Inventing the “Silent Majority”: Conservative Mobilization in Western Europe and the United States in the 1960s and 1970s

Inventing the “Silent Majority”: Conservative Mobilization in Western Europe and the United States in the 1960s and 1970s

Organisatoren
Anna von der Goltz, Georgetown University, Washington, DC; Britta Waldschmidt-Nelson, German Historical Institute Washington, DC
Ort
Washington, DC
Land
United States
Vom - Bis
18.04.2013 - 20.04.2013
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Von
Kevin Rick, German Historical Institute Washington, DC / Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Philipps-Universität Marburg; Anna von der Goltz, Georgetown University, Washington, DC; Britta Waldschmidt-Nelson, German Historical Institute Washington, DC

Im November 1969 rief Präsident Richard Nixon in einer Fernsehansprache die „schweigende Mehrheit“ (silent majority) der Amerikaner dazu auf, ihn zu unterstützen und sich gegenüber der „lauten Minderheit“ radikaler Linken zu Wort zu melden, die den sofortigen Abzug der amerikanischen Truppen aus Vietnam forderte. Wenig später zeigten Umfragen tatsächlich eine erheblich erhöhte Unterstützung für den US Präsidenten in der Bevölkerung. Nixon hatte es somit geschafft, durch seinen Appell diejenigen zu mobilisieren, die ihre Interessen von den öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Gegenkultur überschattet sahen und bislang zu diesen Fragen meist geschwiegen hatten. Die Idee der „schweigenden Mehrheit“ fand schon bald auch diesseits des Atlantiks einen starken Widerhall. Warum dieses Konzept eine solche internationale Wirkung entfalten konnte, was seine Bindungskräfte waren und wie sich der Konservatismus in den 1960er- und 1970er-Jahren in den USA und Westeuropa entwickelte, stand im Mittelpunkt der Tagung. Zwar haben Historiker dem „Konservatismus“ in den letzten zwei Jahrzehnten bereits viel Aufmerksamkeit gewidmet. Vergleichende und interdisziplinäre Zugänge mit transnationaler Perspektive, die auch den verschiedenen politischen, sozioökonomischen und historiographischen Entwicklungen gerecht werden, stellten allerdings noch immer ein Desiderat in der Forschung dar, wie die beiden Organisatorinnen Britta Waldschmidt-Nelson und Anna von der Goltz in ihrer Einleitung konstatierten. Entsprechend abwechslungsreich gestalteten sich die Beiträge der aus verschiedenen Ländern Europas, den USA und Kanada stammenden Referenten.

Das erste Panel hatte die Entfaltung und Beschaffenheit der zugrundliegenden Ideen des Konservatismus zum Thema. MICHAEL KIMMAGE (Washington, DC) stellte die „westliche Zivilisation“ als das Schlüsselkonzept des amerikanischen Konservatismus heraus und machte seine (historische) Instabilität, Breite und Dynamik verantwortlich dafür, dass dies in der Geschichtswissenschaft bisher weitgehend vernachlässigt wurde. Andererseits könne die unklare und hochgradig variable Bedeutung des „Westens“ Historikern als Konzept helfen, um Entwicklungen und Veränderungen zu beleuchten und die Geschichte des Konservatismus über einen langen Zeitraum und in transnationaler Ausrichtung zu verfolgen.

DONALD CRITCHLOW (Tempe, AZ) richtete sein Augenmerk auf die 1960er-Jahre. Er arbeitete in seinem Beitrag heraus, inwieweit einerseits Unstimmigkeiten innerhalb der demokratischen Partei, andererseits die schwarze Bürgerrechtsbewegung, die Friedensbewegung, Studenten-Proteste und andere „anti-patriotic expressions and calls for revolution“ eine breitere Hinwendung zu den Republikanern verursachten. Diese hätten es gerade mit ihrem Konzept von „law and order“ geschafft, in den Augen der Wähler die Unsicherheiten der Zeit zu bändigen.

MARTIN GEYER (München) versuchte diese politischen Ansichten und deren Rezeption durch die „schweigende Mehrheit“ mit dem Konzept der „Schweigespirale“ in Verbindung zu bringen, das die deutsche Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann in den 1970er-Jahren entworfen hatte. Geyers Quellen konnten zwar keine direkte Rezeption von Nixon bei Noelle-Neumann nachweisen. Ihre Theorie, nach der die mangelnde Bereitschaft vieler Menschen zur öffentlichen Meinungsäußerung unter gewissen Umständen von der wahrgenommenen Mehrheitsmeinung abhänge, komme Nixons Vorstellung von der „Silent Majority“ dennoch erstaunlich nahe. Der Vortrag thematisierte vor allem die großenteils erfolglosen Versuche der deutschen Konservativen, die Hegemonie über die an „die Linken“ verloren geglaubte Sprache und öffentliche Meinung beispielsweise durch den Rekurs auf „traditionelle deutsche Werte“ (zurück) zu gewinnen und das Schweigen der von den Medien überschatteten Mehrheit zu brechen.

Die anschließende Diskussion, die Jerry Muller (Washington, DC) leitete, drehte sich neben der methodologischen Reflexion über den Gebrauch historischer Meinungsforschung in der Geschichtswissenschaft vor allem um die Verschiedenheit der Integration bestimmter kultureller Narrative wie dem des „Westens“ in Selbst- sowie Fremdbeschreibungen und deren Wirkmächtigkeit in Politik und Gesellschaft.

In der den ersten Tag beschließenden öffentlichen Keynote Lecture hob JULIAN ZELIZER (Princeton, NJ) noch einmal stärker auf die geschichtswissenschaftliche Rezeption des amerikanischen Konservatismus ab. Sein Vortrag über „America’s Right: Conservatism and U.S. History“ verglich die Entstehungs- sowie Entwicklungsfaktoren von Liberalismus und Konservatismus und fragte konkret nach den Mobilisierungsmechanismen der Bewegungen. Vor dem Hintergrund seiner historisch-historiographischen Synthese entwickelte Zelizer einen umfangreichen Ausblick auf die künftige Forschung und konstatierte abschließend die hohe Bedeutung, die die historische Wissenschaft für das Verständnis der Gegenwart habe. Zur Erweiterung der Perspektiven sei es allerdings wünschenswert, die Dominanz liberaler Historiker in der Debatte um den Konservatismus aufzubrechen. Es folgte eine ausführliche und lebhafte Diskussion mit dem Publikum.

MARTINA STEBER (München) beschäftigte sich im ersten Vortrag des zweiten Panels, das politische Parteien und deren Mobilisierung zum Thema hatte, mit den Bedingungen, Schwierigkeiten und Veränderungen der Kooperation konservativer Parteien auf europäischer Ebene. Mit ihrer begriffsgeschichtlichen Herangehensweise stellte Steber überzeugend dar, inwiefern die Probleme der Allianz der europäischen Konservativen in den 1960er- und 1970er-Jahren vor allem terminologischer, nicht substanzieller Natur waren. Die Aushandlungsprozesse der Bedeutung von bestimmten Begriffen sowie deren politischer Einfluss und ihre Entwicklung bildeten die Basis für Stebers Plädoyer, einen solchen begriffsgeschichtlichen Zugriff stärker zu berücksichtigen.

BERNARD LACHAISE (Bordeaux) widmete sich anschließend eingehend der französischen Perspektive, die in der Historiographie noch immer von den eindrucksvollen Mobilisierungserfolgen linker Gruppen im Mai 1968 dominiert sei. Er beschrieb diverse Versuche zu Beginn der 1970er-Jahre, die französische „majorité silencieuse“ zu mobilisieren, die darauf abzielten, das Bewusstsein über die vom „Geist von 1968“ ausgehende „progressive Bedrohung“ und die zur Eindämmung notwendigen Maßnahmen medial zu verstärken.

Zur Erweiterung der europäischen Perspektive trug der Vortrag von JOHN DAVIS (Oxford) bei, der aus Interviews gewonnene Erfahrungen von konservativen studentischen Aktivisten im England der 1960er-Jahre analysierte. Im Gegensatz zur späteren Premier-Ministerin Margaret Thatcher, die im Laufe der 1980er-Jahre zunehmend euroskeptisch wurde, suchten die jungen Tories um 1968 den Schulterschluss mit jungen Konservativen aus Deutschland und Skandinavien. Die „Abwehr“ der Linken stellte dabei ein einigendes Moment dar.

In der anschließenden Diskussion, die von Jeffrey Herf (College Park, MD) geleitet wurde, kamen neben dem Hinweis auf die Notwendigkeit, zwischen der institutionalisierten Sprache der konservativen Bewegungen sowie der Sprache ihrer Mitglieder genauer zu differenzieren, vor allem die Unterschiede der europäischen und amerikanischen Konservatismen sowie deren wissenschaftlicher Rezeption zur Sprache. Dies wurde im folgenden Panel mit dem Titel „The Rise of Christian Conservatism“, das Richard Wetzell (Washington, DC) moderierte, noch einmal eingehend thematisiert.

MARK ROZELL (Fairfax, VA) stellte hierin zunächst das „Erwachen“ des „schlafenden Riesen“ in den 1970er-Jahren dar und beschrieb, wie der Konservatismus in Reaktion auf die jugendliche Gegenkultur und Legalisierung von Abtreibung durch christliche Führer und Bewegungen stark an Macht gewann. Die Wahrnehmung sich verbreitender Promiskuität und die Ablehnung traditioneller Werte und Normen durch die Counter Culture habe christliche und säkulare Konservative in einer Allianz zusammengebracht, die ihre gemeinsame Aufgabe vor allem im Kampf gegen den von ihnen konstatierten Werteverfall sahen. Sie engagierten sich gegen das Recht auf Abtreibung, gegen Feminismus im Allgemeinen, gegen die Gleichberechtigung von Homosexuellen und anderen, ihrer Ansicht nach unchristlichen und unpatriotischen Forderungen der Linken. Die gelungene politische Organisation dieser sogenannten „Moral Majority“ trug entscheidend zum Wahlsieg von Ronald Reagan bei.

Von einer weitgehend gegenteiligen Entwicklung des Verhältnisses von Christentum und Konservatismus um das Jahr 1968 wusste THOMAS GROSSBÖLTING (Münster) zu berichten. Anders als in den USA begann die christlich-konservative Bewegung in Deutschland als „Zwerg“ – und blieb immer vergleichsweise klein. Zwar übten die beiden großen Kirchen in Deutschland zweifellos einen gewissen Einfluss auf gesellschaftliche Debatten aus, aber konservative und fundamentalistische Christen konnten die Menschen hier nicht in dem Maße zur politischen Partizipation mobilisieren, wie das in den USA gelang. Gruppen wie „Kirche muss Kirche bleiben“ waren gegenüber der anti-kirchlichen Gegenkultur wenig erfolgreich.

Auch in den Niederlanden hatten die konservativen Christen einen schwierigeren Stand. MARJET DERKS (Nijmegen) behandelte in ihrem Beitrag diejenigen Gruppen, die nach dem in ihrer Sicht zu progressiven Zweiten Vatikanischen Konzil versuchten, die „wahren Ideen von Familie, Ordnung und Messe“ beizubehalten. Derks bemerkte, dass den Kategorien Gender und Alter bei der Untersuchung des Konservatismus mehr Beachtung geschenkt werden müsse. Der Misserfolg der christlichen Rechten sei schließlich zu einem großen Teil auf der medialen Dominanz von relativ jungen, öffentlichkeitserfahrenen Männern als Repräsentanten der progressiven Kirche zurückzuführen, die sich explizit von den „grannyficated“ Konservativen abgrenzen wollten.

Im anschließenden Panel, das unter der Leitung von Michael Kazin (Washington, DC) stand, referierte zunächst JOSHUA FARRINGTON (Lexington, KY) über die Beziehungen und Zusammenarbeit der Nixon-Regierung mit der Black-Power-Bewegung der 1960er- und 1970er-Jahre. Der Referent stellte heraus, dass sich schwarze Konservative beziehungsweise Nationalisten und die Politik Nixons gegenseitig signifikant beeinflusst hätten. So war Nixon zwar einerseits für seine „Southern Strategy“ bekannt, sprach sich dezidiert gegen Busing aus und sympathisierte öffentlich mit den Vorbehalten weißer Südstaatler gegen die Integration und Gleichberechtigung der Afroamerikaner. Andererseits unterstützte die Nixon Administration Affirmative Action Programme und gewährte schwarzen Unternehmen signifikante staatliche Unterstützung. Farrington machte somit deutlich, dass Nixons Politik gegenüber der afroamerikanischen Minderheit differenzierter gesehen werden muss, als dies bislang allgemein üblich war.

Während Farrington mit seinem Vortrag noch einmal den Fokus auf die Vereinigten Staaten lenkte, sprach BILL SCHWARZ (London) über die Rezeption der „River of Blood“-Rede von Enoch Powell sowie der Aktionen von Mary Whitehouse gegen die „korrupte Regierung“ und die „Verrohung“ durch das Fernsehen in der britischen Öffentlichkeit. Als Zugang wählte er die Analyse eines Teils der mehr als 100.000 überlieferten Briefe aus der Bevölkerung, die der Politiker und die Journalistin als Reaktion auf ihre Tätigkeiten empfangen hatten. Sie seien hauptsächlich von einem Gefühl „verlorener, vergangener Zeiten“ geprägt gewesen, hatten häufig die persönlichen Geschichten der Autoren zum Inhalt und stellten durch die Bekundung der Übereinstimmung mit der öffentlich kommunizierten Meinung des Adressaten ein machtvolles Instrument der „Silent Majority“ dar, das in der bisherigen Forschung bisher nicht genügend gewürdigt worden sei.

Die beiden Vorträge stießen mit ihren unterschiedlichen Herangehensweisen sehr lebhafte Diskussionen an, die sich nicht nur um die Besonderheit der Figur Enoch Powells drehten, sondern auch nach der Vergleichbarkeit des Einflusses der Dekolonisierung auf das Vereinigte Königreich mit dem Civil Rights Movement auf die Vereinigten Staaten fragte. Ebenfalls thematisiert wurden die Zukunftsvisionen der Konservativen in den 1970er-Jahren und ihre Sicht auf die Medien und deren Inhalte. Dies wurde im folgenden, von Britta Waldschmidt-Nelson geleiteten, Panel zu „Conservative Media Strategies“ noch einmal konkret aufgegriffen, in dem zunächst HEATHER HENDERSHOT (Boston, MA) die Geschichte der ersten konservativen Fernsehshow „Firing Line“ als beispielhaftes mediales Vehikel des amerikanischen Konservatismus herausstellte, das von 1966 bis 1999 die amerikanische Fernseh-Öffentlichkeit erreicht hatte und damit Aussagen über Wandel und Entwicklung der konservativen Weltsicht über einen verhältnismäßig langen Zeitraum erlaube.

BERNHARD FULDA (Cambridge, UK) beleuchtete anschließend die komplexen Verflechtungen moderner Massenmedien mit der öffentlichen Meinung und den Agenturen der „knowledge industry“. Mit der exemplarischen Analyse von Elisabeth Noelle-Neumanns Karriere und insbesondere ihrer engen Kooperation mit CDU und CSU zeigte Fulda zwar die Fruchtbarkeit der Theorie der „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ (Lutz Raphael 1996). Notwendig sei allerdings, so der Referent, eine Erweiterung dieses Konzepts durch eine Theorie der „Politisierung der (Sozial-) Wissenschaften“.

Dies wurde ebenfalls von FRANK BÖSCH (Potsdam) thematisiert, der anhand der Diskussionen um die Einführung des Privatfernsehens in Deutschland die Entwicklung der konservativen Perspektive auf das Massenmedium TV nachzeichnete. Dessen Etablierung sei hauptsächlich der Empfindung der Konservativen geschuldet gewesen, dass die „schweigende Mehrheit“ durch die öffentlichen Sender manipuliert werde. Während sie in dieser Debatte auf traditionell liberale Argumente wie Pluralität, Deregulierung und den freien Markt zurückgegriffen hätten, bedienten sich die Sozialdemokraten in der Opposition ursprünglich konservativer Positionen und warnten vor einer Zerrüttung von Familie, Gesellschaft und den Gefahren, die ein privates und unreguliertes Programm für Kinder darstellen könnte.

Im nächsten Panel konturierte zunächst MICHELLE NICKERSON (Chicago, IL) anhand der kalifornischen Initiative zur Reduzierung der Einkommensteuern Ende der 1970er-Jahre (Proposition 13) die fundamentale Bedeutung der politisch auf dem grassroots level aktiven konservativen Hausfrauen für den Erfolg konservativer Gesetzesinitiativen, besonders, aber nicht nur in Kalifornien. Ihr Vortrag und die anschließende Diskussion unter Leitung von Britta Waldschmidt-Nelson machten deutlich, wie weit die Einstellungen gegenüber dem Wohlfahrtstaat und steuerlichen Abgaben zwischen konservativen Gruppen in den USA und Europa auseinander klafften.

TILL VAN RAHDENs (Montreal) Paper warf danach einen Blick auf „Visions of Gender Equality and Child Rearing among German Catholics in an Age of Revolution“ und zeichnete die Radikalisierung links-katholischer Bestrebungen durch laikale Organisationen gegen das Patriarchat nach. Im Gegensatz zur 68er-Gegenkultur hätten sie sich allerdings nicht für die vollständige Auflösung traditioneller Familienstrukturen ausgesprochen, sondern vielmehr die Etablierung liberaler Erziehungsstile, „kameradschaftlicher Ehen“ und veränderter Rollenverständnisse von Vätern und Müttern forciert.

Im von Konrad Jarausch (Chapel Hill, NC) moderierten letzten Panel „Cultures and Legacies of Conservatism“ beleuchtete der Vortrag von WHITNEY STRUB (Newark, NJ) anhand der Diskurse um Pornographie und „Unzüchtigkeit“ (obscenity) die Kontinuität heteronormativer Sexualpolitik der Konservativen von den 1960er-Jahren bis ins 21. Jahrhundert.

Anschließend untersuchte LAWRENCE BLACK (York) mittels eines kulturhistorischen Zugriffs drei Ausprägungen des britischen Konservatismus bei Mary Whitehouse, den „Young Conservatives“ und den Studenten des Swinton College, der Kaderschmiede der konservativen Partei, in den 1960er-Jahren. Ihre Entwicklungen und Veränderungen durch den Thatcherismus der 1970er-Jahre kamen dabei ebenso zur Sprache wie die Frage danach, warum dessen Programm weniger als moralische und kulturelle, vielmehr als ökonomische Agenda zu sehen sei.

Im letzten Beitrag der Konferenz sprach ANNA VON DER GOLTZ (Washington, DC) darüber, was es im Deutschland der 1960er-Jahre bedeutete, liberal-konservativ zu sein. In Abgrenzung zu den linken Aktivisten und der radikalen Infragestellung fundamentaler Wertevorstellungen der Bundesrepublik, zeichnete die Referentin die konservative, faktisch nicht immer bloß reaktionäre Perspektive auf politische, ökonomische und soziale Probleme der Zeit nach. Sie stellte heraus, dass sich die Identifikationen der Probleme sachlich kaum unterschieden, die angebotenen Lösungen jedoch grundsätzlich verschiedene Vorstellungen der politischen Zukunft der Bundesrepublik offenbarten. Mit der Einbettung ihrer Untersuchungsergebnisse in den historischen Gesamtkontext der 1960er-Jahre gelang es von der Goltz, die Geschichte der deutschen Liberal-Konservativen global beziehungsweise transnational zu verorten und so noch einmal den Blick für die Interdependenzen und Kontinuitäten des Konservatismus als ein solches Phänomen zu schärfen.

Die abschließende Diskussion drehte sich zunächst um die Standortgebundenheit des Historikers und die Differenzen zwischen der Konservatismus-Forschung konservativer und nicht-konservativer Wissenschaftler. Im Mittelpunkt der folgenden Debatte stand aber vor allem das Phänomen, dass v.a. die US Konservativen in Bezug auf Sexualität mit ihrer sonstigen Deregulierungspolitik radikal brachen. Ausgerechnet in diesem hochgradig intimen Teil des Privatlebens wollten sie durch Gesetze zu Geschlechtsverkehr, Sexualpraktiken und Familienplanung die staatliche Kontrolle ausweiten.

Insgesamt trugen diese Vielfalt der besprochenen Themen, die lebhaften und fruchtbaren Diskussionen sowie die Internationalität der Referenten dazu bei, das Phänomen „Konservatismus“ im globalen Kontext der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts genauer zu verorten sowie den Facettenreichtum und die Komplexität der unterschiedlichen Bewegungen, Agenturen und Akteure auszuloten. Dabei zeigte sich auch immer wieder, wie wichtig es ist, sowohl die Unterschiede zwischen den Vereinigten Staaten und Westeuropa als auch die Bindungskräfte und Einflüsse der Bewegungen untereinander hervorzuheben. Die Tagung hat damit dazu beigetragen, die Geschichtsschreibung des Konservatismus in transnationaler Hinsicht voranzubringen.

Konferenzübersicht:

Panel 1: Ideas of Conservatism

Michael Kimmage (Catholic University of America): In Search of Western Civilization: Reagan and the Neoconservatives

Donald Critchlow (Arizona State University): Rethinking the 1970s: Politics Right and Left

Martin Geyer (Ludwig-Maximilians-Universität): A Pretty Noisy Silence: The American “Silent Majority”, the German “Schweigespirale” and the Conservative Moment of the 1970s

Keynote Lecture
Julian Zelizer (Princeton University): America’s Right: Conservatism and U.S. History

Panel 2: Political Parties and Conservative Mobilization

Martina Steber (Ludwig-Maximilians-Universität): Talking in Europe: West German and British Conservative Party Co-operation in the 1960s and 1970s and the Quest for a Common Language

Bernard Lachaise (Université de Bordeaux) : Rallying the “Silent Majority” in France during the 1970s

John Davis (University of Oxford): Silent Minority? British Student Conservatives in the late 1960s

Panel 3: The Rise of Christian Conservatism

Mark Rozell (George Mason University): Mobilizing a Sleeping Giant: The Emergence of the Christian Right in the 1970s

Thomas Großbölting (Westfälische Wilhelms-Universität): Kirche muss Kirche bleiben“ – How Conservative Groups Responded to the Religious “Contestation” around 1968

Marjet Derks (Radboud University): A Loyal Majority? Conservative Catholic Mobilization in Post-Conciliar Netherlands, 1966-1985

Panel 4: Civil Rights, Decolonization, and the Conservative Backlash

Joshua Farrington (University of Kentucky): The Silent Minority: Black Republicans and the Nixon White House

Bill Schwarz (Queen Mary University): The Other ’68 in England

Panel 5: Conservative Media Strategies

Heather Hendershot (Massachusetts Institute of Technology): Broadcasting to the Silent Majority: How “Firing Line” Created the Conservative American TV Audience

Bernhard Fulda (University of Cambridge): Pollsters and the Emplotment of Silence

Frank Bösch (Zentrum für Zeithistorische Forschung): Conservative Politics, Media and the Silent Majority in West Germany, 1970-1990

Panel 6: Populist Housewives, New Fathers, and Conservative Gender Constructions

Michelle Nickerson (Loyola University): ”As Citizens, Taxpayers, and Parents”: Populist Housewife Conservatism Laying the Groundwork for Proposition 13 California

Till van Rahden (University of Montreal): Families beyond Patriarchy: Visions of Gender Equality and Child Rearing among German Catholics in an Age of Revolution

Panel 7: Cultures and Legacies of Conservatism

Whitney Strub (Rutgers University): Envisioning the New Right Sexual Citizen in the 1960s-70s United States

Lawrence Black (American University/ York University): British Conservatism, 1968 and all That(cher): What’s Wrong with Politics?

Anna von der Goltz (Georgetown University): Politics, Culture, and Identity on the “Other Side” of West Germany’s 1960s


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