Von der Betrieblichen Sozialpolitik zur Corporate Citizenship

Von der Betrieblichen Sozialpolitik zur Corporate Citizenship

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.
Ort
Leverkusen
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.03.2013 -
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Von
Thomas Hermann, Mannheim

Die Wahl des Ortes war keineswegs zufällig. Dies machte schon der erste Vortrag von WERNER PLUMPE (Frankfurt/M.) zum „Gesamtkunstwerk Leverkusen – Carl Duisbergs Vision der perfekten Chemiestadt“ deutlich. Stadt und Werk Leverkusen, wesentlich von Carl Duisberg geschaffen, waren, so Plumpe, ein weltweit beachtetes Gesamtkunstwerk, ästhetischer und sozialpolitischer Ausdruck einer modernen Stadtgründung durch die Industrie und damit möglicherweise historisches Paradigma von Corporate Citizenship. Duisbergs Idee einer idealen Fabrikstadt gründete auf der Überzeugung, „dass nur eine schöne und sozialintegrative auch eine wirtschaftlich erfolgreiche Anlage sein würde.“ Der Standortwechsel von Wuppertal-Elberfeld nach Leverkusen bot Duisberg die Chance, “seine technokratische Vision einer von Chemikern gestalteten und gesteuerten modernen integrierten Chemiefabrik zu verwirklichen.“ Dies bedeutete auch, kurzfristige Gewinnmaximierungsinteressen zugunsten langfristiger Überlegungen hinten anzustellen. Der Aufbau von Leverkusen ist ein historisches Musterbeispiel für das gleichzeitige Lösen eines Fachkräftemangels und eines eklatanten Standortnachteils, der zu einer hohen Fluktuation führte. Als Erfolgsrezept für die Anwerbung von Arbeitskräften erwiesen sich individuelle Lohnvereinbarungen jenseits gewerkschaftlichen Einflusses verknüpft mit betrieblicher Sozialpolitik. Die Sozialpolitik bestand im Kern aus Wohnungsbau und sozialer sowie medizinischer Infrastruktur und sollte genügend Anreize für die Herausbildung einer qualifizierten Stammbelegschaft am eigentlich unattraktiven Standort Leverkusen bilden. Sie ersetzte staatliche und kommunale Einrichtungen, ging aber im Wohnungsbau mit ihrem über das Funktionale hinausgehenden Anspruch auf Schönheit und Harmonie auch über diese hinaus. Sie bot, sehr zum Missfallen der Gewerkschaften, als durchaus erwünschten Nebeneffekt erhöhte Möglichkeiten der Kontrolle und Disziplinierung der Arbeiterschaft. Das dies etwas ganz anderes als Gründerzeit-Kapitalismus oder modernes Shareholder-Value Denken war, zeigte ein schriftlich dokumentierter Wutausbruch Duisbergs angesichts aus seiner Sicht überzogener Ansprüche der Kapitaleigner aus dem Jahre 1917.

WERNER NIENHÜSER (Duisburg-Essen) stellte in seinem Vortrag „Corporate Citizenship – Konstrukt und Realität“ das in der Praxis vielbeschworene Thema auf den Prüfstand der Wissenschaft und in den allgemeinen wirtschafts- und unternehmensethischen Zusammenhang. Unternehmen, so seine Definition, agieren dann als good citizens, wenn sie sich freiwillig für das Allgemeinwohl engagieren. Untersuche man Corporate Citizenship (CC) am konkreten Beispiel, käme neben der Spendentätigkeit des Unternehmens viel Selbstverständliches und Vages hervor. Nienhüser belegte dies anhand einer Unternehmensbefragung der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahre 2006. Selbstverständlich erscheinen die für gesellschaftliche Verantwortung vereinnahmten Themen Kunden- und Beschwerdemanagement oder Recyclingsysteme für Büromaterial; eher vage Themen seien transparente Governance-Strukturen oder das Integrieren des Themas Gesellschaft in die Unternehmensphilosophie.

Aus normativer Sicht unterschied Nienhüser drei ethische Positionen. In den bei Managern und Politikern beliebten alltagsethischen Begründungen erscheint Corporate Social Citizenship als Win-Win-Strategie, die Unternehmen und Gesellschaft nütze. Ein Konflikt zwischen Einzelwirtschaft und Gesamtgesellschaft existiere nicht oder werde zumindest auf lange Sicht aufgelöst. Dagegen ist aus der Sicht Milton Friedmans Corporate Citizenship entweder Zeichen einer ineffizienten Ressourcenallokation oder einer direkten Täuschung. Das erste, weil entweder den Kapitalgebern, den Arbeitnehmern oder den Kunden konkret Geld weggenommen werde, das zweite, weil sie von Managern vorgeschoben werde, um ihre eigenen Interessen zu kaschieren. Die Pflicht von Unternehmen sei es, so Friedman, Gewinne zu erzielen, da diese der beste Indikator für gesellschaftlich erwünschtes Handeln sind. Die dritte von Nienhüser vorgestellte Richtung wird am prominentesten durch den St. Galler Unternehmensethiker Peter Ulrich vertreten. Nach Ulrich stehen Unternehmen und Gesellschaft letztlich in einem unauflösbaren Konflikt. Unternehmen sind in dieser Sicht mächtige Akteure, die ihr Handeln demokratisch rechtfertigen müssen. Hierbei reiche eine bloße Selbstverpflichtung von Unternehmen nicht aus: Steuern seien Spenden vorzuziehen und das Gesamtinteresse werde am besten durch den Staat demokratisch vertreten.

RICHARD POTT, Mitglied des Vorstandes der Bayer AG und verantwortlich für Strategie und Personal, interpretierte zwei Phasen der Sozialpolitik bei Bayer. In der ersten Phase, die bis zu den 1970er-Jahren reichte, verstand Bayer Sozialpolitik als freiwillige und zweckgebundene Leistung. Danach sah und sieht Bayer das Verteilen von Spenden nicht mehr als eigentliche Unternehmensaufgabe. Durch soziale Leistungen sollen vielmehr gezielt Themen unterstützt werden, die einen Beitrag zum Leitbild von Bayer leisten: Science for a Better Life. „Alles was wir produzieren, ist unser Beitrag zur Corporate Social Citizenship“, so Pott. Der Shareholder Value-Gedanke sei ein Irrweg gewesen, denn Bayer stelle auf den Stakeholder Value ab. Das für soziale Zwecke eingesetzte Geld, welches am Ende einen Nutzen für das Unternehmen habe, sei gut eingesetztes Geld.

An der abschließenden Podiumsdiskussion nahmen neben den Referenten noch der Leverkusener Oberbürgermeister Reinhard Buchhorn und der Landesleiter der IG BCE Nordrhein Reiner Hoffmann teil. Moderator RAINER HANK von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung stellte zur Eröffnung ordnungspolitische Gedanken in das Zentrum der Überlegungen. Ordnungspolitisch gebe es, so Hank, eine klare Aufgabentrennung: Die Unternehmen sollen Geld verdienen und der Staat soll sich um das Gemeinwesen kümmern. Bleibe nach Bezahlung der Anspruchsgruppen Geld übrig, sei das kein Spielgeld für die Manager, um nach Gutdünken soziale Wohltaten zu verteilen. Diesen Überschuss soll sich vielmehr der Staat über seine Steuern holen, sodass die Bürger entscheiden können, für welche Zwecke es ausgegeben werden soll. Am Beispiel der Zuwendungen der UBS an den Züricher Lehrstuhl von Ernst Fehr erläuterte Hank, dass die entscheidende Frage aus normativer Sicht sei, ob interessengeleitete Forschungsförderung durch die Industrie tatsächlich zu ausgewogener Grundlagenforschung eines Landes führe.

Oberbürgermeister REINHARD BUCHHORN kennzeichnete sein Leverkusen als Chemiestadt, in der der Chemiekonzern besonders den so wichtigen naturwissenschaftlichen Unterricht an den Schulen fördere. RAINER HOFFMANN wies darauf hin, dass Bayer vieles mache, was über die gesetzlichen Rahmenbedingungen hinaus geht und die staatlichen Spielregeln dem Unternehmen auch die Luft nehmen können.

Zur Beziehung von Staat und Unternehmen bei der Forschungsförderung rief Werner Plumpe die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ins Gedächtnis. Als man zu Anfang des 20. Jahrhunderts erkannte, dass Spitzenleistungen in der Chemie aufwändige Großforschung verlangt, war es die Industrie, die 1911 die Gesellschaft (mit)finanzierte. Für Duisberg sei dabei die entscheidende Frage nicht der direkte Nutzen gewesen, sondern ob man in wissenschaftlichen Netzwerken eine Rolle spiele. Auch für andere Wissenschaftseinrichtungen, etwa die Helmholtz-Institute, gelte: Hätte sich die Industrie nicht beteiligt, hätte es diese Strukturen nicht gegeben. Und Duisberg, der in jeder Lehrstuhlbesetzung seine Finger im Spiel gehabt hatte, hätte es nie gereicht, dass ausschließlich anwendungsorientiert in seinem Sinne geforscht wurde, er wollte exzellente Grundlagenforschung. Plumpe hielt fest, dass sich die normative Frage in der Praxis nicht so eindeutig beantworten lasse; die Geschichte sei allerdings ein einzigartiges Lehrbuch für diese Fragestellung.

In der anschließenden allgemeinen Diskussion kam zunächst die Frage nach einem Vergleich Duisbergs mit dem Patriarchalismus französischer Prägung auf. Plumpe grenzte Duisbergs technokratische Vision, sein durchgerechnetes technokratisches Unternehmenskonzept von diesem Führungsstil nach Gutsherrenart klar ab. Duisbergs betriebliche Sozialpolitik sei Antwort auf die spezifische Situation des Unternehmens in seiner Zeit gewesen. Hoffmann wies darauf hin, dass im Rahmen der besonderen Sozialpartnerschaft in der Chemieindustrie die Gewerkschaften heute besonders auf die schauen, die es besonders schwer haben, etwa die Wechselschichtler. In der Diskussion wurde eine weitere ordnungspolitisch fundierte unternehmensethische Position angeführt: die Position des Unternehmensethikers Karl Homann. Die Vorträge hätten gezeigt, dass Corporate Citizenship dann funktioniere, wenn hohe moralische Akzeptanz und Rentabilität zusammenfallen. Dieser positive Kompatibilitätsfall sei grundlegend für die Marktwirtschaft. Spannend sei es jedoch zu erfahren, was etwa Bayer mache, wenn Moral und Gewinn auseinanderfallen, wenn also das Verfolgen der betriebswirtschaftlichen Rationalität mit den moralischen Ansprüchen der Gesellschaft in Konflikt gerate. Richard Pott verwies als Antwort auf die Compliance-Regeln von Bayer, die über die gesetzlichen Anforderungen hinaus gingen und die es verhinderten, dass Bayer vorteilhafte Geschäfte in Ländern einginge, die Bestechung als Schmiermittel benötigten. Offen blieb, ob Bayer mit diesen Compliance-Regeln tatsächlich zum moralischen Innovator geworden sei oder nicht doch das mache, was auch die Konkurrenten an Compliance installiert haben. Abschließend, so Werner Plumpe, sei es in der Praxis für Unternehmen gar nicht so einfach, die klare Trennlinie zwischen ethisch richtig und falsch zu ziehen. Womit sich der Kreis zur ordnungspolitischen Grundsatzfrage, wo der systematische Ort der Moral in der Wirtschaft sei, wieder schloss.

Konferenzübersicht:
Begrüßung:
Richard Pott (Mitglied des Vorstands der Bayer AG)
Thomas Birtel (Stv. Vorsitzender des Vorstands der Strabag SE und des GUG e.V.)

Werner Plumpe (Goethe-Universität Frankfurt am Main): „Gesamtkunstwerk Leverkusen“ – Carl Duisbergs Vision der perfekten Chemiestadt

Werner Nienhüser (Universität Duisburg-Essen): Corporate Citizenship – Konstrukt und Realität

Kommentar:
Richard Pott (Mitglied des Vorstands der Bayer AG)

Podiumsdiskussion:
Moderation: Rainer Hank (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)
Teilnehmer:
Reinhard Buchhorn (Oberbürgermeister der Stadt Leverkusen)
Reiner Hoffmann (Landesbezirksleiter IG BCE Nordrhein)
Werner Nienhüser (Universität Duisburg-Essen)
Werner Plumpe (Goethe-Universität Frankfurt am Main)
Richard Pott (Mitglied des Vorstands der Bayer AG)


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