Emotions and Violence in 20th Century Europe. Historical Perspectives on Violence Prevention and Peace Education

Emotions and Violence in 20th Century Europe. Historical Perspectives on Violence Prevention and Peace Education

Organisatoren
Dagmar Ellerbrock, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin; Silke Fehlemann, Goethe Universität Frankfurt am Main; Klaus Weinhauer, Universität Bielefeld
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.06.2013 - 28.06.2013
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Von
Sabine Küntzel, Berlin

In den letzten Jahren werden Emotionen zunehmend in den Geisteswissenschaften thematisiert. Der von Ute Frevert am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPI) etablierte Forschungsbereich „Geschichte der Gefühle“ leistete hier wichtige historisch orientierte Grundlagenforschung. Daran anknüpfend organisierte die Leiterin des am MPI angesiedelten Minerva-Forschungsschwerpunktes „Emotionen und Gewalt“, Dagmar Ellerbrock, zusammen mit Silke Fehlemann (Frankfurt am Main) und Klaus Weinhauer (Bielefeld) eine interdisziplinäre internationale Tagung am MPI. Im Mittelpunkt stand das Zusammenspiel von Emotionen und körperlicher Gewalt. Anhand historischer Fallstudien sowie psychologischer, soziologischer und politologischer Denkansätze und Modelle wurden Emotionen im Umfeld verschiedenen Gewalthandlungen kritisch reflektiert. Unterstützt wurde die Tagung durch die Deutsche Stiftung Friedensforschung, die damit eine auch friedenspolitisch und friedenspädagogisch hoch relevante Thematik förderte.

Die Soziologin und Kriminologin SUSANNE KARSTEDT (Leeds), eine international anerkannte Expertin in der emotionsorientierten Kriminalitäts- und Strafjustiz sowie der Gewaltforschung, plädierte in ihrer Keynote dafür, bei der Analyse von Emotionen und Massengewalt aus dem „Schatten des Holocaust“ zu treten. Eine Fokussierung auf die Verbrechen der Nationalsozialisten schränke gerade Forschungen zur Verhinderung und Beendigung von Gewalt ein. Die Holocaust- sowie die allgemeine Gewaltforschung könne hingegen profitieren, wenn ihre Untersuchungsobjekte mit heutiger Massengewalt und Genoziden außerhalb Europas verglichen werden. Dabei sollten laut Karstedt mikroperspektivische Ansätze gewählt werden, die die funktionale Rolle von Emotionen in Gewaltsituationen beleuchten. Denn gewaltsam zu agieren sei, anders als oft angenommen werde, nicht leicht – Emotionen könnten anfängliche Hürden aber überwinden helfen. Um Gewalthandlungen zu verhindern, müssten daher emotionale Energien gebremst und die emotionale Dominanz der Gewalttäter gebrochen werden.

ROGER PETERSEN (Cambridge, MA) vom Massachusetts Institute of Technology betonte, dass politische Interventionen erfolgreicher seien, wenn sie Emotionen bei der Schaffung von Frieden berücksichtigten. Gerade die Nutzbarmachung von Gefühlen als Ressource zur Beilegung politischer Konflikte sei bisher kaum angemessen politikwissenschaftlich analysiert und reflektiert worden. Jedoch sei das Verstehen solcher Abläufe wesentlich bei der Betrachtung ethnischer Konflikte, wie er anhand der Gewalt zwischen Serben und Albanern im Kosovo nachwies. Bei seinen Einsätzen auf dem Balkan habe er beobachten können, wie kollektive Emotionen, insbesondere Angst vor Gewalt sowie Wut aufgrund von Gewalt, von „political entrepreneurs“ bewusst erzeugt und strategisch genutzt werden. In Kombination mit herrschenden Vorurteilen würden sie immer wieder neue Ausbrüche von Gewalt befeuern und damit die Macht einer Konfliktpartei stärken.

Der Psychologe ROLAND WEIERSTALL (Konstanz) berichtete ebenfalls von seinen praktischen Erfahrungen in Krisenregionen. Anhand seiner Feldforschungen in afrikanischen Krisengebieten, unter anderem in Gefängnissen in Ruanda, verdeutlichte er die Funktion von Emotionen als Motor für aggressives Verhalten. Dabei nahm Weierstall die konkreten Gefühle einzelner Individuen in den Blick, die selbst Gewalt ausgeübt hatten. Die Untersuchungen ließen erkennen, dass Gewalt aus der Vermeidung negativer Emotionen wie Angst entstehe, darüber hinaus jedoch auch positive Emotionen wie Freude oder Erregung zur Eskalation beitragen können. Nachdem die erste Hemmung überwunden sei, könnten Gewalttäter in einen berauschenden Strudel geraten, in dem ihre Gewalthandlungen ihnen Lust und positive Gefühle bereiten.

Häufig sind die im Zusammenhang mit Gewalthandlungen auftretenden Gefühle gemeinschaftlicher Natur. Daher entwickelte der Soziologe CHRISTIAN VON SCHEVE (Berlin) ein Modell zur Entstehung kollektiver Emotionen für die soziologische Forschung. Gemeinschaftsgefühle seien durch strukturelle und symbolische sowie durch kognitive und verhaltensabhängige Faktoren bedingt. Damit, so von Scheve, ließen sich zwar keine Bedingungen für das Auftreten von Gewalt festmachen, aber die kollektiv-emotionalen Zustände beleuchten, die Massengewalt sowie Konflikten zwischen Individuen vorausgehen können.

Ein bestimmendes Gefühl im menschlichen Zusammenleben ist Scham, wie der kalifornische Soziologe THOMAS SCHEFF (Santa Barbara) hervorhob. Zwar könnten Schamgefühle durchaus konstruktiv wirken und zu sozialer Integration oder Regulierung von Gewalt beitragen. Insbesondere verheimlichte Scham führe oftmals zu Zorn und Wut, durch die Gewalt entstehe. Daher, so plädierte Scheff, sollte dieser spezifischen, negativen Emotion in der Praxis zur Friedenssicherung mehr Aufmerksamkeit zugestanden werden.

Wie Scham, Langeweile oder Ernüchterung durch Gewalt umgewandelt werden können in Spaß, Erregung und Zugehörigkeitsgefühl zeigte DAGMAR ELLERBROCK (Berlin) anhand der politischen Straßenkämpfe in der späten Weimarer Republik. Wobei sie in Anlehnung an R. Collins den starken Einfluss sozialer Interaktionen auf die Gefühlslage der an Gewalthandlungen beteiligten Personen betonte. Ähnlich argumentierte THOMAS KÜHNE (Worcester, MA), der den schöpferischen Charakter von Gewalt durch gemeinsame Gräueltaten anhand der Vernichtungsmaßnahmen von Ordnungspolizei und Wehrmacht untersuchte. Trotz der unterschiedlichen Zusammensetzung dieser Gruppen und verschiedener „Emotionaler Regime“ (William M. Reddy), sei bei beiden Gruppen durch das gemeinsame Ausüben von und Sprechen über Gewalt ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entstanden. Damit verdeutlichten beide Beiträge, welche wichtigen Impulse die Erforschung nationalsozialistischer Gewalt durch den Blick auf die Umwandlung negativer Gefühle in positive Gemeinschaftsempfindungen erhalten kann.

Ebenfalls emotional grundierte Dynamiken von Gruppen und Individuen thematisierte KLAUS WEINHAUER (Bielefeld) in seiner Re-Interpretation wichtiger sozialpsychologischer Studien der 1960-/70er-Jahre (Milgram- und Stanford Prison Experiment). Beide gelten als Beleg für absolute Gehorsamsbereitschaft. Weinhauers Blick auf die Emotionen der Versuchspersonen zeigte jedoch, dass deren Bereitschaft zur Gewaltanwendung eher als Vorwärtspaniken (R. Collins) gelten können, ausgelöst durch Schamgefühle (Milgram) bzw. durch emotional codierte Gruppen- und Männlichkeitsmuster (Stanford). In beiden Fällen waren die Gewalthandlungen auch von Vorstellungen über das Danach geprägt.

Nach dem Ende der Gewalt spielen Emotionen und kollektive Empfindungen weiterhin eine Rolle, etwa bei der Aufarbeitung oder in der Präventionsarbeit zur Verhinderung neuer Gewalt. Einen innovativen Ansatz für die Betrachtung der Transitional Justice wählte ALLEN FELDMAN (New York). Er untersuchte die Funktion von Emotionen und mehrstimmiger Zeugenschaft in der Südafrikanischen Wahrheitskommission. Mit Hilfe der vergleichenden Analyse von griechischer Tragödie und zeitgenössischer Aufarbeitung vergangenen Unrechts besprach er emotionale Praktiken und ästhetisch-akustische Mittel in unterschiedlichen Formen des Zeugnisablegens und die daraus entstehenden moralischen Gemeinschaften. JULIANE BRAUER (Berlin) betrachtete das Prinzip der Empathie als Schlüssel für historisches Lernen über den Holocaust kritisch und bemerkte, dass dieses Gefühl nicht allein den Opfern historischer Ereignisse entgegengebracht werde, sondern unter Umständen auch den Gewalt ausübenden Personen.

Die generationelle Weitergabe von Gewalterfahrungen und Traumata thematisierte MICHAEL ROPER (Colchester) anhand von Interviews mit in den 1920er-Jahren geborenen Nachkommen britischer Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg. Aus diesen wurde deutlich, dass sich die elterlichen Erinnerungen an Gewalt sowie die Präsenz der Gewalterfahrungen durch Kriegsverletzungen auf das Familienleben auswirkten. Die Nachgeborenen berichteten von einem allgemein höheren Aggressionslevel und unerwartet anti-militaristischen Reaktionen ihrer Väter, wenn die Kinder selbst als Soldaten im Zweiten Weltkrieg dienten.

SILKE FEHLEMANN (Frankfurt am Main) widmete sich ebenfalls den Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges. Im Zentrum ihrer Betrachtung standen die Eltern und insbesondere Mütter, die um ihre gefallenen Söhne trauerten. Anhand von Denkmälern verglich sie europäische Erinnerungskulturen und wie diese den Schmerz der Eltern repräsentieren. Diese fanden als trauernde Familienangehörige im männlich und militärisch dominierten öffentlichen Gedenken der Weimarer Republik keinen Raum. Erst die Nationalsozialisten integrierten die Trauer der Hinterbliebenen in transformierter Form und instrumentalisierten ihre Gefühle für eine zukunftsorientierte Symbolpolitik.

Ein ähnliches Phänomen behandelte NILS LÖFFELBEIN (Frankfurt am Main) mit der öffentlichen Repräsentation von Kriegsinvaliden als Beispiel für die generelle Inanspruchnahme der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg im Nationalsozialismus. Invaliden seien – zumindest bis 1943 – ebenso wie Gefallene als Kriegshelden dargestellt worden, um die nach dem Ersten Weltkrieg zunächst vorherrschende Trauer neu zu interpretieren und ein anderes emotionales Regime zu etablieren. Geistig geschädigte Kriegsteilnehmer hingegen wurden aus Veteranen-Organisationen und der öffentlichen Gedenkkultur ausgeschlossen.

Neben der öffentlichen Repräsentation von Gefühlen ging es in dem Vortrag von CAROL ACTON (Waterloo, ON) auch um den privaten Ausdruck von Emotionen. Sie analysierte persönliche Briefe und Tagebücher aus dem Ersten Weltkrieg mit einem literaturwissenschaftlichen Instrumentarium. Dabei markierte sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den vorherrschenden emotionalen Regimen der Zeit und den privaten Emotionen. Besonders anhand der Texte trauernder Frauen wies sie nach, dass öffentliche Diskurse, wie der Heldentod, zur persönlichen Sinnstiftung aufgegriffen wurden.

Die Beiträge von ANNE SCHMIDT (Berlin) und BARBARA KRAHÉ (Potsdam) diskutierten den Zusammenhang von Bildmedien und Gewalt. Schmidt beschäftigte sich mit alliierten Propagandapostern des Ersten Weltkriegs und der Bildsprache der vermittelten Emotionen. Einen Einblick in die psychologische Forschung zur Auswirkung medialer Gewalt auf die Aggressivität von Versuchspersonen bot Krahé. Schon das Rezipieren von kurzen Videosequenzen, die Gewalt darstellen, desensibilisiere die Testpersonen: Sie zeigten eine erhöhte Akzeptanz von Aggression und würden potentiell aggressiver handeln. Aussagen zur tatsächlichen Gewalttätigkeit könnten aus den Versuchen allerdings nicht getroffen werden.

Durch die Neuausrichtung auf Emotionen kann sich das Verständnis von Geschichte wandeln; das betonte Dagmar Ellerbrock in ihrer Einführung. Die Emotionsgeschichte schärft gerade bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Gewalt den Blick für neue Fragestellungen und Analysemethoden. So können Antworten auf grundlegende Fragen gefunden werden, die mit rationalen Entscheidungen der historischen Akteure nicht befriedigend zu erklären sind. Mit der Anknüpfung an bereits vorliegende sozialpsychologische, kriminologische oder politologische Forschungen und der Übertragung in historische Fragestellungen bot die global ausgerichtete Konferenz neue Denkanstöße für eine Emotionsgeschichte der Gewalt. Die gesellschaftlich höchst relevante Frage nach dem Transfer der Tagungsergebnisse in die praktische Arbeit der Gewaltprävention und Friedenssicherung werden die Organisator/innen auf einem Praxis-Workshop im Oktober 2013 diskutieren.

Konferenzübersicht:

Ute Frevert (Berlin): Welcome Address

Dagmar Ellerbrock (Berlin): Opening Remarks

Keynote Lecture:
Susanne Karstedt (Leeds): The Emotional Dynamics of Mass Atrocities

Panel I: Interdisciplinary Perspectives on Emotions and Violence: Theories, Methods and Concepts
Chair: Holger Nehring (Sheffield)

Christian von Scheve (Berlin): Collective Emotions and Violence: A Sociological Perspective

Roland Weierstall (Konstanz): Emotions as a Motor for Aggressive Behavior: A Psychological Perspective

Keynote Lecture:
Thomas Scheff (Santa Barbara): Alienation and Hidden Shame: Social-Emotional Causes of Conflict

Keynote Lecture:
Roger Petersen (Cambridge, MA): Emotions and Ethnic Violence

Panel II: Emotional Dynamics of Collective Violence: War, Civil War, Ethnic Violence and Transitional
Chair: Christoph Cornelißen (Frankfurt am Main)

Dagmar Ellerbrock (Berlin): Fun, Excitement and Arrogance – Violent Group Formation in the Late Weimar Republic

Thomas Kühne (Worcester, MA): Belonging through Atrocity: Bystanders of the Holocaust and their Emotions

Klaus Weinhauer (Bielefeld): Overcoming Dichotomies. The Milgram Experiment (ME) and the Stanford Prison Experiment (SPE) of the 1960/70s

Allen Feldman (New York): Between the Saying and the Said: Antiphonal Witnessing, and Affect at the South African Truth Commission

Panel III: Media, Emotions and Violence: Insights for Prevention
Chair: Bernd Weisbrod (Göttingen)

Anne Schmidt (Berlin): Atrocity Propaganda – the Pros and Cons: A German Debate on World War I

Juliane Brauer (Berlin): Empathy and Historical Learning about the Holocaust. Silver Bullet or Dead End?

Barbara Krahé (Potsdam): Emotional Desensitization to Violence: The Impact of Violent Media Use

Panel IV: Emotional Regimes in Wartimes and Aftermath: The First World War
Chair: Susanne Karstedt

Carol Acton (Waterloo, ON): Love and Death in the Great War: Private Emotion and Public Scripts

Michael Roper (Colchester): The Psychological Legacy of World War I for Children

Silke Fehlemann (Frankfurt am Main): Violent Death: Parental Grief after World War I in a Gendered Perspective

Nils Löffelbein (Frankfurt am Main): Suffering, Sacrifice and Heroism. Representations of Disabled Soldiers in National Socialism

Round Table
Chair: Dagmar Ellerbrock

Jack Barbalet (Hong Kong); Heinz-Gerhard Haupt (Bielefeld); Susanne Karstedt; Holger Nehring; Roger Petersen; Michael Roper; Bernd Weisbrod


Redaktion
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