Afghanistan, the Cold War and the End of the Soviet Union

Afghanistan, the Cold War and the End of the Soviet Union

Organisatoren
Tanja Penter / Esther Meier / Laura Sembritzki, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg; Claudia Weber, Hamburger Institut für Sozialforschung
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.03.2013 - 16.03.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Moritz Florin, Department Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

„This time it will be different!“, das habe noch jede der Großmächte, die nach Afghanistan gekommen sei, vor dem bösen Erwachen verkündet, so RODRIC BRAITHWAITE (London) in seinem Eröffnungsvortrag zur Konferenz „Afghanistan, the Cold War and the End of the Soviet Union“. Dies gelte für die Briten im 19. Jahrhundert, für die Sowjets im 20. und die NATO im 21. Jahrhundert. Braithwaite, der von 1988-1992 britischer Botschafter in Moskau war, machte gleich zu Beginn der Konferenz eine ganze Reihe von Vergleichen zwischen der Afghanistanpolitik der Sowjetunion und derjenigen der NATO auf. So sei die Ausgangsposition durchaus ähnlich gewesen: Zunächst sei da der feste Glaube an die eigene Fähigkeit gewesen, Afghanistan „aus dem 14. Jahrhundert in die Gegenwart zu katapultieren“. Auch habe der Krieg einen ähnlichen Verlauf genommen: Auf einen überaus erfolgreichen Kriegsbeginn habe eine lange Phase gefolgt, in der es den Besatzern nicht gelungen sei, das Land zu stabilisieren. Der schrittweise Abzug habe begonnen, bevor die selbstgesteckten Ziele erreicht worden seien, das Land sei sich selbst überlassen worden. Es blieb die Frage: Kann es diesmal nach dem Abzug anders sein? Braithwaite äußerte die Hoffnung, dass die NATO aus der damaligen Erfahrung lernen werde. Zwar sei der Abzug richtig, doch müsse das Land im Gegensatz zu damals langfristig unterstützt werden, um eine Chance auf innere Stabilisierung zu haben. Braithwaite verwies damit in seinem Vortrag auf einige der zentralen Fragen, die auch im weiteren Verlauf der Konferenz diskutiert werden sollten: Wie lässt sich der Krieg in Afghanistan in den größeren Zusammenhang eines globalen Kalten Krieges einordnen? Welche Vergleichsperspektiven sind denkbar? Inwieweit prägt die bipolare Weltsicht des Kalten Krieges noch immer westliche Perspektiven auf Afghanistan? Wie können bipolare Sichtweisen überwunden werden?

Wie sehr die Rhetorik des Kalten Krieges die zeitgenössische Debatte, zum Teil aber auch die Historiographie über den sowjetischen Afghanistankrieg beeinflusst hat, zeigten MARTIN DEUERLEIN (Tübingen) und ROMAN KRAWIELICKI (Tübingen) im ersten Panel der Konferenz. So argumentierte Krawielicki anhand von Reden Ronald Reagans, dass sich die politische Rhetorik von „Freiheit“ und „Despotie“, „gut“ und „böse“ durch den sowjetischen Afghanistankrieg verstärkt habe. Doch sei es, so argumentierte Martin Deuerlein, nicht nur die politische Rhetorik, die eine Aufarbeitung des Afghanistankrieges erschwere. Vielmehr sei sowohl in Russland unter Vladimir Putin als auch in den USA unter George W. Bush der Zugang zu den Archiven, der in den neunziger Jahren zunächst weit geöffnet schien, wieder erschwert worden. Während für Russland Schlüsseldokumente recht eindeutig belegten, dass die zeitgenössische Annahme von den expansiven Motiven der sowjetischen Führung nicht zu halten sei, seien gerade in den US-Archiven noch viele Erkenntnisse über die Politik der Carter-Administration zu erwarten. In ihrem Kommentar betonte dann CLAUDIA WEBER (Hamburg), wie sehr die bipolare Wahrnehmung nicht nur politische Rhetorik, sondern auch die Historiographie über den Afghanistankrieg geprägt habe. Es sei deshalb besonders wichtig, derartige Interpretationen historisch zu kontextualisieren. Insgesamt sei entscheidend, sich verstärkt der lokalen Ebene zuzuwenden: Nicht mehr nur die oberste Führungsebene, sondern auch Akteure vor Ort und ihre Motive müssten in eine Analyse einbezogen werden.

Einer solchen Perspektive von unten wandten sich dann die folgenden Vorträge zu. So befasste sich ROBERT JOHNSON (Oxford) in seinem Vortrag mit der afghanischen Perspektive auf den Krieg. Ein besonderes Anliegen Johnsons war, Mythen, die sich um den Konflikt rankten, zu dekonstruieren. Vorstellungen von den Mudschahidin als „geborene Guerillakrieger“ und „heroische Underdogs“ verschleierten, wie militärisch schwach und intern zerstritten sie gewesen seien. Die vermeintliche „Strategie“ der Mudschahidin entpuppe sich bei näherem Hinsehen als Kompensation der eigenen Schwäche: Sie seien stark fragmentiert gewesen, ihre vermeintlich koordinierten Angriffe seien häufig auf lokale Initiativen zurückgegangen. Indem die Mudschahidin jeweils Versorgungswege der Sowjets angegriffen hätten, hätten sie die Sowjetmacht durchaus empfindlich getroffen. Doch sei es ihnen nie gelungen, wirklich entscheidende Siege zu erringen. FLORIAN KÜHN (Hamburg) bemerkte dann in seinem Kommentar, dass sich die verschiedenen Akteure in ihren Strategien „gespiegelt“ hätten. So seien auf beiden Seiten politische und ökonomische Ziele eng miteinander verwoben gewesen. Zudem hätten beide Seiten Terror als Taktik eingesetzt. Offen blieb die Frage, wie weit solche Parallelen geführt werden können, etwa wenn die Zersplitterung der Mudschahidin mit jener der sowjetischen Armee oder der NATO verglichen wird. Am Ende, dies hatte bereits Johnson deutlich gemacht, sei ohnehin eine Asymmetrie für den Ausgang des Krieges entscheidend gewesen: „Die Sowjets hatten Uhren, die Afghanen hatten Zeit.“ Gerade ihre Schwäche habe die Mudschahidin zum Abwarten gezwungen. Letztendlich habe sich dies als die beste Strategie erwiesen, denn je mehr Zeit verstrich, desto ungeduldiger wurden die Besatzer.

Auch MARTHA VOGEL (Basel) widmete ihren Vortrag der afghanischen Seite des Konfliktes: Sie befasste sich mit Cartoons als Medium des Widerstands. Erneut waren Spiegelungen zwischen afghanischer und sowjetischer Seite bemerkenswert: Zahlreiche afghanische Cartoons kopierten die Bildsprache sowjetischer oder auch westlicher Propaganda. Häufig hätten die Zeichner dabei Klischees genutzt: Der Gegner sei als gefährlich, unmuslimisch, unrein und dämonisch dargestellt worden. Während es viele derartige Anti-Cartoons gebe, seien Darstellungen von der eigenen Seite seltener. In den vorhandenen Bildern werde ein stereotypes Bild vom afghanischen Selbst präsentiert. Ziel der Propaganda sei gewesen, die vorhandenen Gegensätze zwischen unterschiedlichen Gruppen zu überspielen und an nationale Einheit zu appellieren.

Um stereotype Bilder von Afghanistan ging es auch im folgenden Vortrag. Ausgehend von der Annahme, dass das Fremde stets über eigene Erfahrungen und Traditionen wahrgenommen werde, analysierte ELENA SENYAVSKAYA (Moskau) die Afghanistan-Bilder innerhalb der sowjetischen Streitkräfte. Ihr Fokus lag dabei auf den Soldaten aus dem „europäischen“ Teil der UdSSR, also insbesondere aus Russland. Dabei bleibe der Islam „als Kern einer ganzen Zivilisation“ dem aus Europa Kommenden „notwendigerweise“ fremd und stoße ihn ab. Sehr weit verbreitet sei das Stereotyp von der „orientalischen Grausamkeit und Heimtücke“ gewesen. Das Gefühl, ein Fremdkörper in einem „unbegreifbaren, feindlichen Land zu sein“, hätten alle sowjetischen Soldaten geteilt. Senyavskaya präsentierte also ein Bild vollkommenen wechselseitigen Unverständnisses, dessen Wurzel sie in einem unüberbrückbaren zivilisatorischen Gegensatz ausmachte. In seinem Kommentar stellte RUDOLF MARK (Hamburg) dann die Frage, wie denn sowjetische Muslime auf eine Umgebung reagierten, in der sie ebenfalls als Soldaten einer sowjetischen Armee aufgetreten seien. Gerade der Vergleich zwischen unterschiedlichen Gruppen innerhalb der sowjetischen Armee scheine besonders vielversprechend. Nur so könne geklärt werden, inwieweit „christliche“ Soldaten tatsächlich anders auf die für sie fremde Umgebung reagiert hätten als „muslimische“ Soldaten. Denn sowohl „Slaven“ als auch „Zentralasiaten“ oder „Kaukasier“ traten ja zumindest offiziell auch als sowjetische Atheisten auf. Gerade wenn, wie Senyavskaya bemerkte, die Soldaten sich auch als Reaktion auf Religiosität des Gegners vermehrt dem Glauben zugewandt hätten, stelle sich die Frage, inwieweit dies für bestimmte Gruppen mehr als für andere gegolten habe.

Senyavskaya hatte in ihrem Vortrag bereits auf eine zentrale Frage verwiesen, der sich eine Reihe weiterer Rerferent/innen widmeten: Wie prägte der Afghanistankrieg das Selbstverständnis sowjetischer Soldaten? Und wie beeinflusste dies ihre Reintegration in eine postsowjetische Gesellschaft? Dabei trafen ganz unterschiedliche Perspektiven aufeinander: SERGUEI OUSHAKINE (Princeton), ein Anthropologe, befasste sich in seinem Vortrag mit dem Wandel der ritualisierten Aufführungspraxis russischer Kriegslieder seit den frühen 1990er-Jahren. NATALIYA DANILOVA (Nottingham), eine Soziologin, griff aus mehr als 40 Einzelinterviews eines heraus, um anhand dieses Beispieles die Reintegration von Veteranen in das zivile Leben zu analysieren. VEJUNE D. GOTA (Vilnius) wiederum, eine Sozialpsychologin, präsentierte die Ergebnisse einer Befragung von 268 litauischen Männern im Alter von 32 bis 52 Jahren, um eine allgemeine Aussage über die Auswirkung der Kriegserfahrung auf die Herausbildung posttraumatischer Belastungsstörungen unter Veteranen zu treffen. Dabei verwiesen alle Vortragenden auf die zahlreichen Hindernisse, die einer einfachen Reintegration im Wege gestanden hätten: Das Gefühl, die eigene Leistung werde nicht anerkannt, sowie auf die Kluft zwischen der offiziellen Darstellung und der individuellen Erfahrung der Soldaten.

Einmal abgesehen von diesen Gemeinsamkeiten kamen die Vortragenden zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen: Oushakine argumentierte, dass in den Liedern zu Beginn der 1990er-Jahre die Enttäuschung von Veteranen eines „vergessenen“, „nicht gewürdigten“ Krieges ihren Ausdruck gefunden habe. Im Laufe der Zeit sei die Kriegserfahrung jedoch in ein populäres Skript eingefügt worden, wobei der postsowjetische Verlustschmerz gemeinschaftsstiftend gewirkt habe. Danilova präsentierte dann ein Beispiel dafür, wie die gesellschaftliche Reintegration im Einzelfall funktionieren konnte. In der von ihr präsentierten Lebensgeschichte war die Gewalterfahrung besonders wichtig für das Verständnis der Reintegration: Die erzwungene Unterdrückung von Männlichkeit habe bei ihrem Interviewpartner in eine Gender-Krise geführt, so Danilova. Diese Krise habe er nach dem Krieg mit Gewalt gegen Punks, Rockmusiker und Homosexuelle kompensiert. Doch mache die von ihr aufgezeichnete Lebensgeschichte auch deutlich, dass sich für Veteranen trotz fehlender offizieller Anerkennung neue Möglichkeiten für soziale Mobilität ergeben hätten. Véjuné D. Gota wiederum schilderte keine Einzelerfahrungen; ihre Statistik legt vielmehr nahe, dass die Reintegration sehr häufig an der nicht ausreichend verarbeiteten Kriegserfahrung gescheitert sei. Ein besonders großes Problem sei insgesamt das mangelnde Verständnis, das den Veteranen im unabhängigen Litauen entgegengebracht werde. Aus dem Mangel an Anerkennung resultiere häufig Alkoholismus und – ganz im Gegensatz zur Reintegration der Veteranen in ein gemeinsames russischpatriotisches Skript – zumindest im spezifischen Fall von Veteranen in Litauen das Gefühl fortgesetzter gesellschaftlicher Isolation.

Anschließend wurde dann diskutiert, was aus der spezifisch sowjetischen Erfahrung folge. So fragte zunächst KLAAS VOSS (Hamburg) danach, wie spezifisch die sowjetische Erfahrung sei: Inwieweit entstand hier ein populäres Skript, das mit dem deutschen Dolchstoßlegende zu vergleichen sei? Auch sei der Vergleich mit den Vietnam-Veteranen in den USA naheliegend. Was seien also spezifisch postsowjetische Themen und wobei handele es sich um allgemeine Motive der Sinnstiftung nach (verlorenen) Kriegen? MANFRED ZELLER (Hamburg) wiederum interessierte sich für die Verbindung zwischen der Opferkategorie und der militärischen Identität der Veteranen. So sei denkbar, dass die Opferkategorie vor allem als Mittel gedient habe, um Anerkennung zu gewinnen. Zudem sei nach der Bedeutung des nationalen oder sozialen Hintergrundes zu fragen. Nur so könne geklärt werden, wie verallgemeinerbar die Ergebnisse beispielsweise einer quantitativen Studie über posttraumatische Belastungsstörungen sei.

Damit waren bereits einige der Themen der Abschlussdiskussion angesprochen. So hatten fast alle Vorträge gezeigt, wie wichtig es ist, regionale und individuelle Erfahrungen in eine Analyse einzubeziehen. Dies gilt einerseits für Afghanistan: Robert Johnson argumentierte, dass lokale Netzwerke und Initiativen hier verstärkt in die Betrachtung einbezogen werden müssten. Nur so werde ein Verständnis des Konfliktes jenseits von Klischees der „freiheitsliebenden“ oder auch „fanatisch gläubigen“ Afghanen möglich. ESTHER MEIER (Hamburg) wies darauf hin, dass Afghanistan nicht nur ein Ort der Auseinandersetzung, sondern auch der Begegnung gewesen sei. Bei dieser Begegnung sei nicht nur der politische, sondern vor allem auch der individuelle kulturelle und soziale Hintergrund zu berücksichtigen. So sei Afghanistan auf mehrfacher Ebene Ort des Austausches gewesen: zwischen den Sowjets als Repräsentanten einer vermeintlich „modernen“ Zivilisation und vermeintlich „rückständigen“ Afghanen, zwischen einem amerikanischen und einem sowjetischen Gesellschaftsmodell, zwischen Atheisten, Christen und Muslimen, zwischen sozialistischen und afghanischen Muslimen oder auch zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb der sowjetischen Armee.

Insgesamt zeigte die Konferenz, wie weit sich die Forschung bereits von den ideologischen Perspektiven des Kalten Krieges entfernt hat. Auch zählten die Teilnehmer/innen sicher nicht zu den Anhängern einer neuen Bipolarität, wie sie sich etwa in der Vorstellung von einem „Kampf der Kulturen“ ausdrückt. Vielmehr leistete die Konferenz einen Beitrag zum Verständnis komplexer Zusammenhänge auf lokaler, regionaler und transnationaler Ebene. Es bleibt – darauf verwies zuletzt TANJA PENTER (Hamburg) – die Frage nach der Einordnung: Welches ist der Ort des Afghanistankrieges innerhalb der russischen Geschichte? Und nicht zuletzt: Wie lässt sich der Afghanistankrieg in die größeren Zusammenhänge eines globalen Kalten Krieges einordnen?

Konferenzübersicht

Opening lecture
Rodric Braithwaite (London): This Time it will be Different: The Russians in Afghanistan, 1979-1989

Sektion 1: Rhetorics and Politics of the Cold War

Martin Deuerlein (Tübingen): The Bear Trap? Iran, Afghanistan and the Prelude to Invasion, 1978-1979

Roman Krawielicki (Tübingen): “Sovietnam”? Reagan Rhetoric and Politics in relation to the Soviet War in Afghanistan

Kommentar: Claudia Weber (Hamburg)

Sektion 2: Everyday Lives I: Within the Soviet Army

Serguei Oushakine (Princeton): Notes of War and Despair. Writing Military History with Songs

Kommentar: Klaas Voss (Hamburg)

Sektion 3: Everyday Lives II: Resistance and Migration in Afghanistan

Robert Johnson (Oxford, UK): Counter-Revolution or People’s War: The Mujahideen Insurgency, 1979-1989

Kommentar: Florian Kühn (Hamburg)

Sektion 4: The Self and the Other: Perceptions of Afghans and Soviets

Martha Vogel (Basel): Afghan Visual Propaganda. The Self and the Other

Elena Senyavskaya (Moscow): Afghanistan in the Eyes of the Limited Contingent of Soviet Forces

Kommentar: Rudolf Mark (Hamburg)

Sektion 5: The Aftermath: The Soviet War Veterans

Nataliya Danilova (Nottingham): Veterans of the Soviet Afghan War: Gender Crisis and Re-Invention of Identity

Vejune D. Gota (Vilnius): The Aftermath of War: Posttraumatic Stress Disorder, Social Support, and Alcohol Consumption in Lithuania

Discussant: Manfred Zeller (Hamburg)

Abschlussdiskussion: Afghanistan, the Cold War and the End of the Soviet Union. Perspectives for New Research


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