Diplomstudiengänge, die bislang zu einem ersten Abschluss in archäologischen Fächern, insbesondere der Vor- und Frühgeschichte, geführt haben, durch ein zweistufiges System aus Bachelor und Master ersetzt wurden. Die erste Stufe besteht hierbei aus dem Bachelorstudium, das praxisorientiert in drei Jahren zu einem Abschluss führt, und laut politischer Vorgaben „berufsqualifizierend“ sein soll. Optional schließt sich an den Bachelor das Masterstudium an – entweder direkt im Anschluss, oder nach einiger Zeit im Beruf –, welches forschungsorientiert in zwei weiteren Jahren zum Masterabschluss führt. Dobiat stellte dar, dass durch die Einführung der Bachelorstudiengänge vielerorts unterschiedliche, zum Teil fachübergreifende Studiengänge entstanden sind, die die Vergleichbarkeit der Studiengänge und damit Studienortwechsel während des Studiums sehr erschwerten. Damit wurde eines der Ziele des „Bologna-Prozesses“, die Mobilität der Studierenden zu erhöhen, für die archäologischen Studiengänge nicht erreicht.

Nach dieser Einführung waren die Diskutanten auf dem Podium aufgerufen, ihre Sicht auf den „Bologna-Prozess“, den Bachelor als Abschluss in den Archäologien und auf die Absolventinnen und Absolventen darzulegen.

Zunächst wurde Ministerialrat DANIEL KÖFER (Wiesbaden) gebeten, zu dieser Einführung Stellung zu nehmen. Er wies darauf hin, dass nach den Vorgaben des Bologna-Prozesses der Bachelorabschluss vor allem auf „employability“ der Absolvent/innen abzielen soll, diese Vorgabe aber eigenverantwortlich von den Universitäten umgesetzt wird. Dadurch sind auch die vielen, nur schwer miteinander vergleichbaren Studiengänge entstanden. Ein weiteres Problem war laut Köfer zunächst auch die Kleinteiligkeit der Module, aus denen die ersten Bachelorstudiengänge aufgebaut waren, er sehe hier jedoch eine starke Tendenz, dass diese Probleme in verbesserten Studiengängen behoben werden.

FRIEDERIKE FLESS (Berlin) schilderte aus der Sicht des Deutschen Archäologischen Instituts, dass sich dort kaum Veränderungen in der Bewerberstruktur ergeben haben. Für längerfristige Stellen sei nach wie vor die Promotion Voraussetzung; Absolvent/innen des Bachelorstudiums finden sich vor allem im Bereich der Hilfskräfte. Dort könne jedoch im Vergleich zu früher keine Verschlechterung des Ausbildungsstands festgestellt werden. Ähnlich äußert sich JÜRGEN KUNOW (Bonn) vom Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland: Auch im Bereich der Landesämter werden von Mitarbeiter/innen nach wie vor Master oder Promotion verlangt, daher gibt es dort kaum Erfahrungen mit Bachelorabsolvent/innen. Friederike Fless wies zudem nachdrücklich darauf hin, dass die Lehre an den Universitäten durch die Einführung der neuen Studiengänge nicht per se schlechter wurde, da sie nach wie vor von den gleichen Fachwissenschaftler/innen durchgeführt werde, und warnte davor, von den Absolvent/innen eines Bachelorstudiums zu erwarten, dass sie auf dem gleichen Wissenstands seien wie die Absolvent/innen der alten Magisterstudiengänge. Sie stellte zudem heraus, dass bei den alten Magisterstudiengängen jedem archäologischen Arbeitgeber klar war, welcher Studiengang an welcher Universität welche Schwerpunkte vermittelt hat, und was die Absolvent/innen dieser Institute besonders gut konnten; dieses Wissen fehlte nun bei den Absolvent/innen der neuen Bachelor- und Masterstudiengänge.

Im Vergleich zu früher seien heute die Fachdisziplinen diffuser und die Studierendenzahlen deutlich höher, ergänzte THOMAS STÖLLNER (Bochum) vom Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bochum. Am Beispiel des Bochumer Bachelorstudiengangs „Archäologische Wissenschaften“ stellte er dar, dass die Studierenden im Laufe ihres Studiums Module zu Lehrgrabung, Exkursion, Museums- und Archivarbeit sowie zu wissenschaftlichem Arbeiten und Forschungsprojekten belegen könnten, so dass damit die verschiedenen Felder archäologischer Tätigkeiten im Studium abgedeckt würden und alle Elemente einer Vorbereitung auf die Berufspraxis vorhanden sind. Dass Bachelorabsolvent/innen trotzdem nur schlecht auf den Beruf vorbereitet seien, führte er zum einen auf die kurzen Studienzeiten zurück, die keine Zeit ließen für Wiederholungen und Vertiefungen; zum anderen weist er darauf hin, dass intensivere Ausbildungsschritte zum Teil auch in die Master- oder Promotionsstudiengänge verlegt wurden. Jürgen Kunow merkte an, dass laut der Studie „Discovering the Archaeologists in Europe“2 etwa zwei Drittel der Arbeitsplätze innerhalb der Archäologie in Deutschland auf den Bereich der Bodendenkmalpflege entfallen, deshalb sei es besonders wichtig, dass sich die Studierenden mit diesem Tätigkeitsfeld bereits früh im Studium beschäftigten und entsprechende Studienanteile belegten.

Laut einer Absolventenbefragung des Bochumer Studiengangs sind nur etwa die Hälfte der Absolvent/innen des dortigen Bachelorstudiengangs „Archäologische Wissenschaften“ anschließend in einem Tätigkeitsfeld der Archäologie beschäftigt oder führen ihr Studium mit einem fachspezifischen Master bzw. der Promotion weiter; dementsprechend verlässt auch die Hälfte eines Jahrgangs nach dem Bachelorabschluss das Fach wieder. Es wurde kurz angesprochen, ob sich hinter diesen Absolventen jene Studierenden verbergen, die ein Magisterstudium nach der Zwischenprüfung ohne Abschluss abgebrochen hätten.

DANIELA HOFMANN (Hamburg) schilderte die Situation in Großbritannien, wo die Bachelor- und Masterstudiengänge auf eine lange Tradition zurückblicken können. Sie stellte heraus, dass im Unterschied zu Deutschland dort jedem klar ist, dass das Bachelorstudium vor allem eine Zeit der Orientierung ist, in der die Studierenden anhand ihres Studienfachs bestimmte Basiskompetenzen erwerben. Auf dem Arbeitsmarkt würden von Bachelorabsolvent/innen dementsprechend auch nur diese Basiskompetenzen und weniger großes Fachwissen gefordert, und es würde erwartet, dass sich ein Bachelor in das neue Berufsfeld einarbeitet und auch dort wieder „von unten“ anfängt. Der Vorteil der Bachelor werde in der Berufswelt darin gesehen, dass diese noch jung sind, und aufbauend auf ihre im Studium erworbenen Kompetenzen im Beruf fachspezifisch weiter geschult werden können. Bezogen auf Deutschland und die hiesigen Studiengänge sah sie das Problem, dass es keine universitätsübergreifend festgelegten Richtlinien gebe, welche Kompetenzen etwa Studierende archäologischer Bachelorstudiengänge nach dem Abschluss erworben haben sollten. Daher wüssten auch spätere Arbeitgeber nicht, was sie von einem Bachelor der Vor- und Frühgeschichte erwarten können. In Großbritannien sei zudem jedem klar, dass der Bachelor nur ein erster Schritt im lebenslangen Lernen ist, während hierzulande gerne der Fehler gemacht werde, den Bachelorabschluss als einen Endpunkt in der Ausbildung zu sehen, auf den eine über Jahre hinweg gleichartige Berufstätigkeit folgt.

HEIDRUN DERKS (Kalkriese) studierte bis zum Magister sowohl in Deutschland und Großbritannien, und warnte die anwesenden Diskutant/innen davor, die eigene Studienzeit im Rückblick zu verklären. Sie stellte heraus, dass als Malus der Bachelorstudiengänge gerne die fehlende Zeit herausgestellt werde, sich ohne Notendruck und äußeren Zwang in ein Thema zu vertiefen. Aus ihrer eigenen Studienzeit berichtet sie davon, dass sie dieses freie Studieren in ihrem Magisterstudiengang über weite Strecken als orientierungslos empfunden habe, und sie während ihrer Studienzeit in Großbritannien sehr dankbar für die vorgegebene Struktur des dortigen Bachelorstudiengangs war. Sie wies auf die Verantwortung hin, die die Dozenten gegenüber Ihren Studierenden im Seminar hätten, und sieht auch daher die Qualität der Ausbildung auch mit dem neuen Studienmodell nicht gefährdet. Dies bestätige sich auch immer wieder mit den Praktikantinnen und Praktikanten, die sie im Museum in Kalkriese beschäftigte. Ein Problem sieht sie aber in der stark gestiegenen Zahl von Praktikumsanfragen, die das Museum in Folge der starken Praxisanteile in vielen Bachelorstudiengängen erhält.

Aus der Sicht der Studierenden erläutert THIMO BRESTEL (Marburg), dass dem vielfach vorhandenen studentischen Wunsch nach breiter Bildung die kurzen Regelstudienzeiten entgegenstünden. Zudem sieht er ein großes Problem darin, dass sich die Betreuungsschlüssel durch steigende Studierendenzahlen und stagnierenden oder sinkenden Mitarbeiterzahlen an den archäologischen Instituten im Laufe der Jahre kontinuierlich verschlechtert haben: Damit sei es kaum noch möglich, einem Studierenden eine individuelle Ausbildung im Stile der alten Magisterstudiengänge zu bieten. Aus studentischer Sicht sprach er sich für eine weiterhin starke Verknüpfung von Lehre und Forschung aus, da nur so auch ein Bachelorstudium fachbezogen und forschungsorientiert sein kann.

Befragt zur Beschäftigungssituation von Bachelorabsolventen berichtete Brestel im Laufe der weiteren Diskussion von Fällen, in denen Hilfskraftstellen bevorzugt an Studierende im Bachelorstudium vergeben wurden, die deutlich über der Regelstudienzeit von 6 Semestern lagen, da diese Studierenden über ähnliche Erfahrungen wie Bachelorabsolvent/innen kurz nach dem Abschluss verfügen, aber deutlich billiger zu beschäftigen seien. Diese Fälle wurden von den anderen Diskutant/innen deutlich missbilligt.

MATHIAS WIEGERT (Lehre-Wendhausen) berichtete aus dem Alltag seiner auf Dienstleitungen im Bereich Archäologie und Geschichte spezialisierten Firma ARCONTOR, dass Bachelor- und Masterabsolvent/innen zu Beginn ihrer Berufstätigkeit in die Praxis geführt werden müssten; er sehe die Entwicklungen in den Studiengängen und an den Universitäten jedoch „verhalten positiv“.

Am Ende der ersten Diskussionsrunde erhielt noch einmal Ministerialrat Daniel Köfer das Wort. Er wies darauf hin, dass nach den Vorgaben von „Bologna“ der Bachelor zwar als berufsqualifizierender Abschluss gedacht sei, dass er aber auch als erster Schritt im lebenslangen Lernen gesehen wird, und damit eben nur für bestimmte berufliche Tätigkeiten qualifizierend sein kann. Zudem machte er darauf aufmerksam, dass insgesamt für das Bachelor- und das Masterstudium zusammen 10 Semester vorgesehen sind, und dass neben der üblichen Aufteilung in 6 Semester Bachelorstudium und 4 Semester Master-Studium auch eine Aufteilung in 8 Semester Bachelor- und 2 Semester Masterstudium möglich wäre.

Bezogen auf den Museumsbereich stellte Heidrun Derks die Frage, für welche Tätigkeiten dort wissenschaftliche Kompetenzen, die in einem Master- oder Promotionsstudium erworben werden, tatsächlich gebraucht würden, und für welche Tätigkeiten das im Bachelorstudium erworbene Verständnis fachlicher Grundlagen, kombiniert mit zusätzlichen Kenntnissen, etwa aus dem Bereich der Museumspädagogik, sinnvoller wären. Sie warnte davor, Studierende, die sich früh für eine Laufbahn außerhalb der Universität entscheiden, als Studierende zweiter Klasse zu behandeln. Grundsätzlich waren sich die Diskutant/innen jedoch einig, dass Schlüsselstellen auch außerhalb der Universität mit Wissenschaftler/innen besetzt sein sollten. Hierzu sprach sich Mathias Wiegert dafür aus, wissenschaftlich qualifizierten Absolvent/innen durch entsprechende Trainings- oder Mentoringprogramme den Berufseinstieg zu erleichtern. Jürgen Kunow forderte, an den Universitäten eher Generalisten als Spezialisten auszubilden. Durch die neuen Studiengänge und deren Praxisbezug seien die Voraussetzungen hierfür deutlich besser als früher.

Im Laufe einer zweiten Diskussionsrunde, in der viele der genannten Punkte erneut aufgegriffen wurden, einigten sich die Diskutant/innen darauf, den Bachelorabschluss in Vor- und Frühgeschichtlicher Archäologie als „berufsbefähigend“ zu bezeichnen, den Masterabschluss hingegen als „berufsqualifizierend“. Sie stellten fest, dass das, was von einem Bachelorabsolventen oder einem Masterabsolventen in der Vor- und Frühgeschichtlichen Archäologie erwartet werden könne, am besten von den archäologischen Berufsverbänden festgehalten werden sollte. Damit könne zugleich für außerfachliche Kreise etwa aus Politik oder Verwaltung transparent gemacht werden, in welchen Gebieten sich Bachelorabsolvent/innen sinnvoll einsetzen lassen, und in welchen nicht.

Das Schlusswort dieser Veranstaltung sprach der stellvertretende Landesarchäologe UDO RECKER (Wiesbaden).

*Podiumsbesetzung:
Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts, Berlin

Thomas Stöllner, Institut für Archäologische Wissenschaften der Ruhr-Universität Bochum

Jürgen Kunow, Vorsitzender des Verbands der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland e.V.

Daniela Hofmann, Archäologisches Institut der Universität Hamburg

Heidrun Derks, Leiterin des Museums Varusschlacht im Osnabrücker Land, Kalkriese

Elisabeth Faulstich, Referentin für den Geschäftsbereich Archäologie im Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler, Cottbus.

Mathias Wiegert, Leiter der Firma ARCONTOR, Lehre-Wendhausen

Thimo Brestel, Studierendenvertreter, Universität Marburg

Daniel Köfer, Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Wiesbaden

Stefan Handke, ACQUIN, Bayreuth

Die Podiumsdiskussion wurde moderiert von dem Journalisten Jens Joachim, Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Anmerkungen:
1 Der Ankündigungstext der Veranstaltung findet sich unter <www.kal-hessen.de/seiten/4_0_akt.htm> (18.12.2013)
2 <discovering-archaeologists.eu> (18.12.2013)


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