Polen-Litauen in den Augen der Reisenden aus Frankreich und Deutschland

Polen-Litauen in den Augen der Reisenden aus Frankreich und Deutschland

Organisatoren
Włodzimierz Zientara und Jarosław Dumanowski, Uniwersytet Mikołaja Kopernika Toruń (UMK); in Zusammenarbeit mit Jan Borm, Université de Versailles Saint-Quentin-en-Yvelines (UVSQ); Paweł Jaskanis, Muzeum Pałac w Wilanowie; sowie dem Forschungslabor CEMMC, Université de Bordeaux 3
Ort
Warszawa
Land
Poland
Vom - Bis
28.06.2013 - 29.06.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Anna Mikolajewska, Lehrstuhl für Germanistik, Philologische Fakultät, Nicolaus-Copernicus-Universität Torun

Am 28. und 29. Oktober 2013 fand im Museum Schloss Wilanów die internationale Tagung „Polen-Litauen in den Augen der Reisenden aus Frankreich und Deutschland“ statt. Gegenstand der Tagung war Beleuchtung der Kontakte zwischen den Kulturräumen Polen-Litauens, Frankreichs und Deutschlands, die in der frühneuzeitlichen Reiseliteratur festgehalten wurden sowie die Darstellung der Autoren- und Rezipientengruppe und der Motive und Bilder, die in den Reiseberichten vorkommen. Das Fehlen einer gemeinsamen Diskussionsplattform für deutsche, französische und polnische Wissenschaftler, das sich im Bereich der Forschung zur Reiseliteratur bemerkbar macht, erschwert eine eingehende Untersuchung dieses Phänomens in seiner Multidimensionalität. Die in Wilanów organisierte Tagung sollte die Wissenschaftler auf diesen Mangel hinweisen sowie zur Ausarbeitung von Forschungsmethoden beitragen.

Den Einstieg in das Thema der Konferenz machte WŁODZIMIERZ ZIENTARA (Toruń), der in seinem Vortrag die Reisenden und Autoren von Reiseberichten über Polen aus dem 17. und 18. Jahrhundert präsentiert hat. Dem Polen-Litauen des 17. Jahrhunderts, das Schauplatz von Kriegen gewesen sei sowie über wenige Schulen verfügt habe, die mit renommierten westeuropäischen Akademien und Universitäten hätten konkurrieren können, habe es an all dem gefehlt, was die Reisenden in ein Land lockte. Aus diesem Befund ließe sich, so Zientara, die niedrige Zahl von Berichten über Polen-Litauen des 17. Jahrhunderts erklären. Die Fremdbetrachtung, die die deutschen und französischen Reiseberichte geprägt habe, habe je nach der Vorbereitung bzw. Bildung der Reisenden sowie nach der Zeit variiert, in der sie schrieben. Daher müssten bei der Erforschung der Reiseliteratur der Autor und der zeithistorische Hintergrund in den Blick genommen werden. Der Forscher solle, nach Zientara, in der Presse und Romanen nach Forschungsmaterial Ausschau halten und sich über die Grenzen des eigenen Landes und der eigenen Forschungsdisziplin wagen, weil sich fächerübergreifender Dialog für Forscher der Reiseliteratur als befruchtend erweisen kann und will.

Die Vorgehensweise bei einer interdisziplinären Erforschung von Reiseliteratur thematisierte in seinem Vortrag auch JAN BORM (Versailles), der vor allem die Rolle der Mehrsprachigkeit des Forschers betonte. Die meisten Tagungen und Publikationen zu dem untersuchten Thema seien wegen der limitierten Fremdsprachenkenntnisse der Forscher zu eng angelegt, betonte Borm, der die Korrespondenz Pierre des Noyers‘, des französischen Botschafters und Sekretärs der polnischen Königinnen Luisa Maria Gonzaga und Marie Casimire d‘Arquien, in den Blick nahm. Laut Borm habe de Noyers – trotz seiner Kritik an dem fehlenden Interesse der Franzosen an Polen und der Betonung der lobenswerten Berichterstattung aus Polen am Hofe in Wien – viele auch in anderen Reiseberichten verbreiteten Topoi benutzt, darunter die Trinksucht und Unkontrollierbarkeit der Polen. In seinen Urteilen über das Regieren folge er oft den Meinungen des polnischen Königs Jan III. Sobieski, der sich für Polen-Litauen eine starke Königsmacht wünschte.

Im dritten Vortrag schilderte MICHEL FIGEAC (Bordeaux) zwei Reisende aus Frankreich in Polen-Litauen der Wende zum 19. Jahrhundert, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, was ihre Reise umso interessanter mache. Die fehlende Vorbereitung hätten ihre Neugierde und Offenheit dem Neuen gegenüber ausgleichen können, dies sei jedoch nur begrenzt der Fall. Ihre Eindrücke aus Polen seien von einem regen Interesse an dem neuen Land, seiner Kultur und der Lebensweise seiner Bewohner geprägt und dem Staunen über die königliche Bibliothek, wobei zugleich auch der schlechte Zustand der Wege, die gesellschaftlichen Unterscheide, die Anarchie der Schlachta und die als mangelhaft angesehene Regierungsform in Polen kritisiert worden seien.

Eine völlig andere Reise nahm GÉRAUD POUMARÈDE (Bordeaux) unter die Lupe. Sein Vortrag brachte den Zuhörern den französischen Botschafter im Dienste Mazarins, Antoine de Lumbres, näher. Die Hauptaufgabe de Lumbres‘ – eine Annäherung Polen-Litauens an die Habsburger zu verhindern – ermöglichte ihm einen tiefen Einblick in das Wesen des Staates, seine Urteile seien jedoch von seinen bereits vor der Reise gefassten Meinungen geprägt, so Poumarède. Die Seele Polen-Litauens sei, nach de Lumbres, die Schlachta, die sowohl an Literatur als auch am Kriegswesen Interesse zeige, wobei ihre labile Stellung in politischen Fragen die Tätigkeit des Botschafters nicht gerade einfach mache. Die Schwäche des Königreiches, die in der freien Wahl ihren Ursprung habe, so de Lumbres, wird in seinem Schrifttum mit dem absolutistischen Frankreich kontrastiert.

WOJCIECH SAJKOWSKI (Poznań) konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die Franzosen als Präzeptoren von polnischen Adligen. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen standen César Felicité Pyrrhys de Varille, Erzieher der Söhne und Enkel von Barbara Sanguszko, der Ehefrau des Groß-Marchalls von Litauen und Louis-Antoine Caraccioli, Präzeptor bei der Familie Rzewuski. Die erzieherische Tätigkeit der beiden wurde von ihrem politischen Engagement begleitet. Sie haben sich zu der Erziehung der Polen und zu Fragen der Regierung geäußert. Ihr Schrifttum zeuge von einem tiefen Einblick in das Wesen des polnischen Staates und des Adels, so der Vortragende.

PAULINE VALADE (Bordeaux) unteruchte die Heiratsfeierlichkeiten von Maria Leszczyńska und Ludwig XV. sowie Maria Josephas, der Tochter August III, des Königs von Polen und Kurfürsten von Sachsen mit dem Dauphin Louis Ferdinand de Bourbon. In beiden Fällen habe es sich um politische Verträge gehandelt, die von der Öffentlichkeit und zum Teil von den Beteiligten Familien selbst zunächst sehr negativ beurteilt worden seien, so Valade. Aus diesem Grund sei die Rolle der französischen Botschafter zu betonen, die um eine prunktvolle und symbolreiche Gestaltung der Feierlichkeiten sorgten mit dem Ziel, die Zuschauer für die Braut zu gewinnen. Das Zeremoniell solle in beiden Fällen die herausgehobene Rolle der Allianzen an der politischen Bühne Europas betonen.

Das Thema der Kunst und der Kunstförderung in Reisebeschreibungen griff MAJA BARAN (Gdańsk) auf. Ihr Vortrag kreiste um die Beschreibung von Kunsterzeugnissen und herausragenden Gebäuden in Ermland. Neben Reisen, deren Fokus auf erzieherischen Werten lag und die – vor allem wenn über das 17. Jahrhundert die Rede sei – ihren Gegenstand entemotionalisiert und allgemeint behandelt hätten, nannte Baran Reisebeschreibungen, in denen wertende Urteile über Kunst im Mittelpunkt stehen, und zwar die von Johann Bernoulli und Ernst von Lehndorff. Während der erste genaue Bemerkungen über Kunsterzeugnisse in Ermland liefere, konzentriere sich Lehndorff auf die Rolle des Bischofs Krasicki als Kunstmäzen. Baran sah in den angeführten Reisebeschreibungen eine wichtige Quelle für den Kunsthistoriker von heute, der oft angesichts der Kriegsverluste, auf Beschreibungen von Kunsterzeugnissen angewiesen sei – auch wenn die ihm zur Verfügung stehenden Texte angesichts der Rahmen des gewählten Genres oft nicht so sehr die Eindrücke des Reisenden selbst, sondern vielmehr gängige Urteile festgehalten hätten.

Den Schlusspunkt des ersten Tages bildete der Vortrag von AGNIESZKA SAMSEL, in dem der Fokus auf der Reisebeschreibung der jungen Königin lag, die von Mademoiselle de Clermont (Marie Anne de Bourbon) zu Papier gebracht wurde. Der chronologisch abgefasste Text gelte, so Samsel, nicht nur als eine interessante und untersuchenswerte Informationsquelle über den Verlauf der Reise und das Zeremoniell, sondern auch als ein propagandistisches Werk, das die Berichterstattung in der Presse seiner Zeit beeinflusst habe. Auf Nachfrage von Zientara, erwähnte Samsel, dass der Text im Auftrag geschrieben worden sei – seine Rolle müsse vor allem im Hinblick auf den heftigen Widerstand gegen die Heirat von Marie Leszczynska und Ludwig XV. betrachtet werden.

Den zweiten Tagungstag eröffnete JAROSŁAW DUMANOWSKI (Toruń) mit einem Vortrag über den Geschmack der Reise und die Art und Weise, auf die Franzosen im 17. und 18. Jahrhundert über polnische Küche geschrieben haben. Dabei argumentierte er, Reiseliteratur sei nicht so sehr als Quelle zu polnischer Tafelkultur und Gerichten zu betrachten, denn darüber finde man reichlich Informationen in Kochbüchern und Rezeptsammlungen, sondern als Dokument des Kulturwandels, des Wandels im Bereich des Feingefühls. Jean Le Laboureur, Charles Ogier oder Guillaume le Vasseur de Beauplan hätten die Reaktion eines Franzosen auf polnische Tafelkultur und Gerichte als Verwunderung und Überraschung beschrieben, wobei sich die Unterschiede, laut Dumanowski, oft lediglich aus der anderen Reihenfolge bei der Mahlzeit und Unterschieden in den Ernährungsmustern erklären ließen. Das Interesse der Polen an dem Westen habe im 18. Jahrhundert zur Europäisierung der Tafelkultur und Herausbildung allgemeineuropäischer Ernährungsmuster geführt, was sich in den Reisebeschreibungen, die von Franzosen in Polen geliefert wurden, wiederspiegele.

Das Thema der Ess- und Trinkkultur behandelte auch DOROTA LEWANDOWSKA (Toruń). Ihr anthropologischer Ansatz beruhte auf der Untersuchung von Urteilen über das Trinken der Polen, der Fokus lag auf Reisebeschreibungen. Laut Lewandowska seien die Schilderungen von der polnischen Trinkkultur stereotyp und von einer Vorstellung vom Chaos und von Anarchie im polnisch-litauischen Staat geprägt. Unabhängig von der Herkunft des Reisenden komme eine starke Ritualisierung und Theatralisierung in der Beschreibung zum Vorschein, die von Versuchen einer Rationalisierung des Beobachteten begleitet sei (Betonung des Zusammenhangs zwischen dem rauen Klima und der Trinksucht der Polen). Das schematische Berichten über polnische Trinkkultur ließe sich, nach Lewandowska, bis ins 18. Jahrhundert hinein beobachten, obwohl sich die Ernährungsmuster längst geändert hätten.

Für die Vorträge von Dumanowski und Lewandowska lieferten MARTA SIKORSKA und ALEKSANDRA CHACIŃSKA (beide Toruń) eine wichtige Ergänzung, indem sie Rezepte „auf polnische Art“ und „à la polonaise” in Kochbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts präsentierten. Die Vorliebe für starke und kontrastierende Gewürze, ein Element der Esskultur des Mittelalters und der Renaissance, sowie eine große Zahl der Fischgerichte, die aus der großen Zahl der Fastentage in Polen resultierte, sei in Deutschland – laut Sikorska – ein typisches Charakteristikum der Gerichte „auf polnische Art“. Das lange Dauern von Essgewohnheiten, die ihren Ursprung im Mittelalter hätten, manifestiere sich in deutschen Kochbüchern in der Präsenz von Gerichten, die als polnisch galten. In französischen Kochbüchern, so Chacińska, seien Süßwasserfische und strenge Fastenvorschriften mit Polen assoziiert gewesen.

In den Bereich der Verhaltensmuster und der Tafelkultur gehörte auch der Vortrag von JOANNA KODZIK (Potsdam). Laut Kodzik sei die Zeremoniellwissenschaft Reisebeschreibungen in dem Sinne ähnlich, dass sie auch auf Beobachtungen basiert und erst das Beobachtete zu einem Modell entwickele. Julius Bernhard von Rohrs Werk sei der Höhepunkt in der Geschichte der Zeremoniellwissenschaft und bilde eine wichtige Quelle zum polnischen Hof, seiner Eigenart und der Art und Weise, auf die er beschrieben worden sei, so Kodzik.

In den Diskussionen der Vorträge kamen Themen der Selbst- und Fremdwahrnehmung auf sowie des Wandels, der die Reiseliteratur im 18. Jahrhundert erfasst hat. Das relativ konstante Bild Polen-Litauens des 17. Jahrhundert, das eher negativ, von Verwunderung und Abneigung geprägt war, wurde im 18. Jahrhundert entemotionalisiert und nahm die Form der Beschreibung des Fremden durch einen reisenden Forscher an. Zugleich zeigten sich einige der Bilder als resistent gegen Prüfung und Dekonstruktion.

Die Tagung als Treffpunkt für Wissenschaftler, die über Reiseliteratur arbeiten, machte einerseits die Unterschiede in der Vorgehensweise der Forscher aus Polen, Deutschland und Frankreich offenbar, andererseits lieferte sie zahlreiche Belege dafür, dass Fragen wie die der gattungsspezifischen Eigenschaften der Reiseliteratur, des Point-of-View und der Rahmen, die die Textgattung dem Schreibenden aufzwingt, einer prüfenden Beleuchtung bedürfen. Die Beteiligung vieler junger Wissenschaftler lässt jedoch darauf hoffen, dass die Diskussion, die während der Tagung lediglich angefangen wurde, in Publikationen weiter getragen wird.

Konferenzübersicht

Tagungseröffnung und Grußworte

Włodzimierz Zientara: Forschungsstand und –perspektiven zur frühneuzeitlichen Reiseliteratur in Polen und Deutschland

Jan Borm: Das französische Polenbild in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts am Beispiel der Korrespondenz von Pierre des Noyers

Michel Figeac: Alphonse Toussaint Joseph Fortia de Piles et Louis de Boisgelin de Kerdu: Regards croisés de deux nobles émigrés sur une Pologne en train de disparaître

Géraud Poumarède: Antoine de Lumbres, un ambassadeur français en Pologne au temps de la Première Guerre du Nord (1656-1660)

Wojciech Sajkowski: La République nobiliaire aux yeux des précepteurs français dans la deuxième moitié du XVIII siècle

Pauline Valade: Un regard sur la Pologne:Les réjouissances populaires pour les mariages royaux de 1725 et 1747, une alliance polonaise au service d'une glorieuse monarchie

Maja Baran: The artistic patronage of the catholic church of Warmia in the travel accounts of the early modern period (17th and 18th century)

Agnieszka Samsel : Le voyage de la reine Marie Leszczynska en 1725 de Strasbourg à Fontainebleau

Jarosław Dumanowski: Smak podróży. Francuzi o polskim jedzeniu w XVII i XVIII wieku

Dorota Lewandowska: Polish drinking as perceived by French and German travelers in the 17th and 18th centuries

Marta Sikorska/Aleksandra Chacińska: Kwestia smaku. Przepisy „auf Polnische Art” i „à la polonaise” w literaturze kulinarnej z XVII i XVIII wieku

Joanna Kodzik: Das Zeremoniell am polnischen und französischen Hof in der "Einleitung zur Ceremoniell-Wissenschaft" von J. B. von Rohr


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Englisch, Französisch, Deutsch, Polish
Sprache des Berichts