"global – lokal". 3. Schweizerische Geschichtstage: Querschnittsbericht "Geschlechtergeschichte"

"global – lokal". 3. Schweizerische Geschichtstage: Querschnittsbericht "Geschlechtergeschichte"

Organisatoren
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte; Universität Fribourg
Ort
Freiburg (Schweiz)
Land
Switzerland
Vom - Bis
07.02.2013 - 09.02.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Céline Angehrn /Regina Wecker, Departement Geschichte, Universität Basel

Geschlechtergeschichtliche Ansätze seien „in der methodischen Debatte zur Überwindung des Eurozentrismus“– so die Herausgeberinnen des l’homme Heftes ‚Geschlechtergeschichte global’ (2/2012) – „wieder in die zweite Reihe gerückt ...“. Dass an den Dritten Schweizerischen Geschichtstagen nicht nur die Überwindung des Eurozentrismus, sondern explizit das Spannungsfeld von Lokalem und Globalem angesprochen wurde, dürfte wesentlich dazu angeregt haben, geschlechtergeschichtliche Fragestellungen und Themen aufzunehmen und ins Zentrum von zahlreichen Panels zu stellen. Dabei waren zwei thematische und methodische Zugänge auffallend dominant: Die in der historischen Forschungslandschaft am längsten etablierte Geschichte der Frauenbewegungen und der Feministischen Bewegungen wurde unter diesem Vorzeichen neu interpretiert. Den zweiten thematischen Schwerpunkt bildete der Transfer von (Gesetzes-) Normen, Ideen und Wertvorstellungen insbesondere in Bezug auf Frauenemanzipation, Frauenrechte und Selbstbestimmung von Frauen, sowohl im Kontext der Frauenbewegungen als auch der internationalen Regelwerke.

Das Panel unter der Leitung von REGULA LUDI (Bern) mit dem Titel „Die Globalisierung von Normen und der Transkulturelle Austausch im Feminismus und Menschenrechtsaktivismus“ zeigte in exemplarischer Weise die Spannungsfelder von Frauen- und Geschlechtergeschichte auf, die in Erscheinung treten, wenn globale und lokale Perspektiven miteinander verbunden werden. ELIFE BIÇER-DEVECI (Bern) zeichnete in ihrem Beitrag die Debatten über Frauenrechte beim Türkischen Frauenbund in der Zwischenkriegszeit nach. 1924 gegründet, trat der Türkische Frauenbund 1925 der International Women’s Alliance bei. In ihrer Analyse der Verbandszeitschrift „Der Weg der türkischen Frau“ arbeitete Biçer-Deveci die vielfältigen Anlehnungen, aber auch Umdeutungen von Konzepten und Diskursen der westeuropäischen Frauenbewegung in der Politik des Frauenbundes heraus. Die Referentin machte deutlich, dass die Bezugnahmen der türkischen Frauenaktivistinnen auf den Westen als Referenzpunkt nicht als reine Rezeption westlich-feministischer Ansätze, sondern ebenso als eigenwillige Interpretationsleistungen verstanden werden müssen. Wie Biçer-Deveci gehört auch die zweite Referentin, EDITH SIEGENTHALER (Bern), dem an der Universität Bern angesiedelten Forschungsprojekt an, das nach einem möglichen „Human Right Turn“ in der internationalen Geschlechterpolitik in der Zwischenkriegszeit fragt. Siegenthaler untersuchte in ihrem Referat die beiden internationalen Mädchenschutzorganisationen „Association catholique internationale des Œuvres de Protection de la jeune Fille“ und die „Union internationale des Amies de la jeune fille“ mit Sitz in der Schweiz, die beide seit 1922 Einsitz in einem Beratungskomitee des Völkerbundes gegen Frauen- und Kinderhandel hatten. Die beiden Organisationen arbeiteten in ihren Stellungnahmen stark schweizbezogen und nahmen gleichzeitig auch Einfluss auf die Diskussionen und die Gesetzgebung im nationalen Kontext. Eine weitere Arena, in welcher feministische Ansprüche sowohl auf lokaler wie transnationaler Ebene verhandelt wurden, beschrieb MIRIAM GANZFRIED (Zürich) in ihrer Analyse der Frauenrechtspolitik von Amnesty International. Während im traditionellen Menschenrechtsparadigma Menschenrechtsverletzungen als solche anerkannt wurden, wenn sie vonseiten des Staates und im öffentlichen Raum stattfanden, unterzogen Feministinnen in den 1970er-Jahren diese Definition einer fundamentalen Kritik. Ganzfried führte aus, wie engagierte Aktivistinnen den „feminist turn in human rights“ in der global tätigen Organisation Amnesty International sozusagen „bottom-up“ initiierten, indem sie einerseits ein internationales, sektionsübergreifendes Frauenrechtsnetzwerk ins Leben riefen und sich andererseits in lokalen Frauengruppen organisierten. Entscheidend zum Erfolg dieses „feminist turn“ hatte nach Ganzfried darüber hinaus die Vernetzung von Amnesty-Aktivistinnen mit der Frauenbewegung beigetragen. Seit dem Jahr 2000 dehnte die Organisation ihre Arbeit auf soziale, kulturelle und wirtschaftliche Menschenrechte aus und machte Geschlecht dabei immer wieder explizit zum Thema, wie etwa in der globalen Großkampagne von 2004 unter dem Motto „Stopp Gewalt gegen Frauen“. Wie die Geschichte von Amnesty International zeigt, können Themen, Diskurse und Normen nur global wirksam werden, wenn sie im lokalen Kontext in je spezifischer Weise zur Entfaltung gebracht werden.

Die Frage, wie das Wechselverhältnis zwischen der lokalen Ebene und globalen Aktionsfeldern von Frauen und Frauenorganisationen zu verstehen und zu beschreiben sei, nahm das von CELINE SCHOENI (Genf) und NORA NATCHKOVA (Genf) geleitete Panel unter dem Titel „Le genre entre local et global – une historie sous tension“ auf. Auf zwei Achsen kristallisierten sich in diesem Panel zentrale Spannungsfelder heraus, in deren Kontext feministisches Engagement in historischer Perspektive verortet werden muss: Zum einen gilt es, das gleichzeitige Ein- und Ausgeschlossensein von Frauen in lokalen beziehungsweise globalen Organisationen zu untersuchen. Während sich einigen Frauen in internationalen Organisationen Artikulationsräume und gar Karrieremöglichkeiten eröffneten, konnte ihnen der Zugang zu nationalen Entscheidungsgremien und Organisationen gleichzeitig verschlossen bleiben. Zum anderen ist die Differenz zwischen normativer Arbeit, wie sie zum Beispiel durch die International Labour Organization (ILO) unter Einbezug von Frauenaktivistinnen vorangetrieben wurde, und deren Implementierung und Effekt auf nationaler oder lokaler Ebene zu berücksichtigen, wie im Beitrag von OLGA HIDALGO-WEBER (Genf) deutlich wurde. STEPHANIE PACHE (Lausanne) legte in ihrem Beitrag zu den feministischen Psychologinnen, Psychiaterinnen und Psychotherapeutinnen in den 1960er- und 1970er-Jahren den Schwerpunkt auf die unterschiedliche, in je andere Kontexte eingebundene Produktion von Psycho-Wissen und -Praxen feministischer Aktivistinnen in den USA und Großbritannien. Sosehr die Entwicklungen in den beiden Ländern als eigene Geschichten zu verstehen sind, sosehr gilt es nach Pache auch zu berücksichtigen, wie sich die Protagonistinnen über Länder-, methodische und disziplinäre Grenzen hinweg zusammenschlossen und mit ihrer gemeinsamen Zeitschrift „Feminism & Psychology“ ein Medium lancierten, in welchem theoretische und mitunter strategische Fragen zur Position der Feministinnen gegenüber dem etablierten psychologischen und therapeutischen Mainstream diskutiert wurden.

Spätestens für die Zeit seit den 1880er-Jahren kann von einer Politisierung von Geschlecht über staatliche Grenzen hinweg und von entsprechenden Debatten auf den Plattformen supranationaler Organisationen gesprochen werden. Ebenso vielfältig wie die Themen dieser Debatten – vom Frauenstimmrecht über Sittlichkeitsfragen bis zu biopolitischen Aspekten – waren ihre Bühnen und die Akteure und Akteurinnen, die sich an ihnen beteiligten. Das Panel von JANA TSCHURENEV (Zürich) stellte diese Diskurse und ihre Akteurinnen unter dem Titel „Feminisms and the Internationalization of Gender and Bio-Politcs“ ins Zentrum. In einem ersten Beitrag präsentierte Tschurenev das wechselseitige Verhältnis zwischen dem „feministischen Imperialismus“ der American Women’s Christian Temperance Union und indischen Frauenaktivistinnen. Dabei untersuchte Tschurenev den Reisebericht der Inderin Pandita Ramabai aus den 1890er-Jahren und hob hervor, wie für Ramabai, die sich vom Hinduismus abgewandt hatte, die Unterordnung der Frauen in der westlichen Gesellschaft Anlass zu einer umfassenden Kritik gab. Die umfassende Schrift von Pandita Ramabai, die erst vor wenigen Jahren ins Englische übersetzt wurde, ermöglicht so eine alternative Sicht auf den westlichen Feminismus und auf dessen Grenzen aus Sicht einer indischen Protagonistin. Eine andere Spielart der Genese eines feministischen Diskurses in Interdependenz mit anderen Diskursen beschrieb JUDITH GROSSE (Zürich) in ihrem Beitrag zum Verhältnis von Feminismus und Sexologie im frühen 20. Jahrhundert. Wie Grosse ausführte, beeinflussten die feministischen Strömungen und der um 1900 entstehende, interdisziplinäre Forschungsansatz der Sexologie einander gegenseitig. Während sich einige Feministinnen gegen willkürliche Polizeikontrollen von Prostituierten einsetzten, wurde die Wirksamkeit dieser Praxis zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten zunehmend auch von Ärzten infrage gestellt und demgegenüber die männliche Enthaltsamkeit postuliert. Dieses Argument wurde von den Abolitionistinnen gerne aufgenommen. In heteronormative Normierungsdiskurse eingebunden, schufen Sexologie und Feminismus eine Sprache für Themen wie Ehe und sexuelle Gleichberechtigung, die von beiden Seiten in je eigener Weise genutzt und interpretiert wurde. Der Beitrag von REGULA LUDI (Bern) untersuchte die 1938 vom Völkerbund eingesetzte, aus Vertretern und Vertreterinnen europäischer Länder bestehende Expertenkommission, die den Auftrag hatte, in einem internationalen Rechtsvergleich den Status der Frauen zu dokumentieren. Obgleich das Projekt aufgrund des nahenden Weltkrieges nie zu einem Abschluss gebracht werden konnte und zudem aus politischen Gründen erschwert wurde, dürfe davon ausgegangen werden, dass die Arbeit der Expertenkommission für die Uno nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund personeller und thematischer Kontinuitäten wegweisend war, führte Ludi aus. Sie unterstrich die Bedeutung der Expertenkommission als Ort der Institutionalisierung des Diskurses über den Status der Frauen auf internationaler Ebene. Dass die Frage nach dem Platz der Frauen in der Gesellschaft hier in einem umfassenden Sinn (und nicht auf Subthemen wie den Sonderschutz beschränkt) verhandelt wurde, konnte die Frauenbewegung als einen Erfolg verbuchen, und sie konnte darauf hoffen, dass ein solcher Vergleich als Druckmittel auf einzelne Nationalstaaten dienen würde. In ihrem Koreferat führte CORINNE PERNET (St. Gallen) aus, wie klar die Beiträge dieses Panels zu Tage gebracht hätten, dass ein differenzierter Blick angebracht sei, wenn von „den Feministinnen“ oder „der Frauenbewegung“ gesprochen werde. Die Referate hätten deutlich gezeigt, dass nur so Koalitionen und möglicherweise unerwartete Allianzen, Aktionsräume auf lokaler und globaler Ebene ebenso wie die verschiedenen Hüte, die die feministischen Protagonistinnen unter Umständen tragen, sichtbar werden. Dieser Aspekt wurde in der Abschlussdiskussion erneut aufgegriffen, in der sich mehrere Votantinnen zur Frage äußerten, ob es in Anbetracht der Vielfalt von Frauenorganisationen und deren Anliegen sinnvoll sei, ein Panel mit dem Begriff „Frauenbewegung(en)“ zu besetzen, oder ob möglicherweise der englische Terminus „feminisms“ die Pluralität besser ausdrücken könne. Einig waren sich die Stimmen aus dem Plenum darin, dass – bei allem Bedarf der Verortung im Konkreten, welche die einzelnen Beiträge jeweils vorzunehmen hätten – die Schlagwörter „Feminismus“ und „Frauenbewegung“ in den Titeln von Panels bei Großveranstaltungen wie den Schweizerischen Geschichtstagen unter keinen Umständen fehlen dürften. Solche Schlüsselbegriffe seien unerlässlich für das Zusammentreffen, den fachlichen Austausch und das Community-Building der Forschenden der Frauen- und Geschlechtergeschichte.

Im von KRISTINA SCHULZ (Bern) und LEENA SCHMITTER (Bern) organisierten Panel „Protest und Geschlecht nach 1945. Globale Anliegen – lokale Proteste“ wurde das Spannungsfeld „global-lokal“ als Frage nach der Übersetzung von Themen und Forderungen der lokalen Ebene gefasst, die „weltweit“ für „Aufruhr“ sorgten. Für BELINDA DAVIS (Rutgers University, NJ, USA) waren es das Aufbegehren der Jugend gegen Autoritäten, die Proteste der Frauenbewegung gegen Abtreibungsverbote, ihre Forderungen nach Selbstbestimmung („to speak and act“) insbesondere über den Körper („Mein Bauch gehört mir“), die Forderung nach Kinderbetreuung, aber auch der Protest gegen die Bevormundung durch die Männer innerhalb der Bewegungen. In ihrem Beitrag „Protest and Gender after 1945: Strategies, Results, and Blind Spots of Research“ sah Davis diese Forderungen als Teil eines übernationalen Forderungskatalogs, der auf die Abschaffung von Differenzen abzielte. Interessanterweise seien dann aber innerhalb der deutschen Frauenbewegung, auf die sie fokussierte, wiederum („lokale“) Differenzen entstanden, und zwar zwischen Frauen in unterschiedlichen Lebenssituationen: Frauen mit versus Frauen ohne Kinder, Stadt versus Landbewohnerinnen, in Großstädten wie Berlin lebend versus in kleineren Städten wie Tübingen. Diese „blind spots“ sind – so Davis – bisher noch zu wenig in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Frauenbewegung untersucht worden. In den aufeinander abgestimmten Referatteilen von LEENA SCHMITTER und SARAH KIANI (beide Bern) über „Die Schweizerische Frauenbewegung nach 1968 im Spannungsfeld nationaler Anliegen und transnationaler feministischer Diskurse / Mouvement social global et formes locales : l'exemple du mouvement des femmes en Suisse après 1968“ wurden die transnationalen („globalen“) Agenden und Forderungen mit politischen Aktivitäten in der Schweiz in Beziehung gesetzt: auf der Gesetzes- und Verfassungsebene also etwa die Bemühungen um den Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung (BV Art. 4, 1981) und die Equal Rights Amendments in den USA, bzw. ähnliche Vorstöße in Belgien, Italien und den Niederlanden in den 1970er-Jahren. Kiani führte die Verzögerung der Schweiz auf die Verspätung der Erlangung der politischen Rechte zurück. Leena Schmitter zeigte am Beispiel der Abtreibungsfrage, wie diese kulturellen Übersetzungen stattfanden: nationale Grenzen wurden „konkret“ überschritten etwa bei Abtreibungsfahrten von Schweizerinnen nach Holland. Mit Vorträgen, die Mitglieder ausländischer Selbsthilfeorganisationen in der Schweiz hielten, wurden internationale feministische Diskurse und nationale Anliegen verbunden. Durch die Zirkulation von Wissen und Personen sei, besonders im Bereich der Gesundheitsfragen, etwas entstanden, was Schmitter als „Feminist Imagined Community“ bezeichnete. Der Euro-Mayday ist eine Protestbewegung, die seit 2001 um den 1. Mai in verschiedenen europäischen Städten auf die Prekarisierung von Arbeit aufmerksam macht. In ihrem Vortrag „Queere Bilder des Prekären: Mediale Produktionen bei den trans-urbanen Euromayday-Paraden“ zeigte MARION HAMM (Luzern), wie diese Bewegung einerseits gemeinsame transnationale, ja globale, Symbole (z.B. San Precario und Santa Precaria) und Forderungen (wie Selbstorganisation) aufgebaut hat, andererseits aber explizit auf die Sichtbarmachung der lokalen Vielheit und Verschiedenheit setzt. In den für die Bewegung typischen bildlichen Darstellungen werden die handelnden Personen zunehmend nicht mehr als Mann oder Frau erkennbar. Hamm sah darin eine Infragestellung von Heteronormativität einerseits, aber auch den Versuch von neuen Identitätskonstruktionen: Es entstünde eine „Queere Imagined Community“, die inzwischen weit über Europa hinausginge.

Das von CATHERINE BOSSHART-PFLUGER (Fribourg) organisierte Panel „Balancing Local and Global Concerns in International Women’s Organizations” rief die lange Tradition radikaler Frauenorganisationen in Erinnerung, die bereits seit den 1830er-Jahren durch internationale und transatlantische Kontakte Netzwerke bildeten und sich in ihren Anliegen gegenseitig unterstützten. Eine wesentliche Rolle spielten dabei – wie KAREN OFFEN (Stanford, Cal. USA) in ihrem Beitrag „From Local to Global via the International Women’s Organisations, 1900s-1930s“ ausführte – die Aktivitäten des Council of Women (ICW), der vor dem Ersten Weltkrieg zusammen mit den nationalen Organisationen Umfragen durchführte und dann in einer zweiten Phase (1920 – 1940) zusammen mit dem Völkerbund Untersuchungen zur rechtlichen Situation von Frauen anschloss (vgl. dazu auch den Beitrag von REGULA LUDI im Panel „Feminisms and the Internationalization of Gender and Bio-Politcs"). Auf einer übergeordneten Ebene ging es um Gesetzesreformen, die allgemein auf die Gleichberechtigung von Frauen abzielten. Ein konkretes Ziel dieser Untersuchungen war, für Frauen ein (zivilstands-) unabhängiges Staatsbürgerrecht zu schaffen. Durch das Zusammenstellen vieler nationaler Berichte (neben den europäischen Ländern waren Indien, Palästina, Süd-Afrika, Süd- und Zentral-Amerika und die USA beteiligt) wurde – so Offen – die „globale“ rechtliche Diskriminierung von Frauen in beeindruckender Weise sichtbar gemacht, und die Organisationen konnten moralischen Druck ausüben, der, wie das Beispiel des Staatbürgerrechts zeigt, auf nationaler Ebene vielfach zum Erfolg beitrug. FRANCISCA DE HAAN (Budapest) beschrieb in „The WIDF, the NVB and the Korean War: Women Traversing the Local and the Global“ den Versuch der nationalen ‚Nederlandse Vrouwenbeweging’ (NVB) und der Dachorganisation ‚Women’s International Democratic Federation’ (WIDF), internationalen Druck gegen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen während des Korea-Krieges (1950 – 1953) aufzubauen. Der Bericht der von den Frauen-Organisationen eingesetzten internationalen Kommission, die auf Anfrage koreanischer Frauen vor Ort die Verletzung der Menschenrechte untersucht hatte, führte dazu, dass diese Verbrechen von der Öffentlichkeit verurteilt werden konnten und dass internationale Hilfe in großem Stil für Korea organisiert wurde. Die antikommunistische und rassistische Grundhaltung der Westmächte, insbesondere der USA hätten allerdings eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Bericht verunmöglicht. Sie hätte zudem zu Berufsverboten und Gefängnis für die Mitglieder des NVB und zum Verlust des Uno-Beratungsstatus des WIDF geführt. Hier wurde exemplarisch deutlich, dass die ideologischen Grenzen zwischen West und Ost auch und gerade von den internationalen und den nationalen Frauenbewegungen nicht überschritten werden konnten. Die Verbindung zwischen globalen Aktivitäten und Ansprüchen und den lokalen Organisationen stellte CATHERINE BOSSHART-PFLUGER (FRIBOURG) in ihrem Beitrag „Business and Professional Women International - transfer processes between local and global“ auf der personellen Ebene dar, und zwar am Beispiel der Schweizer Präsidentinnen, wie zum Beispiel der bekannten Schweizer Unternehmerin Elisabeth Feller, der Inhaberin einer Bäckerei Rosemarie Michel oder der Biologin Antoinette Ruegg, die alle zwischen 1947 und 2002 zudem Präsidentinnen der ‚Business and Professional Women International’ waren. Die Internationale Organisation wurde von der Präsidentin der Amerikanischen Organisation 1930 in Genf gegründet, ein weiteres Indiz für die Verwobenheit nationaler und internationaler Aktivitäten. Eine bisher wohl wenig bekannte Organisation ist die ‚Chinese Society for Women’s Studies (CSWS)’, die WANG ZHENG (Michigan, USA) in ihrem Beitrag „Connecting the local with the global: Activities of Chinese Feminists in Diaspora“ vorstellte. 1989 von Graduate Students in den USA gegründet, war ein Ziel der wohl einzigartigen Diaspora Organisation, feministische Diskurse und Debatten in China bekannt zu machen. Sie nutzten die 4. UNO Weltfrauenkonferenz in Peking (1995), um feministische Aktivitäten in China zu legalisieren. Sie ermöglichten feministische Forschung und eröffneten Karrieremöglichkeiten für Frauen, auch wenn feministische Kritik am chinesischen politischen System weiterhin kaum möglich ist. Zwar sei – so Wang Zheng – diese Situation für China durchaus spezifisch, aber doch nicht so einzigartig im globalen oder auch nur westlichen Kontext: schließlich hätten feministische Aktivitäten es weltweit bisher nicht geschafft, dem globalen Kapitalismus oder der Ausbreitung neoliberaler Entwicklungen Einhalt zu gebieten.

Im von SANDRO GUZZI (Bern) und ANNE-FRANCOISE PRAZ (Fribourg) organisierten Panel „Une histoire globale de la sexualité est-elle possible?” stand ausnahmsweise die Frauenbewegung nur in einem Beitrag im Zentrum. Die inhaltliche Klammer dieses Panels war die Frage nach Widersprüchen zwischen Ansätzen von eher auf Allgemeingültigkeit abzielenden oder gar ‚globalen’ Interpretationen der Geschichte der Sexualität, wie sie Elias, Marcuse, Stone, Shorter mit modernisierungstheoretischen Ansätzen entwickelt hätten, aber wie sie auch – wenn auch in anderer Form – bei Foucault und Giddens zu finden wären und den Untersuchungen, die sich mit der Regulierung der Sexualität in einem spezifischen, lokalen Kontext beschäftigen. ALINE JOHNER (Lausanne) verneinte in ihrem Beitrag „Relations illicites et organisation sociale à Montreux au XVIIIe siècle. Un modèle réformé ou une infraction à la norme“ im Wesentlichen die Möglichkeit, hier allgemeingültige und über die lokalen Bereiche hinausgehende Normen aufzustellen, sofern man eine differenzierte Sichtweise anstrebt, die den lokalen Besonderheiten Rechnung trägt. Am Beispiel der Geburtenintervalle zeigte sie, wie stark sexuelle Praktiken von lokalen, familiären aber auch von individuellen Faktoren geprägt waren . NICOLE STAREMBERG (Lausanne) stellte in „Sexualité, discours et contrôle des moeurs à Lausanne au 18e siècle“ zunächst Entwicklungen ins Zentrum, die in protestantischen europäischen Ländern nach der Reformation neu festzustellen gewesen seien, wie z.B. die Verurteilung außerehelicher sexueller Kontakte aber auch das Verbot der Prostitution. Auch dass Frauen in den folgenden Jahrhunderten für die gleichen „Delikte“ stärker verurteilt wurden als Männer, stellte – so Staremberg – eine allgemeine europäische Entwicklung dar, die sich auch in der Stadt Lausanne – ihrem Untersuchungsfeld – nachweisen lässt. Hier wären also zumindest gesamteuropäische, wenn auch vielleicht nicht globale Tendenzen feststellbar.– Im Beitrag von SYLVIE BURGNARD (Genf) „Le mouvement lesbien de Genève dans la constellation internationale (1970-1980)“ wurde wiederum eine Frauenorganisation dargestellt, die sehr stark von der internationalen Entwicklung beeinflusst wurde: aus der linken feministischen Bewegung hervorgegangen, stellte die Organisation Heterosexualität und Heteronormativität radikal infrage und prangerte die doppelte Diskriminierung von lesbischen Frauen an. Ihre Verbindung zur „globalen“ oder doch zumindest der europäischen und nordamerikanischen Entwicklung bestand allerdings nicht nur in der Aufnahme und Weiterentwicklung der Themen der internationalen lesbischen Bewegungen, sondern auch in der Organisation einer damals vielbeachteten internationalen Konferenz, die 1975 in Genf stattfand.

Die Befürchtung, dass die Globalgeschichte zu einer Fortschreibung einer ideologischen Grundhaltung führen könnte, die einer Abtrennung vom weiblich-privaten-häuslichen und öffentlich-männlichen Bereichen entspricht – wie sie Angelika Epple in ihrem Beitrag in l’homme (2/2012, 87ff.) angesprochen hat –, hat sich an den Schweizerischen Geschichtstagen durch die Konzentration auf Frauenbewegungen, deren Fokus einerseits über den häuslichen Bereich hinausging und deren Vernetzung und Wirkungsgrad andererseits lokale und nationale Grenzen sprengte, keineswegs bewahrheitet. Vielmehr zeigte sich in den Panels, wie ein globalgeschichtlicher Blick das Denken über Feminismus erweitern und damit seinerseits eurozentristische Perspektiven aufbrechen kann. Wie DOMINIQUE GRISARD (Basel) in ihrem Kommentar, der sich zunächst nur auf das Panel „Balancing Local and Global Concerns in International Women’s Organizations” bezog, festhielt, ist es allerdings auffallend und markiert ein weiteres Forschungsdesiderat, dass Fragen zu den historiographischen Konzepten und Interpretationen selbst, den ‚travelling concepts’ der Geschlechtergeschichte und der Gender Studies (wie der Kategorisierung "sex" und "gender" oder den Zuschreibungen wie „emanzipatorisch“ und „feministisch“ in außerwestlichen Kontexten), nicht zum Gegenstand gemacht wurden.

Konferenzübersicht: „global – lokal“. Schweizerische Geschichtstage 2013, Geschlechtergeschichte

Die Globalisierung von Normen und der transkulturelle Austausch im Feminismus und Menschenrechtsaktivismus
Leitung: Regula Ludi (Bern)

Elife Biçer-Deveci (Bern): Debatten über die Frauenrechte beim Türkischen Frauenbund und bei der International Women’s Alliance (IWA) in der Zwischenkriegszeit
Edith Siegenthaler (Bern): Internationale Mädchenschutzorganisationen als lokales Sprachrohr des Völkerbunds?
Mirjam Ganzfried (Bern): Feministische Wende bei Amnesty International: Gewalt im privaten Bereich als Menschenrechtsverletzung

Le genre entre local et global: une histoire sous tension
Leitung: Céline Schoeni / Nora Natchkova (Genf)

Olga Hidalgo-Weber (Genf): Les réseaux politiques et sociaux britanniques à l’Organisation internationale du travail (OIT) dans l’entre-deux-guerres: quelle place pour les femmes?
Stéphanie Pache (Lausanne): Entre institutionnalisation et militance : les thérapeutes féministes en santé mentale

Feminism and the internationalization of gender and bio-politics (1870s-1940s)
Leitung: Jana Tschurenev (Zürich)

Jana Tschurenev: Between Feminist Internationalism and Imperialism: Pandita Ramabai and the American Women's Christian Temperance Union
Judith Grosse (Zürich): Feminism and Sexology: Some International Encounters
Regula Ludi (Bern): Internationalizing the Status of Women: The League of Nations’ Examination of the Legal Status of Women

Protest und Geschlecht nach 1945. Globale Anliegen – lokale Proteste
Leitung: Kristina Schulz / Leena Schmitter (Bern)

Belinda Davis (Rutgers University): Protest and Gender after 1945: Strategies, Results, and Blind Spots of Research
Leena Schmitter / Sara Kianai (Bern): Die Schweizerische Frauenbewegung nach 1968 im Spannungsfeld nationaler Anliegen und transnationaler feministischer Diskurse / Mouvement social global et formes locales : l'exemple du mouvement des femmes en Suisse après 1968
Marion Hamm (Luzern): Queere Bilder des Prekären: Mediale Produktionen bei den trans-urbanen Euromayday-Paraden

Balancing Local and Global Concerns in International Women’s Organizations
Leitung: Catherine Bosshart-Pfluger (Fribourg)

Karen Offen (Stanford University): From Local to Global via the International Women’s Organisations, 1900s-1930s
Francisca des Haan (Budapest): The WIDF, the NVB and the Korean War: Women Traversing the Local and the Global
Wang Zheng (University of Michigan): Connecting the local with the global: Activities of Chinese Feminists in Diaspora
Catherine Bossart –Pfluger (Fribourg): Business and Professional Women International - transfer processes between local and global
Kommentar: Dominique Grisard (Columbia University)

Une histoire globale de la sexualité est-elle possible?
Leitung: Sandro Guzzi / Anne Françoise Praz (Fribourg)

Aline Johner (Lausanne): Relations illicites et organisation sociale à Montreux au XVIIIe siècle. Un modèle réformé ou une infraction à la norme?
Nicole Staremberg (Lausanne): Sexualité, discours et contrôle des moeurs à Lausanne au 18e siècle
Sylvie Burgnard (Genf): Le mouvement lesbien de Genève dans la constellation internationale (1970-1980)


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Französisch, Deutsch
Sprache des Berichts