Opfer, Täter, Jedermann? „DDR-Zeitzeugen“ im Spannungsfeld von Aufarbeitung, Historisierung und Geschichtsvermittlung

Opfer, Täter, Jedermann? „DDR-Zeitzeugen“ im Spannungsfeld von Aufarbeitung, Historisierung und Geschichtsvermittlung

Organisatoren
Zeitpfeil e. V.; Bildungswerk der Humanistischen Union Nordrhein-Westfalen; Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.02.2013 - 15.02.2013
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Von
Konstantin Baehrens, Berlin

Um die dringend benötigte methodologische Reflexion und Diskussion über Arbeit mit Zeitzeugen in Geschichtsforschung und historisch-politischer Bildung bezüglich der DDR-Geschichte zu befördern, fand am 14. und 15. Februar 2013 im Potsdamer Haus der Natur eine vom dortigen Bildungsträger Zeitpfeil e. V., dem Bildungswerk der Humanistischen Union NRW und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung veranstaltete, interdisziplinäre Tagung statt. Ein besonderes Charakteristikum bestand in der kalkulierten Diversität der Teilnehmenden; neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern waren auch Professionelle aus der praktischen Arbeit mit Zeitzeugen in historisch-politischer Bildungsarbeit, psychosozialer Betreuung und medialer Vermittlung, sowie Zeitzeugen selbst und Vertreterinnen aus Politik oder offiziellen Behörden repräsentiert. Dies sollte einen produktiven Austausch von Wissenschaft und Bildungspraxis ermöglichen. Angesichts der im Zusammenhang mit dem seit den 1980er-Jahren erstarkenden Erinnerungs-Paradigma zunehmenden Arbeit mit Zeitzeugen in der Geschichtskultur wurden Fragen der sie begleitenden Emotionalisierung, vermeintlichen Unmittelbarkeitserzeugung, Popularisierung und Individualisierung von Geschichtsschreibung behandelt.

In seinem Eröffnungsvortrag skizzierte MARTIN SABROW (Potsdam) Entwicklungslinien der Sachgeschichte von Zeitzeugenschaft nach 1945, deren um 1975 einsetzende deutsche Begriffsgeschichte und spezifizierte ‚DDR-Zeitzeugenschaft‘ im Vergleich zu ‚NS-‘ und ‚BRD-Zeitzeugenschaft‘. Dem in den 1980er-Jahren einsetzenden Paradigmenwechsel von ‚Vergangenheitsbewältigung‘ hin zu ‚Vergangenheitsaufarbeitung‘ korrelierte er einen Funktionswechsel von Zeitzeugenschaft; habe sie zuvor als „demokratische Gegenerzählung von unten“ fungiert, diene sie heute als „Belegspender“. Seine Befunde fasste Sabrow in vier spezifischen Distinktionsmerkmalen von ‚DDR-Zeitzeugenschaft‘ im Gegensatz zu ‚NS-Zeitzeugenschaft‘ zusammen; neben größerer zeitlicher Nähe, die auch die von Sabrow aufgegriffene Unterscheidung von ‚impliziter‘ und ‚expliziter Zeitzeugenschaft‘ erforderlich mache, und einer größeren zu bezeugenden Zeitspanne unterscheide sich ‚DDR-Zeitzeugenschaft‘ von ‚NS-Zeitzeugenschaft‘ durch eine für die DDR von Anfang an bestehende Begleitung des Aufarbeitungsprozesses durch Zeitzeugen, die ihnen nicht die Funktion einer Gegenerzählung habe zukommen lassen, und dadurch, dass ‚DDR-Zeitzeugenschaft‘ stärker umstritten sei als ‚NS-Zeitzeugenschaft‘, da für jene kein stabiler Deutungsrahmen bestehe, sondern verschiedene „DDR-Gedächtnisse“ konfligieren.

Im ersten Podium wurde diskutiert, wie unterschiedliche Kontexte und Öffentlichkeiten verschiedene Funktionen von Zeitzeugenschaft bedingen, insofern sich mit den Adressaten verschiedene politische Deutungsfelder und inhaltliche wie formale Erwartungen an Zeitzeugen verbinden. DOROTHEE WIERLING (Hamburg) eruierte Differenzen von Zeitzeugen einerseits und Interviewpartnern der Oral History anderseits und problematisierte die bestehende Praxis der Zeitzeugenarbeit. Während Zeitzeugenschaft der öffentliche, eine „Beglaubigung“ von Ereignissen und deren jeweiliger Deutung liefernde „Auftritt“ der Person wesentlich sei, werden Oral History-Interviewpartner, deren „Wahrhaftigkeit“ zentral sei, üblicherweise anonymisiert. Die mit Zeitzeugenschaft verknüpften, letztlich unhaltbaren Versprechen von Anschaulichkeit, Authentizität, Aura, Autorität und Anerkennung führen zur fixierten Reproduktion einer zugeschnittenen Erzählung. Ein Ausweg bestehe in medialer „Konservierung von Zeitzeugen“. Wierling pointierte, zugunsten von Aufklärung müsse auf Aura verzichtet werden.

Entsprechend sah SILKE KLEWIN (Bautzen), wissenschaftliche Leiterin der Gedenkstätte Bautzen, Funktionen und Potenziale von Zeitzeugen in der Gedenkstättenarbeit durchaus auch in deren Rollen als Tat- und Sachzeugen, die der Historiographie Fakten erschließen oder als Fach-Experten auftreten könnten. Speziell in Bautzen werde zwar ein enger Zeitzeugenbegriff verwandt, insofern ausschließlich mit ehemaligen Häftlingen, also ‚Opfern‘ gearbeitet werde; Klewin machte aber auch eine steigende Tendenz aus, vereinzelt Sichtweisen von ‚Tätern‘ zu thematisieren. Abschließend problematisierte sie die Reichweite der Deutungshoheit von Zeitzeugen. Ihr Einfluss auf Gedenkstättenarbeit werde etwa deutlich im novellierten sächsischen Gedenkstättenstiftungsgesetz, dessen Präambel die Rolle von ‚Opfern‘ als Zeitzeugen festschreibe.

HILDE HOFFMANN (Bochum) führte Funktionen von Zeitzeugenschaft anhand ausgewählter Beispiele zweier Fernsehproduktionen vor, nämlich der Serie „Die Mauer. Eine deutsche Geschichte“ und des Films „Der Tunnel“ (Marcus Vetter). Durch bestimmte Verwendungsarten von Zeitzeugenberichten – wie Emotionalisierung, Bestätigung des perspektivierenden Kommentars, historischer Dekontextualisierung, homogenisierender Darstellung einer „Gemeinschaft der Opfer“ – werde die Perspektive der dominierenden Narration belegt. Hoffmanns Beispielanalyse zeigte, wie politisch divergierende Aussagen über Einführung, Kommentierung und visuelle Rahmung nivelliert und einem scheinbar objektiven Geschichtsbild integriert werden, was eine emotionalisierende Vermittlung der Autorenperspektive erlaube. Die nach 1989 dominante historische DDR-Lesart werde so als gesamtdeutscher Konsens vorgestellt.

JÖRG VON BILAVSKY (Berlin) präsentierte als Geschäftsführer des vom ZDF, Bertelsmann und anderen Medienakteuren getragenen Vereins „Unsere Geschichte. Das Gedächtnis der Nation“ dessen Internet-Zeitzeugenportal, das Zeitzeugeninterview-Ausschnitte zu historischen Themen des 20./21. Jahrhunderts bereitstellt. Er betonte die redaktionelle Auswertung der Zeitzeugeninterviews, die nach in sich abgeschlossenen Erzählungen suche und sie mit historisch einleitenden Kommentaren versehe. Ziel sei die Einführung in Thema und Auseinandersetzung, keine umfassende analysierende Darstellung.

Das zweite Podium war Befunden über Wirkungsweisen von Zeitzeugenarbeit gewidmet. CHRISTIAN ERNST (Potsdam) und HEIDI BEHRENS (Essen) benannten qualitative Ergebnisse ihres Praxisforschungsprojektes „Arbeit mit Zeitzeugen in der außerschulischen Bildung“ und offerierten professionelle Leitlinien, Kriterien guter Praxis und Entwicklungsaufgaben für den Bereich außerschulischer Bildung. Wichtig sei ein nichtfestgelegtes, mehrdimensionales Verständnis von Zeitzeugenschaft; da die DDR nicht isoliert zu betrachten sei, dürfe auch das Verständnis von DDR-Geschichte und Zeitzeugenschaft zeitlich und räumlich nicht abgeschlossen sein. Die Übergänge zwischen ‚impliziter‘ und ‚expliziter Zeitzeugenschaft‘ seien fließend und manifestieren sich situationsbezogen; Akteure der politischen Bildungsarbeit sollten sich daher ihrer Auswahl- und Rahmungsfunktionen bewusst sein. Beide plädierten auch für ein weiteres Themenspektrum; Kultur, Geschlechterverhältnis und Alltagsgeschichte, sowie die Themengebiete Wirtschaft und Arbeit in der DDR seien in der Arbeit mit Zeitzeugen unterrepräsentiert.

CHRISTIANE BERTRAM (Tübingen) präsentierte ihr empirisches Bildungsforschungsprojekt zur Zeitzeugenarbeit in Schulen, das untersucht, welche Arbeitsformen mit Zeitzeugen gegebenenfalls Motivation und Kompetenzerwerb von Schülerinnen und Schülern verschiedener Altersstufen nachweisbar fördern. Widersprüchlichkeit der Aussagen untereinander, zu Schulbüchern oder Lehrenden, ihre Kontroversität und Perspektivität, seien zugleich Chancen für historisches Lernen im Unterricht. Da Zeitzeugenberichte als Quellen und Darstellungen fungieren, müsse deren Narration quellenkritisch dekonstruiert werden, was historische Methodenkompetenzen fördern könne.

Im dritten Podium wurde den Effekten von Zeitzeugenberichten eher theoretisch nachgegangen. MICHELE BARRICELLI (Hannover) formulierte Thesen zur notwendigen Komplexität von Zeitzeugenberichten und deren Rezeption und bezog insbesondere US-amerikanische Erzähltheorien in seine Zeitzeugenschaftskonzeption ein. Er fokussierte auf die Narrativität von Zeitzeugenberichten als sinnbildenden Identitätserzählungen und machte auf widerstreitende Sinnbildungslogiken aufmerksam. Aufgrund ihrer „langen Lebensdauer“ werde ihre jeweilige Sinnbildung immer neu an bestehende Deutungsrahmen angepasst. Diese Darstellungen „subjektiv wahrgenommener Wirklichkeit“ können daher nur Teil einer umfassenden Informierung über eine Zeit sein. Für die pädagogische Praxis verwies er auf die Funktion von Zeitzeugen als ethischer Instanz in der Holocaust-Education.

Anschließend ging KATHARINA OBENS (Berlin) anhand ihres Dissertationsprojekts zur Rezeption von Zeitzeugen des Nationalsozialismus auf die psychologische Rolle von Vorwissen, Haltungen und Rahmenbedingungen ein, welche die Wahrnehmung von Jugendlichen in der Arbeit mit Zeitzeugen beeinflussen. Ihre Hypothese einer besonderen Gedächtniskraft von mit Emotionen verbundenen Erinnerungen betonte die Notwendigkeit von Vor- und Nachgesprächen, besonders bezüglich der „Authentizitätserwartungen“ in der Arbeit mit Zeitzeugen.

SABINE MOLLER (Berlin) vertrat eine sozialpsychologische Perspektive, indem sie Faktoren speziell familialer Sozialisation im Ost-West-Zusammenhang analysierte. Aus dem Befund einer bruchlosen Übertragung von gegenwärtigen emotionalen Eindrücken auf die erzählte Vergangenheit durch die Rezipierenden zog sie zwei Folgerungen: Zeitzeugen als „anwesende Quellen“ passen sich dem gegenwärtigen Gesellschaftskontext an; ihre „Gegenwärtigkeit“ verschleiere den Konstruktionscharakter von Erinnerungen, die sich an wahrgenommenen Erfordernissen der Gegenwart orientieren.

Das vierte Podium fokussierte auf erforderliche zwischenmenschliche Kompetenzen in der Zeitzeugenarbeit. Psychotherapeut STEFAN TROBISCH-LÜTGE (Berlin) erläuterte, was traumatische Strukturen für Zeitzeugen und deren Zuhörende in der Interaktion bedeuten, und gab Hinweise, worauf bei der Arbeit mit Opfern der SED-Diktatur besonders zu achten sei, etwa wie Zeitzeugen mit Stress umgehen können, ob sie unterschiedliche Affekte zulassen, oder sich beispielsweise ausschließlich Selbstvorwürfe machen. Ein entsprechender „diagnostischer Blick“ sei nötig, um Überforderungen zu vermeiden. Familiäre und soziale Situation seien ebenso zu berücksichtigen wie DDR-spezifische Unterscheidungen von Systemträgern, ‚Tätern‘ und ‚Mitläufern‘, persönliche Entwicklungen nach 1989 und die Organisationsstrukturen der Zeitzeugenarbeit, ob Zeitzeugen an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz überlastet werden und weshalb sie dort arbeiten.

In der Diskussion mit der Bürgerrechtlerin und Brandenburgischen Landesbeauftragten für die Folgen der kommunistischen Diktatur ULRIKE POPPE (Berlin) wurden allgemeine praktische Fragen zur Zeitzeugenarbeit thematisiert und das Verhältnis ihrer Theorie und Praxis problematisiert. Poppe betonte, es handle sich bei den Kommunikationspartnern in der – zudem öffentlichen – Zeitzeugenarbeit keineswegs um Therapeuten. Die ‚berufliche‘ Ausübung von Zeitzeugenschaft mit ihren häufigen Wiederholungen führe zur Inszenierung der Erzählung. Dies könne bis zur „Profizeitzeugenschaft“ übertrieben werden.

Den Abschluss des ersten Tages bildete eine öffentliche Veranstaltung im Filmmuseum Potsdam, in der Beispiele des Umgangs mit Zeitzeugen in Kunst und Medien verhandelt wurden.

SUSANNE KRONES (München) lieferte einen ‚Werkstattbericht‘ ihres an der Biographie eines Übersiedlers aus der DDR in die Bundesrepublik ausgerichteten Romanprojekts. Dabei kam das Verhältnis von Dokumentation und Darstellung ebenso zur Sprache wie die Frage bisher vernachlässigter Aspekte hinsichtlich der Geschichte der DDR, wie Alltagsgeschichte und Arbeitswelt. Der Roman solle darüberhinaus thematisieren, dass autobiographische Erinnerungen sich mit der Zeit ändern; die Erinnerung an ein Land müsse daher immer vielstimmig sein.

THOMAS GRIMM (Berlin), Dokumentarfilmer und Geschäftsführer des Videoportals „Zeitzeugen-TV“, stellte seine von der EU-Kommission geförderte Plattform (künftig „european biopic-pool“) vor, deren Aufbau, Methode und Zielsetzung, eine „europäische Identität“ zu fördern, er erläuterte. Bildungsträger, etwa Volkshochschulen, könnten das umfangreiche Material biographischer Darstellungen, das Beiträge aus unterschiedlichsten Blickwinkeln auf verschiedene historische Aspekte umfasst, zur historisch-politischen Bildung nutzen.

Als Dramaturg von Rimini Protokoll präsentierte SEBASTIAN BRÜNGER (Berlin) deren Arbeit mit Zeitzeugen als „Experten des Alltags“ und problematisierte die angenommene Eindeutigkeit von Realität und Inszenierung. Sobald die „Theatermaschine“ laufe, sei der Rahmen für Fiktion eröffnet, aber der in der Theaterarbeit mit Zeitzeugen garantierte autobiographische Pakt vermittle dem Publikum, dass hier auch Bezüge zu real Erlebtem verhandelt werden. Rimini Protokoll sei interessiert am Spiel mit „Authentizitätseffekten“. Man arbeite nicht an der „historischen Wahrheit“, sondern an „subjektiver Wahrhaftigkeit“.

Der zweite Tagungstag leistete einen Praxis-Transfer. In zwei parallelen Workshops wurden die am ersten Tag aufgeworfenen Fragen in Bezug auf verschiedene Felder außerschulischer Bildung diskutiert. Der erste Workshop widmete sich unter Heidi Behrens‘ und NORBERT REICHLINGs (Essen) Leitung den Erwartungen, Voraussetzungen und Funktionen von Zeitzeugenschaft, etwa als Quelle, Medium oder Darstellung, und ihrem professionell-pädagogischen Gegenüber. Mittels Kleingruppen-Diskussionen und einem Live-Interview mit MARTIN KLÄHN (Schwerin), der zu Erfahrungen aus seiner Arbeit als Zeitzeuge befragt wurde, wurden spezifische Herausforderungen unterschiedlicher Arrangements analysiert und abschließend darüber diskutiert, welche Merkmale eine gute Praxis aufweisen sollte. Besonderer Wert wurde auf die notwendige Reflexion in Anspruch genommener Normen und die gegenseitige Vorbereitung von Zeitzeugengesprächen gelegt; auch Zeitzeugen sollten wissen, wem gegenüber sie sich äußern.

Der zweite Workshop behandelte, geleitet von Christian Ernst, der Kuratorin STEFANIE WAHL (Potsdam) und IRMGARD ZÜNDORF (Potsdam), Medialisierung und Präsentation von Zeitzeugen am Beispiel zeithistorischer Ausstellungen. Er verdeutlichte Konsequenzen verschiedener Kontexte in Vorbereitung, Durchführung und Aufbereitung der Interviews für die Anwendung von ‚Oral History‘ zu Präsentationszwecken, die bereits bei der Konzeption eines Projektes zu berücksichtigen seien. Einig waren sich die Teilnehmenden darin, dass Zeitzeugen in Ausstellungen zu Multiperspektivität und nicht zur Vermittlung einseitiger Sichtweisen beitragen sollen. Dies könne nicht von einzelnen Zeitzeugen geleistet werden, sondern sei durch die Präsentation verschiedener Stimmen umzusetzen.

Die Abschlussdiskussion thematisierte insbesondere den Beutelsbacher Konsens mit Bezug zur Zeitzeugenarbeit. Als pädagogischer Leiter erläuterte KARSTEN HARFST (Berlin) zur Rolle der Zeitzeugen in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, sie fungieren als historische Sachkenntnisse mit persönlicher Erfahrung ergänzende Experten. Verantwortlich für angemessene Vor- und Nachbereitung, sowie für Multiperspektivität, seien die Lehrkräfte.

ELENA DEMKE (Berlin) unterschied zwischen „emotionaler“ und „kognitiver Überwältigung“ und vertrat die kontroverse These, nur letztere müsse nach dem Beutelsbacher Konsens verhindert werden. Zu erwarten, dass Schülerinnen und Schüler Zeitzeugenberichte methodisch und inhaltlich hinterfragen können, überfordere sie, wenngleich sie mitunter durchaus selbst Gegenperspektiven fordern. Die Orientierung an Interessen der Rezipierenden als politischen Akteuren sei einer moralischen Bewertung von Geschichtsbildern vorgelagert.

Allgemeine Zustimmung zum Beutelsbacher Konsens stellte CHRISTOPH HAMANN (Berlin) infrage. Jener werde etwa für die Zielsetzung, Schülerinnen und Schüler emotional zu binden und ihnen ein bestimmtes Geschichtsbild zu vermitteln, teilweise als störend empfunden. Perspektivität und transportierte Interpretationen bedürfen in Bildung und Forschung eines quellenkritischen Umgangs in einem angemessenen methodischen Setting. Die „Doppelqualifikation“ von Zeitzeugen als Experten in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen sei problematisch, da Schülerinnen und Schüler meist über keine klare begriffliche Unterscheidung von Quellen und Darstellungen verfügen.

Wie die Resümees von PETER PAUL SCHWARZ (Potsdam) und STEFAN QUERL (Münster) verdeutlichten, bildeten die Forderungen nach Multiperspektivität, Überwältigungsverbot und Ausrichtung an Interessen und Voraussetzungen der Rezipierenden rote Fäden der Tagung, ebenso das Problem der Inszenierung von Zeitzeugenschaft im Gegensatz zur ihr zugeschriebenen ‚Authentizität‘, die nötige Quellenkritik und Kontextualisierung, sowie die Frage ihrer Konservierbarkeit. Kontroverse Diskussionen ergaben sich zum Problem der Emotionalisierung und bezüglich der ‚Opfer-Täter-Dichotomie‘.

Die Mahnung einer Teilnehmerin bleibt festzuhalten, trotz aller theoretischen Diskussionen sei von realen Zeitzeugen keine bestimmte Subjektkonstitution zu erwarten. Vielmehr muss in der Arbeit mit Zeitzeugen deren und aller Beteiligten spezifischer erkenntnistheoretischer und sozio-historischer Ort berücksichtigt werden, um kognitive Verarbeitung unterschiedlicher Sichtweisen zum rationalen Selbstverständnis zu ermöglichen. Eine ausführliche Tagungsdokumentation ist unter <http://www.arbeit-mit-zeitzeugen.org/tagungsdoku> zu finden.

Konferenzübersicht

Täter, Opfer, Jedermann? „DDR-Zeitzeugen“ im Spannungsfeld von Aufarbeitung, Historisierung und Geschichtsvermittlung

Teil 1: Zeitzeugen in der Geschichtskultur

Martin Sabrow (Potsdam): Zeitzeugen im DDR-Gedächtnis.

Podium 1: Forschung, Vermittlung, Inszenierung. Podiumsdiskussion zu Funktionen und Potenzialen von Zeitzeugen in Wissenschaft und Geschichtskultur

Teilnehmer/innen: Dorothee Wierling (Hamburg), Silke Klewin (Bautzen), Hilde Hoffmann (Bochum), Jörg von Bilavsky (Berlin)

Teil 2: Zeitzeugen im Lernfeld der DDR-Geschichte

Podium 2: Zeitzeugen in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit – Stand und Perspektiven

Heidi Behrens (Essen), Christian Ernst (Potsdam), Christiane Bertram (Tübingen),

Podium 3: Komplexe Diskurse: Zeitzeugen und ihre Rezeption

Michele Barricelli (Hannover), Katharina Obens (Berlin), Sabine Moller (Berlin)

Podium 4: Sensible Begegnungen: Zeitzeugenarbeit mit Opfern der SED-Diktatur

Stefan Trobisch-Lütge (Berlin), Ulrike Poppe (Berlin)

Teil 3: Zeitzeugen in Literatur, Film und Theater

Podium 5: Zwischen Dokumentation und Fiktion

Susanne Krones (München), Thomas Grimm (Berlin), Sebastian Brünger (Berlin)

Teil 4: Zeitzeugen in der Bildungspraxis

Workshop 1: Spannungsreiche Dialoge – Zeitzeugengespräche und -projekte in der historisch-politischen Bildungsarbeit

Heidi Behrens (Essen), Norbert Reichling (Essen), Martin Klähn (Schwerin)

Workshop 2: Oral History 2.0 – Medialisierung und Präsentation von Zeitzeugen

Christian Ernst (Potsdam), Stefanie Wahl (Potsdam), Irmgard Zündorf (Potsdam)

Podium 6: Emotionale Überwältigung oder Multiperspektivität? Podiumsdiskussion zu Chancen und Problemen der Arbeit mit Zeitzeugen

Elena Demke (Berlin), Christoph Hamann (Berlin), Karsten Harfst (Berlin)

Tagungsresümee

Stefan Querl (Münster), Peter Paul Schwarz (Potsdam)


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