HT 2004: Meere als Kommunikationsräume in Mittelalter und früher Neuzeit: Indischer Ozean – Adria – Ägäis – Ostsee – Karibische See

Von
Martin Krieger, Historisches Institut, Universität Greifswald

Seit den epochalen Werken Fernand Braudels 1 wird die Rolle der Meere als keineswegs geschichtslose Entitäten, sondern als Träger grundlegender historischer Entwicklungen in der Geschichtswissenschaft wahrgenommen und thematisiert. Die unüberschaubare Vielfalt an historischen Einzelstudien zu den Meeren dieser Erde macht eine vergleichende Zusammenschau dringend notwendig, lassen sich doch auf diese Weise vergleichbare Grundmuster in der Entwicklung politischer Strukturen, des ökonomischen Austausches, des Kulturtransfers und der Kommunikation erkennen. Zweifellos muß es bei einer solchen vergleichenden Perspektive nicht allein um das Meer gehen, sondern ebenso um die Küsten und deren Hinterland.

Die Sektion „Meere als Kommunikationsräume in Mittelalter und Früher Neuzeit“ des 45. Deutschen Historikertags widmete sich in diesem Kontext der Kommunikation im Indischen Ozean, in Adria und Ägäis, im Ostseeraum sowie in der Karibik. Dabei gelang es dem Sektionsleiter Ludwig Steindorff, kompetente Referenten zu den einzelnen Gebieten zu gewinnen, die in dieser Zusammensetzung sonst eher selten gemeinsam anzutreffen wären. Während Hermann Kulke (Kiel) zum Thema „Maritimer Kulturtransfer im Indischen Ozean: Die Indisierung im 1. Jahrtausend nach Christus“ sprach, ging es bei Neven Budak (Zagreb) um „Die Adria von Justinian bis zur venezianischen Republik – Wandlungen in den Verkehrseinrichtungen“. Es folgten die Präsentationen von Oliver Schmitt (München) über „Die Ägäis als multipolarer Kommunikationsraum im Spätmittelalter“, von Ilgvars Misans (Riga) über „Integration durch den Handel: Die Einheit des Ostseeraumes zur Hansezeit“ sowie abschließend von Thomas Riis (Kiel) über „Welthandelsroute und lokales Verkehrsnetz in der Karibik“. Damit spannte sich in wahrhaft globaler und epochenübergreifender Perspektive ein Bogen von den Meeren des Ostens zu denen des Westens.

Meere wurden in der Sektion als „Kommunikationsräume“ begriffen, und der Zuhörer lauschte gespannt den Ansätzen, mit denen sich die Referenten diesen Terminus zu eigen machten. Das geschah auf ganz unterschiedliche Weise, zum einen erfolgte eine Annäherung an diesen Begriff in kulturgeschichtlicher, zum anderen in politischer oder ökonomischer Perspektive. Einzelne Beiträge stellten „Kommunikation“ und „Kommunikationsraum“ gelungen in den Mittelpunkt der Erörterungen, andere näherten sich dem Thema, ohne diese Begriffe überhaupt ein einziges Mal zu erwähnen.

Seit frühgeschichtlicher Zeit entwickelten sich die Meere zu Medien der Kommunikation, des gegenseitigen Austausches von Handels- und Kulturgütern, wobei es sich immer wieder lohnt, über den europäischen Tellerrand hinauszublicken. Besonders markant stellten sich derartige Transferprozesse zwischen dem Alten Indien und Südostasien dar, wobei seit den ersten nachchristlichen Jahrhunderten bis ins 13. Jahrhundert hinein in großem Umfange indische Kulturgüter wie Religion und Prinzipien der Herrschaftslegitimation auf das südostasiatische Festland und die Insulinde gelangten. Allein die Beobachtung dieses Austausches wirft grundlegende Fragen auf: Wer waren die Initiatoren des Austausches? Welche Persongruppen waren die Träger und aus welchen Beweggründen fand ein solcher Austausch statt? Wie funktionierte der durch diesen Austausch konstituierte Kommunikationsprozeß? Offenbar waren es in vielen Fällen die indigenen Eliten, die sich das Wissen aus dem fernen Indien zunutze machten, um damit ihre Herrschaft zu stabilisieren und frühe Staatsbildungsprozesse in Gange zu setzen. Nach dem Eindruck des Berichterstatters ist es gerade diese sogenannte „Indisierung“ Südostasiens, die am besten als historisches Modell beschrieben wurde und auch für die Untersuchung anderer Regionen Maßstäbe setzt. Daß dieser kulturelle Transfer auch noch in der Neuzeit bis in die Gegenwart hinein als relevant wahrgenommen wird, belegt nicht nur die Gründung der „Greater India Society“ im Jahre 1926, sondern beispielsweise auch die öffentlichkeitswirksame Präsentation einschlägiger historischer Landkarten an den Flughäfen des modernen Indien.

Während die Erforschung des Prozesses der „Indisierung“ auf einem relativ engen Spektrum an archäologischen und schriftlichen Quellen beruht, macht für die Adria gerade die Fülle an Quellen und Quellensprachen eine ganzheitliche historische Betrachtung problematisch. Während sich zudem die „Indisierung“ in der Wahrnehmung der Historiker von Beginn an als regionenübergreifendes, ja bisweilen geradezu imperiales Vorhaben geriert, bleibt die Erforschung der Kommunikationsstrukturen in der Adria bis heute oft eher nationalen Denkkategorien verhaftet. So haben unterschiedliche Forschungstraditionen oft ganz andere Herangehensweisen und letztlich auch Ergebnisse hervorgebracht, und man mag gerade bei dem Beitrag zur Adria den Braudelschen Geist vermissen. In diesem Sinne läßt sich die Adria vor allem als politischer Handlungszusammenhang mit „einer ganz komplizierten Geschichte“ (Budak) begreifen, die sich in weiten Zügen durch die politische und militärische Handlungsreichweite der Protagonisten zwischen Byzantinischem Reich und Venedig konstituiert. Ein Spiegel wechselnder Macht war dabei nicht nur die jeweilige Kontrolle der Seerouten, sondern auch die Dichte militärischer Festungen an den beiden Seiten des Meeres. „Kommunikationsraum“ läßt sich in dieser Hinsicht als politischer und ökonomischer Handlungsraum mit eigenen Gesetzmäßigkeiten begreifen, der aber immer fremden Einflüssen gegenüber offen war.

Wie eng Kommunikation mit dem Handel verbunden war, zeigte vor allem auch der Beitrag zur Ägäis, wobei die Erschließung neuer Quellenbestände, etwa das Archiv des venezianischen Statthalters auf Kreta, die jeweils variierende Bedeutung von Fern- und Regionalhandel der einzelnen Handelsplätze erkennbar macht, aber auch auf jeweils unterschiedliche – oftmals durch Seeräuberei geschwächte – Kommunikationsdichte schließen läßt. Besondere Bedeutung kam dabei personalen Netzwerken zu, die sich etwa aus handeltreibenden Mönchen zusammensetzten.

Während die historische Erforschung des Mittelmeerraumes sich an der großen Tradition Braudels messen lassen kann und muß, fehlt ein solch großer Wurf für den Ostseeraum bislang. Einen guten Ansatzpunkt, die Ostsee dennoch als einheitlichen historischen Raum zu betrachten, bietet gleichwohl die Hanse, der sich Ilgvars Misans sowohl in politischer als auch in ökonomischer, rechts- und kulturgeschichtlicher Perspektive näherte. Integrations- und Kommunikationsprozesse bis weit ins Hinterland der Hansestädte lassen sich für den hansischen Raum besonders anhand von Rechtsvereinheitlichung, aber auch am Beispiel architektonischer Gestaltung der Städte festmachen.

Etwas schemenhaft verblieb der Begriff „Kommunikationsraum“ bei der weitgehend wirtschaftsgeschichtlichen Betrachtung der Karibik in der Neueren und Neuesten Zeit, für die Thomas Riis die sich stetig verlagernden Handels- und Interessenschwerpunkte der Europäer aufzeigte. Es bleibt zu fragen, inwieweit aus Handelskontakten auf einen einheitlichen Kommunikationsraum geschlossen werden kann und inwieweit sich Kommunikation in und mit der Karibik auch in anderen Lebensbereichen konstituiert, etwa bei der Verbreitung von Wissen oder beim Kunsttransfer.

Insgesamt betrachtet, zeigen die Einzelbeiträge sehr unterschiedliche Herangehensweisen an das Thema der Sektion auf. Jede davon ist legitim, obwohl im Einzelfall der Zusammenhang zwischen den Untersuchungsgegenständen Handel und Politik mit dem Kommunikationsbegriff nicht immer scharf herausgearbeitet wurde. Bisweilen wurden diese Begriffe ohne weitere Reflektion stillschweigend miteinander gleichgesetzt. Diese Beobachtung mag der Tatsache geschuldet sein, daß ein eher theoretisch-konzeptioneller Vortrag eines Kommunikationshistorikers in der Sektion fehlte, der das gängige methodische Handwerkszeug und die einschlägige Begrifflichkeit hätte vermitteln können. Auf diese Weise wäre es besser möglich gewesen, die spezifischen Zusammenhänge klarer herauszuarbeiten. Denn daß Kommunikation sehr wohl Räume konstituieren kann, wird in der historischen Forschung längst nicht mehr bestritten.2 Es muß jetzt aber darum gehen, regionen- und epochenübergreifende Gesetzmäßigkeiten (wenn es solche gibt) herauszuarbeiten, die sich aus den Einzelbeiträgen ergeben. Also: Was hat Angkor Wat mit der Backsteingotik gemein? In diesem Kontext erscheint allerdings die zeitliche Eingrenzung der Sektion „in Mittelalter und Früher Neuzeit“ kaum hilfreich, da sie eurozentrisch ist und möglicherweise dort Zäsuren setzt, wo (vielleicht) keine vorhanden sind.

Dennoch griff die Sektion ein relevantes und innovatives Thema auf, welches – wie nur wenige andere Sektionen dieses Historikertages – auch eine außereuropäische Perspektive aufzeigte. Die Beiträge waren außerordentlich anregend und luden zu weiterem Nachdenken ein. – Eine Sektion, bei der es sich lohnte sitzenzubleiben, anstatt nach der Kaffeepause weiterzuziehen.

Anmerkungen:
1 Vor allem natürlich: F. Braudel, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II., 3 Bde., Frankfurt am Main 1998.
2 Über die raumbildende Kraft von Kommunikation siehe: R. Kießling, Kommunikation und Region in der Vormoderne. Eine Einführung, in: C.A. Hoffmann und R. Kießling (Hgg.), Kommunikation und Region, Konstanz 2002, S. 11-39.

http://www.historikertag.uni-kiel.de/
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