Jahresatelier des Deutsch-Französischen Doktorandenkollegs "Unterschiede denken. Geschichte als Objekt und als Repräsentation"

Jahresatelier des Deutsch-Französischen Doktorandenkollegs "Unterschiede denken. Geschichte als Objekt und als Repräsentation"

Organisatoren
Deutsch-Französisches Doktorandenkolleg, Humboldt-Universität zu Berlin / Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales Paris
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.05.2013 - 02.06.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Marika Bacsóka, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Vom 31. Mai bis zum 2. Juni 2012 fand das Jahresatelier des Deutsch-Französischen Doktorandenkollegs „Construire les différences: l’histoire comme objet et comme représentation – Unterschiede denken. Geschichte als Objekt und als Repräsentation“ am Centre Marc Bloch in Berlin statt. 2009 wurde die zweite Phase des Collège doctoral franco-allemand von Christophe Duhamelle (EHESS Paris), Hartmut Kaelble (HU Berlin) sowie Iris Schröder (HU Berlin/ TU Braunschweig) und Falk Bretschneider (EHESS Paris) initiiert, organisiert und getragen. Das Atelier bildete den Abschluss der dreijährigen Förderphase, die derzeit 26 deutsche und französische Doktorand/innen bei ihren vornehmlich transnationalen Forschungsvorhaben personell und finanziell unterstützt. Durch das DFDK soll insbesondere die Mobilität, Vernetzung und der Austausch der Nachwuchswissenschaftler/innen zwischen den beiden Ländern erhöht werden. Als größtes der von der Deutsch-Französischen Hochschule finanzierten geisteswissenschaftlichen Kollegien weist das Kolleg der HU Berlin und der EHESS Paris die Besonderheit auf, dass die alternierend in Berlin und Paris stattfindenden Jahrestreffen von den Doktoranden selbst gestaltet und organisiert werden.

Der von den Organisator/innen – Sophie Schifferdecker (CMB Berlin), Sarah Salamon (TU Berlin), Marika Bacsóka (HU Berlin), Kolja Lindner (CMB Berlin) und Antoine Odier (Paris I) – gewählte Schwerpunkt des Ateliers bildete in diesem Jahr die Frage nach Differenzen französischer und deutscher Wissenschaftskultur(en). Damit integrierten sie einerseits die Leitlinien des Kollegs in die thematischen Panels und setzten andererseits die in den letzten zwei Jahren geführten Debatten um das Erkennen und Klassifizieren von sprachlichen, forschungsgeschichtlichen und kulturellen Unterschieden fort. Das Profil des Kollegs profitiert nicht nur von der interdisziplinären Zusammensetzung der Stipendiat/innen1, es bildet ebenso die Vielfalt der Epochen, Methoden und genutzten Kategorien der jeweiligen Forschungsprojekte ab. Das zweite prägende Merkmal des Kollegs sind seine paritätische sprachliche Struktur sowie der dichte Betreuungsschlüssel durch Hochschullehrer, die selbst mit ihren Forschungen maßgeblich zur Differenzierung der deutsch-französischen Forschungsperspektive beigetragen haben. Das diesjährige Atelier bot viel Raum für intensive Debatten und lenkte gleichzeitig immer wieder den Blick auf disziplinäre und nationale Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten.

Eröffnet wurde das Jahrestreffen mit der vom Centre Marc Bloch (CMB) organisierten Podiumsdiskussion zur geplanten „Maison de l’Histoire de France“ in Paris. Das 2009 vom damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy initiierte Museum für die „Seele Frankreichs“ ist in den vergangenen Jahren von Wissenschaftlern (u.a. Nicolas Offenstadt, Jacques Le Goff, Arlette Farge, Pierre Nora) in einer hochpolitischen und hitzigen Debatte heftig kritisiert worden.2 Im Kern drehte sich die Kontroverse um die Frage, ob eine von der Politik oktroyierte Institution wie die geplante „Maison“ nicht nur einen Ort für die ideologische Selbstdarstellung nationaler Identität böte. Schon lange sei in der Geschichtswissenschaft die Luft für Meistererzählungen großer Männer noch größerer Staaten recht dünn geworden, doch habe weder die Konzeption noch der Darstellungsmodus der Maison diesem Paradigmenwechsel Rechnung getragen. Das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin bot den idealen Rahmen für die unter der souveränen Moderation von Emmanuel Droit (Berlin) geführte Podiumsdiskussion. Schließlich wurde ähnlich kontrovers, wenn auch bei weitem nicht so emotional, die Initiative Dr. Helmut Kohls in den 1980er-Jahren des letzten Jahrhunderts kritisiert. Dass das DHM mittlerweile zu den etablierten Größen in der deutschen Museumslandschaft zähle und sich als Publikumsmagnet erwiesen habe, betonte erwartungsgemäß ALEXANDER KOCH (Berlin), Direktor des DHM, in seinen Statements. Er nutzte seine Redezeit für die Selbstdarstellung und die Werbung für sein Haus. Die polemisch angelegte Debatte war mit CHRISTOPHE CHARLE (Paris), der sich als einer der prominentesten Kritiker des Unternehmens in den letzten Jahren erwies, und ÉTIENNE FRANÇOIS (Berlin), der als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats (Comité d’orientation scientifique) in die Position des Apologeten gedrängt war, prominent besetzt. Neben ihnen saß WLODZIMIERZ BORODZIEJ (Warschau/Jena), der in Brüssel das Haus der Europäischen Geschichte betreut und dem das weit schwierigere Unterfangen obliegt, eine „Seele Europas“ während der derzeitigen Krise auszumachen. MARTIN SABROW (Berlin), der als Beirat an den Ausstellungskonzeptionen des DHM und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED Diktatur beteiligt war, beschloss die Runde der fünf Diskussionsteilnehmer. Das Streitgespräch versprach mehr als es hielt, es verebbte einerseits, weil die Einwände und Erwiderungen bereits zuvor ausführlich öffentlich erörtert worden waren, andererseits, weil die Teilnehmer einander lang kennen und schätzen. Letztlich waren sie sich einig, dass museal umsetzbare Nationalgeschichte immer dem state of the art der Wissenschaft nachfolge. Warum die Leitfrage nicht zündete, lag letztlich daran, dass noch keine konkrete Ausstellung umgesetzt ist – eine virtuelle Scheindebatte am Leben zu halten, fällt schwer.

Die konkrete Umsetzung eines solchen Unternehmens stand im Mittelpunkt des zweiten Tagespunktes des Ateliers, dem gemeinsamen Besuch der Dauerausstellung des DHM. MICHAEL WERNER (Paris) erläuterte die Gründungsgeschichte des Hauses sowie die Kontroversen zur Eröffnung des DHM. Anschließend führten Experten die Doktoranden sektionsweise durch die Ausstellung, die von den Germanen bis zur Wiedervereinigung reicht. Zusammen mit dem Panel „Geschichtspolitik“ diskutierte EMMANUEL DROIT (Berlin) über grundlegende Unterschiede der deutschen und französischen Erinnerungs- und Geschichtspolitik. Stellenwert und Darstellbarkeit der deutschen Kolonialvergangenheit im DHM hinterfragte kritisch MARIE MUSCHALEK vom Verein „Kolonialismus im Kasten“.3 Die erfahrene Kuratorin und Ausstellungsmacherin SABINE VOGEL zeigte wiederum Probleme auf, die bei der Vermittlung und Präsentation von Objekten auftreten könnten und bei der Konzeption einer Ausstellung als Erzählung bedacht werden müssten. Die Stipendiaten diskutierten über Stellenwert der Geschichtspolitik in beiden Ländern und über die „Gegenwart der Vergangenheit“ im öffentlichen Diskurs beider Staaten. Welche Rolle Museen und Historiker als Vergangenheitsjongleure in dieser Debatte besetzten, wurde im weiteren Verlauf des Ateliers immer wieder aufgegriffen und problematisiert.

Das Herzstück des Workshops bildete die Gruppenarbeitsphase der drei themengebundenen Sektionen und die anschließende Plenumsdiskussion. Die Doktoranden teilten sich in die Arbeitsgruppen auf und erarbeiteten vor dem Hintergrund der Leitdifferenz des Kollegs und des Ausstellungsbesuchs eine Präsentation. In der ersten Sektion Geschichtspolitik richtete sich die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf den unterschiedlichen Umgang und Status von Erinnerung und Geschichtspolitik in beiden Ländern. Die Doktoranden fragten nach prägenden Figuren, Publikationen und Ausstellungen für nationalgeschichtliche Narrative. Das zweite Panel setzte sich mit der Repräsentation und den Protagonisten der post-colonial-studies in Frankreich und Deutschland auseinander. Stellenwert und Zeitpunkte der öffentlichen Debatte über die koloniale Vergangenheit waren ebenso Thema wie Einfluss und Wahrnehmung der Globalgeschichte. Die dritte Sektion thematisierte abstrakter die Bedeutung von Sprache und Übersetzung(en) in der Arbeit des Wissenschaftlers. Die Stipendiat/innen stellten sich die Frage, welche Rolle Transformationsprozesse, gerade auch der Sinntransformation für ihre eigene Arbeit besitzen. Schließlich bewegten sich die Stipendiat/innen selbst immer wieder zwischen Wissenschafts- und Sprachkulturen, in denen sie ihre Fragen und Beobachtungen den Bedingungen und Sprachregelungen neu anpassen müssten.

Die anschließende Debatte im Plenum konzentrierte sich auf drei Schwerpunkte. Erstens wurde nach Gründen für die mangelnde Präsenz und Expertise von Historikern zu aktuellen gesellschaftspolitischen Problemen gesucht. Vor allem anhand des Globalisierungsnarrativs wurde erörtert, dass mit den post-colonial-studies, der Transfergeschichte und der histoire croisée äußerst differenzierte Begriffsinstrumentarien zur Verfügung ständen, um prägnante Stellungnahmen zu formulieren. Darüber hinaus könnten Historiker mittels der vergleichenden Analyse gemeinsam über die Fachdisziplinen der Klimaforschung, Umwelt- und Kapitalismusgeschichte hinaus, sich sehr wohl als Experten profilieren und einen originären Beitrag zu gesellschaftsrelevanten Debatten leisten. Zweitens wurde kritisch das boundary-work der innerdisziplinären Zugriffe und verwendeten Kategorien beleuchtet. Die Teilnehmer bemängelten, dass Grundsatzdebatten sich auf die Neuheit des jeweils eigenen Ansatzes richteten und meist ihre Alleinstellungsmerkmale betonten.4 Begriffsneuerung und Profilierung gingen dabei auf Kosten von diachronen Synthesen und dem disziplinären Dialog. Drittens knüpfte sich an diese intensiven methodologischen Reflexionen eine Auseinandersetzung mit Selbstverständnis, Rollenbild und Schreibjargon von Wissenschaftlichkeit. Gerade weil ein Teil der Stipendiat/innen vor dem Abschluss ihrer Dissertationen steht, konnten aus dieser Debatte Impulse für die eigene Arbeit gewonnen werden. Dass das deutsche und französische wissenschaftliche Feld unterschiedlich gelagert sei, wurde durch die Analyse der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Position der Protagonisten deutlich. Schließlich erörterten die Doktorand/innen, wie sehr das universitäre Rollenbild Ziel ihres künftigen Berufslebens sei oder ob auch eine Kooperation mit Industrie und Wirtschaft für sie in Frage käme.

Den Abschluss des Ateliers bildeten die konzise Zusammenfassung MICHAEL WERNERs sowie der Rückblick der Sprecher des Kollegs, CHRISTOPHE DUHAMELLE und HARTMUT KAELBLE auf die letzten drei Jahre der zweiten Förderphase. Sie stellten sowohl Entwicklung und produktive Eigendynamik des Projektes heraus, betonten die Attraktivität des Kollegs, die sich in den steigenden Bewerberzahlen niederschlüge und bekräftigten die Vorteile, die aus der Multiperspektivität und Binationalität des Kollegs für die Stipendiaten resultierten. Mit einem Ausblick auf die neuen Schwerpunkte der dritten Förderphase unter dem Titel „Unterschiede denken II: Struktur – Ordnung – Kommunikation“ beschloss GABRIELE METZLER (Berlin) das Atelier. Sie steht nun gemeinsam mit Peter Burschel (HU Berlin) sowie Rainer Maria Kiesow (EHESS Paris) für seine Zukunft. Das Jahresatelier des DFDK 2012 ist ein Zeugnis gelungener akademischer Nachwuchsförderung, weil es neben dem wissenschaftlichen Austausch besonders die Eigeninitiative und den Gestaltungswillen seiner Doktoranden begleitet und stärkt.

Konferenzübersicht:

Podiumsdiskussion „Das Haus der Geschichte Frankreichs: Ein anachronistisches Projekt oder eine Chance für die Zukunft?“ mit Alexander Koch, Étienne François, Martin Sabrow, Wlodzimierz Borodziej, Christophe Charle, moderiert von Emmanuel Droit

Sektion 1: Globalgeschichte

Alexander Nützenadel (Diskussionsleitung), Claudia Ulbrich (Kommentar), Doktorand/innen: Vera Kallenberg, Anne Lainault, Kolja Lindner, Andrea Meza Torres, Matthias Schmelzer, Judith Syga, Johan Wagner

Thematische Führung im DHM: Marie Muschalek

Sektion 2: Geschichtspolitik

Étienne François (Diskussionsleitung), Pierre Monnet (Kommentar), Doktorand/innen: Julien Acquatella, Katrin Jordan, Anna Karla, Eva Knels, Vanina Kopp, Dominik Scholz, Sarah Salomon, Sophie Schifferdecker

Thematische Führung im DHM: Emmanuel Droit

Sektion 3: Sprache und Übersetzung

Johannes Helmrath (Diskussionsleitung), Prof. Dr. Hartmut Kaelble (Kommentar), Doktorand/innen: Marika Bacsóka, David Blankenstein, Antoine Odier, Nina Struckmeyer

Thematische Führung im DHM: Sabine Vogel

Zusammenfassung und Auswertung des Ateliers: Michael Werner (Diskussionsleitung), Resümee – Drei Jahre DFDK: Hartmut Kaelble und Christophe Duhamelle sowie Iris Schröder und Falk Bretschneider
Perspektiven auf die neue Förderphase des DFDK: Gabriele Metzler

Anmerkungen:
1 Derzeit besteht das Kolleg aus Historiker/innen, Literaturwissenschaftler/innen, Politikwissenschaftler/innen, Ethnolog/innen und Kunsthistoriker/innen. In der nächsten Förderphase sollen verstärkt Rechts- und Sozialwissenschaftler/innen aufgenommen werden.
2 Vgl. zu der Debatte um die Maison das kurze Dossier von Nadine Pippel: <http://www.dokumente-documents.info/uploads/tx_ewsdokumente/Dos_29-32_012012_Pippel.pdf> (12.03.2013) sowie die Stellungnahme des federführenden Kritikers Nicolas Offenstadt, Brauchen wir ein Haus der Geschichte Frankreichs? Oder die Rückkehr der nationalen Meistererzählung, in: Frankreich-Jahrbuch 2010, Frankreichs Geschichte: Vom (politischen) Nutzen der Vergangenheit, hrsg. vom Deutsch-Französischen Institut.
3 Zur Entstehungsgeschichte der kritischen Rundgänge durch das DHM vgl. Debora Gerstenberger, Kolonialismus im Kasten? Eine Gruppe von Historikerinnen organisiert kritische Rundgänge zur deutschen Kolonialgeschichte in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums, in: H-Soz-u-Kult, 26.11.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=1427&type=diskussionenonen> (12.03.2013).
4 Ein eindringliches Plädoyer wider die Grabenkämpfe formulierte Ute Daniel, Clio unter Kulturschock. Zu den aktuellen Debatten der Geschichtswissenschaft, in: GWU 48 (1997), 195-219.


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