HT 2004: Fremde Herrscher im Ostseeraum. Kolloquium im Rahmen des Doktorandenforums

HT 2004: Fremde Herrscher im Ostseeraum. Kolloquium im Rahmen des Doktorandenforums

Organisatoren
Gabriel Zeilinger, Daniel Höffker
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.09.2004 - 17.09.2004
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Von
Oliver Auge, Historisches Institut, Universität Greifswald

Auf Anregung und unter der Leitung von Daniel Höffker und Gabriel Zeilinger, beide Kiel, fand auf dem Kieler Historikertag 2004 erstmalig ein Kolloquium eigens für Doktorandinnen und Doktoranden statt. Dabei stand der Gedanke Pate, dem wissenschaftlichen Nachwuchs eine geeignete Plattform für den Meinungsaustausch und die Präsentation eigener Forschungen zu bieten, dies aber nicht, wie beim ebenfalls neu eingerichteten Doktorandenforum, in Form von Postern und durch das dadurch zustande kommende Gespräch, sondern vermittelst von Vorträgen mit anschließender Diskussion, die sich - dem gewohnt-bewährten Schema des Historikertags folgend - unter einem Dachthema in einer Sektion vereint finden. "Fremde Herrscher im Ostseeraum" bildete dieses Rahmenthema: Die Einbettung Kiels in ebendiesen Ostseeraum hatte die Behandlung des Sujets ebenso anempfohlen wie die allgemeine und durchaus erklärungsbedürftige Beobachtung, dass in den Ostsee-Anrainerstaaten landesfremde Fürsten auf dem Thron eine recht häufige Erscheinung waren. Warum erfolgte ihre Wahl? Wie fanden sich diese "fremden" Herrscher in ihrer neuen Heimat zurecht? Gelang ihnen die Verständigung mit den Eliten und Untertanen ihrer neuen Herrschaftsbereiche? Welcher Netzwerke konnten sie sich dabei bedienen? Welche Faktoren stellten eventuell Konfliktpunkte dar? Welche Beziehungen und Bindungen bestanden zur alten Heimat? Fragen, welche sich die an der Sektion Beteiligten stellten und welche allesamt im weitesten Sinne den Bereich "Kommunikation" umkreisen. Damit fügte sich das Untersuchungsobjekt der Sektion "Fremde Herrscher im Ostseeraum" in bester Weise in das Motto ein, unter das der diesjährige Historikertag gestellt war: Raum und Kommunikation.

Nach einer Einführung in das Thema, in der zuerst Zeilinger und dann Höffker als Sektionsleiter den Gegenstand des Kolloquiums nochmals erläuterten und gleichzeitig Begrifflichkeiten klärten, eröffnete Zeilinger mit einem Beitrag zu Christoph von Bayern, der als König der nordischen Union von 1440 bis 1448 über Dänemark, Schweden und Norwegen herrschte, die Reihe der Vorträge. Zeilinger erläuterte zunächst Christophs familiären Hintergrund und zeichnete detailgetreu seinen Weg zu den Thronen der drei Reiche nach. Dann ging er auf seine Herrschaft selbst ein. Es gelang Christoph, Zeilinger zufolge, sich auf die politischen Gegebenheiten seiner neuen Länder einzustellen und sich mit deren Führungsschichten zu arrangieren. Zeilinger charakterisierte daher Christophs Regierungszeit als eine Phase intensiver konsensueller Herrschaft. Anstoß habe freilich die Tatsache erregt, dass Christoph eine Gruppe süddeutscher Adeliger um sich geschart habe. Insbesondere die "privat-funktionale" Sphäre des Hofs sei von Deutschen dominiert gewesen, während in der "politisch-öffentlichen" Sphäre heimische Dänen den Ton angegeben hätten. Zuletzt behandelte Zeilinger Christophs zeitgenössische Wahrnehmung und konstatierte, dass die Ansichten über den König geteilt gewesen seien. Vor allem in schwedischen Quellen seien er und sein Hofleben negativ gezeichnet worden, was seinen Grund wohl in einem unterschiedlichen Verständnis von angemessener höfischer Lebensweise gehabt habe. Christoph blieb ein fremder König, so das ernüchternde Fazit Zeilingers.

Im Anschluss kam Mike Burkhardt, Kopenhagen, auf Christian von Oldenburg zu sprechen, der dem kinderlosen Christoph in Dänemark und Norwegen unmittelbar nachfolgte und zeitweise auch die Herrschaft über Schweden errang. Obwohl die drei Reiche unterschiedliche Interessen bei der Suche eines Thronkandidaten verfolgt hätten und andererseits Christian unerfahren und auf die Aufgaben als König nicht vorbereitet gewesen sei, habe sich der Oldenburger zu etablieren vermocht, indem er schnell die Unterstützung einflussreicher dänischer Adelsfamilien für sich gewonnen und mit der Heirat von Christophs Witwe Dorothea das alle drei Reiche gleichermaßen belastende Problem von deren Brautschatzforderung gelöst habe. Auch sei er bis 1450 gegen seine Gegner in Dänemark, Norwegen und auf Gotland offensiv und entschlossen vorgegangen. Vor allem habe ihn aber die Tatsache empfohlen, dass er als ausländischer Kandidat unbelastet von den innerskandinavischen Konflikten gewesen sei. Vielleicht sei ihm auch der Vorteil zugute gekommen, dass er als Norddeutscher mit den nordischen Verhältnissen vertrauter gewesen sei als der süddeutsche Christoph.

Auf Burkhardt folgte Anna Ziemlewska, Torun, mit einem Referat zu Sigismund III. Vasa, der von 1587 bis 1592 die polnische mit der schwedischen Krone vereinte und nach dem Verlust der schwedischen Königswürde noch bis 1632 über Polen herrschte. Obwohl ihn sein Vater, der schwedische König Johann III. Vasa, schon früh für den polnischen Königsthron vorbereitet habe - Sigismund war u.a. des Polnischen mächtig und hatte eine katholische Erziehung erfahren -, habe er sich zunächst nur mit Mühe in Polen zu behaupten gewusst: Polen erlebte eine Doppelwahl und in ihrer Folge den Ausbruch eines Bürgerkriegs. Sigismund mangelte es angesichts dieser Situation an politischer und militärischer Erfahrung, an Vertrauten, an Geld und an Landeskenntnissen, wie Ziemlewska zeigte. Schließlich habe er sogar an eine Abdankung zugunsten eines schwedisch-habsburgischen Bündnisses gegen Russland gedacht, was - sobald dies bekannt wurde - seine Stellung in Polen weiter unterminiert habe. Erst allmählich sei es dem Herrscher, inzwischen seiner schwedischen Krone verlustig gegangen, in einem jahrzehnte währenden Prozess gelungen, sich eine eigene Hofpartei zu schaffen, die ihm mehr oder minder bedingungslos ergeben gewesen sei. Dies habe aber nichts an der grundsätzlich negativen Beurteilung des Königs bei seinen Zeitgenossen geändert.

Das letzte Fallbeispiel eines "fremden" Königs stellte Daniel Höffker vor Augen: Friedrich von Hessen-Kassel, der Schweden von 1720 bis 1751 regierte. Friedrich sei es gelungen, sich gegen die starke holsteinische Partei am Schwedenhof durchzusetzen. Zwar habe sein reformiertes Bekenntnis einer Kandidatur im lutherisch-orthodoxen Schweden im Wege gestanden, doch Hessens militärisches Potential, die Verbindung zu den Häusern Hohenzollern und Oranien sowie Friedrichs soldatische Karriere hätten dieses Hindernis allemal wettgemacht. Schon fünf Jahre vor seiner Thronbesteigung habe Friedrich als Gemahl Ulrikas, der Schwester des unverheirateten Königs Karl XII., in Schweden gelebt und einen engen, vertrauten Umgang mit dem Schwedenkönig gepflegt. Nach dessen Tod auf dem Schlachtfeld habe zunächst Ulrika den Thron bestiegen und ihn dann im Jahr darauf an ihren Ehemann Friedrich abgegeben. Reibungslos ließ sich das nach Höffker nur durch umfangreiche Zugeständnisse an Stände und Reichsrat bewerkstelligen. Insgesamt trug Friedrichs Regierungszeit, die als so genannte "Freiheitszeit" Eingang in die Geschichtswerke fand, den Charakter einer oligarchischen Adelsherrschaft. Friedrich, so Höffker, war ein König von ständischen Gnaden gewesen.

Am Schluss der Vorträge stand eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse durch Pärtel Piirimäe, Cambridge. Ausgehend vom Cursus Academicus, den der Rechtstheoretiker Dominicus Arumaeus 1621 publizierte, und der darin wegen der Gefahr eines Bürgerkriegs und der Tyrannei klar verneinten Frage, ob ein nichtdeutscher Kandidat zum römischen König gewählt werden könne, stellte Piirimäe nochmals die Leitfrage der Sektion, warum denn so viele ausländische Fürsten in Europa und besonders im Ostseeraum während des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit zu Königen gewählt worden seien. Seine Antworten gab er in zwei Abschnitten, deren erster sich mit dem Zugang zum Thron befasste. Piirimäe unterstrich die Gemeinsamkeit, dass in allen vorgeführten Fällen ein Herrscher ohne unmittelbaren Nachkommen verstorben sei, so dass sich von vornherein die Notwendigkeit einer Kandidatensuche ergeben habe. Die Kandidaten hätten zwar dynastische Verbindungen zu ihrem Vorgänger besessen, aber keiner von ihnen habe über einen ausschließlichen Thronanspruch verfügt. Nicht die dynastischen Verbindungen seien in den vorgeführten Fällen aber letztlich entscheidend gewesen, auch nicht persönliche Herrscherqualitäten. Wichtig war anscheinend vielmehr, dass der jeweilige Kandidat mit den ihm zur Verfügung stehenden heimischen Ressourcen Macht und Rang seines neuen Landes vergrößerte und dabei nicht die Stellung des indigenen Adels bedrohte, sondern die sozialen, politischen, religiösen und rechtlichen Verhältnisse aufrecht erhielt. Diese Motivation hatte also einen außenpolitischen und einen innenpolitischen Hintergrund. Im Fall der nordischen Union sei der jeweilige Kandidat ein Kompromiss zwischen den einzelnen Staaten gewesen, auf die Einzelländer bezogen habe ihre Wahl dem Interesse des jeweiligen Hochadels entsprochen. Sie sei die Gewähr dafür gewesen, dass keine der miteinander rivalisierenden Adelsparteiungen übervorteilt worden sei. Mithin habe die Wahl den inneren Frieden gesichert. In diesem Sachverhalt sah Piirimäe unmissverständlich die Hauptmotivation zur Wahl. Piirimäe betonte auch, dass diese Wahlkriterien miteinander leicht in Konflikt geraten konnten, was die Position des fremden Herrschers natürlich noch diffiziler machte: Der fremde Herrscher musste stark genug sein, die Macht des Staates nach außen zu vergrößern, und gleichzeitig schwach genug, um nicht den Adel des Landes herauszufordern. Die Wähler und Königsmacher hatten freilich vornehmlich letzteren Aspekt bei der Wahl im Auge, wie Piirimäe meinte. Zu diesen Kriterien sei dann seit der Reformation noch die Frage der Konfession hinzugetreten. "To sum it up", so Piirimäe, "it was a combination of legal-dynastic, political, confessional, practical and personal considerations that helped one ruler to the foreign throne and barred other candidates from it." In einem zweiten Teil kam Piirimäe auf die Herrschaft über das "fremde" Land und den dabei stets zu Tage tretenden Herrschaftsmechanismen zu sprechen: Es habe stets die Gefahr bestanden, dass der fremde Herrscher nach dem Vorbild seiner ursprünglichen Heimat strukturelle Veränderungen vornehme, an welchen seinen Wählern aber nicht gelegen war. Um dem zu begegnen, habe man Ausländer aus dem Umfeld des Herrschers von wichtigen politischen Funktionen und Ämtern auszuschließen versucht. Piirimäe betonte in diesem Kontext, wie fruchtbar die von Zeilinger vorgenommene Unterscheidung des Hofs in eine privat-funktionale Sphäre und in einen öffentlich-politischen Bereich sei, da zwischen diesen beiden Komplexen auch die Trennlinie zwischen Ausländern und indigenen Höflingen verlief. Überdies sei in allen vorgeführten Fällen die Herrschaft des fremden Königs als konsensual zu charakterisieren. Eine Ausdehnung seiner Machtbefugnisse sei nicht in Frage gekommen. Am ehesten habe er seine Ausgangsposition durch das gegenseitige Ausspielen der einzelnen indigenen Machtgruppen bewahren können. Im Gegensatz dazu stehe freilich der Befund, dass die Zeitgenossen und die Nachwelt zumeist ein negatives Bild vom fremden Herrscher gezeichnet hätten. Möglicherweise habe ein kultureller Konflikt dabei eine gewichtige Rolle gespielt. Zuletzt verwies Piirimäe darauf, dass es sich bei den nordischen Königreichen um kleinere Monarchien gehandelt habe, die dynastische Verbindungen nach außen zur Erhöhung ihres eigenen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Gewichts benötigten. Auch habe Nationalismus als Argument keine Rolle gespielt, zumal die Sprache kein Hindernis gewesen sei: Auf Latein, Deutsch oder Französisch habe sich der Herrscher im Norden problemlos verständigen können.

Im Anschluss an dieses Resümee, das die vielen, auf den ersten Blick disparat erscheinenden Einzelaspekte der Referate in fruchtbarer Weise bündelte, fand wie auch nach jedem Einzelvortrag eine abschließende Diskussion statt. Die Diskussionsbeiträge kreisten vor allem um die Fragen, was man denn unter der hier angedachten "Fremdheit" letztlich zu verstehen habe Wo war Sigismund III. Vasa als polnisch sprechender und katholisch erzogener schwedischer Königssohn letztlich ein Fremder, in Polen oder doch eher in Schweden? Welche Rolle spielte der Charakter Dänemarks, Schwedens und Polens als Wahlmonarchien bei der Auswahl ausländischer Kandidaten und war das immer wieder angeführte Argument, ein ausländischer Kandidat sei frei von innenpolitischen Verstrickungen gewesen, so überhaupt zutreffend? Auch die Notwendigkeit, den in den Blick genommenen vier Einzelfällen weitere Exempla hinzuzufügen, um eine größere Vergleichsbasis gerade für die allgemeinen Schlussfolgerungen zu gewinnen, wurde angemahnt.

In ihrer Gesamtheit erwies sich die, wie gesagt, gut besuchte Sektion als eine wertvolle Bereicherung nicht nur des Doktorandenkolloquiums, sondern des gesamten Historikertags, da sie dem Nachwuchs die gesuchte Gelegenheit und Chance bot, vor einem kritischen Fachpublikum zu eigenen Arbeiten Rede und Antwort zu stehen, zu Arbeiten, die sich ihrem Profil und Inhalt nach einem in noch mancher Hinsicht unerforschten Raum und dazu einem noch weiter zu hinterfragenden Thema zugewandt haben. Angesichts dieses fruchtbaren Ausgangs bleibt es zu hoffen, dass auch die Organisatoren der kommenden Historikertage die Innovation eines Doktorandenkolloquiums aufzugreifen wissen.

http://www.historikertag.uni-kiel.de/
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