Geist und Gestalt. Monastische Raumkonzepte des Mittelalters als Ausdrucksformen religiöser Leitideen

Geist und Gestalt. Monastische Raumkonzepte des Mittelalters als Ausdrucksformen religiöser Leitideen

Organisatoren
Projekt: "Klöster im Hochmittelalter. Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle" der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften an der 'Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte' (FOVOG-Dresden); gemeinsam mit dem 'Forum für Weltreligionen' (FWR) in Wien
Ort
Salzburg
Land
Austria
Vom - Bis
14.04.2013 - 16.04.2013
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Von
Jörg Sonntag, Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte (FOVOG), Dresden

Unter der Perspektive: „Geist und Gestalt. Monastische Raumkonzepte des Mittelalters als Ausdrucksformen religiöser Leitideen“ fand vom 14.04. bis zum 16.04.2013 im Salzburger Johannes-Schlößl eine wissenschaftliche Tagung statt, die Archäologen, Kunsthistoriker, Historiker und Theologen zusammenführte. Organisiert wurde die Veranstaltung vom ‚Forum für Weltreligionen‘ in Wien, vom Projekt ‚Klöster im Hochmittelalter‘ an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und von der ‚Forschungsstelle für vergleichende Ordensgeschichte‘ in Dresden.

Mönche und Nonnen, so die heuristische Grundannahme, kreierten über differente Formen von Architektur und Ritual einen Raum (space), der für sie ein spezifisches Tor zum Himmel öffnen sollte. Die Vorträge gingen nun übergreifend der Frage nach, inwieweit sich die proposita, mithin die eigenen kollektiven, religiösen Identitäten von unterschiedlichen Orden und Verbänden in konkreten baulichen Strukturen, Ausstattungen und Gebrauchsweisen widerspiegelten oder möglicherweise von diesen sogar erst begründet wurden.

In der ersten Sektion „Theoretische Grundlagen und Vergleichsmomente“ befasste sich JÖRG SONNTAG (Dresden) zunächst mit der „Metaphorik des christlichen Klosters im Mittelalter“. Er verdeutlichte, dass die Klostermetaphern vom Paradies, vom Schiff oder Gefängnis existenzielle Wichtigkeit für die Religiosen besaßen und als institutionelles signum gelebter oder anvisierter Ordnung – über die Zeiten hinweg – eines permanenten Gebrauchs geradezu bedurften. Mit der neuen Betonung des individuellen Selbst und der Ausprägung der Orden als Personenverbände wurden die altvertrauten Motive tendenziell stärker vom Kloster auf die Zelle, den Gesamtorden und den einzelnen Religiosen übertagen. Die innovative Kraft des Religiosentums, so Jörg Sonntag, lag nicht in der Erfindung immer neuer Metaphern, sondern vielmehr in der sinn- und legitimationsstiftenden Projizierung altvertrauter Bilder auf neue Lebensmodelle. MIRKO BREITENSTEIN (Dresden) diskutierte im direkten Anschluss die in der geistlichen Literatur des hohen und späten Mittelalters boomenden „Räume der Innerlichkeit“. Am Beispiel der Kammer des Herzens, des Hauses des Gewissens oder des Seelenklosters zeigte er, dass solche menschlichen Innenräume bestens geeignet waren, das spezifische Bedürfnis von Mönchen und Nonnen nach Manifestation der eigenen Person vor Gott zu befriedigen und letzterem eine verortbare Heimstatt in ihnen selbst zu geben. JÖRG FEUCHTER (Berlin / Konstanz) dekonstruierte danach die gelehrten Konzeptionen vom so genannten Ribat als befestigtem muslimischem Kloster in eindrücklicher Weise. Er veranschaulichte, wie sehr sich eine auf einen Kulturtransfer berufende christliche Wissenschaftslandschaft aus dem Wunsch heraus, das Aufkommen der Ritterorden zu erklären, in einen immer tieferen Argumentationssog verstrickte und unkritisch ein Phänomen etablierte, das es so niemals gegeben habe.

Den Auftakt des zweiten Tages übernahm JÓZSEF LASZLOVSZKY (Budapest). Nach der Präsentation eines dem „monastic landscape approach“ verpflichteten umfassenden Konzepts zur Erforschung mittelalterlicher Klosteranlagen zeigte der Referent am Beispiel der Klöster Pomáz Nagykovácsi und S. Severo in Classe (Ravenna) die Schwierigkeit der Bestimmung von Wechselwirkungen spezifischer Raumkonzepte und proposita bei solchen Klöstern auf, die im Laufe ihrer Geschichte eine mehrfache Nutzung durch verschiedene Gemeinschaften erlebt haben. Dieses Impulsreferat schärfte bereits im Vorfeld das Bewusstsein für die notwendige analytische Sorgfalt bei jeder vernetzenden Betrachtung und Gewichtung von schriftlichen Quellen, kunstgeschichtlichen Erhebungen und archäologischen Befunden.

Die Sektion „Das frühe und hohe Mittelalter“ wurde durch KRISTINA KRÜGER (Heidelberg) mit einem Vortag zu den Cluniazensern eingeleitet. An zahlreichen Fallbespielen erläuterte sie die ausgesprochen hohe Relevanz der typisch cluniazensischen Klosteranlage, speziell des Kreuzgangs, des Kapitelsaals, des fehlenden Abtshauses und des Galiläa für die weitere Entwicklung der Klosterpläne im Allgemeinen. Namentlich anhand des Galiläa inklusive der darüber liegenden Kapelle demonstrierte die Referentin das Zusammenspiel aus Architektur und ritueller Nutzung zugunsten eines heiligen Raumes, der das Paradies präsenzsymbolisch abzubilden in der Lage war. Im Anschluss stellte META NIEDERKORN-BRUCK (Wien) den Lebensraum des Kartäusers als verwobenes Konstrukt diverser unterschiedlichen Kategorien zuordenbarer Räume vor. Im Kontext dieses space-Konzepts kam sie ebenso auf physische Räume, etwa den Kreuzgang und die Zelle, zu sprechen wie auf die Kartause als Wissensraum oder als über liturgische Gesänge kreierter mystischer Raum. GERT MELVILLE (Dresden) widmete sich den Grandmontensern, deren erhaltene Archivalien kaum Rückschlüsse auf die Anfangszeit zulassen. Dennoch rekonstruierte er in anschaulicher Weise eine Klosteranlage, in der fast alle Gebäude das gleiche Dachniveau und durchgängig ein zweites Stockwerk besaßen. Besondere Aufmerksamkeit zog ein nicht sicher definierbarer Raum auf sich, der wohl als Gästetrakt diente, obwohl die in Armut und Einsamkeit lebenden und allein auf das Evangelium eingeschworenen Grandmontenser von der Welt zurückgezogen leben wollten. MARGIT MERSCH (Kassel) analysierte im Folgenden die Klosterbauten der Zisterzienser, für die Einheit und Einheitlichkeit zentrale Begriffe in ihrem Selbstverständnis darstellten. Dennoch fänden sich im Exordium parvum und in den Gewohnheiten keinerlei Bauvorschriften, sondern allenfalls Direktiven zu Ausstattungen und Farbigkeiten der Niederlassungen. Unter Berufung auf Matthias Untermann und Carola Jäggi relativierte die Referentin die überregionale Einheitlichkeit in den zisterziensischen Klosteranlagen zugunsten zahlreicher regionaler Besonderheiten. Von einem ästhetischen Konzept könne keine Rede sein. Vielmehr habe die Funktionalität hohen Stellenwert besessen. Mit ihrem Beitrag aus der byzantinischen Klosterwelt thematisierte sodann EKATERINI MITSIOU (Wien / Athen) das monasterium als locus sanctus, der sich in nicht wenigen zuvor bereits angesprochenen lateinisch-christlichen Metaphern äußerte. Diesen Ort habe eine starke Präsenz des Göttlichen und – ganz im Sinne Mircea Eliades – ein vertikaler wie einen horizontaler Handlungsraum ausgezeichnet. Abgeleitet vom Kloster als Sozialraum, als space (nach Pierre Bourdieu), plädierte die Referentin zu Recht für ein topologisches Analysemodell, das den alleinigen Fokus auf die Topographie des Klosters ersetzen müsse.

Mit einem feierlichen Abendvortrag zu ausgewählten Raumkonzepten in indisch-buddhistischen Klöstern, die bereits seit dem 6. Jahrhundert im Niedergang begriffen waren, beschloss ELI FRANCO (Leipzig) diesen zweiten Tag. Anhand des Klosters als für Meditation nahezu ungeeigneter „Ort des Lärms“ und der Zentralität des Buddha in der künstlerischen Ausgestaltung des Raumes (Vessantara-Legende, Traum von Maya und Rad des Lebens) zeichnete der Referent dabei ein von europäischen Befunden deutlich variierendes Bild.

Die Sektion III: „Das späte Mittelalter“ eröffnete MATTHIAS UNTERMANN (Heidelberg) mit seinen Analysen von Klosteranlagen der Franziskaner im deutschen Sprachraum. Ihre frühen Kirchräume wiesen eine offenkundig starke, der eremitischen Tradition verhaftete Abschottung von den Gläubigen und zugleich eine geringe Raumkapazität für das zur Predigt bestimmte Kirchenvolk auf. Auch diskutierte der Vortragende eindrücklich den möglichen Sinn der beiden Kreuzgänge sowie der später durchaus nicht unüblichen Nutzung eines Kirchenschiffs als Kreuzgangsflügel. Bei solchen und anderen Befunden, so Matthias Untermann, handele es sich um Aspekte, die sich in den schriftlichen Quellen nicht unbedingt bestätigt fänden. Die Architektur und räumliche Ausgestaltung spiegelten zwar in der Tat Armut wider, aber in einer anderen Dimension, die neu überdacht werden müsse. Im Anschluss erörterte SEBASTIAN MICKISCH (Dresden) das Zusammenspiel aus Architektur und Symbolik am Beispiel der Dominikaner. Im Vordergrund stand dabei einmal mehr die Feststellung, dass es keinen typischen Bettelordensbaustil gegeben habe. Weit stärker prägten die Interessen der Stifter, der Stadt, die Auswahl der Handwerker und Architekten sowie deren jeweiliger Kenntnisstand die jeweilige Ordensniederlassung. Die räumliche Erfahrbarkeit der bei den Dominikanern durchaus gängigen traditionellen Motivik einer Interaktion mit der Engelwelt machte der Referent dabei selbstredend im Chor, aber auch im Speziellen in Schwellenräumen aus, wie etwa dem Infirmarium. Unter dem Gender-Aspekt untersuchte EDELTRAUD KLUETING (Münster) sodann die Raumkonzeptionen der Karmeliten. Nach einem anregenden Einblick in die Metaphorik von Kloster und Zelle sowie in das Aufnahmeritual der Karmelitinnen gelang es ihr in überzeugender Weise, die identitätsstiftende, feste Verankerung des Karmel in einem mystischen Kloster- und Ordensraum zu demonstrieren, der als visuell (namentlich in den Ausmalungen der Kapitelsäle und Dormitorien) kenntlich gemachtes spirituelles Band die einzelnen Konvente zusammenhielt. TORE NYBERG (Odense), der sich mit dem Birgittenorden befasste, betonte die in Bezug auf das Tagungsthema besondere Stellung dieser Religiosen, die ein von einer Frau geleitetes, beide Geschlechter beherbergendes Klostergebilde geschaffen hatten. Hier nämlich habe die in der Regula s. Salvatoris durch Birgitta von Schweden festgelegte Symbolik den äußeren Raum erst konstituiert. Die im Genre der Ordensregeln einzigartig exakte Angabe von Maßen und zeichenhaften Verweismodellen jeder einzelnen Räumlichkeit wurden erst danach konkret physisch umgesetzt. Der Referent vermutete in dieser baulich aufwendigen Herausforderung eine Ursache für die vergleichsweise geringe Ausbreitung des Ordens, die zudem häufig auf königlichen Stiftungen fußte. LETHA BÖHRINGER (Köln) beschloss diese Sektion mit einer Analyse der Beginenhöfe, die als in der Welt, aber doch nicht von der Welt aufgefasst wurden. Räumlichkeiten, so die Referentin, würden in den gesichteten Quellen nicht eingehend diskutiert. Zwar hätten die Beginenhöfe Tore und eine Mauer besessen, auch habe sich in der Mitte zumeist ein Oratorium befunden, planerisch aber seien diese Miniaturstädte der Frauen, anders als die Klöster, nicht entstanden.

CAROLA JÄGGI (Zürich) und FRANZ J. FELTEN (Mainz) leiteten mit ihrem Resümee eine fruchtbare Abschlussdiskussion ein, in der eine möglicherweise ratsame Sonderbetrachtung der Raumkonzepte weiblicher Religiosen ebenso zur Sprache kam wie das in die Thematik der proposita und ihrer physischen Umsetzung eingewobene Spannungsfeld aus Individuum und Gemeinschaft. Große Einigkeit bestand im Wunsch, die Beiträge zu verschriftlichen, denn gerade der übergreifende und komparative Ansatz der Tagung, der erstmals nahezu das gesamte Spektrum der mittelalterlichen Klosterwelt abdeckte und zugleich eine interkulturelle Perspektive schärfte, war neu. Somit verspricht sich auch ein Tagungsband, der die monastischen Raumkonzepte als Ausdruckformen religiöser Leitideen in einer neuen Dimension erörtert.

Konferenzübersicht:

Sektion I: Theoretische Grundlagen und Vergleichsmomente

Moderation: Petrus Bsteh (Wien)

Jörg Sonntag (Dresden): Die Metaphorik des christlichen Klosters im Mittelalter

Mirko Breitenstein (Dresden): Räume der Innerlichkeit

Jörg Feuchter (Berlin): Der muslimische Ribat

József Laszlovszky (Budapest): Impulsreferat: Building and Landscape of Medieval Monasteries with Changing Monastic Orders. Interpretation of the Archaeological Evidence

Sektion II: Früh- und Hochmittelalter

Moderation A: Peter Ramers (St. Augustin)

Kristina Krüger (Heidelberg): Die Cluniazenser

Meta Niederkorn-Bruck (Wien): Die Kartäuser

Moderation B: Claudia Rapp (Wien)

Gert Melville (Dresden): Die Grandmontenser

Margit Mersch (Kassel): Die Zisterzienser

Ekaterini Mitsiou (Wien / Athen): Byzanz

Eli Franco (Leipzig): Öffentlicher Abendvortrag: Indisch-buddhistische Klöster – Eine kulturübergreifende Perspektive

Sektion III: Das späte Mittelalter

Moderation A: Mirko Breitenstein (Dresden)

Matthias Untermann (Heidelberg): Die Franziskaner

Sebastian Mickisch (Dresden): Die Dominikaner

Edeltraud Klueting T.OCarm (Mainz): Die Karmeliten

Moderation B: Jörg Sonntag (Dresden)

Tore Nyberg (Odense): Die Birgitten

Letha Böhringer (Köln): Beginenhöfe

Resümee

Moderation: Gert Melville (Dresden)
Carola Jäggi (Zürich)
Franz J. Felten (Mainz)


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