Raum. Neue Ansätze für die Erforschung von Militär, Krieg und Gewalt in der Neuzeit

Raum. Neue Ansätze für die Erforschung von Militär, Krieg und Gewalt in der Neuzeit

Organisatoren
Christoph Nübel, Berlin; Peter Lieb, Sandhurst; Deutsches Komitee für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.06.2013 - 15.06.2013
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Von
Marcel Kellner, Potsdam

In den Räumen der Humboldt-Universität zu Berlin veranstaltete das Deutsche Komitee für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges seine Jahrestagung am 14. und 15. Juni 2013 unter dem Titel „Raum. Neue Ansätze für die Erforschung von Militär, Krieg und Gewalt in der Neuzeit“. Das Programm versprach mit seinen vier Panels die „Raum“-(Be-)Greifung „in der militärischen Wahrnehmung“, als „Gewalträume und Gewalterfahrungen“, „in der militärischen Planung“ sowie ihre Konkretisierung im Ort der „Schlachtfelder“. Die so zu vermutende vielfältige Wendung des häufig unterdeterminierten „Raumes“ weckte hohe Erwartungen an das Tagungsprogramm.

In seiner Einführung verwies CHRISTOPH NÜBEL (Berlin) auf „den Raum“ als historische Grundkategorie, die ebenso wie andere Aspekte erst spät in den Fokus der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft rückte. Die „Raum“-Auffassung der neueren Militärgeschichte beschrieb er eindrücklich mit dem hermeneutischen Problem der „Raumfalle“. Diese wirke als deterministische Komplexitätsverkürzung, welche im Umkehrschluss die Frage nach der Materialität des „Raumes“ geradezu erzwinge. Eine Dichotomie des „Raum“-Begriffes als analytischem Modell und Quellenbegriff verortete Nübel in vier Forschungsfeldern: Die Bezugnahme des Militärs auf den (zutiefst materiellen) physisch-geografischen Raum grenze sich demnach ab von einer „Historiografie der Raumordnungen und -praktiken“, wobei letztere in ihrer topografischen Funktion von der Anwendung militärisch relevanter Prinzipien der Raumordnung geprägt sei. Des Weiteren beschrieb Nübel die „Geschichte des Raum-Machens“, in deren akteurszentrierter „Raum-Konstruktion“ wieder das Militär als „größter Raum-Produzent der Neuzeit“ zu sehen sei. In der vierten Kategorie der „Raumwahrnehmung und -deutung“ manifestiere sich letztlich über die Trennung des Eigenen vom Fremden der Konnex von „Identitäten und Raumbildern“. „Erinnerung hat einen Anker im Raum“, so Nübel zum Abschluss seiner Ausführungen.

Zu Beginn des ersten Panels, unter der Leitung von BIRGIT ASCHMANN (Berlin), stand KATRIN BRÖSICKEs (Rostock) Beitrag zur „Raumerfahrung im spanischen Unabhängigkeitskrieg (1806-1814)“. Brösicke fokussierte, vom „Krieg als Transportmittel für Wissenskontakt“ ausgehend, die veröffentlichten Selbstzeugnisse deutschsprachiger Kriegsteilnehmer als historisch-politische Quellen. Die Analyse zeigte laut Brösicke den „Raum“ als genuin „von menschlicher Hand gerichtete Landschaft“, die über mannigfaltige Funktionen und Bedeutungsebenen „in spezifische Sinnhorizonte eingebunden“ sei und in ihrer narrativen Konstruktion einem Paradigma „zur Darstellung der Überwindbarkeit der Natur“ entspreche. Die politisch-kulturelle Dimension von derart metaphorisch aufgeladenen Raumbeschreibungen hätte zur „Öffnung kultureller (Denk-)Räume“ beigetragen. Im damit einhergehenden „zeitübergreifenden Wissenstransfer“ erlange, Brösicke zufolge, die jeweilige „Raum“-Perspektive eine entschlüsselnde Funktion für die ihr zugrundeliegenden Sinnhorizonte und die daraus hervorgehenden „Fremdbilder und Raumvorstellungen“.

Im Anschluss folgte AXEL ZUTZS (Berlin) ausführlicher Beitrag über die offiziell mit der Umgestaltung besetzter Gebiete beauftragten „Landschaftsanwälte“ zwischen Oktober 1939 und Dezember 1944. Anhand der in diesem Zeitraum erschienenen „Rundbriefe“ erörterte Zutz einen sich nationalsozialistisch verbrämenden Wissenschaftsdiskurs. Die perzeptive Aneignung okkupierter „Räume“ basierte auf deren angeblicher zivilisatorischer Leere, mit der die „Schaffung konstruierter ‚deutscher‘ Räume‘“ zum Zwecke einer kulturellen „Säuberung“ begründet worden sei. Eine so zum Mittel der Herrschaftsausübung deformierte (und sich selbst deformierende) „Raum“-Gestaltung nutzte folglich den mentalen Raum des „Feindeslandes“ zu dessen ideologischer und militärischer Nutzbarmachung.

MARC HANSENS (Flensburg) Ausführungen legten den Schlachtenbegriff als mögliche terminologische Rahmensetzung und Indikator von hochkonzentrierter Gewaltausübung nahe. In der komparativen Betrachtung der Kampferfahrungen von Wehrmachts- und Bundeswehrsoldaten erkannte Hansen einen vergleichbaren Einfluss erschwerter Einsatzbedingungen. Die enge Verknüpfung des Deutungsraumes mit der legitimatorischen Sinnstiftung des Einsatzes löse sich in der Akteursperzeption weitestgehend auf. Gleichzeitig erkannte Hansen in der semantisch-ausweichenden Defensivkonstruktion von Tötungsbeschreibungen die Aufrechterhaltung zivilisatorischer Deutungsmuster. Grundsätzlich jedoch eröffne „der Referenzrahmen ‚Krieg‘ […] Deutungsräume, die es im Frieden nicht gibt“. Trotz der für Bundeswehrsoldaten problematischen Quellenlage konstatierte er die Zeitgebundenheit von soldatischer Kampferfahrung, die letztlich vom situativen Kontext der „Schlacht“ stärker als von der individuellen Sozialisation des Akteurs geprägt sei.

DOROTHEE BRANTZ (Berlin) hinterfragte in ihrem Kommentar zu diesem Panel die „widersprüchliche Dimension“ einer landschaftlich-kulturell definierten „Heimat“ sowie die Periodisierung des Gewaltraumes „Krieg“ in Bezug auf dessen Perzeption. Die Immaterialität der Begriffe „Natur“ und „Raum“ kontrastiere den als Handlungs- und Wahrnehmungsraum materialisierten „Krieg“, so Brantz. Sie forderte ein „Denken in Zeiträumen“, da die weiterführende Frage nach der Reichweite des Horizontes jedweder Kriegserfahrung stets auch in die Erfahrungsräume des jeweils letzten Krieges einbeziehen müsse. Die anschließende Diskussion warf zudem Fragen zur kulturellen Sozialisation als perzeptivem Filter, der Verortung genereller Städtebau-Entwicklungen in den Kriegsjahren sowie dem potentiell quellenbasierten Wissensstand zum „tatsächlichen Landschaftsbild“ auf.

Das zweite Panel der „Gewalträume und Gewalterfahrungen“, moderiert von ROLF-DIETER MÜLLER (Potsdam), eröffnete DIERK WALTER (Hamburg) mit dem „Raum als Feind in der Gewaltgeschichte der europäischen Expansion“. Die Kolonisatoren hätten fremde Territorialräume lediglich als „Projektionsfläche der eigenen Machbarkeitsfantasien“ wahrgenommen, so Walter. Folglich sei die von Walter beschriebene Totalisierung der Kolonialkriegsführung ein Resultat „der Relation von Zeit, Raum und Erfolg des Vorgehens“ gewesen, die in zunehmendem Maß die Grenzen des kolonialherrlichen Überlegenheitsbewusstseins offenbart hätte. Der die (Guerilla-)Kriegsführung indigener Kräfte begünstigende Raum wurde mit eben diesen verbunden, die Natur selbst sei in das Feindbild der Kolonisatoren integriert und somit der fremde Raum in mehrfacher Hinsicht zum „feindlichen Raum“ deklariert.

RÜDIGER OVERMANS (Freiburg) referierte anschließend seine statistische Untersuchung von Gefangenen- und Gefallenenzahlen unter besonderer Berücksichtigung des Zeitpunktes und Ortes der Gefangennahme. Korrelativ dazu betrachtete Overmans die Einberufungszahlen sowie deren Verteilung auf die Heeresgruppen. Sein Ergebnis: Die räumliche Verteilung bestimmte primär das potentielle Risiko der Gefangennahme. Die Überlebenswahrscheinlichkeit hingegen sei wesentlich vom Zeitpunkt der Gefangennahme abhängig gewesen. Aufgrund der unzureichenden Quellenlage konnte Overmans in seiner Berechnung weitere zentrale Faktoren wie die Frage jungen oder hohen Lebensalters sowie räumlicher Veränderungen des Einsatzes oder der Gefangenschaft nicht berücksichtigen.

Der konzise Panel-Kommentar STIG FÖRSTERs (Bern) griff diese Punkte auf. Er betonte die unabdingbar notwendige Einbeziehung weiterer Faktoren der Sterblichkeitsentwicklung, wie etwa jene der fraglichen Homogenität der Lagerverwaltungen, der allgemeinen oder spezifischen Versorgungslage sowie die Auswirkungen des sich nach Westen zurück bewegenden Krieges. Zu Walters Beitrag merkte Förster an, dass die von ihm geschilderte, gewaltsame „Naturbeherrschung“ weniger ein Spezifikum des Kleinen Krieges als vielmehr eine allgemeine „Stärkedemonstration […] im nicht beherrschbaren Raum“ sei. Gleichzeitig betonte Förster, die Kolonisatoren seien keineswegs immer dem stereotyp ungebildeten „Wilden“ begegnet, wodurch die raum- und zeitunabhängige Frage nach dem Vorhandensein (nicht-)staatlicher Strukturen an Bedeutung gewinne.

Die Diskussion fokussierte, neben der nochmaligen Betonung des Datenproblems bei Overmans, die Frage nach Ursachen für den langfristigen Erfolg und einer etwaigen Lernkurve auf Seiten der Kolonialmächte. In Walters Replik hinterfragte er den langfristigen, militärischen Erfolg der Kolonisatoren und stellte vielmehr einen Bezug zur effektiven Kooperation mit den indigenen Bevölkerungen als Erfolgsfaktor her. Ebenso seien Strategieanpassungen vor allem nach militärischen Niederlagen erfolgt, wenngleich auch hier der Einsatz indigener Hilfstruppen zur langfristigen Konstante des kolonialen Vorgehens in peripheren Konflikten wurde.

Mit dem Abendvortrag von JÖRG BABEROWSKI (Berlin) schloss der erste Veranstaltungstag, in dem er die „Räume der Gewalt“ als die „Orte der Situation“ charakterisierte. In ihnen, so Baberowski, verschöben sich die Maßstäbe der Normalität. Jedoch sei der heutige Blick von den Erfahrungen der modernen, westeuropäischen Friedensgesellschaft geprägt, die nur schwer die irritierende Konfrontation mit „verantwortlichen Tätern“ aushält. Die Reduzierung der Gewalt auf ein durch Zivilisation heilbares Phänomen vernachlässige die immense Bedeutung der Eigenlogik und -dynamik von Gewaltakten, wie Baberowski feststellte. Eine Diskussionsrunde zu Baberowskis Beitrag hätte die Chance eröffnet, diesen stärker in das Panoptikum dieser Tagung einzubetten.

Das dritte Panel „Räume in der militärischen Planung“ eröffnete unter der Leitung RAINER SCHMIDTs (Würzburg) den zweiten Tag mit einem thematisch enorm weiten Spektrum. VOLKER MENDE (Cottbus) erörterte die bereits vor dem Ersten Weltkrieg enorm gewachsene Bedeutung der Eisenbahnbrücken für Operations- und Verteidigungskonzepte. Die fortschreitende Fortifikation von Eisenbahnbrücken stand unter dem Eindruck der zunehmenden Bedeutung der Eisenbahn selbst als „Bewegungsraum für den Krieg“, so Mende. Im erstaunlich direkten Anschluss stand BENEDICT VON BREMENS (Tübingen) Betrachtung zu „Standardisierung, Dislozierung und Bedrohung im Kalten Krieg. Die NATO und die central region in den 1970er Jahren“. Von Bremen stellte hierbei den von Faktoren wie Dislozierung der Truppen, Mannstärke und Material geprägten geografischen Raum einem „gedachten Raum“ gegenüber, welcher die „Lastenverteilung der gemeinsamen Verteidigung“ sowie „die unterschiedlichen Bedrohungsperzeptionen“ umfasste. In beiden Räumen zeigten sich Friktionen und Divergenzen, wie der Referent am Beispiel von Rüstungskooperationen verdeutlichte. In der damit verbundenen Bündniskrise habe der Faktor der Interoperabilität von Systemen und Abläufen mit der Standardisierung eben dieser eine entscheidende Rolle gespielt, so von Bremen.

FRANK REICHHERZER (Berlin) sprach anschließend, wieder verstärkt theoriebasiert, zum „Raum in den Wehrwissenschaften“. Seiner These zufolge sei für die 1920er Jahre eine Perspektivenerweiterung feststellbar, die verstärkt zivile Expertisen in die militärische Planung einbezog. Die „Hybridisierungspotentiale“ zeigten sich, so Reichherzer, in Militarisierungstendenzen der „Überschneidungs- und Kontaktzonen von Militär und ziviler Gesellschaft im Feld des Krieges“. Reichherzer konkretisierte mit Bezug auf Oskar Ritter von Niedermayer und dessen „integrativer Raumsicht“ die Vehikel-Funktion „des Raumes“ zur kriegszielorienterten „Anwendung wehrgeografischen Wissens“. Für die Zeit nach 1945 erkannte Reichherzer keine Zäsur, da der „Raum“ weiterhin in den „Deutungshorizont des totalen Krieges eingebettet“ gewesen sei. Die durch atomare Waffen erfolgte Effektivitätssteigerung führte zur radikalen Minimierung der Raum- und Zeitdimension in ihrer Bedeutung für eine militärische Planung, die laut Reichherzer verstärkt nach höherer Mobilität und Reaktionsfähigkeit strebte. Der „deterritorialisierte Raum“ habe jedoch gleichsam einen „sozialen Raum“ neben dem militär-geografischen eröffnet, da über das „winning the hearts“-Konzept die Erfahrungen mit der in die Kleinen Kriegen direkt involvierte Zivilgesellschaft in die militärischen Planungen Einzug hielten. Als dritten „Raum“ erwähnte der Referent am Ende kurz den „cyber space“, in dem die gesellschaftlichen Bezüge für die Kriegsführung nicht mehr notwendig seien. Leider konnte aus Zeitgründen auf diese interessante Ergänzung nicht weiter eingegangen werden, womit Reichherzer einen auf dieser Tagung desideraten Aspekt offenlegte.

In seinem Panel-Kommentar unterstrich GERHARD P. GROSS (Potsdam) nochmals die Rolle der „Bewegung“ als Faktor der Raumbeherrschung bei Mende. Groß verwies jedoch darauf, dass das Militär auch bei der Befestigung von Eisenbahnbrücken nicht unabhängig von anderen Reichsinstitutionen wie beispielsweise dem Innenministerium wirken konnte. Im Hinblick auf Reichherzers Beitrag betonte Groß, dass nach 1945 der Wegfall des Generalstabs und der allgemeinen Wehrwissenschaften einen Expertisentransfer in außermilitärische (universitäre) Bereiche bewirkt hätte. Letztlich sei in den 1970ern durch die Rüstungsentwicklung ein entschleunigender Effekt im „Raum“-Denken erkennbar.

In der Diskussion wurde nach dem Weltraum als weiterer relevanter Raumdimension gefragt. Reichherzer bezeichnete den Kosmos als „Fluchtpunkt“, der in der Funktion eines Nebenkriegsschauplatzes weitere Fragen nach dem „Wechselverhältnis von Weltall und irdischer Realität“ eröffne.

Die „Schlachtfelder“ bildeten, moderiert von PETER LIEB (Sandhurst), das vierte Panel. JOHN ZIMMERMANN (Potsdam) widmete sich in seinem Beitrag „der operativen und erinnerungsgeschichtlichen Instrumentalisierung eines Raumes“, hier dem „Ort“ der Tannenberg-Schlacht von 1914. Diese „Chiffre eines geradezu mythischen Erinnerungsortes“, als „lieu des mémoires“ heute scheinbar unterdefiniert, sei ein „Paradebeispiel militärgeschichtlicher Instrumentalisierung“. Bei „Tannenberg“ zeige sich eine fundamentale Trennung von operativem und Erinnerungsraum, so Zimmermann. Ersterer definiere aus heutiger Sicht den unrühmlichen Impetus des Nebenkriegsschauplatzes, der tatsächlich nicht innovativen militärischen Planung sowie des faktisch überstürzten Angriffs und mangelnder Aufklärung auf russischer Seite. Als Erinnerungsraum hingegen sei es erst in den letzten Jahren zu einer funktionalen Einordnung „Tannenbergs“ in den Erinnerungsdiskurs gekommen. Die Ursache hierfür sah Zimmermann in der dreifachen Instrumentalisierung als ‚Gegenmoment‘ der Niederlage im Westen, als Fundament der mythisierten 3. OHL und als Zeichen eines neuen Krieges. Beide Raumdimensionen wurden durch Hindenburg im Zuge seiner (Selbst-)Heroisierung vereinnahmt, der die an ihn mannigfaltig von außen herangetragenen Ehrangebote bereitwillig akzeptierte und letztlich eine diskursbeherrschende Stellung einnahm, wie Zimmermann eindrucksvoll darstellte.

ADRIAN WETTSTEIN (Zürich) näherte sich dem Raumbegriff wiederum in physisch-geografischer Perspektive bei seiner Erörertung des „Kampfraumes ‚Stadt‘ in der deutschen Wehrmacht“. Wettstein zeigte, wie städtische Räume durch ihre komplexe Topografie eine umfassende Novellierung militärischer Planungen erforderten. Anhand deutscher Wehrmachtsvorschriften untersuchte der Referent, inwiefern die „Stadt“ als operativer oder taktischer Raum berücksichtigt wurde. Eine gleichgewichtete Untersuchung russischer Vorschriften zur Darstellung der „Gegenseite“ war bislang in Wettsteins Konzept leider nicht vorgesehen, wenngleich er den Vergleich deutscher und russischer Stadt-Perzeptionen als notwendige Ergänzungen seines Themas ausführte.

SÖNKE NEITZEL (London), Kommentator des „Schlachtfelder“-Panels, zufolge sei die Mythisierung nicht von der Raumdimension zu trennen. Erst durch die Vielschichtigkeit selektiver Wahrnehmungen der Akteure habe der Hindenburgmythos trotz seiner offensichtlichen Konstruiertheit jene Wirkmächtigkeit erlangen können, so Neitzel. Zu Wettsteins Beitrag skizzierte Neitzel den „Schlachtenmythos Stalingrad“, der auf deutscher Seite vom Vorgehen ohne ausreichende Vorkenntnisse gekennzeichnet war. Eine mögliche Erklärung für die mangelnde Vorbereitung seien fehlende Erfahrungen dieser Art, so Neitzel.

In der kurzen Diskussion wurde von Stig Förster auf die fundamentale Bedeutung der mangelnden Kommunikation für das Scheitern militärischer Planungen hingewiesen. MARKUS PÖHLMANN (Potsdam) machte zudem auf den russisch-japanischen Krieg 1904/05 als Erfahrungsraum der späteren Feindperzeption aufmerksam und fügte den bisherigen Beiträgen den Gedanken des „Raumes als militärischem Potential“ hinzu, das so „einsetzbar“ werde.

Der Abschlusskommentar Peter Liebs unterstrich die notwendige Unterscheidung in die vier Raumdimensionen und -kategorien aus Christoph Nübels Einführung, wobei der Faktor „Zeit“ nicht zu vernachlässigen sei. Die fundamentale Bedeutung des „Raumes“ für das Militär manifestiere sich weiterhin darin, so Lieb, dass er vordergründig als „Terrain“ oder „Landschaft“ wahrgenommen würde und den „Ort des Kampfgeschehens“ beschreibe. Erst in militärischen Spezialisierungen hätten sich Raumverknüpfungen und -überwindungen gezeigt, die wiederum zur räumlichen Neuordnung führten. Lieb regte auch an, den „spatial turn“ oder auch die Rolle des Raums für die 'Neuen Kriege' zu überdenken. Insbesondere das mit den „hearts and minds“ verbundene Gesellschaftsmodell des „Raums“ übe zunehmend Einfluss auf die Kategorie des „Raum-Machens“ aus. Dass Raumordnungen weiterhin ihre disktinktive Bedeutung für Deutungen des „Raumes“ bewahren und Kämpfe weiterhin stattfänden, so Lieb, sei unbestritten.

Die von Christoph Nübel und Peter Lieb organisierte „Raum-Tagung“ versprach aus Sicht des Betrachters die multiperspektivische Annäherung an „den Raum“ (in obligatorischen Anführungsstrichen). Dieses Versprechen wurde größtenteils eingelöst, wenngleich bei vereinzelten Vorträgen ein stärkerer Rückgriff auf ein theoretisches Fundament wie das von Nübel und Lieb vorgeschlagene wünschenswert gewesen wäre. Die angeregten, wenn auch zeitlich sehr eingeschränkten Diskussionsrunden zeigten manche Ansätze für weiterführende Gedankengänge, so zum Beispiel hinsichtlich des Weltraums oder des „Krieges Neunzehnvierfünf“. Interessanterweise wurden die frei formulierten Sektionskommentare vor den Diskussionsrunden angeordnet, was sich nach kurzer Gewöhnungszeit als adäquates Vorgehen bei dieser Jahrestagung erwies.

Konferenzübersicht:

Christoph Nübel (Berlin): Begrüßung und Einführung

Panel 1: Räume in der militärischen Wahrnehmung

Leitung: Birgit Aschmann (Berlin)

Katrin Brösicke (Rostock): „Raumerfahrung im spanischen Unabhängigkeitskrieg (1808-1814)“

Axel Zutz (Berlin): „‘Die Geschichte unseres Vaterlandes stellt uns vor die Aufgabe, zum Schutze unserer völkischen Entwicklung geeignete Räume zu Wehrlandschaften zu gestalten.‘ Anmerkungen zu einer Landschaftsarchitektur des Krieges“

Marc Hansen (Flensburg): „‘... als würden dazwischen keine 69 Jahre liegen!‘ - Deutsche Soldaten im Wahrnehmungs- und Deutungsraum der Schlacht. Eine kulturgeschichtliche Annäherung“

Kommentar: Dorothee Brantz (Berlin)

Diskussion

Panel 2: Gewalträume und Gewalterfahrungen

Leitung: Rolf-Dieter Müller (Potsdam)

Dierk Walter (Hamburg): „‘Indian Country‘: Der Raum als Feind in der Gewaltgeschichte der europäischen Expansion“

Rüdiger Overmans (Freiburg): „Die Überlebenschance von Kriegsgefangenen an der ‚Ostfront‘ während des Zweiten Weltkrieges in Abhängigkeit von Raum und Zeit“

Kommentar: Stig Förster (Bern)

Diskussion

Abendvortrag

Jörg Baberowski (Berlin): „Räume der Gewalt“

Panel 3: Räume in der militärischen Planung

Leitung: Rainer Schmidt (Würzburg)

Volker Mende (Cottbus): „Das unbekannte Netz. Brücken als Knotenpunkte der Landesverteidigung im Deutschen Reich bis 1918“

Benedict von Bremen (Tübingen): „Standardisierung, Dislozierung und Bedrohung im Kalten Krieg: Die NATO und die central region in den 1970er Jahren“

Frank Reichherzer (Berlin): „Der Raum in den Wehrwissenschaften. Eine Skizze“

Kommentar: Gerhard P. Groß (Potsdam)

Diskussion

Panel 4: Schlachtfelder

Leitung: Peter Lieb (Sandhurst)

John Zimmermann (Potsdam): „Von der operativen und erinnerungsgeschichtlichen Instrumentalisierung eines Raumes. Die Schlacht von Tannenberg 1914“

Adrian Wettstein (Zürich): „Kampfraum Stadt in der deutschen Wehrmacht“

Kommentar: Sönke Neitzel (London)

Diskussion

Abschlussdiskussion und Zusammenfassung

Peter Lieb (Sandhurst)


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