Madness on Stage - Staging Madness. Techniken der Inszenierung von ‚Krankheitsbildern‘ und ‚Gefühlstönen‘

Madness on Stage - Staging Madness. Techniken der Inszenierung von ‚Krankheitsbildern‘ und ‚Gefühlstönen‘

Organisatoren
Alexander Friedland / Rainer Herrn / Sophie Ledebur, DFG-Forschergruppe „Kulturen des Wahnsinns. Schwellenphänomene der urbanen Moderne 1870–1930“
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.06.2013 - 08.06.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Anne-Julia Schoen, DFG-Graduiertenkolleg „Geschlecht als Wissenskategorie“, Humboldt-Universtität zu Berlin / School of Arts and Humanities, King’s College London

Ziel des Workshops „Madness on Stage - Staging Madness“ war es, den vielfältigen Verbindungen zwischen Psychiatrie, Kunst, Technik und Öffentlichkeit in den Darstellungs- und Visualisierungsstragien des Wahnsinns um 1900 aus einer interdisziplinären Perspektive nachzugehen. Wie Sophie Ledebur in ihrer programmatischen Einführung hervorhob, sollten verschiedene Übergangsphänomene und Interdependenzen zwischen sich wandelnden Forschungs- und Darstellungsmethoden in der Psychiatrie, wie sie um 1900 auszumachen gewesen seien, vorgestellt und diskutiert werden. Dabei interessierten vor allem die Versuche, mit gegenseitigen Anleihen aus Kunst, Theater und Literatur, „unsichtbare“ Zeichen der Seele ins Sichtbare zu überführen und die bisher praktizierte beschreibende Beobachtung um visualisierende Verfahrensweisen zu ergänzen. Das besondere Augenmerk bei allen Beiträgen der Konferenz läge, so Ledebur, auf der Frage, inwieweit diese Methoden nicht nur verborgenes Wissen um die Komplexität des menschlichen Verhaltens aufdeckten und vermittelten, sondern sogar generierten und neu gestalteten.

Der Workshop war eingeteilt in die drei interdependenten Sektionen „erkennen“, „inszenieren“ und „visualisieren“, deren vielfache Durchkreuzungen es zu ergründen galt. Im Zentrum standen dabei Fragen nach der Anwendung neuer Techniken zu diagnostischen, didaktischen aber auch therapeutischen Zwecken in einem wissenschaftlichen Kontext, sowie deren außerdisziplinäre Rezeption durch Kunst und Öffentlichkeit. Dass es sich bei dem Transfer um keine Einbahnstraße handelte, als vielmehr um Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Wissensräumen, war eine Ausgangsthese, deren Dimensionen und Konkretionen in den Beiträgen nachgegangen werden sollte.

Im ersten Panel der Sektion zum „Erkennen“ standen psychiatrische Darstellungspraktiken und Verschriftungstechniken im Zentrum. YVONNE WÜBBEN (Bochum/Wien) unterschied in ihrem Beitrag „Conveying Knowledge. The Rise of Psychiatric Textbooks in Late 19th Century Germany“ am Beispiel verschiedener Auflagen von Emil Kraepelins Psychiatrie-Lehrbuch (1883-1927) drei Funktionen: das Speichern (Archivieren), die Generierung (Forschung) und die Vermittlung (Schulebildung) von Wissen. Kraepelins klinisch inspirierter Ansatz strukturierte den Aufbau seines Lehrbuchs.

Um C.G. Jungs Verwendung von Mandalas als „Diagramme des Unbewussten“ ging es im Beitrag von INGRID KLEEBERG (Hannover). In Absetzung von Freuds sprachfokussiertem Deutungsansatz versprach sich Jung von Mandalas, begriffen als visualisierendes Diagnoseinstrument und therapeutische Intervention zugleich, als „Reisetagebuch ins Unbewusste“ einen authentischeren, weil spontanen Zugang zu Seelenprozessen. Probleme der Ausdeutung und der nachträglichen Ästhetisierung dieser Bilderserien kulminierten schließlich in der Frage, was auf ihnen eigentlich zu sehen sei und welcher klinische Stellenwert solchen Darstellungen eingeräumt werden könnte. Über die Verbindungen zur Art Brut und écriture automatique und dem Surrealismus wurde diskutiert.

RUPERT GADERER (Bochum) stellte den als „Seismographen des Weltgeistes“ bekannt gewordenen Autor Hermann Bahr und sein Stück „Der Querulant“ von 1914 vor. Gaderer fragte „nach den Bedingungen der Möglichkeit des Auftauchens“ des „Querulantenwahnsinns“ in Theater, Psychiatrie und Recht, nach den „Verknüpfungen dieser Wissensfelder“ und schließlich nach den „Konvergenzen und Divergenzen“ seiner „Ereignis- und Enthüllungsprotokolle“. Unter Querulanz verstand man ein Verhalten, dass sich im exzessiven Schreiben an Behörden und Gerichte ausdrückte. Bahr lässt seinen unglücklichen Protagonisten ein Tier töten und schließlich persönlich vor Gericht erscheinen. Sein Stück erscheine als erfolgreiche Darstellung des Versagens von Gerichtsbarkeit und als Kritik an der Hilflosigkeit, wenn Menschen exzessiven Gebrauch von ihrem Recht machen wollen.

RAINER HERRN (Berlin) fokussierte in seinem Beitrag „Der demonstrierte Wahnsinn – Die Klinik als Bühne“ auf die klinische Demonstration als eine in Lehre und Forschung zwar prominente, aber diskursiv unterbelichtete Visualisierungspraxis des Wahnsinns. Auf der Basis historischer Krankenakten beschrieb er den inszenatorischen Charakter dieser Art der Wissensvermittlung, welche sich bei der Auswahl „geeigneter“ Patienten, beim Ablauf der Demonstration auf der klinischen Bühne, wie auch bei der Hervorbringung der gewünschten Krankheitszeichen zeige. Letztere beruhten auf komplexen Interaktionen zwischen Demonstrierenden und Demonstrierten, die konkrete ärztliche Regieanweisungen umfassten, wie auch ein regelrechtes Einstudieren der Patientenrolle.

In seinem kenntnisreichen Kommentar suchte ERIC ENGSTROM (Berlin) weniger nach den Verbindungslinien zwischen den vier medien-fokussierten Beiträgen, sondern plädierte dafür, deren historische Einbettungen zu schärfen. In Wübbens Beitrag vermisste er die didaktische Perspektive, aus der heraus Kraepelin das Lehrbuch komponierte. Für Kleebergs Ansatz schlug er aufgrund von Jungs experimentalpsychologischer Ausrichtung vor, einen engeren Bezug zwischen kurrenten „Theorien der Psyche“ und Bildpraktiken herzustellen. In Bezug auf Gaderers Vortrag könnte auch nach Analogien zu nicht schriftlichen, aber gleichwohl häufigen Formen des Widerstandes psychiatrischer Patienten, wie Schweigen, Schreien oder Schlagen gefragt werden. Für Herrns Beitrag schlug Engstrom eine stärkere Berücksichtigung der „Funktionen“ der klinischen Demonstration in der „weitverzweigten Gesundheits- und Berufspolitik“ vor.

Die zweite Sektion zum Inszenieren von Wahnsinn verhandelte Wechselbeziehungen von Kunst und Wissenschaft. GABRIELE DIETZES (Berlin) Vortrag über den vorsätzlichen Wahnsinn der Dadaisten um 1920 in Berlin beleuchtete die Verarbeitungen psychiatrischen und psychoanalytischen Wissens zur „Kriegsneurose“ auf der Bühne. Einige Dada-Aktivisten hatten Erfahrungen mit der Kriegspsychiatrie und konterkarierten nun deren Praktiken und Symbolik (z.B. die emblematische Verwendung der Elektrizität bei Heartfield und Kraus) mit der Kriegsrealität. Lautgedichte, Trommeln, Maske und kalkulierte Tumulte waren ihre Antwort „auf die sinnleere Massenvernichtung des Krieges“. Sie imitierten Schlachtenlärm, simulierten die Symptomatik der Kriegsneurose und attackierten das Publikum, um es „in eine kritische Haltung zu schocken“.

ERIC SAVOTH (Berkeley/Berlin) analysierte das Heranziehen von Gerhart Hauptmanns Theaterstück „Die Weber“ als kriminologisches Fallbeispiel durch Erich Wulffen. Der Kriminologe übertrage in seinem Werk nicht einfach Lombrosos Konzept des politischen Verbrechers auf fiktive Figuren. Nach Georg Lukács bedürfe das moderne Drama der Überspitzung durch die Pathologisierung seiner Charaktere, die in der Moderne uniform und austauschbar geworden wären, um ihnen wieder Individualität zu verleihen. Wulffen, dessen Rolle zwischen der des Wissenschaftlers und des von den ästhetischen Konventionen seiner Zeit geprägten Zuschauers oszilliere, könne gar nicht anders, als „Die Weber“ zu pathologisieren. Indem er sie als Beispiel seiner Kriminalanthropologie wählte, wirke die zeitgenössische Ästhetik umgekehrt auf seine Theorie zurück.

JULIA BARBARA KÖHNE (Wien) ging der filmischen Konstruktion der Figur des Kriegshysterikers in Frankreich und Deutschland nach. Die wissenschaftliche Kinematographie knüpfte dabei, wenngleich sie für sich in Anspruch nahm, Realität abzubilden, stark an Inszenierungs- und Visualisierungstechniken des Theaters, des Balletts und der Mode an. Dies demonstrierte sie an bisher im deutschsprachigen Raum kaum wahrgenommenen Filmen französischer Psychiater. Als Besonderheit jener Filme, insbesondere im Vergleich zu den deutschen, die Heilung in den Mittelpunkt stellenden Filmen, hob sie hervor, dass die französischen Aufnahmen die Kontinuität der Symptome und den Status der Patienten als „Verwundete des Krieges“ zeigten. Diskutiert wurde die Frage des intendierten und tatsächlichen Publikums solcher Filme, wie auch die Analogien der Unterschiede in der medialen Konstruktion und des realen diagnostischen, therapeutischen und gesellschaftlichen Umgangs mit den Patienten.

Auch MARTINA WERNLI (Würzburg) beschäftigte sich mit klinischen Demonstrationen, die im Unterschied zur Charité in der Schweizer Klinik Waldau (Bern) nicht systematisch dokumentiert wurden. Exemplarische Mitschriften erlaubten jedoch tiefere Einblicke in die theatralen Techniken der Patientendemonstrationen. Besonders prägnant wurden das interaktive Moment der Demonstrationen und der kollektive Charakter des Wissensaustausches herausgearbeitet.

In der dichten Beschreibung eines niemals aufgeführten Theaterstücks von Salvador Dalí, ging CHRISTIAN SAUER (Salzburg) dem „Wandern von Bildern“ zwischen Kunstgeschichte, Medizin, Psychoanalyse und Theater nach. In seinem Beitrag erschien „Tristan Fou“ (1938) als Re-Inszenierung der Hysterie, indem Dalí ihre Symptomatik, insbesondere den Wechsel von Bewegung und Starre, zu tragenden Elementen seiner Aufführung machte und diese mit seiner surrealistischen Interpretation von Jean-François Millets Gemälde „Angelusläuten“ verband. Wie in anderen Beiträgen wurde auch hier auf den scheinbar parasitären Gebrauch „wissenschaftlichen“ Wissens für die Kunst verwiesen.

In seinem Kommentar wünschte sich UFFA JENSEN (Berlin) eine stärkere Betonung der Rückkopplungseffekte zwischen den verschiedenen Wissensräumen (z.B. anstaltsintern, -extern) und -kulturen (z.B. Psychiatrie, Psychoanalyse) um den Bedarf nach solchen Inszenierungen weitergehend zu klären. Für deren Verständnis sei es wichtig, die ‚Eigenlogiken‘ der jeweiligen Genre (Theater, Drama, Film), wie auch die jeweiligen gesellschaftspolitischen Funktionen der Inszenierung zu bedenken.

Abends präsentierte die Kultur- und Medienwissenschaftlerin CÉLINE KAISER (Bochum) im Medientheater ihre gemeinsam mit Studierenden konzipierte multimediale Ausstellung zu verschiedenen Formen der Theatrotherapie und markierte unterschiedliche szenische Interventionen. Im Anschluss stellte sie mittels eines Papiertheaters nach einem Text Johann Christian Reils die Reise in ein Sanatorium nach.

Die Beiträge der Sektion „Visualisieren“ wurden von einer Videoarbeit der Performancekünstlerin HELEN FOLLERT (Berlin) begleitet. Eingangs und in den Pausen präsentierte sie „Kontorsionen“, eine Studie, die die Schwierigkeit der Repräsentation von Realität aufzeigte.

NICOLAS PETHES (Bochum) stellte die Frage nach der Inszenierung des Wahns an die Medien ihrer Visualisierung. Die Gedankenphotographien und Aufzeichnungen von Halluzinationen durch Hippolyte Baraduc, Louis Darget und Ludwig Staudenmaier markieren nicht nur eine Schnittstelle zwischen spiritistischen Deutungen und dem Realismus neuer Aufzeichnungstechniken. Ihr Anspruch innere Vorgänge sichtbar zu machen zeige, dass die mediale Inszenierung des Wahns von seinen Grenzüberschreitungen affiziert wurde. In dem epistemologischen Feld von Technik, Esoterik und Spiritismus wird deutlich, dass ein Erfassen dieser Phänomene nicht nur an ihrer mangelnden Evidenz, sondern, wie am Fallbeispiel Staudenmaiers ausgeführt, auch an den Diskursregeln der Psychiatrie scheitern konnte.

Der Vortrag von KATRIN PILZ (Brüssel/ Wien) befasste sich mit der Darstellung des Dysfunktionalen in frühen medizinischen Filmen. Die vielfach faszinierende kinematographische Registrierung bislang schwer fassbarer Zeichen zielt auf eine ent-individualisierte Kategorisierung von Krankheitsbildern, welche Grundlage eines visuell-narrativen Wissensarchivs werden sollten. Anhand der Aufnahmen der belgischen Neurologen Van Gehuchten und Bogaert und des Psychologen Decroly wurde die Nähe zur Spielfilmpraxis deutlich (z.B. Verwendung von Statisten, Analogie zu modernem Tanz). Das medizinisch-kinematographische Bild wollte sie als Akteur verstanden wissen.

Im folgenden Beitrag von SOPHIE LEDEBUR (Berlin) wurden drei, zwischen 1920 und 1936 von Medizinern produzierte Filme zur Hypnose vorgestellt. Das Streben, die Hypnose als wissenschaftliches Verfahren zu etablieren und vom Verdacht des Okkultismus zu bereinigen, spiegelt sich in einem obskuren Oszillieren zwischen wissensvermittelnder Vorführung und Praktiken des Varietés. Die kalkulierte Überraschung erwies sich den Vorführungen der Hypnose auf der Schaubühne wie in der Wissenschaft gleichermaßen inhärent. Die Spannung zwischen Manipulation und Evidenz inspirierte in der anschließenden Diskussion Fragen zur Ähnlichkeit von Affekterzeugung im Spielfilm und die hypnotischen Wirkungen des Films selbst.

MIREILLE BERTON (Lausanne) interessierte die Frage, wie der Kinematograph als Dispositiv des Sehens und Hörens als epistemologisches Modell der Halluzination verstanden werden kann. So wurde das mentale Bilder produzierende Subjekt als Apparat angesehen und in Analogie zu einem Geschehen auf der Leinwand gebracht. Die Komplizenschaft zwischen bewegten Bildern und Halluzinationen prägte rückwirkend die theoretischen Entwürfe halluzinatorischer Phänomene. Umgekehrt bewirkte dies auch eine Pathologisierung der Kinoerfahrung selbst.

VERONIKA RALL (Zürich) spitzte in ihrem Vortrag über „Das Andere der Vernunft im Spielfilm um 1900“ die These, dass Praktiken des Films nicht nur die Herstellung von Wissen beeinflussen, sondern auch konstitutiv bedingen, für den Gegenstand des Psychischen auf einen spezifischen „Denkstil“ des Kinos zu. Der Film und sein Erleben im Kino vermögen die Erfahrung der Unvernunft zu integrieren und damit ein subjektives modernes Selbstverhältnis zu stabilisieren. So eröffne erst das Kino einen subjektiven wie individuellen Zugang zum Innenleben. Dieser letzte Beitrag ging verstärkt auf die technischen Möglichkeiten des Films, die Komplexität gemischt-sensorischer Wahrnehmungen durch Mehrfachbelichtung, stop motion, verschobene Proportionen und andere Effekte ein. Hier imponierte das Irrationale als Alterität und integrierte im Sinne Gilles Deleuzes die Eröffnung eines „Undenkbaren im Denken“.

MARGARETE VÖHRINGER (Berlin) plädierte in ihrem abschließenden Kommentar, die einzelnen Verfahren, also das Technische des „Stagings“ in den Mittelpunkt zu stellen. So sei es fruchtbar, Praktiken der Visualisierung von Geisterfotografien und mit denen der empirischen Forschung zu vergleichen. In Bezug auf die medizinischen Lehrfilme ließe sich fragen, ob die medialen Inszenierungen als Dispositive medizinischer Macht, oder vielmehr als Machtlosigkeit zu interpretieren sind. Im Weiteren sei das Augenmerk darauf zu richten, ob eine Verfilmung von Hypnose nicht selbst das Publikum in einen hypnotischen Bann zog, somit Medium und Sujet ineinander fielen. Die Umkehrbarkeit der Referenzen, wie im Falle der Halluzination als Modell für das Kino, wie auch die als genuines Filmwissen analysierte Darstellung des Psychischen im Kino, die auf die Selbstreflexion des modernen Subjekts ziele, verweisen, so Vöhringers These, auf einen Zusammenhang des Experimentallabors der Moderne mit dem Experimentallabor von Psychologie und Psychiatrie.

Was hat es nun mit dem Austausch bzw. der Abhängigkeit von Wissenschaft und Kunst, also der Beobachtung der zunehmenden Verwissenschaftlichung, das heißt, „Pathologisierung“ der Kunst und der Ästhetisierung der Wissenschaft im Zuge der Ausdehnung auf das Unsichtbare auf sich? Die Teilnehmenden waren sich über die Notwendigkeit einig, die historischen Quellen in Hinblick auf die mediale Rezeption noch eingehender zu befragen. Auf die Widerständigkeit der Zuschauenden wie PatientInnen wurde in manchen Beiträgen zwar eingegangen, biete aber weiteres analytisches Potential. Zudem sind viele „Bilder“ weder werk- noch rezeptionsästhetisch hinreichend analysiert worden. Nach einem Exkurs zu Phänomenen des Infotainment und der Populärwissenschaft als Annäherung zwischen Experten und Publikum, stimmten die Teilnehmenden darin überein, dass der Workshop interessante Fragen aufwarf. Dort aufgezeigte thematische und methodologische Querverbindungen dürften zu weiteren Forschungsvorhaben anregen. Eine Beschränkung der Anzahl der Beiträge und eine Bündelung ähnlicher Ansätze hätten – eventuell auf Kosten der Diversität – mehr Raum für Diskussionen und gemeinsame Reflektion geboten. Zu konstatieren ist die Absenz der PatientInnen-Perspektive und die Dimension individuellen Leidens. Andererseits verriet schon der Titel der Tagung das starke Interesse an der Technik des Handelns wissenschaftlicher und künstlerischer AkteurInnen. Die von ihnen betriebene Wissensgenerierung, -speicherung und -vermittlung ist untrennbar mit dem Aufrechterhalten von institutionellen und sozialen Machtgefällen verbunden. Als Fazit dieser Tagung bleiben vielmehr facettenreiche Erkenntnisse und Einsichten über die Durchlässigkeit der Verflechtungen von Wissenschaft und Kunst.

Konferenzübersicht:

Erkennen

Yvonne Wübben: Conveying Knowledge. The Rise of Psychiatric Textbooks in Late 19th Century Germany

Ingrid Kleeberg: Diagrammatik des Unbewussten. Die Visualisierungspraktiken der Analytischen Psychologie Carl Gustav Jungs

Rupert Gaderer: „Mein Recht muss mir doch werden!“ H. Bahrs Der Querulant 1914/1970

Rainer Herrn: Der demonstrierte Wahnsinn – Die Klinik als Bühne

Inszenieren

Gabriele Dietze: ‚Simulanten des Irrsinns am Vortragspult‘. Dada, Krieg und Psychiatrie, eine Theaterkritik

Eric Savoth: The Stage as Anthropological Experiment: Literary Texts and Scientific Knowledge in Erich Wulffen’s Criminology

Julia B. Köhne: Männliche Hysterie auf dem Schirm. Visuelle Narrationen und Theatralität in militärpsychiatrischen Filmen des Ersten Weltkriegs

Martina Wernli: „Wer ist gescheiter, Ihr oder ich?“ Wissensinszenierungen in Notaten Klinischer Vorstellungen um 1900

Christian Sauer: Re/Staging Hysteria & Paranoia. Performative Spiegelungen Charcots und Freuds in den Theaterinszenierungen von Salvador Dalí

Céline Kaiser: Stationen einer Ausstellung: Szenische Intervention seit dem 18. Jahrhundert

Visualisieren

Helen Follert: Kontorsionen (Videoarbeit)

Nicolas Pethes: Gedankenphotographie. Halluzination, Wissenschaft und Medientechnologie bei Hyppolite Baraduc, Louis Darget und Ludwig Staudenmaier

Katrin Pilz: ABNORMAL MOTION - the dis-functional displayed in early medical films

Sophie Ledebur: Ein Blick in die Tiefe der Seele. Hypnose im frühen medizinischen Film

Mireille Berton: Psychiatrie und Kino um 1900: der halluzinierte Zuschauer?

Veronika Rall: Die kinematografische Selbstreflexion: Das Andere der Vernunft im Spielfilm um 1900


Redaktion
Veröffentlicht am