Kommunikationschancen: Entstehung und Fragmentierung sozialer Beziehungen durch Musik im 20. Jahrhundert / Ambiguities of Communication: Musical Life and the Emergence and Fragmentation of Social Relations in the Twentieth–Century

Kommunikationschancen: Entstehung und Fragmentierung sozialer Beziehungen durch Musik im 20. Jahrhundert / Ambiguities of Communication: Musical Life and the Emergence and Fragmentation of Social Relations in the Twentieth–Century

Organisatoren
Sven Oliver Müller, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung; Jürgen Osterhammel / Martin Rempe, Universität Konstanz
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.01.2013 - 26.01.2013
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Von
Barbara Schledorn, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

Die Aneignung von Musik ist nicht als ein peripheres Phänomen, sondern als eine gesellschaftlich relevante Entwicklung zu begreifen. Musikalische Aufführungen sind als Akte sozialer Ordnung wichtig und ermöglichen die kommunikative Ausbildung und die Abgrenzung von Gruppen. Die Tagung widmete sich diesen Kommunikationschancen im Musikleben. Im Mittelpunkt stand die Frage, unter welchen Bedingungen der Umgang mit Musik die Verständigung zwischen Gruppen und Individuen erleichterte oder erschwerte. Entstand durch Musik ein neuer Kommunikationsraum? Was gelang durch musikalisch strukturierte Kommunikation, was sich etwa durch die gesprochene Sprache oder durch Bilder nicht oder anders vollzog? Eröffneten musikalische Aufführungen im 20. Jahrhundert in unterschiedlichen Gesellschaften und in unterschiedlichen Schichten und Publika soziale und politische Kommunikationschancen?

Nach der Begrüßung durch die Tagungsveranstalter Sven Oliver Müller, Jürgen Osterhammel und Martin Rempe stand im Eröffnungsbeitrag des Panels Mediale Vergemeinschaftung: „Stars“ und ihre Fan-Gemeinden von NEIL GREGOR (Southhampton) die Beziehung zwischen dem Dirigenten, dem Orchester und dem Publikum im Mittelpunkt, veranschaulicht am Beispiel der Münchner Philharmoniker und seinem leitenden Dirigenten, dem Österreicher Siegmund von Hausegger in der Zwischenkriegszeit. Gregor untersuchte dabei anhand von Bildmaterial von Hauseggers letztem Konzert im Jahre 1938, ob es eine Gemeinschaft innerhalb der Zuhörer gab, oder ob sie durch ihre soziale oder kulturelle Herkunft zu sehr divergieren und zu welchen Zwecken sie den Konzertbesuch benutzten. Daran anschließend ging KLAUS NATHAUS (Bielefeld) in seinem Vortrag unter anderem der Frage nach, warum sich das populäre Musikrepertoire in Westdeutschland, Großbritannien und den USA zwischen 1950 und 1980 änderte. Große Beachtung muss dabei der Ausdifferenzierung der Musik in verschiedenste Genres gelten, welche in einen „mainstream of minorities“ mündete. Dazu beigetragen hat eine vorangetriebene Hörerforschung durch die Musikindustrie. Danach legte HERMANN GRAMPP (Berlin) seinen Fokus wieder auf einen einzelnen Musiker in seiner Betrachtung des Kultes um den Komponisten und Musiker Richard Wagner. Bei der Betrachtung der Anhänger von Wagner unterschied Grampp zwischen einer informellen Zugehörigkeit von Personen, die Wagner ideell als Eingeweihte seiner Kunst unterstützten und einer formellen Zugehörigkeit, organisiert in Vereinen und Verbänden.

Das zweite Panel Pilgerfahrt und Außeralltäglichkeit: das Musikfest eröffnete STEPHAN MÖSCH (Bayreuth) mit seinem Beitrag über das Selbstverständnis, den Kunstanspruch und die Wirkung der Bayreuther Festspiele. Durch einen chronologischen Überblick der Geschichte der Bayreuther Festspiele kam Mösch zu dem Schluss, dass Wagner mit den Festspielen ein Kommunikationssystem geschaffen habe, dass den gesamtgesellschaftlichen Anspruch erhoben, die Öffentlichkeit sowohl ästhetisch als auch demokratisch zu beeinflussen. DETLEF SIEGFRIED (Kopenhagen) betrachtete in seinem Vortrag die Entwicklungen der und die Resonanz auf europäische Popmusikfestivals zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren am Beispiel der Festivals auf der deutschen Burg Waldeck und dem dänischen Roskilde. Der frühe politische Anspruch auf Burg Waldeck umgesetzt mit deutschsprachiger Musik endete bald mit dem Konsumvorwurf. Aus der Sicht der Deutschen wurde das Festival Roskilde in den 1970er-Jahren hingegen als modernes international geprägtes Gegenmodell zu Waldeck wahrgenommen. Ab den 1980er-Jahren stand immer mehr der Erlebniswert des Festivallebens, weniger die Musik selbst im Mittelpunkt. MAGDALENA WALIGÓRSKA (Berlin) stellte jüdische Musikfestivals als Orte vor, an denen die jüdische Identität neu verhandelt wird. Anhand von vier jüdischen Kulturfestivals in Berlin, Weimar, Krakau und Montreal brachte sie die Bedeutung der jüdischen Festivals für Juden und Nicht-Juden zum Ausdruck. Zum einen wachse das Interesse von Nicht-Juden an der jüdischen Kultur durch diese Festivals. Zum anderen dienen die Festivals einer neuen Identitätsstiftung von Juden und der Bewahrung und Verbreitung ihres kulturellen Erbes.

Das dritte Panel Anwesenheitsgesellschaft: das Konzert begann WILLIAM WEBER (Long Beach) mit seinem Vortrag über den Anteil bzw. das Verhältnis von klassischer/älterer und zeitgenössischer Musik in den Konzertprogrammen des Jahres 1910. Weber entdeckte eine mehrheitliche Dominanz von Musikstücken von bereits verstorbenen Komponisten. Dabei scheinen ältere Arbeiten für einen höherstehenden Geschmack zu stehen. Die Auswahl unterlag dabei aber auch oft dem Habitus des Publikums und dessen Geschmack. Komponisten zeitgenössischer Werke hingegen hatten Probleme, ihre Werke in den Konzerten zu verkaufen und mussten sich entweder anpassen, oder den Status des Außenseiters als Vertreter der Neuen Musik akzeptieren. HANSJAKOB ZIEMER (Berlin) beschäftigte sich mit Skandalen im Konzertleben in der Zeit um den Ersten Weltkrieg. Am Beispiel des Mengelbergskandals von 1912 ging er dabei der Frage nach, welche Ursachen es für solch einen Skandal gibt und wie sich die gesellschaftliche und soziale Funktion des Konzertes dadurch verschiebt. Der Skandal zeige zugleich den strukturellen Wandel der musikalischen Welt. Es käme einerseits zu einer neuen Definition der Rollen von Dirigenten und Journalisten und andererseits werde die Konzertbühne nun als Ort zur Reflexion und Kommunikation über die Gesellschaft genutzt. Über die Bewertung der Jazz Musik in West- und in Ostdeutschland während des Kalten Krieges referierte UTA G. POIGER (Boston). Ab den 1950er-Jahren habe sich die amerikanische Jazzmusik zu einer akzeptablen Musikrichtung entwickelt, die jedoch immer noch eine politische Diskussion über Afro-Amerikaner und ihre Kultur mit sich brachte. Prägend für die Diskussion über Jazz war in Westdeutschland der Radiojournalist Joachim Ernst Berendt und in Ostdeutschland der Sozialwissenschaftler und Radiosprecher Reginald Rudorf. Seiner These, dass Jazzmusik unpolitisch sei, widersprechen allerdings die zeitgenössischen Diskussionen und die Instrumentalisierung des Jazz zugunsten der Etablierung der Demokratie in den USA und Westdeutschland. Eine Erklärung für die Entwicklung des Konzertwesens durch ein evolutionstheoretisches Konzept versuchte MARTIN TRÖNDLE (Friedrichshafen) zu entwickeln. Rückblickend auf das 19. Jahrhundert, berichtete er von privaten Musikvereinen, die sich als gewinnorientierte Veranstalter betätigten und das Konzertformat wählten, das ihnen das größte Publikum versprach. Die Weiterentwicklung der Instrumente, z.B. durch elektronische Verstärker, betrachtet Tröndle als Teil eines autokatalytischen Prozesses, der die Entwicklung des Konzertwesens vorantreibt. Zu den relevanten Aspekten des Konzertwesens gehöre auch die Gruppenbildung.

Das vierte Panel Nonverbale Hierarchien: ‚koloniale Situation‘ und transkultureller Transfer eröffnete CLAUDIUS TORP (Kassel) mit seinen Überlegungen zur kolonialen Musikerziehung in Afrika und Asien und deren Prozesse und Bedeutungen. Anhand zweier Beispiele von Missionaren in Südafrika und in Tansania erläuterte er, wie das Einüben christlicher Musik als Erziehungs- und Disziplinierungsmittel benutzt wurde. Christliche Missionare hätten westliche Kirchenmusik als kulturell höherstehend betrachtet und deswegen oft die fremden Kulturen enteignet, in manchen Fällen sei es jedoch auch zur Aufwertung und Bestärkung der fremden Kultur gekommen. Auf kulturgeschichtlicher Ebene lassen sich durch diesen Kulturimperialismus jedoch auch verschiedene Vergemeinschaftungsmechanismen durch gleiche Herkunft oder Geschmack erkennen. MARTIN REMPE (Konstanz) untersuchte die koloniale Musiksituation im Hinblick auf die Entwicklung des populären Musiklebens im Kongo, von den 1930er-Jahren bis 1960. Am Beispiel der zwei Städte Brazzaville und Léopoldville und dem Aufstieg der Rumba, Hit-Genre der kongolesischen Musik der Zeit, illustrierte er, welche Faktoren zu Professionalisierung und Aufstieg dieses Musikgenres führten. Ausschlaggebend für die Entwicklung sei dabei die von griechischen Geschäftsmännern verfolgte kommerzielle Strategie gewesen, afrikanische Musik, für die afrikanische Bevölkerung zu vermarkten. Dies führte zu einem stark ausgeweiteten Kommunikationsraum, sowohl zwischen den Städten, als auch über die Landesgrenzen hinaus. Welchen sozialen und kulturellen Mechanismen der Transfer von Musik von einer Kultur in eine andere Kultur unterliegt, untersuchte TORU TAKENAKA (Osaka) am Beispiel der raschen Verbreitung westlicher Musik in Japan ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Nach anfänglicher Skepsis fand die japanische Bevölkerung bald einen Zugang zu der anfänglich fremdartigen westlichen Musik. Bestärkt worden sei diese Entwicklung vor allem durch die Meiji-Regierung, die ihre Modernisierungspolitik durch westliche Musik propagierte (z.B. Militärbands, Hoforchester). Die Musik diente jedoch gleichermaßen den Regierungsoppositionellen als Protestform gegen die neue Regierung, was sich durch einen Eintritt in neugegründete christliche Gemeinden äußerte.

Im Panel Abgrenzung und Rückzug: historische Soziologie von Avantgarden und Subkulturen setzte MARTIN THRUN (Leipzig) mit der Frage ein, welche Folgen die Tumulte während Aufführungen von Neuer Musik in den Konzertsälen während der Weimarer Republik hatten. Als eine der Hauptfolgen nannte er die Fragmentierung kultureller Lebenswelten und der folgenden Abgrenzung der Neuen Musik von Institutionen sogenannter bürgerlicher Hauptkultur. Vertreter der Neuen Musik, die sich oft organisierten (Vereine), sahen sich während ihrer Konzerte oft starker Kritik des Publikums ausgesetzt, die ihren Unmut und ihre Enttäuschung durch Pfiffe und Lärm zum Ausdruck brachten. Diese Ablehnung verdrängte sie oft aus dem Bereich der Hochkultur. Furtwängler begründete die Anziehung der Neuen Musik mit dem chaotischen Lebensgefühl des ‚modernen Menschen‘. Die Thematik des Protestes musikalischer Avantgarden um 1968 untersuchte BEATE KUTSCHKE (Leipzig) in ihrem Vortrag. Das Ziel der musikalischen Avantgarde, ihre progressiven politischen Argumente durch ihre ästhetisch moderne und raffinierte Musik einer breiten Masse zu kommunizieren, sei bereits an der mangelnden Breitenwirksamkeit progressiver Musik gescheitert. Dennoch gelang es der progressiven Musik über den Umweg, zuerst den Kommunikationsprozess innerhalb des Musikbetriebes anzuregen, später auch eine Veränderung außerhalb des Musikbetriebes, der Gesellschaft zu bewirken.

Zu Beginn des Panels Repräsentation und Opposition: Musik auf politischen Bühnen thematisierte STEPHANIE KLEINER (Konstanz) den kulturpolitischen Versuch, in der Weimarer Republik die Neue Musik und insbesondere die Oper als Ort für eine kulturelle Neuausrichtungen des Staates zu nutzen. Einzelne Musikschaffende und Intellektuelle sahen im politischen Neubeginn eine Chance durch musikalische Mittel das Ideal vom selbstständigen Bildungsbürger zu erschaffen. So wurde die Frage aufgeworfen, ob die Forderung nach Neuer Musik im Zusammenhang mit einem Bedürfnis nach einem politischen Stilwechsel steht. Dabei müssen dennoch stets die Grenzen ins Bewusstsein gerufen werden, innerhalb deren Musik auf den gesellschaftlichen Prozesse Einwirkung hat. So, Kleiners These, seien die Einflussmöglichkeiten von Musik auf gesellschaftliche und politische Prozess stets begrenzt. MARTIN STOKES (London) stellte die von Menschenmassen erzeugte Geräuschkulisse in den Fokus seiner Betrachtungen, die zeitlich im 20. und 21. Jahrhundert angesiedelt waren. Inspiriert von Elias Canettis Studie Crowds and Power betonte er die Bedeutung der großen Massen im Vergleich zu kleinen Gemeinschaften für Musikethnologen. Innerhalb von Menschenmassen, die oft konstitutiv für bestimmte Veranstaltungen wie Rockkonzerte und Sportveranstaltungen seien, kämen die Emotionen der Gruppe zum Ausdruck. Die Masse besitze dabei eine soziale Macht, die Stimmung einer Gruppe zu beeinflussen und sich vom Individuum hin zu einer Gruppe zu entwickeln. SARAH ZALFEN (Berlin) beleuchtete vom politikwissenschaftlichen Standpunkt den Aspekt von Musik auf Parteitagen bezüglich Sinn und Ziel. Musik werde in verschiedenen Situationen eingesetzt, wie zur Eröffnung des Parteitages oder als traditioneller Teil des Singens der Parteihymne. Die große Bedeutung des gemeinsamen Singens ließe sich durch die Annahme erklären, dass es zur Entstehung und dem verstärkten Zusammenhalt einer Gemeinschaft führt, bedingt durch Sinnstiftung und Performanz. Durch das Singen werde schließlich die Überwindung der räumlichen und zeitlichen Begrenztheit der Gemeinschaft vollzogen.

Im abschließenden Panel Emotionale Rezeptionen: Nationalhymnen untersucht MICHAEL WALTER (Graz) die musikalische Struktur und die Funktion von Nationalhymnen, veranschaulicht durch die kurzzeitige italienische Hymne „Fratelli d´Italia“. Dabei versuchte er nachzuweisen, dass nicht die Hymne selbst ein patriotisches Gefühl hervorruft, sondern eine patriotische Grunddisposition meist bereits vorhanden ist, die die Musik lediglich transportiert und dadurch emotional wirkt. Vielen Nationalhymnen fehle jedoch eine musikalische Eigencharakteristik, weshalb sie beliebig austauschbar seien. In einigen Ländern zeige die Unfähigkeit, sich für eine Hymne zu entscheiden die Uneinigkeit innerhalb der Nation, andere Ländern lösen das Problem, in dem auf einen möglicherweise zu Unstimmigkeiten führender Text verzichtet wird. CELIA APPLEGATE (Nashville) legte den Fokus ihres Vortrags mehr auf die Anlässe zu denen Nationalhymnen aufgeführt werden am Beispiel des „Großen Zapfenstreich“ zu seiner Anfangszeit vor den Weltkriegen. Das Bild dieser „höchsten Form militärischer Ehrenbezeugung“ (Bundeswehr) wird von den Medien oft als sehr traditionsreich gezeichnet, jedoch zeige sich bei näherer Betrachtung, dass die Geschichte des Zapfenstreichs von häufiger Veränderung begleitet wurde. Doch trotz der Veränderungen kann durchgängig eine vergemeinschaftende Wirkung erkannt werden. Als Abschluss des Panels und gleichermaßen des Vortragsteils der gesamten Tagung referierte JULIANE BRAUER (Berlin) über den deutschen Hymnenstreit zwischen 1949 und 1952 im Zusammenhang mit Emotionen und Nation. Brauer verglich dazu die Nationalhymne der DDR „Auferstanden aus Ruinen“ mit der erfolglosen „Hymne an Deutschland“ des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, die sich nicht gegen das von Adenauer favorisierte „Deutschlandlied“ durchsetzen konnte. Das Deutschlandlied sowie die DDR-Hymne wurden durch wiederkehrenden gemeinschaftlichen Gesang erfahrbar gemacht und zu einem Gemeinschaftserlebnis kreiert und somit zu einer „invented tradition“ (Hobsbawm), die im Falle der DDR-Hymne erfolgreich Vorstellungen von Identität und Herkunft kommunizierte.

Insgesamt wurde in dieser Tagung das Thema der „Kommunikationschancen“ von verschiedenen methodischen Blickwinkeln aus betrachtet und thematisch in großer Bandbreite vom Konzertleben über koloniale Musikerziehung bis hin zu Fan-Gemeinden untersucht. Aufschlussreich war es die Vielfalt von Interaktionsräumen zu beleuchten, die sich durch soziale, kulturelle und politische Reichweite unterschieden. Doch was ist musikalische Kommunikation? Musikalische Kommunikation erfüllt vier idealtypische Funktionen: Sie dient der Information, der Meinungsbildung, der Vergesellschaftung und der Unterhaltung. Kommunikation wirkt im Grunde als ein Dispositiv, was Einschluss- und Ausschlussmechanismen voraussetzt und impliziert. Es ist davon auszugehen, dass verschiedene Kommunikationssituationen ineinander verschränkt sind und dass deshalb die Logik mit dem In- und Ausschließen nicht eindeutig funktionieren kann. Musik sollte daher als sozialer Handlungszusammenhang verstanden werden. Sie scheint stärker als manche anderen Kunstgattungen an konkrete Handlungsabläufe und den zeitlichen Wandel gebunden. Musik ist eine Koordinationsressource, d.h. sie gelingt erst durch aufeinander ausgerichtete Praktiken der Akteursgruppen (Komponisten, Künstler, Veranstalter und Publikum). Dabei bedürfen alle Glieder in dieser Kommunikationskette einander.

Ein wichtiges Ergebnis der Tagung ist, dass die Kommunikation im Musikleben stets als ein Verhandlungsprozess zwischen den Interessen der Produzenten und Konsumenten wirkt. Es gelang parallel geführte Diskurse, Geschmäcker und Verhaltensmuster zu erkennen und zu begründen. Die Tagungsteilnehmer/innen konnten die Vielzahl der skizzierten Parameter nicht in ihrer Gesamtheit erfassen, aber doch Perspektiven aufzeigen, wie sich durch den Umgang mit Musik andere und oft neue Kommunikationschancen eröffneten.

Konferenzübersicht:

Einführung:
Sven Oliver Müller / Jürgen Osterhammel / Martin Rempe

Panel I: Mediale Vergemeinschaftung: „Stars“ und ihre Fan-Gemeinden
Chair: Martin Rempe (Konstanz)

Neil Gregor (Southhampton): Siegmund von Hausegger, the Munich Philharmonic and Languages of Community

Klaus Nathaus (Bielefeld): From Mainstream to the „Mainstream of Minorities”: Repertoire Change and Social Differentiation in Popular Music in West Germany, Britain and the US (1950–1990)

Hermann Grampp (Berlin): Der organisierte Kultus: Wagner und seine Fan-Gemeinden im 20. Jahrhundert

Panel II: Pilgerfahrt und Außeralltäglichkeit: das Musikfest
Chair: Jörg Echternkamp (Halle-Wittenberg/Paris)

Stephan Mösch (Bayreuth): Vom Tempel zum Public Viewing. Überlegungen zu Selbstverständnis, Kunstanspruch und Wirkung der Bayreuther Festspiele im Wandel ihrer Geschichte

Detlef Siegfried (Kopenhagen): Von der Kommunikation zum Erlebnis. Die Festivals auf der Burg Waldeck und in Roskilde im Vergleich

Magdalena Waligórska (Berlin): Jewish Music Festivals as Spaces of Negotiating Jewish Identities

Panel III: “Anwesenheitsgesellschaft”: das Konzert
Chair: Jürgen Osterhammel (Konstanz)

William Weber (Long Beach): New Music versus Old in the Fragmented State of Concert Programming, 1900–1914

Hansjakob Ziemer (Berlin): Konzert als Arena: Kommunikation und Skandale im Konzertleben um den Ersten Weltkrieg

Uta Poiger (Boston): Jazz in Cold War Germany

Martin Tröndle (Friedrichshafen): Das Konzert als ästhetisch/soziale Differenz

Panel IV: Nonverbale Hierarchien: „koloniale Situation“ und transkultureller Transfer
Chair: Margrit Pernau (Berlin

Claudius Torp (Kassel): Die Instrumente der Zivilisierung: Koloniale Musikerziehung im Vergleich

Martin Rempe (Konstanz): Populäres Musileben im spätkolonialen Afrika

Toru Takenaka (Osaka): Listening to Music Through the Head: A Pattern of Western Music Reception in Modern Japan

Panel V: Abgrenzung und Rückzug: historische Soziologie von Avantgarden und Subkulturen
Chair: Celia Applegate (Nashville)

Martin Thrun (Leipzig): Der Sturz ins Jetzt des Augenblicks. Tumulte in Konzertsälen und ihre Folgen in den Jahren der Weimarer Republik

Beate Kutschke (Leipzig): Protest als Kommunikationsziel musikalischer Avantgarden um 1968: Wer hört zu? Wer macht mit?

Panel VI: Repräsentation und Opposition: Musik auf politischen Bühnen
Chair: Daniel Morat (Berlin)

Stephanie Kleiner (Konstanz): Demokratische Ordnung durch Neue Musik? Die Oper als Ort kultureller Verhandlungen in der Weimarer Republik

Martin Stokes (London): The Melancholic Crowd: Some Social Movements and their Soundscapes in the Twentieth and Twenty-First Centuries

Sarah Zalfen (Berlin): Wann sie singen Seit an Seit … Musik als gemeinschaftsbildende Tradition und Praxis auf Parteitagen

Panel VII: Emotionale Rezeption: Nationalhymnen
Chair: Sven Oliver Müller (Berlin)

Michael Walter (Graz): Fratelli d´Italia: musikalische Struktur und Funktion von Nationalhymnen

Celia Applegate (Nashville): Worlds´Fairs and Brass Bands: Communicating through Music in the Early Twentieth Century

Juliane Brauer (Berlin): „Deutschland einig Vaterland”? Nation und Emotionen im Spiegel des deutschen Hymnenstreites um 1950

Schlusspanel mit Hans-Joachim Hinrichsen (Zürich), Michael Stegemann (Dortmund), Michael Werner (Paris), Helga de la Motte (Berlin)


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