Bonifatius - Leben und Nachwirken (754-2004). Internationale Tagung zum 1250. Todestag

Bonifatius - Leben und Nachwirken (754-2004). Internationale Tagung zum 1250. Todestag

Organisatoren
Prof Dr. Jörg Jarnut; Prof. Dr. Lutz E. v. Padberg; Dr. Marco Mostert; Prof. Dr. Franz J. Felten
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.06.2004 - 05.06.2004
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Von
Thomas Kohl, Mainz; Gordon Blennemann

Nach den Grußworten Karl Kardinal Lehmanns, des Mainzer Oberbürgermeisters Jens Beutel und des Universitätspräsidenten Jörg Michaelis eröffnete LUTZ E. VON PADBERG (Paderborn) die Tagung mit einer Einführung in das Thema der Tagung, in der er zunächst einen Überblick über die Biographie des um 672/5 in Wessex als Winfrit geborenen Bonifatius gab und kurz das Nachleben des schon im Mittelalter als Apostel Germaniens bezeichneten Heiligen skizzierte, von den konträren historiographischen Auffassungen des konfessionellen Zeitalters bis hin zur Verehrung im 19. Jahrhundert als Symbol der ultramontanen Frömmigkeit und den Feierlichkeiten des diesjährigen Jubiläums. Anschließend gedachten die Teilnehmer der Tagung des jüngst verstorbenen Franz Staab.

Die übrigen drei Vorträge des ersten Tages behandelten die Grundlagen für Bonifatius’ Tätigkeit auf dem Kontinent. Zunächst führte LUDO MILIS (Gent) in den Konversionsprozess zum Christentum als solchen ein, den er als komplexes soziales Phänomen darstellte, in dem das Heidentum als etwas allerdings mit friedlichen Mitteln Auszurottendes erscheint. In einem ersten Schritt wird das externe, kollektive Handeln verändert, dem im zweiten Schritt das individuelle, externe Verhalten folgt. Diese Stufe wird gekennzeichnet durch die Vorschriften der Bußbücher und Kapitularien. In einem lang andauernden Prozess wurde die Kontrolle des individuellen, internen Verhaltens, also des Gewissens, von den Gläubigen verlangt, gekennzeichnet durch die individuelle Beichte (Pflicht seit dem 4. Lateranum 1215), dem später die verlangte Kontrolle des Unterbewusstseins folgen sollte.

Im nächsten Referat machte BARBARA YORKE (Winchester) auf die Herkunft des Bonifatius aus einer adligen, sächsischen Pionierfamilie im keineswegs vollständig christianisierten und erst jüngst von Angelsachsen eroberten Teil des Königreichs Wessex aufmerksam. Als wichtige Faktoren, die später seine Arbeit auf dem Kontinent prägten, nannte sie das Bewusstsein einer angelsächsischen Überlegenheit in Verbindung mit dem Papsttum, eine bedeutsame Rolle von Frauen und ein in der Welt aktives Mönchtum.

Im öffentlichen Abendvortrag über Monotheismus und Gewalt behandelte ARNOLD ANGENENDT (Münster) in Auseinandersetzung mit Odo Marquard das Christentum als monotheistische Sekundärreligion, die scharf von den wesensmäßig an ein Volk gebundenen polytheistischen Primärreligionen zu unterscheiden sei, auf die Bonifatius in Germanien getroffen sei. Das Christentum setze wie die anderen Buchreligionen mit einem bedürfnislosen Gott den inneren Menschen voraus und sei universalistisch angelegt, woraus sich der Zwang zur Bekehrung ergebe, die allerdings freiwillig zu erfolgen hat, da sie sonst unwirksam sei. In der barbarischen Germanenwelt, in die Bonifatius sich begab, musste sich das Christentum seine kulturellen Vorraussetzungen selbst schaffen. Dabei befand sich der Missionar im Spannungsfeld zwischen dem Drang zu schneller Bekehrung und dem Bewusstsein, dass das Christentum freiwillig angenommen werden muss.

Der Donnerstagmorgen war den Verhältnissen vor der Missionierung gewidmet. Für die Sachsen betonte HEIKO STEUER (Freiburg), dass die Bekehrung, wie sie sich in archäologischen Befunden darstellt, keineswegs schnell und ohne heidnische Reaktion verlaufen sei; Bis weit ins 9. Jahrhundert wurden viele Gräberfelder gemischt christlich-heidnisch belegt.

Die Religion der Friesen wurde anschließend von STÉPHANE LEBECQ (Lille) behandelt, hauptsächlich gestützt auf die Vita Wulframs. Lebecq unternahm den Versuch einer Rehabilitierung des von vielen Forschern skeptisch betrachteten Textes; der Kern der Aussagen zu den Friesen gehe wohl auf das mündliche Zeugnis des von Wulfram bekehrten jungen Friesen Ovo zurück. Der Vergleich mit anderen Textquellen (Tacitus’ Germania, Chronik Thietmars, Gesta Adams von Bremen, Vita Willibrordi Alkuins) und archäologischen Befunden (Menschenopferfunde der Torfbrüche im südlichen Jütland, Funde von Kinderleichen in Wohnstätten Frieslands) mache das Zeugnis über das Opfer von Kindern in der steigenden Flut als Exorzismus gegen die zerstörerischen Gewalten eines allgegenwärtigen Meeres glaubwürdig.

Zum Abschluss dieser Sektion behandelte ALAIN DIERKENS (Brüssel) den Indiculus superstitionum et paganiarum. Die einzige erhaltene Handschrift (ms. Vat. Pal. 577) überliefert eine, unmittelbar auf Bonifatius oder sein Umfeld zurückgehende Textgruppe, die neben Dionysius Exiguus vor allem die auf dem Concilium Germanicum und dem Konzil von Les Estinnes basierenden Kapitularien des fränkischen Hausmeiers Karlmann und die alt-sächsischen Interrogationes et responsiones baptismales enthielt. Dierkens entschied sich nach der Diskussion der umfangreichen Forschung für die Annahme, der Indiculus sei ein vorbereitendes Memorandum für die Konzilien Karlmanns gewesen und analysierte knapp den Inhalt der Liste, die einige der Probleme aufzeige, mit denen ein Missionar konfrontiert wurde.

Der Rest des Tages widmete sich ‚Formen und Problemen der Missionierung’. Ausgehend vom altsächsischen Taufgelöbnis behandelte WOLFGANG HAUBRICHS (Saarbrücken) zunächst die Anpassung und Schaffung von Begriffen des christlichen Glaubens in den germanischen Sprachen. Da im fränkischen Reich das Christentum zur Zeit des Bonifatius schon lange etabliert war, fanden nur wenige Worte angelsächsischer Herkunft Eingang in die merowingisch-fränkisch geprägte Kirchensprache, zu ihnen zählen der ‚Heilige Geist’, ‚Sonnabend’ und ‚Heiland’.

Das Problem, wie Bonifatius sich in der mündlichen Kommunikation verständigte, wird in den Quellen, wie MICHAEL RICHTER (Konstanz) betonte, kaum thematisiert. Trotz der bekannten Aussage der Vita zur Begegnung mit dem Papst, sei davon auszugehen, dass sich Bonifatius sicherlich in der gesamten Romania problemlos auf Latein und mit den ‚Germanen’ sicherlich in der Volkssprache verständigen konnte.

Gleichsam in Anknüpfung an Barbara Yorkes Überlegungen zur Bedeutung von (adeligen) Frauen in der angelsächsischen Gesellschaft widmete sich CORDULA NOLTE den an Frauen gerichteten Briefen des Bonifatius aus seiner Missionszeit auf dem Kontinent. Der Analyse wurden dabei drei frühmittelalterliche Leitkonzepte der Peregrinatio, der Freundschaft und der Verwandtschaft zugrunde gelegt: Peregrinatio, die spirituelle Wallfahrt, schließt als wesentliches Element die Trennung von der Familie ein. Die sich daraus ergebende Existenzangst wird durch die Amicitia, die auf verwandtschaftlichen Beziehungen aufbaut und diese gleichsam religiös überformt, aufgehoben. Die räumliche Trennung verlangt dabei zwangsläufig die briefliche Korrespondenz als Kommunikationsmittel. Alle Frauen, die mit Bonifatius in brieflichem Kontakt standen, praktizierten die vita religiosa, waren angelsächsischer Abstammung und verfügten über eine vorzügliche Bildung. Wie Bonifatius empfanden sie sich als Fremde in Germanien, die dort standhaft verharrten. Einige machten sich das Ideal der Peregrinatio zueigen. Im Sinne der vera caritas werden in den Briefen der Frauen die gemeinsamen Bindungen als tröstende Liebe zueinander in Gott gedeutet, die sich besonders in Krisensituationen in der Zusicherung von gegenseitiger Gebetshilfe manifestiert. Es scheint jedoch, dass Bonifatius sein eigenes Bedürfnis nach Freundschaft eher durch den Diskurs mit Männern kompensierte. Nur von ihnen erbat er den für die Freundschaft wesentlichen Dienst des consilium. Seine Beziehungen zu Frauen ergeben sich vor allem aus verwandtschaftlichen Bindungen: betont wird in der Korrespondenz der Aspekt der geistlichen Geschwisterliebe oder Geschwisterschaft, nur einmal nimmt er die Rolle eines geistlichen Vater ein.

Den Nachmittag leitete LUTZ E. VON PADBERG (Paderborn) mit einem Vortrag über Missionstheologie ein. Der spärliche Informationsfluss der Quellen zur Missionstheologie erklärt sich aus dem Selbstverständnis der Missionare als Praktiker, nicht als Theoretiker sowie aus dem offensichtlich nicht bestehenden Bedürfnis, Predigten, deren üblicher Inhalt ohnehin jedem bekannt war, schriftlich festzuhalten. Der kommunikative Prozess der Mission ließ sich nicht schriftlich fixieren. Dennoch haben Bonifatius und die übrigen Missionare auf die Erfahrungen von Vorgängern zurückgegriffen und eine fundierte Ausbildung erhalten. Durch die Interpretation dreier einschlägiger Briefe aus der bonifatianischen Korrespondenz (Ep. 23: Bischof Daniel von Winchesters Missiontheologie, 723/724; Ep. 21: Papst Gregor II. Missionsbrief, 722; Ep. 78: Bonifatius’ missionstheologisches Selbstverständnis, 747) unternahm Lutz E. von Padberg den Versuch Aussagen zum zeitgenössischen Verständnis von Missionstheologie zu treffen: 1. Missionspredigten gehen von einem Kontrast zwischen den polytheistischen Göttern und Gott als Schöpfer der Welt und der Menschen, als Herrn der Geschichte und zukünftigen Richter aus. Während der Ethik nur eine geringe Rolle zukommt, gilt die Taufe als Zeichen des Religionswechsels als unabdingbar. 2. Missionstheologie ist stets auf Konfrontation mit euhemeristisch-dämonologischen Vorstellungen angelegt. 3. Missionstheologie galt als praktische Umsetzung der in Klöstern und ‚Missionsschulen’ erfahrenen Ausbildung. Die Bibel und ihre Erläuterungen dienten dabei der Ausarbeitung der Predigten. 4. Die Missionierung wird durch die ungleich schwerere Christianisierung, als nie endender Prozess, fortgesetzt. Auf die anfängliche Verkündigung durch die Predigt muss für eine erfolgreiche Missionierung die weiterführende Glaubensunterweisung folgen.

MAYKE DE JONG (Utrecht) behandelte anschließend Bonifatius in seiner Rolle als angelsächsischer Priestermönch, der sich im Bewusstsein einer Einheit der Kirche als Reformer vor allem um die Reinheit der Geistlichkeit und die von den Leitern des Volkes zu verantwortenden scandala (Beleidigung Gottes und Spaltung der Gemeinschaft) gesorgt habe. So scheute er sich nicht, auch den Papst und König Aethelbert von Mercia mehr oder weniger hart zu kritisieren.

YITZHAK HEN (Beer Sheva) betonte in seinem Vortrag die außerordentlich wichtige Rolle der Liturgie als Ritual im Bekehrungsprozess. Mit ihrer Hilfe wurden Auftritte der umherreisenden Missionare mit Gesängen und Gebet inszeniert, um Aufmerksamkeit zu erregen. Dabei scheint es keine vorgeschriebene uniforme Liturgie gegeben zu haben, vielmehr war es den Priestern gestattet, auch neue Gebete aufzunehmen, über deren Inhalt jedoch im einzelnen sehr wenig bekannt ist.

Am Abend fand im Mainzer Dom ein öffentlicher Vortrag von KARL KARDINAL LEHMANN statt, der in einem weit gefächerten Vortrag Leben, Werk und Umfeld des Bonifatius behandelte. Bonifatius habe die fränkische Kirche in einer Weise geöffnet, die erst das völkerübergreifende Reich Karls des Großen ermöglicht habe. Obwohl die Bezeichnung als Apostel der Deutschen gerechtfertigt sei, müsse man auf eine nationale Perspektive verzichten und Bonifatius’ Rolle für die Christianisierung Europas hervorheben, deren positive kulturelle und ethische Folgen auch in Zeiten einer wachsenden Säkularisierung unverkennbar seien. In Erinnerung an die unzähligen Gläubigen, die über die Jahrhunderte entweder wie Bonifatius, mehr noch aber als einfache Gläubige durch ihr alltägliches Vorleben des Christentums missionarisch gewirkt haben, forderte Lehmann für die heutige Zeit einen neuen missionarischen Elan.

Am Freitagmorgen wurde in drei Vorträgen die Kirchenreform und die Beziehung des Bonifatius zu den Karolingern behandelt. Dabei untersuchte zunächst MATTHIAS BECHER (Bonn) die letzte Romreise des Bonifatius im Jahre 737/8 im Kontext der internationalen Beziehungen und der fränkischen Innenpolitik. Gregor III. erhoffte sich wohl die Unterstützung Karl Martells gegen die Langobarden, die allerdings dessen engste Verbündete waren. Möglicherweise deutete sich in den Briefen des Papstes an Karl bereits die Bereitschaft an, die Söhne Karls, der seit 737 ohne König regierte, selbst als Könige anzuerkennen, nachdem, so die These Bechers, König Theuderich IV. sich geweigert hatte, Pippin und Karlmann zu Königen zu designieren.

STUART AIRLIE (Glasgow) behandelte anschließend das Verhältnis der fränkischen Aristokratie zu Bonifatius, der mit ihr kommunizierte und ihr keineswegs nur ablehnend gegenüberstand, wie er in Ergänzung zu den Zusammenstellungen von Schipperges aufzeigte. Am Hof, den Bonifatius kritisierte und den er für moralisch gefährdend hielt, kam er nicht nur mit höchsten fränkischen Würdenträgern in Kontakt; selbst seine Kritik an falschen Priestern kann als Beitrag zum Entstehen eines christlich geprägten karolingischen Hofes gesehen werden.

Im Mittelpunkt des Vortrags von ULRICH NONN (Koblenz) standen nicht die bis heute strittigen Datierungen der Reformkonzilien, sondern die Inhalte der Reformbestimmungen und die persönlichen Intentionen des hl. Bonifatius. Das Problem der falsi presbiteri zieht sich dabei wie ein roter Faden durch den Briefwechsel des Heiligen und steht folgerichtig im Mittelpunkt des Concilium Germanicum und des Konzils von Les Estinnes, während es in Pippins erstem Konzil von Soissons spürbar in den Hintergrund tritt. Dennoch wird das Problem der castitas der Geistlichen in der Lebensführung, im Glauben und in der Glaubenslehre in der Folgezeit zu einem Grundanliegen der Reformbemühungen.

Der Vortrag von ROB MEENS (Utrecht) beschäftigte sich vorrangig mit dem Alltag der Christianisierung. Neben der Taufe bildeten Predigt und Beichte die wichtigsten Mittel seelsorgerischer Kommunikation zwischen den angelsächsischen Missionaren und der bekehrten germanischen Bevölkerung. Auch wenn sich von Bonifatius selbst keine Predigttexte erhalten haben, so können die pseudobonifatianischen Sermones einen Einblick in die Predigtpraxis im Umfeld des Heiligen liefern. Neben zentralen Glaubensfragen der Trinitäts- und Schöpfungslehre wird dort vor allem der Gegensatz zwischen Tugend (caritas, oboedientia, humilitas) und Laster (fornicatio, ira, invidia, ebrietas) und daraus folgend die Beichte thematisiert. Die aufschlussreichen Bußbücher sind in seiner Zeit auf dem Kontinent noch selten, es ist kaum festzustellen, welche Texte er benutzte. Dennoch sind die Themen der Bußbücher - Gewalt, nicht-christliche Praktiken, Speisevorschriften, Sexualverhalten – auch Gegenstand seiner Briefe. Im 9. Jh. werden, wie die Zunahme der Texte zeigt, die Bemühungen intensiviert, neue Verhaltensregeln und Normen durchzusetzen.

Am Nachmittag behandelte MATTHIAS WERNER (Jena) zunächst Bonifatius’ Tätigkeit im Raum Mainfranken/Thüringen/Hessen, der kein eigentliches Missionsgebiet mehr war, allenfalls an der Nordgrenze. Er wandte sich dorthin, weil in Friesland bereits Willibrord tätig war und ansonsten nur in Mitteldeutschland die fränkische Gewalt stark genug war, um einen Erfolg der Mission zu ermöglichen. In diesem politisch und kirchlich heterogenen Raum, der nur durch die Person des Bonifatius verklammert wurde, stützte er sich auf ein Netz von Eigenkirchen und –klöstern; Bistumspläne dürfte er spätestens seit 732 verfolgt haben, werden aber erst 741/2 klar erkennbar. Die partielle Aufhebung nach seiner Etablierung in Mainz bedeutete einen erheblichen Bruch.

STEFFEN FREUND (Jena) verglich die Aussagen von Willibalds Vita Bonifatii und der Briefe des Bonifatius über Bayern mit den Zeugnissen über die Viten der bayerischen Heiligen Rupert, Korbinian und Emmeran, die kurz nach der Mainzer Vita geschrieben wurden, und analysierte ‚causae scribendi’ und Hintergründe: Die sich in den 770er Jahren verschärfende Bedrohung der Eigenständigkeit Bayerns. Für die These, dass in diesen Viten eine eigene Geschichte der bayerischen Kirche geschrieben werden sollte, spricht unter anderem, dass für das Bistum Passau, dessen Bischofssitz nicht von Bonifatius besetzt werden konnte, weil der Inhaber noch lebte, keine Vita eines Gründungsheiligen vorliegt.

Kloster Fulda gilt allgemein als Gründung und „Musterkloster“ des hl. Bonifatius. Daher erstaunt es, so DIETER GEUENICH (Duisburg/Essen), dass die frühesten Aufzeichnungen der Fuldaer Klostergemeinschaft den aus Bayern stammenden Sturmi als ihren ersten „Abt und Gründer“ nennen. Die Gründe für diese merkwürdige Diskrepanz findet Geuenich in erster Linie im Konflikt zwischen den Bonifatiusschülern Sturmi, als Abt von Fulda, und Lul, dem Nachfolger Bonifatius’ im Amt des Bischofs von Mainz, der wesentlich durch die Entscheidung der Mönche für Sturmi entschieden wurde.

Der Vortrag von JOSEF SEMMLER (Düsseldorf) beschäftigte sich mit der Frage nach der seelsorgerischen Bedeutung monastischer Gemeinschaften irischer und angelsächsischer Prägung. Im Gegensatz zu den Gemeinschaften colombanischer Prägung, in denen seelsorgerische Tätigkeit der Mönche keine Rolle gespielt zu haben scheint, ist die Situation für die bonifatianischen monasteria in Hessen und Thüringen nicht eindeutig: In Ohrdruf überwog das monastische Element. Nachdem man sich in Fritzlar zunächst der Seelsorge annahm, stand auch dort nach dem Tod des Abtes Wigbert die Liturgie im Mittelpunkt monastischen Lebens. Die Spannungen zwischen vita monastica und Mission werden ebenso für das Stift St. Andreas in Würzburg sichtbar: Nach Burkards Tod 753 führte der Streit über die Ausrichtung zur Spaltung des Konvents. In Heidenheim scheinen Willibalds Zugeständnisse (beheizbarer Raum, Einzelzellen für Mönche) seelsorgerische Tätigkeiten begünstigt zu haben, während in Hersfeld die eremitische Lebensweise beherrschend blieb. Bonifatius’ Kloster Fulda schließlich, das von ihm als Ort der kontemplativen Ruhe und als Grablege konzipiert war, scheint ganz der Regula sancti Benedicti und dem monastischen opus Dei verpflichtet gewesen zu sein.

Das Verhältnis des Bonifatius zum Papsttum untersuchte der Vortrag des erkrankten THOMAS NOBLE (Notre Dame, USA), der von Marco Mostert verlesen wurde. Nach einer einleitenden Warnung davor, sich Bonifatius polemisch oder anachronistisch zu nähern und einem Überblick über die Forschungslage, betonte er den Einfluss, den die Päpste auf die Zielsetzungen des Bonifatius hatten. Die Päpste hätten dem zunächst unbekannten Mönch so rasch das Vertrauen geschenkt, weil sie in ihm ein in seiner insularen Romtreue einen Repräsentanten erkannten, der die Annäherung des Papsttums an den Westen und umgekehrt fördern konnte.

Die restlichen Vorträge des Tages widmeten sich der Überlieferung des Bonifatius, beginnend mit dem Vortrag von MARY GARRISON (York) über seine Briefe, in dem die Überlieferung anhand des berühmten Mahnbriefs an König Aethelbald beschrieben wurde, der als einer der wenigen Briefe des Bonifatius auch eine insulare Überlieferung besitzt. Zudem verglich sie die Briefüberlieferung mit der des Alcuin, von dem wesentlich mehr Briefe erhalten sind. Auch im Stil sind die beiden großen Angelsachsen sich unähnlich: Während Bonifatius streng die Hierarchie beachtet und nur an Individuen schreibt, wenden sich Alcuins Briefe in lockerer Form häufig auch an Gruppen.

MARCO MOSTERT (Utrecht) legte seinem Vortrag über die handschriftliche Überlieferung der Werke Bonifatius’ einen Corpus von 61 Handschriften der Werke des Heiligen zugrunde. Neben Schriften gesicherter Provenienz wurden auch Werke unsicherer Zuweisung berücksichtigt. Unter Ausschluss der Viten wurden die Grammatik (mit dem zugehörigen Kreuzgedicht), die Metrik, die Rätsel, die Briefe (einschließlich der Briefsammlung der Vita Bonifatii Otlohs), die pseudo-bonifatianischen Predigten und die so genannten Statuta Bonifatii berücksichtigt. Die Handschriften dieser Werke wurden nach Alter, Herkunft und Bibliothekszugehörigkeit befragt. Ihre kodikologische Untersuchung ergab so Einsichten in die Frage, wer, wo und wann bonifatianische Werke kopierte.

Anstelle des geplanten Vortrags von Franz Staab (Landau) über Bonifatiustraditionen im mittelalterlichen Mainz, behandelte STEPHANIE HAARLÄNDER (Mainz) die Viten des Bonifatius. Neben Fragen der Entstehung und der handschriftlichen Überlieferung standen die causae scribendi insbesondere der Vita prima, der Vita altera Radbods von Utrecht, der aus dem Stift St. Viktor zu Mainz stammenden Vita quarta sowie Otlohs Vita Bonifatii im Mittelpunkt, wobei ebenso herausgestellt wurde, welche Themen von den Viten nicht behandelt oder umgangen wurden. Die zwischen 755 und 768 im Auftrag Luls verfasste Vita prima bezeichnet Bonifatius in neutestamentlicher bzw. patristischer Tradition als Völkerapostel, sodass der Heilige seinem Nachfolger auf dem Mainzer Bistumsstuhl als Legitimationsstifter dienlich sein konnte. Bezeichnenderweise wird daher Fulda nur am Rande erwähnt. Die Vita altera vollzieht dem gegenüber einen völligen Standortwechsel: Im Sinne einer eigenen friesischen Bonifatiustradition erscheint der Heilige als ein zweiter Apostel der Friesen. Ausführlich stellt ein Augenzeugenbericht das Martyrium dar. Die Erhebung zum Mainzer Bischof erscheint völlig unvermittelt vor der Rückkehr nach Friesland. Die vielleicht als Hausüberlieferung aus St. Viktor zu Mainz anzusehende, zwischen 1011 und 1066 entstandene Vita quarta stellt den Heiligen wiederum als Sachverwalter Mainzer Interessen gegenüber dem Papst dar. Die Vita Bonifatii Otlohs vertritt schließlich dezidiert Fuldaer Interessen, indem Bonifatius in Konfrontation zu Mainz als klostereigener Patron Fuldas in Anspruch genommen wird.

In den letzten beiden Vorträgen wurde das Nachleben des Bonifatius in jüngerer Zeit thematisiert; zunächst behandelte RUDOLPH SCHIEFFER (München) auf die Wiederentdeckung des (nie ganz vergessenen) Bonifatius im 19. Jahrhundert, die sich aus drei Wurzeln gespeist habe, aus der entstehenden Geschichtswissenschaft, aus der Suche der deutschen Katholiken nach ihrer Rolle nach Ende des Alten Reichs und als Symbolfigur der deutschen Einheit. Dabei wurde er seit den 1820er Jahren zu einem Symbol der überkonfessionellen deutschen Einheit stilisiert, was besonders bei den Feiern zu seinem 1100. Todestag sichtbar wurde. Erst durch diese Entwicklung wurde Bonifatius zu einem volkstümlichen Heiligen.

Die Feiern zum 1200. Todestag des Bonifatius 1954, in der Bundesrepublik und der DDR waren Thema des Schlussvortrags von MATTHIAS PAPE (Bonn). Während die Feiern in Erfurt der dortigen katholischen Minderheit im atheistischen Staat die Möglichkeit gegeben hätten, sich zu artikulieren, versammelten sich die Katholiken in der Bundesrepublik gleich zweimal: in Fulda zur Bonifatius-Feier im Juni mit 125 000 Teilnehmern und zum Katholikentag im September, an dem 300 000 Gläubige, davon 21 000 aus der DDR teilnahmen. Die Feierlichkeiten gaben den Teilnehmern noch einmal die Gelegenheit, sich nicht nur als Angehörige der gleichen Kirche, sondern auch als „Kinder eines Vaterlandes“ zu fühlen, wie es der Bischof von Meißen, Heinrich Wienken formulierte.

Insgesamt nahmen mehr als 100 Fachleute und Interessierte an der Tagung teil, die eine Fülle interessanter Befunde vorstellte, die 2005 in einem Tagungsband veröffentlicht werden sollen.


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