Alternatives to Formalization – Formalizations of Alternatives? Internationale Konferenz zur außergerichtlichen Streitbeilegung

Alternatives to Formalization – Formalizations of Alternatives? Internationale Konferenz zur außergerichtlichen Streitbeilegung

Organisatoren
Iwo Amelung / Moritz Bälz / Joachim Zekoll, LOEWE-Schwerpunkt "Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung", Frankfurt am Main
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.07.2013 - 21.07.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Miriam Wolffsky, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Internationales und Europäisches Privatrecht und Rechtsvergleichung

Im Eisenhower-Saal des IG-Hochhauses auf dem Campus Westend der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main fand am 20. und 21. Juli 2013 die internationale Konferenz Alternatives to Formalization – Formalizations of Alternatives? statt. Zur Diskussion standen die Fragen, ob die außergerichtliche Streitbeilegung als Alternative zu den traditionell hoch formalisierten gerichtlichen Prozessen selbst zunehmend formalisiert wird und ob bzw. inwieweit ein Trend zur Entformalisierung der klassischen Gerichtsverfahren eingesetzt hat. Zu der Veranstaltung des interdisziplinären LOEWE-Schwerpunkts „Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung“ luden der Sinologe Iwo Amelung sowie die Juristen Moritz Bälz und Joachim Zekoll (alle Frankfurt am Main) renommierte Beiträger/-innen aus vier Kontinenten ein. Gefördert wurde die Veranstaltung durch die Fritz Thyssen Stiftung sowie durch den Verein der Freunde der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Die Eröffnungsworte sprachen RAINER KLUMP, Vizepräsident der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, und ALBRECHT CORDES, Sprecher des LOEWE-Schwerpunkts und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Rechtsgeschichte an der Frankfurter Universität. Sie unterstrichen mit Nachdruck die historische wie gegenwartsbezogene Relevanz des Themas.

Der Begriff Alternative Dispute Resolution (ADR) umfasst mehr oder weniger strukturierte Streitbeilegungsmethoden, welche nicht bindend sein müssen, aber können. Insbesondere vor einem internationalen Hintergrund wird die Mannigfaltigkeit des Begriffs erkennbar, die eine spezielle Betrachtung der einzelnen Verfahren erforderlich macht. Auch, weil gewisse Begrifflichkeiten mit Stereotypen belegt sind, kann die Diskussion über ADR bereits durch die Verwendung bestimmter Ausdrücke beeinflusst werden. Deutlich werden ließ dies MICHAEL PALMER (London /Shantou, China) mit seinen Ausführungen zu dem 1976 von Frank Sanders entwickelten Modell eines Multi-Door Courthouse (MDCH), das in den Vereinigten Staaten vereinzelt umgesetzt wurde. Durch eine Vorauswahl der eingereichten Streitigkeiten sollte hier für jeden Disput die richtige Lösungsform gefunden werden. Durch die enge Verknüpfung mit dem Gericht, möglicherweise aber auch beeinflusst von der Begrifflichkeit, kam es jedoch in der Praxis überwiegend zu Empfehlungen, eine gerichtliche Lösung anzustreben. Auch dies mag erschwert haben, das eigentliche Konzept zum Tragen zu bringen. Eine nähere Abgrenzung der Begriffe nahm DEBORAH R. HENSLER (Stanford) vor, die speziell auf die fehlende Öffentlichkeit und mangelnde politische Legitimation bei ADR-Verfahren einging und die Frage diskutierte, ob im Gegenzug auch nicht-öffentliche Gerichtsverfahren angeboten werden sollten. Außerdem verdeutlichte sie die verschwimmende Linie zwischen gerichtlicher und außergerichtlicher Streitbeilegung und erörterte, ob und wie diese Grenze wieder deutlicher gezogen werden kann.

KOTA FUKUI (Osaka) stellte die Schwächen eines zu formalisierten ADR-Verfahrens dar. Das Gesetz zur Förderung alternativer Streitbeilegung in Japan aus dem Jahr 2004 legt strenge Voraussetzungen fest, unter denen Mediationsinstitutionen eine Zertifizierung erlangen können. Durch die Strenge dieser Vorgaben aber sei die Flexibilität des Systems gehemmt, was Fukui als Hauptgrund dafür anführte, dass die durchaus zahlreichen zertifizierten Mediationsstellen bislang ganz überwiegend nur wenige Fälle bearbeiteten. ERIC FELDMAN (Pennsylvania) indes vertrat zu diesem Problem eine gegenteilige Auffassung. Er bezweifelte, dass die vielfach behaupteten Vorteile außergerichtlicher Streitbeilegung wie Zeit- oder Geldersparnis und mehr „Menschlichkeit“ überhaupt gegeben seien, und wies darauf hin, dass die positiven Assoziationen, die mit der „Alternative“ ADR geschaffen würden, zu einer verfehlten Negativdarstellung der regulären Rechtsprechung führten. Deshalb forderte er eine Entformalisierung der klassischen Gerichtsverfahren durch flexiblere und moderne Herangehensweisen, zum Beispiel Online-Gerichtsverfahren. Eine Entformalisierung mahnte auch LUKE NOTTAGE (Sydney) an, jedoch namentlich für die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit. Diesen besonderen Zweig der bindenden außergerichtlichen Streitbeilegung seien durch strenge Regularien, was den zeitlichen und finanziellen Aufwand angehe, massiv belastet, wovon insbesondere die hierfür mandatierten Kanzleien in unangemessener Weise profitierten. WAYNE BRAZIL (Berkeley) begründete seine Befürwortung gerichtlich geförderter ADR-Programme anschaulich mit der hohen Zahl an Zivilverfahren, die in den USA trotz Klageeinreichung nicht durch ein Gericht entschieden werden. Diese Diskrepanz liegt nach seiner Meinung hauptsächlich an den hohen Verfahrenskosten. Vom Gericht installierte alternative Streitbeilegungsverfahren wären deshalb die richtige Herangehensweise um eine neue Offenheit der Gerichte für die Bevölkerung zu demonstrieren. Hierfür sei jedoch eine gewisse Formalisierung des Prozesses erforderlich, um das Vertrauen der Bevölkerung in den Prozess zu gewährleisten.

Eine rechtshistorische Perspektive auf die Entwicklung der außergerichtlichen Streitbeilegung in China bot YU JIANG (Huazhong). Seit dem 14. Jahrhundert sei in China bei minderschweren Rechtsstreitigkeiten durch einen Magistrat anhand der Frage nach „Gut“ und „Böse“ entschieden worden. Hauptziel hierbei sei die Streitschlichtung gewesen. Erst wenn – teilweise auch nach mehreren Versuchen – keine einvernehmliche Lösung habe erzielt werden können, habe der Schlichter ein Urteil erlassen. Im heutigen China spielt ADR in Form eines formalisierten Mediationsverfahrens eine besonders große Rolle, worüber HUALING FU (Hongkong) referierte. Dieses strategisch-politisch gesteuerte Verfahren unterliege nur einem Minimum an Institutionalisierung, woraus sich Spannungen zum sich gerade ausformenden Justizsystem ergäben: Es bestehe die Gefahr, dass sich durch die informelle Mediation ein paralleles System bilde, welches das klassische Rechtssystem unterlaufe. Fu trat deshalb dafür ein, der Mediation lediglich eine ergänzende Rolle zur Rechtsprechung zuzuweisen und gleichzeitig einer gewissen Institutionalisierung zu unterziehen. Einen positiven Blick auf alternative Streitbeilegung gewährte PIA LETTO-VANAMO (Helsinki) für die skandinavischen Länder, für die sich bezüglich der Installierung alternativer Institutionen ein homogenes Bild entwerfen ließe. Das System alternativer Methoden sei hier gut angenommen worden und weit verbreitet. Wünschenswert für die künftige Entwicklung sei allerdings eine zunehmende Spezialisierung der Gerichte, um diese in ihrer Bedeutung erneut zu stärken.

Hinsichtlich der rezenten europäischen Entwicklung wurde insbesondere über die EU-Richtlinie zur außergerichtlichen Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten diskutiert. GERHARD WAGNER (Berlin) und HORST EIDENMÜLLER (München) machten anschaulich, dass gerade in den Fällen von Verbraucherstreitigkeiten eine außergerichtliche Streitbeilegung zu unsachgemäßen Ergebnissen führen kann. Außerdem würden durch das außergerichtliche Verfahren fundamentale Verbraucherrechte gerade nicht geschützt, sondern vielmehr ausgehebelt, weshalb die Richtlinie ihr Ziel verfehle.

In der Summe leisteten die Tagungsbeiträge und Diskussionen zweierlei: Zum einen lieferten sie neue Erkenntnisse über das diffizile Verhältnis zwischen privaten Streitbeilegungsmethoden und staatlicher Justiz. Zum anderen bereicherten die zum Ausdruck kommenden normativen Erwägungen die Diskussion über die Grenzen privater Konfliktlösung. Dass bei beidem rechtsvergleichende, interkulturelle und historische Perspektiven gemeinsam Berücksichtigung fanden, erhöht den Wert und Ertrag der Veranstaltung nachhaltig.

Konferenzübersicht

Rainer Klump, Albrecht Cordes (beide Frankfurt am Main): Begrüßung

Joachim Zekoll (Frankfurt am Main): Einführung

Michael Palmer (London / Shantou, China): Formalization of Alternative Dispute Resolution Processes: A socio-legal perspective

Deborah R. Hensler (Stanford): The Public in Private and the Private in Public: The Blurring Line Between Public Courts and Private ADR

Kota Fukui (Osaka): The Diversification and Formalization of ADR in Japan: The effect of Introducing the Act on Promoting Alternative Dispute Resolution

Eric Feldman (Pennsylvania): No Alternative: Resolving Disputes Japanese Style

Luke Nottage (Sydney): In/formalization and Globalization of International Commercial Arbitration and Investment Treaty Arbitration in Asia

Wayne Brazil (California Berkeley): Exploring the Sources, Character, and Implications of Formalization in a Court-Sponsored ADR Program

Yu Jiang (Huazhong): 'Explaining' and 'mediating' is more important than penalties. A comprehensive explanation of the resolution of minor cases on the county level in late Imperial China (1368-1911)

Hualing Fu (Hongkong): ADR and the Rule of Law

Pia Letto-Vanamo (Helsinki): Formalization of Dispute Resolution: The Nordic Experience

Gerhard Wagner (Berlin): Private Law Enforcement through ADR: Wonder Drug or Placebo?

Horst Eidenmüller (München): Against False Settlement: Designing Efficient Consumer Rights Enforcement Systems in Europe


Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Englisch, Deutsch
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