The Castilian „Arbitristas“ and the Cultural and Intellectual History of Early Modern Europe / Los „arbitristas“ castellanos en el contexto de la historia de la cultura y del saber de la Europa de los tiempos modernos

The Castilian „Arbitristas“ and the Cultural and Intellectual History of Early Modern Europe / Los „arbitristas“ castellanos en el contexto de la historia de la cultura y del saber de la Europa de los tiempos modernos

Organisatoren
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel; Fundación Xavier de Salas, Trujillo
Ort
Trujillo
Land
Spain
Vom - Bis
18.03.2013 - 19.03.2013
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Von
Justus Nipperdey, Historisches Institut, Universität des Saarlandes Email:

Die spanischen Arbitristas des 17. Jahrhunderts – Ratgeber, politische Theoretiker und Projektemacher – standen im Mittelpunkt des diesjährigen deutsch-spanischen Arbeitsgespräches, das am 18. und 19. März 2013 in Trujillo stattfand. Ein ehemaliges Kloster in der wunderbar erhaltenen Kleinstadt in der Extremadura ist der Sitz der Fundación Xavier de Salas, die die Arbeitsgespräche in Kooperation mit der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel organisiert. Demgemäß finden sie alle zwei Jahre im Wechsel zwischen Trujillo und Wolfenbüttel statt. Trotz des Titels des Arbeitsgesprächs bestand die kleine Gruppe, die in klösterlicher Abgeschiedenheit, wenn auch nicht ebensolcher Frugalität, den Arbitrismus diskutierte keineswegs nur aus deutschen und spanischen Historikern.

CHRISTIAN WINDLER (Bern), der die Tagung gemeinsam mit SINA RAUSCHENBACH (Konstanz) konzipiert und geleitet hat, präsentierte in seinen einführenden Bemerkungen das zweifache Arbeitsprogramm der Tagung: Erstens, der konsequente Vergleich und die Einordnung der Arbitristas in die europäische Kultur- und Ideengeschichte der Frühen Neuzeit; und zweitens die Analyse der Arbitrista-Texte als politische Praxis bzw. als Kommunikationspraxis. Beide Ziele sind eine Reaktion auf die Lücken der bisherigen Arbitrismus-Forschung, die dieses Phänomen als spanische Besonderheit wahrgenommen hat, die insbesondere im Kontext des Niedergangsdiskurses des 17. Jahrhunderts entstanden sei. Daneben hat die Geschichte des ökonomischen Denkens die Texte der Arbitristas als Wirtschaftstheorie analysiert, ohne ihren praktischen und kommunikativen Kontext zu berücksichtigen. Die Vorträge der Tagung lassen sich jeweils einem dieser zwei Erkenntnisinteressen zuordnen, je nachdem ob sie sich ausschließlich mit der spanischen Situation befassten oder von vornherein einen komparativen Ansatz verfolgten.

Vor der Vorstellung dieser zwei Blöcke, gilt es jedoch eine die gesamte Tagung durchziehende Diskussion um die Begrifflichkeit aufzugreifen. Der Begriff Arbitrista wurde zeitgenössisch als pejorativer Spottbegriff geprägt, setzte sich seit dem 19. Jahrhundert jedoch als neutraler Sammelbegriff durch. Er umfasst eine sozial heterogene Gruppe von Autoren, deren gedruckte und handschriftliche Texte große inhaltliche wie stilistische Varianz aufweisen: vom Angebot zum Verkauf eines technischen Geheimnisses über die Vorschläge zu neuen Handels- oder Gewerbeprojekten, die der Initiator gegen ein Privileg des Königs zu beider Nutzen auszuführen gedachte, bis hin zu analytischen Traktaten zu allgemeiner Wirtschaftspolitik und den spezifischen Problemen Spaniens. Im Zentrum der Diskussion standen die Definition des Begriffs, eine mögliche Differenzierung in abgrenzbare Typen von Arbitristas sowie die grundsätzliche Frage nach dem Nutzen der Weiterverwendung des Begriffs. Dabei erwies sich eine Trennung zwischen eigennützigen Projektemachern auf der einen und unvoreingenommenen politischen Theoretikern auf der anderen Seite als nicht sinnvoll, da eine Grenze nicht zu ziehen ist. Zugleich wurde deutlich, dass der Begriff Arbitrista den Vergleich mit ähnlichen Phänomenen im restlichen Europa behindert hat und daher mit Vorsicht zu gebrauchen ist.

Die vergleichenden Beiträge stellten jeweils strukturelle Übereinstimmungen zwischen der spanischen und der nicht-spanischen Literatur und Praxis politischer und ökonomischer Ratschläge im 17. Jahrhundert fest. BARTOLOMÉ YUN CASALILLA (Florenz) stellte die spanischen Ratschläge denjenigen der englischen commonwealth men des 16. Jahrhunderts und der späteren Merkantilisten wie Thomas Mun gegenüber. Nach Yun betrachteten deren Autoren die gleichen sozio-ökonomischen Probleme, für die sie auf Basis einer ebenfalls homologen Orientierung am Gemeinwohl ähnliche Lösungen vorschlugen. Während diese Engländer jedoch als politische oder ökonomische Theoretiker in die Geschichtswissenschaft eingegangen sind, seien kluge spanische Analytiker wie Martín González de Cellorigo oder Sancho de Moncada aufgrund ihrer Einordnung als Arbitristas nicht als Teil eines europaweiten politischen Diskurses ernst genommen worden.

Die Schwierigkeiten eines Vergleichs aufgrund divergenter Begrifflichkeiten und Forschungstraditionen betonte auch ANNE DUBET (Clermont-Ferrand). Während die Arbitristas trotz ihrer heterogenen Struktur in der Historiographie zu Spanien fest eingeführt sind, gebe es für Frankreich keinen ähnlich integrativen Begriff. Gerade im Bereich der Finanzverwaltung fand sie jedoch Texte gleicher Struktur, deren Autoren explizit die Lösung eines Finanzproblems gegen eine entsprechende finanzielle Belohnung versprachen. Dubet betonte insbesondere die Bedeutung der Verwendung solcher Vorschläge in der Verwaltung. Diese war im spanischen Fall im gesamten 17. Jahrhundert institutionalisiert; für Frankreich müsste die Praxis der Nutzung noch näher untersucht werden. Auch die Publikationsstrategien waren in beiden Ländern analog. Die Höhepunkte ökonomischer Vorschläge orientierten sich nicht an wirtschaftlichen Krisen, sondern sie sind an politischen Wendepunkten zu finden, als sich jeweils die Möglichkeit neuer Machtverhältnisse und einer neuen Politik eröffnete.

Stärker auf die inhaltlichen Übereinstimmungen und gemeinsame Wurzeln in der Staatsräsontheorie richtete sich JUSTUS NIPPERDEY (Saarbrücken) bei seinem Vergleich der Arbitristas mit politischen Autoren in Deutschland, die die aktive ökonomische und demographische Vermehrung des Staatswesens forderten. Die Mittel dazu waren die gleichen, die in Spanien in entsprechender Diktion postuliert wurden. Dennoch waren auch Unterschiede augenfällig, da es sich im deutschen Fall um einen politiktheoretischen Diskurs handelte, in dem universelle Lösungen diskutiert wurden und dem die Dringlichkeit der spanischen Krisenwahrnehmung fehlte. Elemente dieser amplificatio-Politik finden sich in Projekten der Territorialstaaten, sie wurden aber anders als in Spanien gerade nicht auf Landtagen und erst recht nicht auf dem Reichstag diskutiert.

Die geringe Rolle solcher Projekte und administrativer Techniken auf dem Reichstag betonte CORNEL ZWIERLEIN (Bochum). Am Beispiel der Finanzverwaltung und Erstellung von Haushalten in Italien und Deutschland verfolgte er die Zukunftserschließung und -perspektive in den Jahrzehnten um 1600. In einem Zusammenspiel zwischen der täglichen Arbeit der Finanzverwaltung und reflexiven politischen und finanziellen Projekten entwickelte sich gerade in Italien eine vergleichende und prognostische Politikbetrachtung. Zwierlein schlug vor, die Arbitristas in das gleiche Analyseraster von unterschiedlichen Quellengattungen und Zukunftsvorstellungen einzubeziehen, um sie in eine gemeineuropäische Entwicklung zu integrieren.

Ebenfalls mit der Zeitkonzeption politischer Analysen beschäftigte sich BAKI TEZCAN (Davis, Ca.) in seiner Untersuchung osmanischer Ratschläge im frühen 17. Jahrhundert. Am Beispiel zweier Texte zeigte er die Bedeutung des Verständnisses historischer Zeit für die Ausgestaltung politischer Kritik. Da Üveysi, einer der behandelten Autoren, von einem kontinuierlichen Niedergang ausging, fiel seine Kritik an den bestehenden Zuständen dementsprechend dramatisch aus. Demgegenüber postulierte sein Zeitgenosse Veysi ein zyklisches Geschichtsbild, wonach die Welt und die Staaten von einem stetigen Auf und Ab geprägt seien, wodurch er der gegenwärtigen Zeit ihren Krisencharakter nahm. Grundsätzlich betonte Tezcan, dass man aus den topischen Klagen der osmanischen Ratgeberliteratur nicht auf einen tatsächlichen Niedergang schließen dürfe, wie es für das osmanische Reich ebenso wie Spanien häufig geschehen ist.

Die weiteren Vorträge beschäftigten sich jeweils ausschließlich mit Spanien und beleuchteten dabei die unterschiedlichen Aspekte der Praxis des Arbitrismo. CHRISTIAN WINDLER wandte sich insbesondere der sogenannten Schule von Toledo zu, um die strukturellen Bedingungen der Textentstehung und –verbreitung zu analysieren. Die in und für Toledo wirkenden Arbitristas waren eng mit dem Stadtrat verflochten und sollten dessen Interessen vertreten. Sie dienten dabei auch der Umgehung der Cortes. Um überhaupt eine Wirkung entfalten zu können, mussten die Texte den mächtigen Ministern persönlich übergeben werden, zum Teil wurden sie danach gedruckt. Zugleich betonte Windler aber auch inhaltliche Überschneidungen im Sinne eines zentralistischen Merkantilismus, die ein Bündnis von Krone und daran interessierter Autoren beförderten.

Die Druckgeschichte stand im Zentrum des Beitrags von FERNANDO BOUZA (Madrid). Er entfaltete ein großes Panorama der Verbreitung, Nutzung und Wirkung des Buchdrucks in den Jahrzehnten um 1600. Aus der Omnipräsenz der Bücher ergab sich ein eigenes Genre des „arbitrismo biblioclasta“, der den Verfall gerade in der Flut der Bücher sah. Entscheidender als diese klassische Kritik waren jedoch die vielfältigen Möglichkeiten, Bücher und kleinere Texte zu drucken und die Tatsache, dass diese Möglichkeit Autoren hervorbrachte, die sich in anderem Rahmen nicht Gehör verschaffen konnten. Dies führte zur Masse von überlieferten Drucken von Arbitristas, die die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts auszeichnen.

Mit einem spezifischen Autor und seinem Projekt beschäftigte sich JUAN IGNACIO PULIDO SERRANO (Alcalá de Henares). Es handelt sich um den portugiesischen Kaufmann Pedro de Baeza, der ausgiebige Erfahrung im Asienhandel gemacht hatte. Er schlug dem König vor, den direkten Handel zwischen Mexiko und China aufzubauen. Dabei sollten nicht nur – wie später geschehen – mit amerikanischem Silber chinesische Produkte gekauft werden, sondern billiges chinesisches Quecksilber sollte nach Amerika verschifft werden, um die dortige Silberproduktion zu sichern. Für Pulido Serrano ging es dabei nicht nur um die Idee eines klugen Kaufmanns, der diesen Handel selbst führen wollte, sondern um das Konzept einer völligen Neuordnung des Welthandels unter spanischer Kontrolle. Der Fall Baezas führte einmal mehr zu einer Diskussion der Schwierigkeiten der Definition und Abgrenzung der Arbistras.

SINA RAUSCHENBACH (Konstanz) widmete sich schließlich den Quellen des Wissens der Arbitristas. Aus einem Verständnis spanischer Exklusivität heraus griffen diese ihrer Ansicht nach dominant auf Beispiele und Wissensbestände aus der spanischen Geschichte zurück und vermieden bewusst den Vergleich mit anderen zeitgenössischen Staaten. Die großen Ausnahmen dieser spanischen Orientierung bildete der Rekurs auf die Antike und zwar nicht nur die griechische und römische. Rauschenbach betonte insbesondere die vielfältige Verwendung der Bibel im ökonomischen Kontext und schlug die weitere Untersuchung der Bibel als Basis einer Sprache der Ökonomie in der Frühen Neuzeit vor.

In der Schlussdiskussion wurde deutlich, dass sich insbesondere der komparative Ansatz als sehr fruchtbar erwiesen hat. Er bietet Erkenntnispotenzial sowohl für die weitere Untersuchung der spanischen Arbitristas, als auch – noch wichtiger – für die Analyse des Typus des Ratschlags im frühneuzeitlichen Europa. Der Vergleich mit den Arbitristas lenkt den Blick auf die Praxis der schriftlichen Ratschläge in ihrer ganzen Breite vom technischen Projekt bis zur theoretischen Wirtschaftsanalyse. In vielen Forschungstraditionen werden solche Texte nicht gemeinsam behandelt, sondern je nach ihrem Abstraktionsgehalt der politischen Theorie bzw. einer minderwertigen Projektemacherei zugeordnet. Übersehen wird dabei der Zusammenhang solcher Texte, die als unaufgeforderte, von außen kommende Ratschläge offenbar eine strukturelle Funktion im frühneuzeitlichen Herrschaftssystem ausübten. Von der Tagung sollte daher ein Impuls zur weiteren komparativen Erforschung dieser europaweiten Praxis ausgehen.

Konferenzübersicht:

Fernando Bouza (Universidad Complutense, Madrid): El acceso a la imprenta en la comunicación política del Barroco español y sus efectos en la producción de arbitrios y avisos políticos.

Anne Dubet (Université Blaise Pascal, Clermont-Ferrand): Arbitristas y donneurs d´avis en el espacio político. Los casos de Castilla y Francia.

Justus Nipperdey (Universität des Saarlandes): Amplificatio and Restauración: Political Advice in Spain and in the Holy Roman Empire in the 17th Century.

Juan Ignacio Pulido Serrano (Universität Alcalá de Henares): Saber económico y arbitrismo en 1600: los memoriales de Pedro de Baeza sobre las Indias Orientales.

Sina Rauschenbach (Universität Konstanz): The Arbitristas and the Sources of Political Knowledge in the Early Modern Age.

Baki Tezcan (UC Davis): From Veysi (d. 1628) to Üveysi (fl. ca. 1630): Ottoman Advice Literature and Its Discontents.

Christian Windler (Universität Bern): Arbitrismo, Reform and the Government of the Favourites in the Spanish Monarchy.

Bartolomé Yun Casalilla (EUI, Florenz): Deconstructing and Contextualizing the Spanish arbitristas. Some proposals on their view of the Spanish Empire.

Cornel Zwierlein (Universität Bochum): Planning the Economic Future of a State: Projects and Counselling Processes in Italy, France and the Empire, c. 1600.


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