HT 2004: Beschränkte Götter im Reich ohne Grenzen: Horizonte religiöser Kommunikation im Imperium Romanum

HT 2004: Beschränkte Götter im Reich ohne Grenzen: Horizonte religiöser Kommunikation im Imperium Romanum

Organisatoren
Jörg Rüpke
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.09.2004 - 15.09.2004
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Von
Jörg Rüpke, Professur für Vergleichende Religionswissenschaft, Universität Erfurt

Ziel dieser Sektion war es, unter verschiedenen Perspektiven zu fragen, wie sich lokale religiöse Strukturen vor dem Hintergrund eines politischen Großraums und seines Übergreifens in lokale Räume verändern. Ausgangspunkt dieser Fragestellung ist eine doppelte Beobachtung: Einerseits stellt sich Religion in der Antike unter den gegebenen Kommunikationsbedingungen in erster Linie als lokales (oder allenfalls regionales) Phänomen dar. Andererseits sind in den unter denselben Bedingungen entstehenden Großräumen gerade religiöse Zeichen unter den mobilsten Elementen kulturellen Austausches: Der Herrscherkult hält das Zentrum überall präsent, im Römischen Reich und an seinen Rändern entstanden die beiden großen Religionen, das Christentum und der Islam, die die weltweit größte geographische Verbreitung erfahren haben.

Eine Reihe von Phänomenen und Prozessen, die für diese Fragestellung relevant wären, ist verschiedentlich, zum Teil sogar intensiv bearbeitet worden. So hat etwa Simon Price die lokale Verankerung des Herrscherkultes im griechischen Osten exemplarisch analysiert und damit eine Reihe von Arbeiten angestoßen.1 Das Schwerpunktprogramm 1080 der DFG "Römische Reichs- und Provinzialreligion: Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte", das seit dem Jahr 2000 läuft, will beispielhaft die antike Religionsgeschichte als einen interkulturellen Prozeß globalen wie regionalen oder lokalen Charakters untersuchen. Verständlicher werden soll so die Formation kultureller Räume unterschiedlicher Größe und Integrationsdichte; die Chancen und Probleme der Koexistenz solcher Bezugssysteme werden deutlicher. Ein Ansatzpunkt ist dabei die Größe Provinz, doch liegt das Interesse gerade auch darin, diese administrative Einheit auf ihre religiöse Relevanz hin zu überprüfen und zu fragen, wie Religion administrative Grenzen überschreitet (oder unterläuft) und sich an anderen kulturellen oder ökonomischen Raumbildungen orientiert.2 Die Teilnehmer der Sektion stammten aus dem Forschungsverbund dieses Schwerpunktprogramms.

Der Rahmen des Kieler Historikertags lud dazu ein, die skizzierte Fragestellung zuzuspitzen auf ihre kommunikative Komponente: Welche spezifischen Kommunikationsakte wirken in die lokalen Räume hinein? Welche Medien - Brief oder Inschrift, Recht oder heilige Schriften, Predigten von Wandermissionaren oder Bilder mobiler Werkstätten - kommen hier zum Tragen? Es ging nicht nur darum, Fallbeispiele für die - offensichtlich - sehr unterschiedlichen regionalen Entwicklungen zusammenzustellen, sondern die kommunikativen Bedingungen zu analysieren, die die je unterschiedlichen Religionsgeschichten prägten.

Zunächst stellte Alfred Schäfer (Berlin) das Beispiel der "Militärprovinz" Dacia vor. Sein Ausgangspunkt war die Beobachtung, daß in Dakien, anders als in den Nordwest- und Donauprovinzen, wo der Kontakt der Kolonisten mit der ansässigen Bevölkerung zur Herausbildung einer provinzialrömischen Kultur geführt hat, derartige Akkulturationsphänomene nicht ins Auge stechen. Die einheimische Bevölkerung fand sich in den ländlichen Regionen nur zu kleineren Gemeinschaften zusammen, eine Teilnahme oder Mitwirkung an der städtischen Kultur Dakiens blieb aus.

Für die anderen, die selbst oder deren Vorfahren aus weiten Teilen des Römischen Reiches nach Dakien gekommen waren, erschien Dakien als eine neu zu besiedelnde Provinz, erscheint uns als ein charakteristisches 'Einwanderungsland'. Hier bot die Pflege des in der Heimat praktizierten Kultes ein ausgezeichnetes Mittel, in der Fremde sein soziokulturelles Selbstverständnis bewahren zu können. Die Stifter- und Weihetätigkeit hat mit den "syrischen" Sakralbauten Dakiens besonders interessantes Quellenmaterial geschaffen. Hier legt die Architektur den Akteuren eine Nutzung und Verhalten auf, welches ursprünglich auf die religiösen Rituale eines weit entfernten Kulturraumes zurückgeht. Darin wird aber auch deutlich, in welchem Umfang Spezialisten, handwerkliche oder religiöse, eine Rolle für die Stabilisierung kultureller Identität in einer anderen Umgebung oder gar der "organisation totale" des römischen Heeres spielen.

Annette Hupfloher (Leipzig) wählte in dem folgenden Vortrag, der der Frage von Tradition und Innovation in den religiösen Systemen der Provinz Achaia gewidmet war, einen engeren räumlichen Fokus und konzentrierte sich zumal auf die römische Kolonie Korinth. Dabei galt ihre Kritik zunächst einer traditionellen dichotomischen Sichtweise: So gelten die religiösen Systeme der Städte im Osten des Imperium Romanum als stabil und traditionsverhaftet. Das je lokalspezifische Götterspektrum und der ortstypische Modus der Kultorganisation in stark profilierten griechischen Städten wie Athen und Sparta existierte noch in der Kaiserzeit und wirkt auf moderne Betrachter zunächst wie "ein Museum der Altertümer" (M. P. Nilsson), das durch nur wenige neue Kulte und religiöse Verhaltensweisen marginal ergänzt wurde. Römische Bürgerkolonien hingegen gelten als Vorposten der Romanisierung nicht nur im Westen des Römerreiches, sondern auch im griechischen Osten, weil sie bei ihrer Gründung das traditionelle religiöse System der Hauptstadt Rom kopiert und so in die Provinzen transportiert haben sollen.

Der Vergleich der - quellenbedingt lückenhaften und nicht immer präzise zu datierenden - Geschichte religiöser Institutionen, insbesondere Priesterschaften, und Kulte in der römischen Kolonie Korinth mit dem Umland und den griechischen Provinzstädten Sparta und Athen zeigt indes große Dynamik, Adaptionsfähigkeit und innovative Elemente. Korinth, an einem Verkehrsknotenpunkt in der Provinz Achaia gelegen, war 146 v.Chr. von den Römern zerstört und gut 100 Jahre später als Bürgerkolonie durch Caesar wieder eingerichtet worden. Am inschriftlichen Material ist zu beobachten, daß hier die Grundzüge des administrativen Systems der Stadt Rom nachgebildet wurden; damit lag auch die Verwaltung öffentlicher Kulte in den Händen der Magistrate. Das Götterspektrum aber umfaßte neben römischen, transportablen auch einheimische, ortsfeste Götter. Bei der Verwaltung "römischer" Kulte, beispielsweise des Iupiter Capitolinus, begegnen Amtsträger mit griechischer Titulatur, so daß auf mehreren Organisationsebenen des religiösen Systems Mischformen zu erkennen sind, die im einzelnen wie auch in der Gesamtschau Neues konstituieren und eben nicht nur das römische System duplizieren. In der Gruppe der Träger und Agenten sind denn auch bald nach der Koloniegründung Angehörige der einheimischen Eliten aus den Nachbarstädten zu finden, die in einen komplexen kulturellen Austauschprozeß mit den Nachkommen der Kolonisten treten. Wechselseitige Übernahmen von Elementen der religiösen und der materiellen Kultur zwischen Korinth und den Nachbarstädten sind zu erkennen, doch bildet sich langfristig ein religiöses System heraus, das mit dem der Stadt Rom wenig, mit dem der Nachbarstädte große Ähnlichkeit aufweist.

Im dritten Vortrag untersuchte Rudolf Haensch (Düren) die römische Armee im Osten auf die Frage hin, ob hier eine hochmobile Trägergruppe von Kulten zu erkennen sei. In der römischen Armee sieht man gerne einen besonders einflußreichen Träger religiöser Anschauungen. Der Alltag keiner anderen Gruppe in den Provinzen sei so von römischen Kulten und dem Kaiserkult geprägt gewesen. Nirgendwo sonst seien sich so viele Personen aus den unterschiedlichsten Reichsteilen (mit entsprechend unterschiedlichen religiösen Primärsozialisationen) begegnet.

Vieles warnt davor, das Ausmaß der von der Armee ausgehenden religiösen Impulse zu überschätzen. Grundsätzlich muß diese Gruppe im Vergleich zu anderen in unseren Quellen überrepräsentiert sein: Soldaten setzten vergleichsweise oft Inschriften und sind besonders leicht zu identifizieren. Ein Großteil des römischen Heeres war keineswegs "hochmobil", sondern blieb in der einmal zugewiesenen Region und rekrutierte seine Mannschaften aus dieser. Unmittelbare Zeugnisse aus dem Alltagsleben, wie Graffiti oder Papyri, zeigen, daß die Soldaten auch während ihrer Dienstzeit in ihrem persönlichen Leben keineswegs die römischen Götter übernahmen, an deren Kult sie so oft teilnahmen - allerdings zumeist nur als beobachtende Masse. Vielmehr hielten sie an ihren heimatlichen Göttern fest oder erwiesen höchstens vorsichtigerweise dem vor Ort mächtigsten Gott ihre Reverenz - der dann oft ziemlich verschwommen blieb. Die sich im Schoße der römischen Armee vollziehenden religiösen Austauschprozesse sind somit nicht nur ein Beispiel für die Fülle solcher Kontakte, sondern auch für deren ganz unterschiedliche Intensität.

Im abschließenden Vortrag fokussierte Jörg Rüpke die Frage nach überregionaler religiöser Kommunikation auf ihre Medien, zumal verschriftlichte Texte. Bei aller Mobilität einzelner und einzelner Gruppen, wie sie die skizzierten Analysen deutlich machen, kann ein größerer Kommunikationsraum nicht allein auf face-to-face-Kommunikation, auf direkten Interaktionen Anwesender beruhen, sondern muß auf "Verbreitungsmedien" zurückgreifen.

Die konkreten Befunde fallen allerdings mager aus. Für den Mithraskult erweisen sich als stabil vor allem Bildvorlagen für die Kultreliefs, Spuren stabiler Texte zeigen sich nicht. Auch die sogenannte "Mithrasliturgie", eine etwa 350 Zeilen umfassende griechischsprachige Ritualbeschreibung, eingerahmt von Homerversen, läßt sich zwar nur als Bezugnahme auf den und Beitrag zum existierenden Mithraskult verstehen, bildet aber ein lokales Produkt eines erst im Entstehung begriffenen Hermetismus.3 Hier wie etwa auch im Corpus Hermeticum ist das Buch, der umfangreiche Text, nicht in erster Linie ein Verbreitungsmedium, das die Vervielfältigung von Gedanken, der Ver-Öffentlichung dienen soll, sondern ein Medium der Komplexitätssteigerung: Solche Texte leisten Systematisierungen, leisten Detaillierungen, ermöglichen gedankliche Konsequenz, dienen so eher dem Kommunikationsabschluß, denn der Kommunikationseröffnung. Anonymität ist häufig.

Positive Befunde zeigen nicht die kanonisierten, sondern die populären Texte. Dies gilt bei kleinen Texten wie Weiheformularen, Grabinschriften und Fluchtäfelchen. Die Verbreitung eines Textes beruht nicht auf seiner Kopierbarkeit, seiner Auflagenhöhe als Individuum, sondern auf seiner Modifizierbarkeit, seiner Produktivität als Gattung. Es ist an Märtyrerakten und Heiligenlegenden zu denken, die in zahllosen Variationen ähnliche Geschichten erzählen, aber eben doch in einer Varianz, die Identifikationsangebote nahezu unbegrenzt zur Verfügung stellt. Der Erfolg dieser Narrativisierung von Religion seit dem 2. Jahrhundert n.Chr. wiederholt den Erfolg der Theatralisierung von Religion, der von den griechischen Bühnen ausging; der Medienwandel hängt auch mit dem Wandel religiöser Legitimation zusammen, der die Gottesnähe einzelner "heiliger Männer" in Konkurrenz zu ererbten sozialen Positionen treten läßt. Der Begriff der "Buchreligion" eignet sich zur Beschreibung all dieser Vorgänge wenig.

Angesichts des breit gefächerten Quellenmaterials, das in den Vorträgen vorgestellt wurde, konzentrierten sich die Diskussionen vor allem auf die Beschreibungssprache und die methodischen Perspektiven. Als methodischer Ertrag ist festzuhalten, daß die Frage nach Kommunikation in vielerlei Hinsicht eine Fortführung des historisch-kritischen Umgangs mit Quellen ist: Auch für Inschriften ist die Frage nach der Intention des Kommunikationsaktes, den Gründen für die Wahl des Materials, des Formulars, des Aufstellungsortes, nach den angezielten Rezipienten zu stellen; gegen die Intuition ist der literarische Text, das Buch, nicht der unbegrenzt verbreitete und kopierbare Text für ein anonymes Publikum. Kommunikationskonventionen können regional unterschiedlich ausfallen, jedes argumentum e silentio ist auch daraufhin zu prüfen.

Positiv wurde die Mobilität von Religion deutlich. Aber auch religiöse Zeichen wandern nicht von selbst: Sie brauchen Träger, komplexe Zeichen benötigen kompetente Träger, "religiöse Spezialisten". Zugleich kann sich die phänomenologische Identität des transportierten Zeichens mit neuen Bedeutungen verbinden: Im neuen räumlichen Kontext wird es zu einem Zeichen in neuen kommunikativen Kontexten. Addition und Kombination alter Zeichen können Neues schaffen. "Reichsreligion" läßt sich nicht über bloße Verbreitungskarten feststellen.

Dies zeigt noch einmal die Interpretationsschwierigkeiten auf: Bezeugt die Aufrechterhaltung von Traditionen die ethnische Stabilität von Gruppen? Beweist ein Nebeneinander von religiösen Zeichensystemen gegenseitige Isolation, verlangt eine Einbettung in lokale Gesellschaften religiöse Homogenität? Über die "Bedeutung" der Zeichen entscheiden nicht nur die Quellen, sondern auch die Modelle, mit denen wir sie lesen. Über letztere in eine Diskussion einzutreten, war aus der Perspektive der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Schwerpunktprogramms ein besonderer Gewinn.

Anmerkungen:
1 Price, Simon, Rituals and Power, Oxford 1984; vgl. zuletzt etwa Cancik, Hubert; Hitzl, Konrad (Hgg.), Praxis des Herrscherkults, Tübingen 2003.
2 Vgl. Cancik, Hubert; Rüpke, Jörg (Hgg.), Römische Reichs- und Provinzialreligion, Tübingen 1997; dies. (Hgg.), Römische Reichsreligion und Provinzialreligion, Globalisierungsprozesse und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte, Erfurt 2003; Spickermann, Wolfgang (Hg.), Religion in den germanischen Provinzen Roms, Tübingen 2001.
3 Betz, Hans-Dieter, The Mithras Liturgy, Tübingen 2003, S. 36-38.

http://www.historikertag.uni-kiel.de/
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