Urkundenformeln und Urkundenprotokoll. Formen der Schriftlichkeit im mittelalterlichen Polen und angrenzenden Regionen (13.–14. Jahrhundert)

Urkundenformeln und Urkundenprotokoll. Formen der Schriftlichkeit im mittelalterlichen Polen und angrenzenden Regionen (13.–14. Jahrhundert)

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut Warschau (DHIW)
Ort
Warschau
Land
Poland
Vom - Bis
03.06.2013 - 04.06.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Sébastien Rossignol, Department of History, Dalhousie University, Halifax, Nova Scotia; Norbert Kersken, Deutsches Historisches Institut Warschau

Urkunden gehören zu den wichtigsten Quellen der mittelalterlichen Geschichte. Sie beschreiben bestimmte Rechtszustände oder dokumentieren rechtserhebliche Handlungen. Neben den Urkundenteilen mit den materiellen Aussagen der Urkunde, die für den Historiker von primärer Bedeutung sind, enthalten die Urkunden auch stark formelhafte Passagen. Diese können jedoch wichtige kultur- und mentalitätsgeschichtliche Aussagen enthalten, können als Aussagen über herrscherliches Eigenbewusstsein der Urkundenaussteller oder -empfänger gelesen werden. Am 3. und 4. Juni 2013 hat im Deutschen Historischen Institut Warschau (DHIW) ein Workshop stattgefunden, der einer vergleichenden Betrachtung von Urkundenformularen, insbesondere von Teilen des Urkundenprotokolls, im Ostmitteleuropa des 13. und 14. Jahrhunderts gewidmet war. An der Veranstaltung nahmen Referenten aus Polen, der Tschechischen Republik, den Niederlanden, Deutschland und Kanada teil. Während eine Fülle von Arbeiten über Urkundenformulare oder über Formularteile in den vorigen Jahren publiziert wurde, schien es den Veranstaltern, dass die Forschungsergebnisse über einzelne Kanzleien, Regionen oder Urkundentypen hinweg noch zu wenig in einem größeren Zusammenhang gestellt werden. Ziel dieser Veranstaltung sollte es sein, Ergebnisse und Desiderata der Forschung in einer Runde von Spezialisten gemeinsam zu diskutieren.

Der Workshop wurde von ANNA ADAMSKA (Utrecht) eingeleitet, die sich zu „Studien zu den Arengen mittelalterlicher Urkunden heute: Ein Paradigmenwechsel?“ äußerte. Adamska fasste die Forschungsgeschichte zu den Arengen mittelalterlicher Urkunden seit Heinrich Fichtenaus grundlegender Monographie zusammen und skizzierte Richtungen, die für die künftige Forschung richtungsweisend sein könnten. Dabei unterstrich sie, dass moderne technische Mittel vergleichende Untersuchungen wesentlich vereinfachen könnten, insbesondere wenn Datenbanken oder elektronische Publikationen von Urkunden bzw. Urkundenteilen zustande gebracht werden würden. Sie wies außerdem darauf hin, dass noch wenig erforscht wurde, wie Arengen oder andere Formularteile rezipiert wurden, wenn Urkunden öffentlich vorgelesen wurden. Dazu können vereinzelte Quellenhinweise gesammelt werden, um Rückschlüsse auf die orale Bekanntmachung des Inhaltes mittelalterlicher Dokumente zu ziehen. Ihrer Auffassung nach müsse die Urkundenforschung, auch wenn sie sich mit spezifischen Formularteilen beschäftige, die Ergebnisse der Forschung über mittelalterliche Schriftlichkeit, Kommunikation und Performanz stärker berücksichtigen.

Daran schloss sich der Beitrag von MATHIAS LAWO (Berlin) über die „Arengen in den Urkunden Kaiser Karl IV.“ an. Der Referent stellte sein laufendes Forschungsprojekt vor, welches der Edition der Kaiserurkunden Karls IV. im Rahmen der „Constitutiones et acta publica imperatorum et regum“ der MGH gewidmet ist. Dabei erläuterte Lawo die Schwierigkeiten, die eine Zusammenstellung der Arengen Karls IV. bereitet: Nicht nur seien die Urkunden Karls IV. sehr zahlreich (9.300 Stücke wurden für eine Datenbank der Regesta Imperii gesammelt), sondern mehrere Editionen hätten aus Platzgründen auf dem Druck der Arenga verzichtet. Bisher seien 400 Arengen erfaßt worden, wobei aber eine viel höhere Zahl zu erwarten sei. Es sei damit zu rechnen, dass, wenn sie abgeschlossen werde, die Datenbank der Arengen der Königs- und Kaiserurkunden Karl IV. ein willkommenes Hilfsmittel für Urkundenforschung werde, das vergleichende Untersuchungen vereinfachen, aber auch zu einer besseren Kenntnis der Kanzleipraxis dieses Herrschers führen werde.

TOMÁŠ VELIČKA (Prag) berichtete über die „Arengen königlicher Urkunden in Böhmen 1310–1419 (am Beispiel der Urkunden für städtische Empfänger)“. Unter den 735 königlichen Urkunden, die in diesem Zeitraum für städtische Empfänger ausgestellt wurden, waren nur 79 mit einer Arenga versehen. Velička hat die Themen dieser Arengen analysiert und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die größte Gruppe von sogenannten Majestätsarengen gebildet werde; außerdem sei zu bemerken, dass Arengen besonders häufig in Bestätigungsurkunden vorkommen, auch wenn wiederum von diesen die meisten keine Arenga haben. Alles in Allem könne man trotzdem davon ausgehen, dass auch wenn die Arengenthemen nicht sonderlich originell waren, die Formulierungen bewusst gewählt worden seien, und dass sie gewisse Vorstellungen der Rolle des Herrschers widerspiegeln würden.

Den vergleichenden Ansatz des Workshops griff PŘEMYSL BAR (Brünn) mit seinem Referat zur „Arenga in den Urkunden von Heinrich IV. Probus und Přemysl Ottokar II. im Vergleich“ auf. Bar untersuchte dabei die Arengen beider Herrscher mit Blick auf den Ursprung der Formulierung, den Inhalt und das Motiv sowie ihre Funktion. Während Spuren der Benutzung von Formelbüchern in beiden Kanzleien zu erkennen seien, ging die Auswahl der Arengenmotive wohl auf die Diktatoren zurück. Dies ließe sich insbesondere bei den Kanzleileitern Přemysl Ottokar II. erkennen, die eigene Schwerpunkte in der Arengenauswahl gesetzt hätten. Zum Beispiel sei der Stil des Protonotars Heinrich von Italien, der „Majestätsarengen“ bevorzugte, stark von italienischen Mustern beeinflusst. Schließlich bemerkte Bar, dass obwohl es Kontakte zwischen den Mitgliedern beider Kanzleien gegeben habe, diese keinen erkennbaren Einfluss auf die Gestaltung der Arengen gehabt hätten.

SÉBASTIEN ROSSIGNOL (Halifax) behandelte in seinem Beitrag „Die Motive der Arengen der herzoglichen Urkunden Schlesiens und Pommerns in vergleichender Perspektive (ca. 1200–ca. 1330)“. Dabei konzentrierte er sich auf die Arengenmotive der herzoglichen Kanzleien Schlesiens und Pommerns, die Aspekte von Herrschaft thematisierten. Dabei hat er grundlegende Unterschiede in den beiden Regionen erkennen können. Während in Schlesien solche Arengen sich vor allem mit eher allgemeinen, aber betont weltlichen Themen beschäftigten, seien die Arengenmotive in Pommern zum einen differenzierter, zum anderen aber auch dadurch charakterisiert gewesen, dass kirchliche und religiöse Botschaften sehr stark betont worden seien. Dies könne von den allgemeinen Beziehungen zwischen Herzog und Kirche indirekt beeinflusst worden oder auch eigenen Traditionsbildungen in den Kanzleien zuzurechnen zu sein, aber vielleicht sei dies auch ein Zeichen einer größeren Unabhängigkeit der pommerschen Kanzleimitglieder gegenüber dem Herzog. Allerdings ist Rossignol der Auffassung, dass solche Themen eher allgemeine Vorstellungen widerspiegeln als bewusst politische Botschaften vermitteln würden.

ADAM SZWEDA (Thorn) – „Die Privaturkunden der polnischen Ritter“ – skizzierte die Entwicklung der von Rittern ausgestellten Urkunden, die sich in den verschiedenen Teilen Polens im Laufe des 13. Jahrhunderts allmählich verbreiteten. Das Formular dieser Urkunden sei je nach Ort und Zeit sehr unterschiedlich, allerdings wurde ein eher einheitliches Formular verwendet, wenn die Dokumente verschiedener Ritter von der Kanzlei eines einzigen Empfängers redigiert worden seien. Exemplarisch stellte Szweda das Formular von Ritterurkunden vor, die im Kloster Paradies in Großpolen angefertigt wurden. Anschließend äußerte sich der Referent zum Formular von Urkunden, die seit dem späten 13. Jahrhundert von Schreibern verwendet wurden, die im Dienst von Rittern standen.

Abschließend sprach AGATA BRYŁKA (Kattowitz) über „Das Funktionieren des Notariatsinstruments und Charakterisierung des Formulars in Oberschlesien bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts“. Bryłka stellte die Besonderheiten des Notariatsinstrumentes vor, die sich in Oberschlesien zwischen 1340 und der Mitte des 15. Jahrhunderts entwickelten unter Bezugnahme der Entwicklung in Polen und Böhmen. Sie betonte, dass die charakterischen Züge des Formulars vor allem von dem jeweiligen Notar abhängig waren, der das Instrument geschrieben und beglaubigt habe. Außerdem habe sich das Formular des Notariatsinstrumentes von demjenigen der Siegelurkunden unterschieden, die bisweilen auch von denselben Notaren angefertigt worden seien. Anschließend beschrieb Bryłka die wichtigsten Kategorien von Notariatsinstrumenten und Notariatszeichen sowie die typischen Teile des Formulars.

Während der Diskussion unterstrich TOMASZ JUREK (Posen), der als Moderator und Diskutant eingeladen worden war, dass die Arenga stets in Zusammenhang mit dem Rest des Formulars betrachtet werden solle. Manche Referenten haben Zusammenhänge zwischen Arengenmotiv, Empfängerkategorie und Rechtsgeschäft erkennen können und betonten, dass eine Vertiefung dieser Frage zu einer besseren Einschätzung der Bedeutung von Arengen führen würde. Jurek wies ebenfalls darauf hin, dass es viel mehr Studien über Arengen als über andere Teile des Urkundenformulars gäbe, was bisweilen zu einer Fehleinschätzung der eigentlichen Rolle der Arenga führen könne. Mehrmals wurden die Schwierigkeiten unterstrichen, überregionale Einflüsse in der Verwendung von Arengen oder weiterer Formularteile zu erkennen und dass nach Lösungen gesucht werden sollte, um die Identifizierung solcher Transfers zu vereinfachen. Verschiedentlich wurde außerdem erläutert, wie schwierig es im Einzelfall ist, die Rezeption der Arengen zu rekonstruieren und die eigentliche Bedeutung der darin enthaltenen Botschaften für Aussteller und Empfänger einzuschätzen. Schließlich wurde auch über den Stellenwert der Arengen überhaupt reflektiert, aber auch auf die Gefahr hingewiesen, mögliche politische Statements in den Arengen zu überinterpretieren.

Konferenzübersicht

Sébastien Rossignol (Halifax, Kanada und Warschau) und Norbert Kersken (Warschau)
„Urkundenprotokoll und Urkundenformular – Einführende Gedanken“

Sektion 1
Moderation: Norbert Kersken (Warschau)

Anna Adamska (Utrecht)
„Studien zu den Arengen mittelalterlicher Urkunden heute: Ein Paradigmenwechsel?“

Mathias Lawo (Berlin)
„Arengen in den Urkunden Kaiser Karls IV.“

Sektion 2
Moderation: Tomasz Jurek (Posen)

Tomáš Velička (Prag)
„Die Arengen der königlichen Urkunden in Böhmen 1310–1419 (am Beispiel der Urkunden für städtische Empfänger)“

Přemysl Bar (Brünn)
„Die Arenga in den Urkunden von Heinrich IV. Probus und Přemysl Ottokar II. im Vergleich“

Sektion 3
Moderation: Grischa Vercamer (Warschau)

Sébastien Rossignol (Halifax, Kanada und Warschau)
„Die Motive der Arengen der herzoglichen Urkunden Schlesiens und Pommerns in vergleichender Perspektive (ca. 1200–ca. 1330)“

Sektion 4
Moderation: Ewa Wółkiewicz (Warschau)

Adam Szweda (Thorn)
„Die Privaturkunden der polnischen Ritter“

Agata Bryłka (Katowice)
„Das Funktionieren des Notariatsinstruments und Charakterisierung des Formulars in Oberschlesien bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts“


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Deutsch
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