Boykotte und Aussperrungen im Sport

Boykotte und Aussperrungen im Sport

Organisatoren
Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung (DSHS); in Verbindung mit der Bundeszentrale für politische Bildung
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.09.2013 - 13.09.2013
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Von
Pia Stemmermann, Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung, Deutsche Sporthochschule Köln E- Mail:

Die Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, der Sportbann gegen Südafrika und die Olympischen Spiele von 1980 in Moskau und 1984 in Montreal sind in der Vielzahl von Sportboykotten und Aussperrungen im Sport vielleicht diejenigen, welche der Öffentlichkeit am stärksten in Erinnerung geblieben sind. Bekannt geworden sind diese Boykotte der Öffentlichkeit vor allem durch ihre Darstellung in den Medien. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung markieren die Boykotte, ebenso wie die Aussperrungen im Sport, ein weitgehend unbearbeitetes Problemfeld. Um das Thema Sportboykotte und Ausschlüsse im Sport sportpolitikwissenschaftlich und sporthistorisch zu betrachten, trafen sich am 12. und 13. September 2013 im Rahmen des 5. Symposiums Sportpolitik Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Fachdisziplinen unter der Leitung von Jürgen Mittag (Köln) und Manfred Lämmer (Köln) im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets in Bochum. Inhaltlich wurden die mannigfaltigen Formen des freiwilligen Verzichts der Teilnahme an Sportveranstaltungen ebenso wie der Ausschluss von Akteurinnen und Akteuren im Sport in chronologischer und systematischer Perspektive anhand von Beispielen behandelt. Eine besondere Aktualität erhielten die Diskussionen nicht nur vor dem Hintergrund der Wahl von Thomas Bach zum Internationales Olympisches Komitee(IOC) -Präsidenten, sondern auch mit Blick auf die Entwicklungen in Russland, wo angesichts der kommenden Winterspiele in Sotschi und der russischen Gesetzgebung betreffend die „Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen“ in den Fokus gerückt ist.

Im Einführungsreferat, welches an eine Collage von Medienbeiträgen über die Sportboykotte bei den Olympischen Spielen 1980 und 1984 anknüpfte, stellte JÜRGEN MITTAG (Köln) Boykotte und Aussperrungen als Forschungsdesiderate vor, welche seitens der Wissenschaft vereinzelt, jedoch nicht systematisch Beachtung gefunden haben. Zudem wurden sie weder in Verbindung zu den Ansätzen der Protestforschung, noch zu den Studien über internationale Beziehungen gestellt, ebenso fehlt eine Auseinandersetzung mit den Wirkungen und Effekten von Sportboykotten. Auch auf englischsprachige Literatur kann nicht verwiesen werden, da diese ihren Fokus vor allem in Bezug auf die Jahre des Kalten Krieges auf die Ökonomie und das Marketing legt. Im Rahmen der sich an die Einführung anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass Boykotte und Ausschlüsse Ausdrucksformen eines Protestrepertoires sind, das sich aus Aufrufen oder dem Beschluss, sich nicht zu beteiligen, speist. Diese Maßnahmen richten sich dabei immer gegen ein Land bzw. einen Machthaber obwohl, so stellte ANDREAS HÖFER (Frankfurt am Main) heraus, das IOC die Olympischen Spiele immer an eine Stadt vergibt. Höfer zeigte durch die Darstellung der Werte, Prinzipien und Normen der Olympischen Spiele das Spannungsverhältnis zum Wertekanon der Olympischen Bewegung und des organisierten Sports auf und präsentierte so, gemeinsam mit Mittag, die grundlegenden Informationen zu den Themen Boykotte, Aussperrungen und Olympische Spiele. Weiterführend kritisierte RONNY BLASCHKE (Berlin) angesichts seiner Tätigkeit als Journalist die Berichterstattung zu den Olympischen Spielen und zeigte auf, dass es zu einem tiefgründigen Verständnis von gesellschaftlichen Konventionen kommen muss. Die Ausführungen dieser Sektion stellten die Themenfelder des Sportboykotts und der Aussperrung aus einer wissenschaftlichen und aktuellen Perspektive dar, welche zum Nachdenken anregten und weitere Fragen aufwarf: Welchen Nutzen bringen Boykotte? Können Boykotte das ablehnende Verhalten gegenüber gesellschaftlichen Kollektiven, wie Homosexuellen, reduzieren?

Das Sportboykotte nicht erst seit dem Jahre 1980 ihre Bedeutung entfalten, zeigte KARL LENNARTZ (St. Augustin) durch die Darstellung der Anfangsphase der Olympischen Spiele auf. Politisch geprägt waren diese allerdings nicht unbedingt, vielmehr erfolgten die Boykotte z.B. bei den Turnern in den Anfangsjahren der olympischen Bewegung angesichts einer anderen ideologischen Grundhaltung in Bezug auf Werte. Die hier zum Ausdruck kommende Wertedifferenz bestätigte ebenso EIKE STILLER (Kalletal) hinsichtlich der Forschung über gesellschaftliche Milieus. Er zeigte auf, dass sich der Arbeitersport vom bürgerlichen Sport abgrenzte und sich durch unterschiedliche Werte auszeichnete. Diese historische Sichtweise zeigte die Ursachen und die Gründe von Sportboykotten auf.

Diese chronologischen Darstellungen wurden durch die Ausführungen von RUDOLF OSWALD (Würzburg), MICHAEL BARSUHN (Potsdam) und MICHAEL KRÜGER (Münster) vor den Hintergründen der historischen Entwicklungen des Sportboykotts der Olympischen Bewegung an prominenten Beispielen vertieft. Oswald pointierte die Spiele 1936 als einen gescheiterten Boykott, der den Leistungsvergleich über politische und ideologische Argumente stellte. Ein Urteil über die Spiele von 1980 und 1984 fiel durch die dünne Forschungslage, welche auch durch archivische Sperrfristen bedingt ist, nicht eindeutig aus. Die Vorträge zu den Themenfeldern Moskau 1980 und Los Angeles 1984 beleuchteten in erster Linie die großen Krisen im deutschen Sport in Zeiten des Kalten Krieges. Darüber hinaus zeichneten die Referenten die Hintergründe nach, die sowohl verdeutlichten, dass neben den USA und Westdeutschland ca. 60 weitere Nationen die Spiele 1980 boykottierten, als auch, dass Teile der Friedensbewegung aus der Diskussion über die Boykotte entstanden. In der anschließenden Diskussion wurde der Konflikt über die Statuten und Bestimmungen der Spiele aufgegriffen. Der Mitorganisator der Tagung SVEN GÜLDENPFENNIG (Aachen) merkte an, dass die Charta der Olympischen Spiele ungenau wäre. Vor allem hätte das IOC nicht genug auf ihre Durchsetzung geachtet. Zeitzeuge VOLKER KLUGE (1984-1990 Mitglied des Bundesvorstandes der DDR-Sportorganisation DEUTSCHER TURN- UND SPORTBUND (DTSB)) griff die Anmerkungen von Güldenpfennig auf und schilderte dabei die historische Hintergründe, indem er darlegte, dass das IOC im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 noch nicht auf Formen der Diskriminierung eingestellt gewesen sei. Ihm zufolge wurde und wird Sport als ein Mittel gesehen um Ziele zu verfolgen. Dieser Sachverhalt fand in der Diskussion Zustimmung, Differenzen gab es hierbei über die Wirkung von Boykotten und Aussperrungen im Sport.

Ein Beispiel für den Ausschluss von Akteurinnen und Akteuren zeichneten DIETHELM BLECKING (Freiburg) und LORENZ PEIFFER (Hannover) anhand des Ausschlusses von Juden aus dem deutschen Sportsystem im nationalsozialistischen Deutschland nach. Besonders der „unschuldige“ Sport wurde erneut in Frage gestellt. Untersuchungen von Blecking und Pfeiffer ergaben, dass Turn- und Sportvereine die Exklusion von Juden (eigen-)initiativ vorangetrieben haben und somit das nationalsozialistische Regime in ihrer Tätigkeit unterstützten.

Neben den Darstellungen der historischen Forschung zum Thema Sportboykotte und Aussperrungen im Sport, bildeten aktuelle Debatten der Sportpolitik im Bezug zum System einen weiteren Fokus der Tagung. Diese erfolgten sowohl am Beispiel nationaler als auch anhand internationaler Themenfelder.

Thematisch wurde das Themenfeld der internationalen Sportpolitik durch die zwei empirisch fundierten Vorträge „Israel als Ziel von Boykotten im Sport“ von MANFRED LÄMMER (Köln) und „Der Ausschluss Südafrikas aus dem internationalen Sport“ von JAN HANGEBRAUCK (Bochum) beleuchtet, welche zwei sehr unterschiedliche Formen des Boykotts und der Aussperrung aufzeigten. Hangebrauck stellte die Bedeutung des Sportboykotts von Südafrika durch andere Nationen in Kombination mit anderen Maßnahmen als einen Grund für das Ende der Apartheid heraus. Er führte aus, dass ein Boykott des Sports im Zusammenhang mit anderen Handlungen, z.B. politischen oder wirtschaftlichen, zur Umsetzung von Zielen dienen kann. Mit Verweis auf den Ausschluss des israelischen Sports von Sportereignissen im arabischen Raum verdeutlichte Manfred Lämmer die Macht und die Wirkung von Sportverbänden wie der Union des Associations Européennes de Football (UEFA), welche 1994 die Israel Football Association (IFA) als Mitgliedsverband aufnahm.

Einblicke in die Praxis lieferte CHRISTIAN BREUER (Krefeld). Der Athletensprecher des DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) erläuterte seine persönlichen Eindrücke als Sprecher der Athletinnen und Athleten bei den Sommerspielen in Peking und stellte heraus, dass Sport als politisches Machtmittel missbraucht wird, um Ziele, die vermeintlich wenig mit dem Sport zu tun haben, durchzusetzen. Dabei erörterte er insbesondere die Situation der Sportlerinnen und Sportler bei den Olympischen Spielen, welche oft von den Entscheidungen von Verantwortlichen abhängig sind.

Diese Hintergründe spielten bei der öffentlichen Abendveranstaltung eine wichtige Rolle. Vertreterinnen und Vertreter des Sports und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus Sport und Politik diskutierten über ihre Erfahrungen und den Nutzen von Sportboykotten. Unter der Moderation von Wolf-Dieter Poschmann wurde sich den Fragen nach den Werten der Olympischen Spiele, dem Verhältnis von Sport und Politik und dem Verständnis des Sports in Deutschland gestellt. Weiterführend wurde auf die Rolle der Athletinnen und Athleten als mündige Staatsbürgerinnen und Staatsbürger eingegangen. Hierbei konnten Imke Duplitzer (Degenfechten) und Christan Breuer (Eisschnelllaufen) von ihren Teilnahmen bei den Olympischen Spielen berichten. Kritisch wurden die Olympischen Spiele, als ein „Franchise Unternehmen“ bezeichnet, welches Emotionen und ein Märchen verkaufen würde. Die Olympischen Werte seien dabei notwendig, um dieses Märchen zu vermarkten Als weitere Zeitzeugen stellten Heiner Henze (ehem. Generalsekretär des NOK für Deutschland), Volker Kluge (ehem. Präsidiumsmitglied und Pressechef des NOK der DDR) und Horst Meyer (Mitglied des NOK 1976-2006, Olympiamedaillengewinner im Rudern 1964 und 1968) die politischen Hintergründe besonders im Bezug auf die Konflikte zwischen der DDR und der BRD da. Der ehemalige Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag Peter Danckert fasste die einheitliche Meinung der Vertreterinnen und Vertreter zusammen, indem er einen Boykott als „stets schlechteste Maßnahme“ bezeichnete.

Starke Resonanz erhielt der Vortrag von Sven Güldenpfennig, welcher eine Neujustierung des Sports in der Gesellschaftspolitik fordert. Die zentrale Frage, vom Mitorganisator der Tagung Michael Groll (Köln) zusammengefasst, was der Sport leisten kann und wo die Grenzen seiner Macht, wird in absehbarer Zeit die Forschung beeinflussen. Durch die Auseinandersetzung mit dieser Frage könnten sowohl historische Fragestellungen untersucht werden, als auch Entwicklung und Einflüsse auf den Sport der Zukunft gesehen werden.

Die Tagung „Boykotte und Aussperrungen im Sport. Sport und Politik im Widerstreit“ zeigte insgesamt betrachtet ein Forschungsfeld auf, welches in der Wissenschaft bisher zu wenig Beachtung gefunden hat. Im Besonderen hat bisher eine zu geringe Auseinandersetzung mit den Quellen stattgefunden. Die Tagung gab hierzu Anregungen und Hinweise, an welchen Stellen eine wissenschaftliche Auseinandersetzung notwendig ist. Die Überlegungen zu den Werten des Sports und der Olympischen Spiele wird hierbei ebenso im Fokus der Wissenschaft bleiben, wie die Frage nach der Autonomie des Sports und seiner Wirkung, im Bezug auf die Umsetzung von (politischen) Zielen. Die Tagung kann als ein erster Zugang zur Bandbreite des Themenfeldes Boykotte und Aussperrungen im Sport, welche durch praktische Beispiele an Tiefe gewann, verstanden werden. Als wichtigstes Tagungsergebnis kann die Erkenntnis der Notwendigkeit einer systematischen Auseinandersetzung mit dem Thema gesehen werden.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Eröffnung
Stefan Berger (Bochum): Direktor des Instituts für soziale Bewegungen im Haus der Geschichte des. Ruhrgebiets

Sportboykotte und -ausschlüsse als wiss. Themenfeld

Jürgen Mittag (Köln): Begriffliche und konzeptionelle Annäherungen: Sportboykotte, -ausschlüsse und -streiks im Überblick

Andreas Höfer (Deutsche Olympische Akademie): Boykotte und Ausschlüsse im Sport aus der Sicht der olympischen Prinzipien

Ronny Blaschke (Berlin): Empörung statt Aufklärung? Die Rolle der Medien

Leitung: Manfred Lämmer (Köln)

Historische Erfahrungen: Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts

Karl Lennartz (St. Augustin): Sportboykotte in der Anfangsphase der Olympischen Spiele

Eike Stiller (Kalletal): Zwischen Vorreiterrolle und Verweigerungshaltung: Arbeitersport im Wandel der 1920er- und frühen 1930er-Jahre

Rudolf Oswald (Reichertshofen): Der gescheiterte Boykott? Die Spiele von 1936

Leitung: Walfried König (Köln)

Internationale Dimensionen: Die Beispiele Südafrika, Israel und China - Wirkungen und Grenzen von Sportboykotten seit den 1960er-Jahren

Manfred Lämmer (Köln): Israel als Ziel von Boykotten im Sport

Jan Hangebrauck (Köln): Der Ausschluss Südafrikas aus dem internationalen Sport

Christian Breuer (Krefeld): Athleten und Spieler im Spannungsfeld von Sport und Moral

Leitung: Niclas Stucke (Wuppertal)

Öffentliche Podiumsdiskussion mit Film- und Toneinspielungen im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets - Wenn Sport zu Politik wird: Olympiaboykotte - Erfahrungen und Perspektiven

Heiner Henze (ehem. Generalsekretär des NOK für Deutschland)

Volker Kluge (ehem. Präsidiumsmitglied und Pressechef des NOK der DDR)

Peter Danckert (ehem. Vorsitzender des Sportausschusses des Dt. Bundestages)

Horst Meyer (Mitglied des NOK 1976-2006, Olympiamedaillengewinner im Rudern 1964 und 1968)

Imke Duplitzer (Olympiateilnehmerin im Degenfechten 1996-2012)

Christian Breuer (Athletensprecher DOSB und Olympiateilnehmer im Eisschnelllauf 1998 und 2002)

Moderation: Wolf-Dieter Poschmann

Olympiaboykotte und der Wettbewerb der Systeme im Kalten Krieg

Jutta Braun (Potsdam): Die geteilte Stadt Berlin und Sportboykotte

Michael Barsuhn (Potsdam): Moskau 1980

Michael Krüger (Münster): Los Angeles 1984

Leitung: Georg Anders (Köln): Akteure und Auswirkungen von Sportboykotten

Akteure und Auswirkungen von Sportboykotten

Wolfgang Buss (Göttingen): Boykotte, neue soziale Medien und Fußball

Diethelm Blecking/Lorenz Peiffer (Freiburg/Hannover): Sport im ‚Jahrhundert der Lager‘

Sven Güldenpfennig (Aachen): Sport versus Politik? Zur Rechtfertigung der politischen Neutralität von internationalen Sportereignissen

Leitung: Jörg-Uwe Nieland (Köln)


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