Zeitgeschichte transnational. Deutschland nach 1945

Zeitgeschichte transnational. Deutschland nach 1945

Organisatoren
Detlef Siegfried, Universität Kopenhagen; Axel Schildt, Universität Hamburg; Alexander Gallus, Universitäten Rostock/Chemnitz
Ort
Kopenhagen
Land
Denmark
Vom - Bis
15.05.2013 - 17.05.2013
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Von
Alexander Simmeth, Universität Hamburg

Vom 15. bis 17. Mai 2013 fand in Kopenhagen die Konferenz „Zeitgeschichte transnational – Deutschland nach 1945“ statt, zu der Detlef Siegfried (Kopenhagen), Axel Schildt (Hamburg) und Alexander Gallus (Rostock/Chemnitz) geladen hatten und die von der Thyssen-Stiftung sowie dem Center for Modern European Studies der Universität Kopenhagen unterstützt wurde. Nach einem Grußwort des deutschen Botschafters Michael Zenner stellte Detlef Siegfried der Konferenz einige einführende Gedanken voran, die zugleich die Leitfragen der Tagung bildeten: Was etwa ist von dem oft erhobenen Vorwurf zu halten, transnationale Zusammenhänge flössen zu wenig in die deutsche Zeitgeschichtsforschung ein? Was genau sind die Charakteristika eines spezifisch transnationalen Ansatzes? Ist er Ergänzung oder Alternative zur nationalen Geschichtsschreibung? In der anschließenden, von CHRISTOPH CORNELIEßEN (Frankfurt am Main) moderierten Podiumsdiskussion setzten sich NORBERT FREI (Jena), MARTIN SABROW (Potsdam) und MARY FULBROOK (London) mit diesen Leitfragen auseinander. Dabei herrschte auf dem Podium schnell Einigkeit, dass es sich bei transnationaler Geschichte um eine Perspektive handele und keineswegs um ein Forschungsparadigma, für das ein erneuter turn proklamiert werden müsse. Auch die Perspektive sei nicht neu, neu sei allein das gesteigerte Interesse. Ob eine transnationale Perspektive sinnvoll ist, sei dabei schlicht abhängig von der jeweiligen Fragestellung. Eine nationale Fokussierung in der deutschen Zeitgeschichtsforschung, so das Podium einstimmig, habe es jedenfalls nie gegeben. Diese Einschätzung wurde von den Konferenzteilnehmern jenseits des Podiums nicht uneingeschränkt geteilt. Zwar sei transnationale Geschichte durchaus „nur“ eine Perspektive, als solche jedoch weitaus mehr als eine reine Modeerscheinung und in ihrem Innovationspotential auf jeden Fall ernst zu nehmen. Letzteres sei in der Zeitgeschichtsforschung keineswegs immer ausreichend geschehen.

Die erste Sektion „Zäsuren transnationaler Herausforderungen“ eröffnete DIETMAR SÜß (Augsburg) mit einem Vortrag über die Zäsur „1945“ und Erinnerungskulturen als deutsches und europäisches Phänomen. Er stellte den Luftkrieg als Erinnerungsort in den Mittelpunkt, der ein starkes identitätsstiftendes Potential entfaltet habe. Der Luftkrieg und seine Auswirkungen hätten sehr unterschiedliche nationale Gedächtniskulturen ausgeprägt, in denen Notgemeinschaften vor allem als Solidargemeinschaften imaginiert worden seien. Dabei fungiere in der kollektiven Erinnerung der Begriff der Versöhnung als Teil nationaler Opfernarrative, sei darüber hinaus aber auch zu einem zentralen Teil internationaler Wiederannäherungen geworden. Süß hob die Kathedrale in Coventry als herausragendes Beispiel für einen transnationalen und ökumenischen Ort der Erinnerung heraus. KAREN SCHÖNWALDER (Göttingen) machte ausgehend von der symbolischen Bedeutung des Anwerbevertrags im Jahr 1955 die transnationale Perspektive bei der Betrachtung der Migration und Migrationspolitik stark. Aus transnationaler Perspektive werde etwa in Bezug auf die Gastarbeiterpolitik ersichtlich, dass Druck aus den Herkunftsländern politische Entscheidungen in der BRD beeinflusst habe. Hinsichtlich der Rückwirkungen der Migration auf die ansässigen Gesellschaften sei bei persönlichen Netzwerken ein „Transnationalismus im Innern“ zu beobachten, wobei die Diversität der transnationalen Netzwerke mit abnehmendem Alter zunehme: eine signifikante Veränderung der Gesamtgesellschaft durch Migration sei zwar langsam, aber deutlich nachweisbar. Für FRANK BÖSCH (Potsdam) war 1984 als „Orwell-Jahr“ bereits vorab zur Zäsur „1984“ stilisiert worden und avancierte zum Chiffre für diverse Ängste: besonders für die politische Linke, und in erster Linie in der Bundesrepublik, wo 1984 ein „magisches Jahr“ des Apokalyptischen gewesen sei und etwa als Assoziationsraum für Computer- und Überwachungstechniken gedient habe. Begreife man die Zäsur „1984“ als mediale Revolution, so stelle sich die Frage, inwiefern das Jahr 1984 durch die Medien im Nachhinein umgewidmet worden seien und, allgemeiner, inwieweit nicht Medien selbst – meist ex post – Zäsuren ausbildeten. Der transnationale Charakter von Medienzäsuren trete besonders prägnant hervor.

Zu Beginn der zweiten Sektion „Globales Engagement in Deutschland“ stellte CLAUDIA KEMPER (Hamburg) die International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) vor, die quasi als Gegenentwurf zur „sprachlosen“ politischen Situation des Kalten Kriegs das Ziel eines grenz- und blockübergreifenden Dialogs formulierte. Getragen von der internationalen Vision von Frieden sei zwar ein Dialog- und Aktionsraum entstanden, der jedoch zeitlich begrenzt gewesen sei und oft auch die Strukturen der Blockkonfrontation widergespiegelt habe: so habe etwa ein tiefer Graben zwischen den ost- und den westdeutschen Mitgliedern der IPPNW bestanden. Nicht nur deswegen müsse letztendlich bezweifelt werden, dass internationale Organisationen zwangsläufig transnationale Beziehungen nach sich zögen. DETLEV BRUNNER (Leipzig) stellte heraus, dass die „antiimperialistische Solidarität“ als offizielle Staatspolitik der DDR, die eine Verflechtung außen- und innenpolitischer Zielsetzungen nach sich zog, letztendlich auch der Identitätsstiftung und der Systemlegitimation gedient habe. FDGB und FDJ seien zentrale Triebkräfte der Solidaritätspolitik gewesen, von Solidaritätsaktionen mit Vietnam bis hin zu Auslandseinsätzen der „Brigaden der Freundschaft“ der FDJ. Hierbei kam es zu teilweise engen Kontakten nicht nur mit einheimischen Bevölkerungen, sondern auch mit Hilfsbrigaden anderer sozialistischer Staaten. Der Alltag ausländischer Vertragsarbeiter in der DDR wiederum war stark reglementiert, trotzdem seien deren Erinnerungen an die DDR meist positiv. Insgesamt sei die DDR durch die vielfältigen internationalen Kontakte vielfältig beeinflusst worden. BART VAN DER STEEN (Amsterdam) nahm mitteleuropäische Hausbesetzerszenen in den 1980er-Jahren in den Blick. Es habe über politische Grenzen hinweg Austausch zwischen den verschiedenen Hausbesetzerszenen gegeben, wobei internationale Kontakte persönlicher und konkreter Natur sowie meist informell organisiert waren. Als Katalysatoren hätten besonders Unterstützungskampagnen gegen Räumungen fungiert, aber auch Musik (tourende Bands) sei ein wichtiges verbindendes Element gewesen. Im vorliegenden Fall sei das Konzept der „Glokalisierung“ vorzuziehen: das Lokale sei in der Hausbesetzerszene – trotz zunehmender transnationaler Vernetzung ab Mitte der 1980er-Jahre – immer ein zentraler Aspekt geblieben.

Die dritte Sektion „Lebensstile und Konsummuster in der multikulturellen Gesellschaft“ begann MAREN MÖHRING (Potsdam/Köln) mit einer Konzeptualisierung „ausländischer Spezialitätenrestaurants“ als transnationale Orte, an denen Personal und Gäste mit und ohne Migrationshintergrund interagierten. In der Kontaktzone verschiedener Esstraditionen sowie durch Anpassung an die örtlich erhältlichen Lebensmittel und lokale Geschmackspräferenzen könne dabei „Neues“ entstehen. Die Kategorie „transnational“ sei hier nicht unbedingt sinnvoll; mitunter sei „translokal“ als übergreifende Bezeichnung vorzuziehen, um damit einen engeren Bezug auf verschiedene räumliche Ebenen herzustellen. Der zweite Hauptstrang des Vortrags bezog sich auf die Faszination für diese Restaurants als Orte des Konsums, die am Beispiel der links-alternativen Szene aufgezeigt wurde, wobei es um die Bedeutung des Anderswo für die Formulierung kulinarischer und letztendlich auch politischer Alternativen ging. CHRISTIAN KLEINSCHMIDT (Marburg) eröffnete seinen Beitrag über das Automobil als Konsumprodukt mit dem begrifflichen Hinweis, dass in der Wirtschaftsgeschichte weniger von „Transnationalisierung“, als vielmehr von „Internationalisierung“ gesprochen werde. Diesbezüglich hätte im vorliegenden Untersuchungszeitraum der 1960er- und 1970er-Jahre, in dem auch in Westdeutschland der Durchbruch zur Massenmotorisierung erfolgte, der Anteil der Importe auf dem bundesdeutschen Automobilmarkt durchgehend eine untergeordnete Rolle gespielt. Von einer Internationalisierung des Konsums könne frühestens ab Ende der 1970er-Jahre gesprochen werden, als sich besonders die japanische Autoindustrie als ernsthafte Konkurrenz herauskristallisiert habe. Insgesamt müsse in Bezug auf den bundesdeutschen Automobilkonsum von einer „aufgeschobenen Internationalisierung“ gesprochen werden, was von einer Vielzahl verschiedener Faktoren abhängig gewesen sei. ISABEL RICHTER (Wien) stellte fest, dass die 1960erJahre für einen Wandel touristischer Leitformen stünden, die sich unter anderem in „individuellen“ Reisepraktiken geäußert hätten. Erste „Alternativreisende“ seien Mitte der 1960er-Jahre über den Landweg aus West- und Mitteleuropa nach Indien gereist; eine Reiseroute, die im Nachhinein als »Hippie-Trail« zum Mythos wurde. Diese Reisepraktiken hätten sich in den 1970er-Jahren dann als festes Konsummuster in Form des so genannten „alternativen Tourismus“ etabliert. Referenzpunkte des Alternativtourismus seien etwa Orientalisten Ende des 19. Jahrhunderts, die Entdeckung indischer Musik in den 1950er-Jahren oder auch Autoren wie Arthur Koestler und Allen Ginsberg gewesen. ANNA KLIE (Osnabrück) stellte die bundesweit größten und einflussreichsten türkisch-islamischen Moscheeverbände vor. Dabei wurde die Heterogenität der islamischen Verbandslandschaft mit ihrer Organisation entlang ethnischer, politischer und religiöser Spezifika deutlich. Vor dem Hintergrund vom 11. September 2001 und einer zunehmenden Islamfeindlichkeit in Deutschland würden Moscheevereine häufig misstrauisch als Orte des Fundamentalismus, als Integrationshindernisse oder Parallelgesellschaften betrachtet. Daneben seien in den letzten Jahren aber auch positive Entwicklungen zu beobachten, etwa die Anerkennung als gleichberechtigte Gesprächspartner oder die rechtliche Gleichstellung islamischer Religionsgemeinschaften.

Die vierte Sektion „Medien und Populärkultur“ eröffnete MALTE ZIERENBERG (Berlin) mit einem Beitrag über internationale Bildagenturen. Die Geschichte der deutschen Pressefotografie sei als „eine erweiterte infrastrukturelle Transnationalisierungsgeschichte“ zu konzipieren, wobei es besonders um jene medialen Infrastrukturen gehe, die sowohl das Ergebnis als auch eine Grundlage für transnationale Kommunikationen bildeten. Getragen von großen Verlagshäusern hätte sich in Deutschland seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein Feld der professionellen Herstellung, Verbreitung und Archivierung von Pressebildern etabliert, das den heimischen Markt mit Bildern aus aller Welt versorgt und im transatlantischen Raum großen Einfluss gewonnen habe. Nach dem Kahlschlag der NS-Herrschaft habe dann der Kalte Krieg nicht nur neue politische Bildsprachen hervorgebracht, sondern auch den Aufbau neuer Verteilernetze, die unterschiedliche lokale, nationale und transnationale Publikationsorgane adressierten. CHRISTINA VON HODENBERG (London) beleuchtete das Fernsehen als ein von Vornherein transnationales Phänomen. Seit den 1950er-Jahren sei der internationale Austausch von Formaten und Konzepten schon allein aufgrund der hohen Produktionskosten schnell üblich geworden. Es sei dabei ein Spannungsverhältnis zwischen dem Fernsehen als Instrument nationaler Diskurse auf der einen, und der starken Präsenz internationaler Programm-Importe und transnationaler Vernetzungen auf der anderen Seite entstanden. Als Beispiel fungierte die in mehreren Ländern zwischen 1966 und 1979 äußerst erfolgreiche, ursprünglich aus Großbritannien stammende Serie, die im bundesdeutschen Fernsehen als „Ein Herz und eine Seele“ („Ekel Alfred“) bekannt wurde. An ihr ließe sich festmachen, inwiefern „rasche und umfassende Nationalisierungsanstrengungen“ für eine Anpassung an den bundesdeutschen Markt sorgten, die transkulturelle Übertragungseffekte weitgehend ausschloss. Die Präsenz importierter Fernsehformate bedeute nicht automatisch das Aufbrechen nationaler Öffentlichkeiten; im Gegenteil könnten solche Importe die Dominanz nationaler Kulturen sogar noch bestärken und in internationalen Diskussionen als Träger aggressiver nationalistischer Stereotype dienen. ALEXANDER SIMMETH (Hamburg/Berlin) nahm mit der „Krautrock“-Rezeption in den USA und Großbritannien die junge bundesdeutsche Popmusikszene in den Blick, die sich um 1968 formierte und ab Beginn der 1970er-Jahre auf die angloamerikanischen Zentren der Popmusik zurückzuwirken begann. Dabei hätten sich Gruppen wie Amon Düül, Can, Kraftwerk, Faust, Neu!, oder Tangerine Dream zwischen den Polen des massiven angloamerikanischen Einflusses und der gleichzeitig bewusst forcierten Abgrenzung bewegt. Die Suche nach einer „eigenen“ kulturellen Identität und der eng damit zusammenhängende Rückgriff auf kulturelle Versatzstücke außerhalb der Popmusik und außerhalb der angloamerikanischen Sphäre habe eine vor allem in den USA und Großbritannien als avantgardistisch und völlig neuartig wahrgenommene Popmusik hervorgebracht, der bis heute transnational eine enorme Wirkungs- und Innovationskraft zugesprochen werde. FRANK BAJOHR (Hamburg) präsentierte nationale, internationale und transnationale Aspekte des deutsch-deutschen Fußballs. In beiden deutschen Staaten sei der Fußball die beliebteste Sportart gewesen. Die Menschen in der DDR hätten neben den „eigenen“ auch die Vereine im Westen interessiert verfolgt und wären durch das Westfernsehen gut informiert gewesen. Der DDR-Fußball hingegen habe außerhalb des Landes nahezu niemanden angesprochen, was durchaus im Sinne der politischen Führung gewesen sei. Auf Ebene der Nationalmannschaften habe sich die westdeutsche Mannschaft nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft im Jahr 1954 zur gemeinsamen nationalen Projektionsfläche entwickelt. Nach einer post-nationalen Phase in den 1980er- und frühen 1990er-Jahren, in der sich eine signifikante Zahl junger Westdeutscher mit „Außenseitern“ und Nationalmannschaften kleiner Länder identifiziert habe, sei spätestens mit der Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land wieder eine Begeisterung für das eigene Team erwacht. Dabei böten sowohl das Nationalteam wie auch die Vereinsmannschaften aufgrund ihrer zunehmend multiethnischen bzw. multikulturellen Zusammensetzung kaum mehr Basis für nationale Projektionen.

Die fünfte Sektion „Erinnerungskulturen“ begann mit einem Beitrag von STEFANIE SCHÜLER-SPRINGORUM (Berlin), der wegen krankheitsbedingter Abwesenheit verlesen wurde. Nur wenige Museen, die sich mit dem Nationalsozialismus oder dem Holocaust beschäftigen, seien transnationale Orte; vielmehr seien sie gekennzeichnet von transnationalen Darstellungen für einen nationalen Kontext. Das Beispiel des Jüdischen Museums in Berlin habe gezeigt, wie die Darstellung des jüdischen Lebens und seiner Zerstörung schon bei der Eröffnung durch und für die nationale Politik instrumentalisiert worden sei. Dieser Mechanismus einer Nationalisierung der transnationalen Darstellungen in Museen könne nur bedingt durchbrochen werden. CLAUDIA KRAFT (Siegen) referierte über Erinnerungskulturen in Osteuropa im Spannungsfeld zwischen Nationalisierung und Transnationalisierung. Im postsozialistischen Umfeld nach 1989 habe es einen regelrechten „Boom“ gegeben, wobei die Verknüpfung von Erinnerung und Identität zentraler Aspekt gewesen sei. Dabei habe eine »opferidentifizierte Erinnerung« überwogen, im Falle der post-vereinigten BRD etwa habe die Verschiebung des Fokus auf die Vertreibung eine „neue deutsche Opferkultur“ produziert. Ein Wiederaufgreifen geschichtswissenschaftlicher Methoden könne hilfreich sein, um etwa auch nach den einzelnen Tätern und ihren Motiven zu fragen, anstatt von abstrakter Opferforschung oder Personalisierungen von Systemen zu sprechen. Eine dezidiert europäisch-transnationale Erinnerungskultur sei allerdings unwahrscheinlich. SIMONE LÄSSIG (Braunschweig) strich heraus, dass Schulbücher aufgrund ihrer hohen Verbreitung immer auch ein Politikum seien. Eine Vielzahl von nationalen und internationalen Feldern wirke auf die Kanonisierung des Schulbuchwissens ein. Dabei sei Schulbuchwissen selektiv, staatlich autorisiert und erhebe Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Der Zeitgeschichte werde etwa ein Viertel des präsentierten historischen Wissens zugestanden. Seit den 1970er-Jahren rücke der Ort der Sinnstiftung dabei in Richtungen jenseits der Nation, rein nationale Perspektiven seien mittlerweile weitgehend aus den Schulbüchern verschwunden. Welt- oder Globalgeschichte seien jedoch bis heute klassisch politisch angelegt und dementsprechend defizitär.

ALEXANDER GALLUS (Rostock/Chemnitz) fasste in einem abschließenden Impulsreferat die wesentlichen Punkte der Diskussionen und Kommentare der vergangenen drei Tage noch einmal zusammen. Transnationale Geschichte sei keine neue Meistererzählung und kein neues Paradigma, sondern schlicht eine Perspektive. Und es gebe schon gar keinen neuen transnational turn: der habe sich längst vollzogen, ohne so genannt worden zu sein. Konsens auf der Konferenz sei gewesen, dass die Bedeutung transnationaler Perspektiven für kultur-, kommunikations- und mikrogeschichtliche Themen enorm hoch sei, wobei eine der spannendsten Fragen bleibe, wie und inwieweit empirische Daten und hard facts integriert werden könnten – die oft problematische Quantifizierbarkeit von Phänomenen war wiederholt Thema während der Konferenz. Darüber hinaus bestünden weiterhin Fragen nach einer Verbindung der transnationalen Perspektive mit der Gesellschaftsgeschichte oder der „klassischen“ Politikgeschichte.

Neben den genannten Aspekten wie der Frage nach Perspektive oder Paradigma, nach der Berücksichtigung des „Transnationalen“ in der Zeitgeschichtsforschung oder nach der Quantifizierbarkeit transnationaler Phänomene spielte die begriffliche Handhabung wiederholt eine Rolle. Dabei wurde die Uneindeutigkeit des Begriffs „transnational“ ebenso hervorgehoben wie die Tatsache, dass wie auch beim Terminus „international“ letztendlich die Nation der Bezugspunkt bleibt. Als begriffliche Alternativen wurden im Kontext der jeweiligen Fragestellungen etwa „glokal“, „translokal“ sowie „transkulturell“ genannt – der Begriff „global“ spielte interessanterweise an keiner Stelle eine Rolle. Insgesamt bekräftigten sowohl die Impulsreferate als auch die zahlreichen, thematisch außerordentlich vielfältigen Beiträge und Diskussionen das keineswegs neue, aber bisher zweifellos an vielen Stellen vernachlässigte Potential der transnationalen Perspektive in der Zeitgeschichtsforschung.

Konferenzübersicht

Begrüßung

Einführung in die Tagung: Detlef Siegfried (Kopenhagen)

Podiumsdiskussion
Moderation: Christoph Cornelissen (Frankfurt am Main)

Teilnehmer: Norbert Frei, Jena; Martin Sabrow, Potsdam, Mary Fulbrook, London

Sektion 1: Zäsuren transnationaler Herausforderungen
Moderation: Alexander Gallus (Rostock)

Dietmar Süß (Augsburg): 1945. Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg als deutsches und europäisches Phänomen

Karen Schönwälder (Göttingen): 1955. Migrationspolitik

Frank Bösch (Potsdam): 1984. Mediale Revolution

Sektion 2: Globales Engagement in Deutschland
Moderation: Andreas Eckert (Berlin)

Claudia Kemper (Hamburg): Internationale Vernetzungen der deutschen Sektion der IPPNW

Detlev Brunner (Leipzig): Internationale Solidaritätskampagnen der DDR

Bart van der Steen (Amsterdam): Transnationale Netzwerke von Hausbesetzern

Sektion 3: Lebensstile und Konsummuster in der multikulturellen Gesellschaft
Moderation: Axel Schildt (Hamburg)

Maren Möhring (Potsdam): Transnational - TransLokal. Die ausländische Gastronomie in der Bundesrepublik

Christian Kleinschmidt (Marburg): Toyota contra Volkswagen. Internationalisierung des Automobilmarktes

Isabel Richter (Wien): Alternativer Tourismus in den 1960er und 1970er Jahren

Anna Klie (Osnabrück): Moscheenvereine in der Bundesrepublik zwischen Akzeptanz und Zurückweisung

Sektion 4: Medien und Populärkultur
Moderation: Susanne Regener (Siegen / Kopenhagen)

Malte Zierenberg (Berlin): Internationale Bildagenturen

Christina von Hodenberg (London): Importiertes und Hausgemachtes: Serien im westdeutschen Fernsehen

Alexander Simmeth (Hamburg/Berlin): „Krautrock“-Rezeption in den USA und Großbritannien

Frank Bajohr (Hamburg): Deutsch-deutscher Fußball

Sektion 5: Erinnerungskulturen
Moderation: Cornelia Rauh (Hannover)

Dietmar Süß (Jena): Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg als deutsches und europäisches Phänomen

Stefanie Schüler-Springorum (Berlin): Nationale Schande, Universelle Lehre: Die Darstellung von Nationalsozialismus und Holocaust in Museen

Claudia Kraft (Siegen): Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust im östlichen Europa

Simone Lässig (Braunschweig): Zeitgeschichte jenseits des Nationalen? Geschichte und Erinnerung im Schulbuch

Schlusskommentar
Alexander Gallus (Rostock/Chemnitz)


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Deutsch
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